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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Der Regen.

Daß auch in unsern Breiten der Monsumcharakter der Witterung zur Geltung
kommt, haben wir in den Augusttagen vorigen Jahres erfahren können. Man
erinnert sich der kolossalen Hitze, die der Regenperiode in der Erntezeit voraus¬
ging. Durch dieselbe wurde das Luftmeer über Deutschland, Ungarn und West¬
rußland bedeutend gelockert. In letzterem Bezirke war die Hitze sogar am größten.
Während nun die erhitzte Luft emporstieg und in obern Schichten abfloß, bildete
sich eine Druckdifferenz zwischen der Luft über dem nordatlantischen Meere und
dem Festlande Europas heraus. Die Ausgleichung derselben fand durch einen
anderthalbe Woche dauernden regengesättigten, quer durch Deutschland ziehende!!
Nordwind, einen richtigen Monsun, statt, welcher erstarb, nachdem Plus und
Minus des Druckes sich ausgeglichen hatten.

Aus dein Zusammenwirken der verschiedensten Faktoren der Wärme und
Druckdifferenz über Land und Meer, sowie den großen tellurischen Strömungen
entspringt in unsern Breiten ein Witterungscharakter, den man regellos nennen
möchte. Wenigstens haben die längsten Beobachtungsreihen zu einem Gesetze der
Witterung nicht geführt. Erst nachdem man anfing, das gleichzeitige Wetter¬
bild größerer Gebiete zu beobachten, fand sich Regel und Gesetz. Nehmen wir
einmal irgend ein altes Zeitungsblatt in die Hand, etwa das vom 14. Oktober
des Jahres 1881. Wenn wir da die Windrichtungen der Witternngsmitteilung der
Secwarte lesen, so zeigt sich, daß nicht weniger als sämtliche Winde zugleich wehen;
in Nordirland aus Norden, in Schottland aus Nordosten, im Kanal aus Westen,
an der Küste der Nordsee aus Südwesten, in Magdeburg aus Süden, in Sylt
aus Südosten. Aber die scheinbare Regellosigkeit verliert sich, sobald wir die
Richtungen in eine Karte eintragen. Da zeigt sich deutlich, daß die Winde im
Kreise herumjagen, geradeso als ob sie im Bogen auf einen gemeinsamen Mittel¬
punkt zuliefen. Vergleichen wir mit dieser Lage die Barometerstände, so zeigt
sich, daß dieser imaginäre Mittelpunkt den tiefsten Stand hat. Am 14. Oktober
1881 lag dies Zentrum über Shiclds in England und zeigte den abnorm niedrigen
Stand von 725 Millimetern. Ringsherum nahm der Barometerstand zu und
betrug in Cork, Münster und Sylt 745 Millimeter, in Brest, Leipzig, Warschau 755,
in Bordeaux, Nizza und Trieft 760 Millimeter. Werden die Orte gleicher Baro¬
meterhöhe mit Linien verbunden -- sogenannten Isobaren --, so entstehen kon¬
zentrische Kreise. Der Ort niedrigsten Standes wird durch deu innersten Kreis
bezeichnet und barometrisches Minimum genannt. Der Leser erinnert sich, in
den Wetterkarten der Tageszeitungen häufig derartige Zeichnungen gesehen und
in dem begleitenden Texte gelesen zu haben, daß das Minimum etwa östlich bis
Jütland oder nordöstlich bis Finnland vorgeschritten sei. Am 14. Oktober 1881
früh 8 Uhr lag es über dem mittleren England, umkreist von Winden, die im
Südosten, Westen und Nordwesten mit der Heftigkeit des Sturmes auftraten,
während im Innern nur mäßige Bewegung herrschte. Seinen Einfluß hatte
der Wirbel bereits bis Magdeburg ausgedehnt, wo sich die Luft bei Südwind


Der Regen.

Daß auch in unsern Breiten der Monsumcharakter der Witterung zur Geltung
kommt, haben wir in den Augusttagen vorigen Jahres erfahren können. Man
erinnert sich der kolossalen Hitze, die der Regenperiode in der Erntezeit voraus¬
ging. Durch dieselbe wurde das Luftmeer über Deutschland, Ungarn und West¬
rußland bedeutend gelockert. In letzterem Bezirke war die Hitze sogar am größten.
Während nun die erhitzte Luft emporstieg und in obern Schichten abfloß, bildete
sich eine Druckdifferenz zwischen der Luft über dem nordatlantischen Meere und
dem Festlande Europas heraus. Die Ausgleichung derselben fand durch einen
anderthalbe Woche dauernden regengesättigten, quer durch Deutschland ziehende!!
Nordwind, einen richtigen Monsun, statt, welcher erstarb, nachdem Plus und
Minus des Druckes sich ausgeglichen hatten.

Aus dein Zusammenwirken der verschiedensten Faktoren der Wärme und
Druckdifferenz über Land und Meer, sowie den großen tellurischen Strömungen
entspringt in unsern Breiten ein Witterungscharakter, den man regellos nennen
möchte. Wenigstens haben die längsten Beobachtungsreihen zu einem Gesetze der
Witterung nicht geführt. Erst nachdem man anfing, das gleichzeitige Wetter¬
bild größerer Gebiete zu beobachten, fand sich Regel und Gesetz. Nehmen wir
einmal irgend ein altes Zeitungsblatt in die Hand, etwa das vom 14. Oktober
des Jahres 1881. Wenn wir da die Windrichtungen der Witternngsmitteilung der
Secwarte lesen, so zeigt sich, daß nicht weniger als sämtliche Winde zugleich wehen;
in Nordirland aus Norden, in Schottland aus Nordosten, im Kanal aus Westen,
an der Küste der Nordsee aus Südwesten, in Magdeburg aus Süden, in Sylt
aus Südosten. Aber die scheinbare Regellosigkeit verliert sich, sobald wir die
Richtungen in eine Karte eintragen. Da zeigt sich deutlich, daß die Winde im
Kreise herumjagen, geradeso als ob sie im Bogen auf einen gemeinsamen Mittel¬
punkt zuliefen. Vergleichen wir mit dieser Lage die Barometerstände, so zeigt
sich, daß dieser imaginäre Mittelpunkt den tiefsten Stand hat. Am 14. Oktober
1881 lag dies Zentrum über Shiclds in England und zeigte den abnorm niedrigen
Stand von 725 Millimetern. Ringsherum nahm der Barometerstand zu und
betrug in Cork, Münster und Sylt 745 Millimeter, in Brest, Leipzig, Warschau 755,
in Bordeaux, Nizza und Trieft 760 Millimeter. Werden die Orte gleicher Baro¬
meterhöhe mit Linien verbunden — sogenannten Isobaren —, so entstehen kon¬
zentrische Kreise. Der Ort niedrigsten Standes wird durch deu innersten Kreis
bezeichnet und barometrisches Minimum genannt. Der Leser erinnert sich, in
den Wetterkarten der Tageszeitungen häufig derartige Zeichnungen gesehen und
in dem begleitenden Texte gelesen zu haben, daß das Minimum etwa östlich bis
Jütland oder nordöstlich bis Finnland vorgeschritten sei. Am 14. Oktober 1881
früh 8 Uhr lag es über dem mittleren England, umkreist von Winden, die im
Südosten, Westen und Nordwesten mit der Heftigkeit des Sturmes auftraten,
während im Innern nur mäßige Bewegung herrschte. Seinen Einfluß hatte
der Wirbel bereits bis Magdeburg ausgedehnt, wo sich die Luft bei Südwind


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[0363] Der Regen. Daß auch in unsern Breiten der Monsumcharakter der Witterung zur Geltung kommt, haben wir in den Augusttagen vorigen Jahres erfahren können. Man erinnert sich der kolossalen Hitze, die der Regenperiode in der Erntezeit voraus¬ ging. Durch dieselbe wurde das Luftmeer über Deutschland, Ungarn und West¬ rußland bedeutend gelockert. In letzterem Bezirke war die Hitze sogar am größten. Während nun die erhitzte Luft emporstieg und in obern Schichten abfloß, bildete sich eine Druckdifferenz zwischen der Luft über dem nordatlantischen Meere und dem Festlande Europas heraus. Die Ausgleichung derselben fand durch einen anderthalbe Woche dauernden regengesättigten, quer durch Deutschland ziehende!! Nordwind, einen richtigen Monsun, statt, welcher erstarb, nachdem Plus und Minus des Druckes sich ausgeglichen hatten. Aus dein Zusammenwirken der verschiedensten Faktoren der Wärme und Druckdifferenz über Land und Meer, sowie den großen tellurischen Strömungen entspringt in unsern Breiten ein Witterungscharakter, den man regellos nennen möchte. Wenigstens haben die längsten Beobachtungsreihen zu einem Gesetze der Witterung nicht geführt. Erst nachdem man anfing, das gleichzeitige Wetter¬ bild größerer Gebiete zu beobachten, fand sich Regel und Gesetz. Nehmen wir einmal irgend ein altes Zeitungsblatt in die Hand, etwa das vom 14. Oktober des Jahres 1881. Wenn wir da die Windrichtungen der Witternngsmitteilung der Secwarte lesen, so zeigt sich, daß nicht weniger als sämtliche Winde zugleich wehen; in Nordirland aus Norden, in Schottland aus Nordosten, im Kanal aus Westen, an der Küste der Nordsee aus Südwesten, in Magdeburg aus Süden, in Sylt aus Südosten. Aber die scheinbare Regellosigkeit verliert sich, sobald wir die Richtungen in eine Karte eintragen. Da zeigt sich deutlich, daß die Winde im Kreise herumjagen, geradeso als ob sie im Bogen auf einen gemeinsamen Mittel¬ punkt zuliefen. Vergleichen wir mit dieser Lage die Barometerstände, so zeigt sich, daß dieser imaginäre Mittelpunkt den tiefsten Stand hat. Am 14. Oktober 1881 lag dies Zentrum über Shiclds in England und zeigte den abnorm niedrigen Stand von 725 Millimetern. Ringsherum nahm der Barometerstand zu und betrug in Cork, Münster und Sylt 745 Millimeter, in Brest, Leipzig, Warschau 755, in Bordeaux, Nizza und Trieft 760 Millimeter. Werden die Orte gleicher Baro¬ meterhöhe mit Linien verbunden — sogenannten Isobaren —, so entstehen kon¬ zentrische Kreise. Der Ort niedrigsten Standes wird durch deu innersten Kreis bezeichnet und barometrisches Minimum genannt. Der Leser erinnert sich, in den Wetterkarten der Tageszeitungen häufig derartige Zeichnungen gesehen und in dem begleitenden Texte gelesen zu haben, daß das Minimum etwa östlich bis Jütland oder nordöstlich bis Finnland vorgeschritten sei. Am 14. Oktober 1881 früh 8 Uhr lag es über dem mittleren England, umkreist von Winden, die im Südosten, Westen und Nordwesten mit der Heftigkeit des Sturmes auftraten, während im Innern nur mäßige Bewegung herrschte. Seinen Einfluß hatte der Wirbel bereits bis Magdeburg ausgedehnt, wo sich die Luft bei Südwind

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/363>, abgerufen am 23.07.2024.