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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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LntstchlmgsgeschichK und Stil des LgmoM.

mvnien erstarrt waren und zu deren langsamem Wesen die Weite und Gcschwindig^
keit seines Naturells in beständigem Gegensatz stand. Ans den Worten Egmonts
aber spricht der Weimarische Goethe, der nu die Frau voll Stein schreibt: "Wie
sehr ich wieder Liebe zu der Klasse von Meuschen gekriegt habe, die um, die
niedere nennt, die aber gewiß für Gott die höchste ist! Da sind doch alle Tilgenden
beisammen, Beschränktheit, Genügsamkeit, gerader Sinn, Treue, Frende über das
leidlichste Gute, Harmlosigkeit, Dulden," der sich von einem Buchbinder während
der Arbeit sein Schicksal und sein Leben erzählen läßt und jedes Wort, das er
sagt, so schwer wie Gold findet und ein Dutzend Lavaterscher Pleonasmen nötig
hält, um die Ehrfurcht auszudrücken, die er für den Menschen empfinde. Auch
Vansen, der hin ein verhört, wo es nichts heraus zu verhöre" gibt, erinnert an
Goethes kurze Advvkatenpraxis in der Frankfurter Zeit. Und endlich stimmt
damit auch der Stil dieser Szenen überein. Die wörtliche Ausnutzung der
Quellen in den Schilderungen der Schlacht bei Gravelingen, Karls V. und der
Bilderstürmer ist ganz in der Art des Götz. Auch das rasche Abbrechen der
Szenen, unbekümmert um die Art, wie die Personen von der Szene geschafft
werden sollen, erinnert an den ersten Götz, wo der Dichter die Personen mitten
in der Unterredung im Stiche läßt.

Im Götz sind die Personen in verschiedene Gruppen geteilt, welche mit.
einander gar nicht oder nur in vorübergehende Berührung geraten. Adelheid
und Götz zum Beispiel bekomme" sich, obgleich sie Hauptpersonen sind, garnicht
zu Gesicht. Briefe und Sendboten vermitteln zwischen diesen Gruppen hin und
her. Das ist ganz ähnlich im Egmont, nur daß die Verbindung durch die
politischen Fäden der Handlung besorgt wird. Auch Alba steht ja eigentlich
außerhalb des Stückes und tritt nur einmal auf, wo er unbedingt nötig und
nicht zu umgehen war. Wir wissen, wie viel Mühe dieser Akt Goethen gemacht
hat, und gerne wäre er gewiß auch hier dem Auftritte ausgewichen. So steht auch
die Gruppe der Bürger, unbekümmert um Klärcheu und die zu ihrer Gruppe
gehörigen Personen, für sich: beide berühren sich nur im letzten Akte. Ganz
für sich allein steht die Regentin da; sie spielt eigentlich nnr mit sich selbst,
denn Macchiavell ist ein bloßer Notbehelf, den ihr Goethe in Person eines Ver¬
trauten an die Seite gegeben hat, um einen Dialog möglich zu machen, und
den er nur deshalb widersprechen läßt, um den Dialog dramatisch bewegter zu
machen und auch der Gegenpartei vor der Regentin zum Worte zu verhelfe".
Wir wissen bereits aus den äußern Daten, daß die erste dieser Szenen in die
Frankfurter Zeit gehört, und hier finden wir ebenfalls eine Schilderung der
Bilderstürmer wörtlich nach Strada.

Die Szenen zwischen Klärchen und Brackcnbnrg lagen Goethen in der Zeit
seiner Liebe zu Lilli und in der Periode schmerzlicher Entsagung am nächste".
Mit solcher Wahrheit und Innigkeit, wie diese unglückliche Liebe, schildert Goethe
nur das, was aus seinem eignen Innern genommen ist. Daß Goethe eigne


LntstchlmgsgeschichK und Stil des LgmoM.

mvnien erstarrt waren und zu deren langsamem Wesen die Weite und Gcschwindig^
keit seines Naturells in beständigem Gegensatz stand. Ans den Worten Egmonts
aber spricht der Weimarische Goethe, der nu die Frau voll Stein schreibt: „Wie
sehr ich wieder Liebe zu der Klasse von Meuschen gekriegt habe, die um, die
niedere nennt, die aber gewiß für Gott die höchste ist! Da sind doch alle Tilgenden
beisammen, Beschränktheit, Genügsamkeit, gerader Sinn, Treue, Frende über das
leidlichste Gute, Harmlosigkeit, Dulden," der sich von einem Buchbinder während
der Arbeit sein Schicksal und sein Leben erzählen läßt und jedes Wort, das er
sagt, so schwer wie Gold findet und ein Dutzend Lavaterscher Pleonasmen nötig
hält, um die Ehrfurcht auszudrücken, die er für den Menschen empfinde. Auch
Vansen, der hin ein verhört, wo es nichts heraus zu verhöre» gibt, erinnert an
Goethes kurze Advvkatenpraxis in der Frankfurter Zeit. Und endlich stimmt
damit auch der Stil dieser Szenen überein. Die wörtliche Ausnutzung der
Quellen in den Schilderungen der Schlacht bei Gravelingen, Karls V. und der
Bilderstürmer ist ganz in der Art des Götz. Auch das rasche Abbrechen der
Szenen, unbekümmert um die Art, wie die Personen von der Szene geschafft
werden sollen, erinnert an den ersten Götz, wo der Dichter die Personen mitten
in der Unterredung im Stiche läßt.

Im Götz sind die Personen in verschiedene Gruppen geteilt, welche mit.
einander gar nicht oder nur in vorübergehende Berührung geraten. Adelheid
und Götz zum Beispiel bekomme» sich, obgleich sie Hauptpersonen sind, garnicht
zu Gesicht. Briefe und Sendboten vermitteln zwischen diesen Gruppen hin und
her. Das ist ganz ähnlich im Egmont, nur daß die Verbindung durch die
politischen Fäden der Handlung besorgt wird. Auch Alba steht ja eigentlich
außerhalb des Stückes und tritt nur einmal auf, wo er unbedingt nötig und
nicht zu umgehen war. Wir wissen, wie viel Mühe dieser Akt Goethen gemacht
hat, und gerne wäre er gewiß auch hier dem Auftritte ausgewichen. So steht auch
die Gruppe der Bürger, unbekümmert um Klärcheu und die zu ihrer Gruppe
gehörigen Personen, für sich: beide berühren sich nur im letzten Akte. Ganz
für sich allein steht die Regentin da; sie spielt eigentlich nnr mit sich selbst,
denn Macchiavell ist ein bloßer Notbehelf, den ihr Goethe in Person eines Ver¬
trauten an die Seite gegeben hat, um einen Dialog möglich zu machen, und
den er nur deshalb widersprechen läßt, um den Dialog dramatisch bewegter zu
machen und auch der Gegenpartei vor der Regentin zum Worte zu verhelfe».
Wir wissen bereits aus den äußern Daten, daß die erste dieser Szenen in die
Frankfurter Zeit gehört, und hier finden wir ebenfalls eine Schilderung der
Bilderstürmer wörtlich nach Strada.

Die Szenen zwischen Klärchen und Brackcnbnrg lagen Goethen in der Zeit
seiner Liebe zu Lilli und in der Periode schmerzlicher Entsagung am nächste».
Mit solcher Wahrheit und Innigkeit, wie diese unglückliche Liebe, schildert Goethe
nur das, was aus seinem eignen Innern genommen ist. Daß Goethe eigne


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[0372] LntstchlmgsgeschichK und Stil des LgmoM. mvnien erstarrt waren und zu deren langsamem Wesen die Weite und Gcschwindig^ keit seines Naturells in beständigem Gegensatz stand. Ans den Worten Egmonts aber spricht der Weimarische Goethe, der nu die Frau voll Stein schreibt: „Wie sehr ich wieder Liebe zu der Klasse von Meuschen gekriegt habe, die um, die niedere nennt, die aber gewiß für Gott die höchste ist! Da sind doch alle Tilgenden beisammen, Beschränktheit, Genügsamkeit, gerader Sinn, Treue, Frende über das leidlichste Gute, Harmlosigkeit, Dulden," der sich von einem Buchbinder während der Arbeit sein Schicksal und sein Leben erzählen läßt und jedes Wort, das er sagt, so schwer wie Gold findet und ein Dutzend Lavaterscher Pleonasmen nötig hält, um die Ehrfurcht auszudrücken, die er für den Menschen empfinde. Auch Vansen, der hin ein verhört, wo es nichts heraus zu verhöre» gibt, erinnert an Goethes kurze Advvkatenpraxis in der Frankfurter Zeit. Und endlich stimmt damit auch der Stil dieser Szenen überein. Die wörtliche Ausnutzung der Quellen in den Schilderungen der Schlacht bei Gravelingen, Karls V. und der Bilderstürmer ist ganz in der Art des Götz. Auch das rasche Abbrechen der Szenen, unbekümmert um die Art, wie die Personen von der Szene geschafft werden sollen, erinnert an den ersten Götz, wo der Dichter die Personen mitten in der Unterredung im Stiche läßt. Im Götz sind die Personen in verschiedene Gruppen geteilt, welche mit. einander gar nicht oder nur in vorübergehende Berührung geraten. Adelheid und Götz zum Beispiel bekomme» sich, obgleich sie Hauptpersonen sind, garnicht zu Gesicht. Briefe und Sendboten vermitteln zwischen diesen Gruppen hin und her. Das ist ganz ähnlich im Egmont, nur daß die Verbindung durch die politischen Fäden der Handlung besorgt wird. Auch Alba steht ja eigentlich außerhalb des Stückes und tritt nur einmal auf, wo er unbedingt nötig und nicht zu umgehen war. Wir wissen, wie viel Mühe dieser Akt Goethen gemacht hat, und gerne wäre er gewiß auch hier dem Auftritte ausgewichen. So steht auch die Gruppe der Bürger, unbekümmert um Klärcheu und die zu ihrer Gruppe gehörigen Personen, für sich: beide berühren sich nur im letzten Akte. Ganz für sich allein steht die Regentin da; sie spielt eigentlich nnr mit sich selbst, denn Macchiavell ist ein bloßer Notbehelf, den ihr Goethe in Person eines Ver¬ trauten an die Seite gegeben hat, um einen Dialog möglich zu machen, und den er nur deshalb widersprechen läßt, um den Dialog dramatisch bewegter zu machen und auch der Gegenpartei vor der Regentin zum Worte zu verhelfe». Wir wissen bereits aus den äußern Daten, daß die erste dieser Szenen in die Frankfurter Zeit gehört, und hier finden wir ebenfalls eine Schilderung der Bilderstürmer wörtlich nach Strada. Die Szenen zwischen Klärchen und Brackcnbnrg lagen Goethen in der Zeit seiner Liebe zu Lilli und in der Periode schmerzlicher Entsagung am nächste». Mit solcher Wahrheit und Innigkeit, wie diese unglückliche Liebe, schildert Goethe nur das, was aus seinem eignen Innern genommen ist. Daß Goethe eigne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/372>, abgerufen am 23.07.2024.