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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Schutz der nationale" Arbeit.

Es giebt aber noch einen armen Mann, es ist derjenige, der arbeiten will,
arbeiten kann, aber keine Arbeit findet. soll dem damit geholfen werden, daß
man die Lebensmittel entwertet? Was helfen ihm denn die billigsten Lebens¬
mittel, wenn er sie nicht kaufen kann? Man muß ihn in den Stand setzen,
Lebensmittel kaufen zu können -- das ist der Kern der sozialen Frage.
Alles andre sind Doktrinen.

Der Arbeiter hat ein Recht zu verlangen, daß die Institutionen
des Staates derart sind, daß der, der arbeiten will und kaun, auch
Arbeit findet. Es ist falsch, Fabrikate aus dem Auslande zu beziehen, die
unsre Arbeiter machen könnten, während diese fechtend umherziehen und schließlich
auswandern müssen, um im Auslande an jenen Fabrikaten mitzuarbeiten, für
die wir ihnen dann den Arbeitslohn ins Ausland senden, damit sie sich dort
teure Lebensmittel kaufen können, die sie in ihrem Vaterlande bei billigeren
Preise entbehren mußten.

Wie viele Vorschläge haben wir zur Steuer der "Vagabondage"! Zucht¬
häuser, Gendarmen, Kolonien, Religion, Schule und sogar Prügelstrafe. Die
Katze und der Brei! Das Überhandiiehmeil der Landstreicher geht ganz gleichen
Schritt mit dem Überhandnehmen der Arbeitslosigkeit. Die Arbeitslosigkeit ist
das Erziehungsmittel des Landstreichers, gleichviel, ob er nicht arbeiten will oder
ob er keine Arbeit finde. Solche, die nicht arbeiten wollen, hat es zu allen
Zeiten gegeben, und sie werden kaum aussterben. Aber wer arbeiten will und
doch keine Arbeit findet, der ist eben wohl oder übel arbeitslos.

Bete und arbeite! Dieses ernste Wort ist heute eine ebenso ernste Mah¬
nung an die Volksvertretung. Es ist recht, daß der, der beten will, die Schule
und die Kirche finde. Sorget aber dafür, daß er auch Arbeit finde! Der
billigste Weizen und das billigste Fleisch nützen dem feiernden Arbeiter nichts,
und der arbeitende und gesuchte Arbeiter empfindet die Preiserhöhung der Lebens¬
mittel, die dadurch entsteht, daß ein Bauer, der 100 Mark Steuern bezahlt, für
die Folge 500 Mark mehr einnimmt, garnicht. Ein solcher hat etwa jährlich
zu verkaufen:

150 Zentner Gerste a 9 M. 1350 M.
30 " Roggen ü, 10 " 300 .,
80 " Weizen g. 12 " 960 "
30 ,. Hafer 5 6,,-- 180 "
20 " Erbsen -e. ä 12 " 240 "
1 Paar Ochsen....... 1000 "
1 Kuh.......^. ^250 "
"
Summa 4280 M.

Nimmt er hierfür 500 Mark mehr ein, so werden Getreide und Fleisch unge¬
fähr 10 Prozent teurer. So viel aber fluktuiren ja die Lebensmittelpreise ohne¬
dies, und keinem Menschen wird es einfallen, wenn einmal in einem Jahre die
Preise 10 Prozent höher als in einem andern sind, darin einen Notstand zu


Schutz der nationale» Arbeit.

Es giebt aber noch einen armen Mann, es ist derjenige, der arbeiten will,
arbeiten kann, aber keine Arbeit findet. soll dem damit geholfen werden, daß
man die Lebensmittel entwertet? Was helfen ihm denn die billigsten Lebens¬
mittel, wenn er sie nicht kaufen kann? Man muß ihn in den Stand setzen,
Lebensmittel kaufen zu können — das ist der Kern der sozialen Frage.
Alles andre sind Doktrinen.

Der Arbeiter hat ein Recht zu verlangen, daß die Institutionen
des Staates derart sind, daß der, der arbeiten will und kaun, auch
Arbeit findet. Es ist falsch, Fabrikate aus dem Auslande zu beziehen, die
unsre Arbeiter machen könnten, während diese fechtend umherziehen und schließlich
auswandern müssen, um im Auslande an jenen Fabrikaten mitzuarbeiten, für
die wir ihnen dann den Arbeitslohn ins Ausland senden, damit sie sich dort
teure Lebensmittel kaufen können, die sie in ihrem Vaterlande bei billigeren
Preise entbehren mußten.

Wie viele Vorschläge haben wir zur Steuer der „Vagabondage"! Zucht¬
häuser, Gendarmen, Kolonien, Religion, Schule und sogar Prügelstrafe. Die
Katze und der Brei! Das Überhandiiehmeil der Landstreicher geht ganz gleichen
Schritt mit dem Überhandnehmen der Arbeitslosigkeit. Die Arbeitslosigkeit ist
das Erziehungsmittel des Landstreichers, gleichviel, ob er nicht arbeiten will oder
ob er keine Arbeit finde. Solche, die nicht arbeiten wollen, hat es zu allen
Zeiten gegeben, und sie werden kaum aussterben. Aber wer arbeiten will und
doch keine Arbeit findet, der ist eben wohl oder übel arbeitslos.

Bete und arbeite! Dieses ernste Wort ist heute eine ebenso ernste Mah¬
nung an die Volksvertretung. Es ist recht, daß der, der beten will, die Schule
und die Kirche finde. Sorget aber dafür, daß er auch Arbeit finde! Der
billigste Weizen und das billigste Fleisch nützen dem feiernden Arbeiter nichts,
und der arbeitende und gesuchte Arbeiter empfindet die Preiserhöhung der Lebens¬
mittel, die dadurch entsteht, daß ein Bauer, der 100 Mark Steuern bezahlt, für
die Folge 500 Mark mehr einnimmt, garnicht. Ein solcher hat etwa jährlich
zu verkaufen:

150 Zentner Gerste a 9 M. 1350 M.
30 „ Roggen ü, 10 „ 300 .,
80 „ Weizen g. 12 „ 960 „
30 ,. Hafer 5 6,,-- 180 „
20 „ Erbsen -e. ä 12 „ 240 „
1 Paar Ochsen....... 1000 „
1 Kuh.......^. ^250 „
"
Summa 4280 M.

Nimmt er hierfür 500 Mark mehr ein, so werden Getreide und Fleisch unge¬
fähr 10 Prozent teurer. So viel aber fluktuiren ja die Lebensmittelpreise ohne¬
dies, und keinem Menschen wird es einfallen, wenn einmal in einem Jahre die
Preise 10 Prozent höher als in einem andern sind, darin einen Notstand zu


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[0355] Schutz der nationale» Arbeit. Es giebt aber noch einen armen Mann, es ist derjenige, der arbeiten will, arbeiten kann, aber keine Arbeit findet. soll dem damit geholfen werden, daß man die Lebensmittel entwertet? Was helfen ihm denn die billigsten Lebens¬ mittel, wenn er sie nicht kaufen kann? Man muß ihn in den Stand setzen, Lebensmittel kaufen zu können — das ist der Kern der sozialen Frage. Alles andre sind Doktrinen. Der Arbeiter hat ein Recht zu verlangen, daß die Institutionen des Staates derart sind, daß der, der arbeiten will und kaun, auch Arbeit findet. Es ist falsch, Fabrikate aus dem Auslande zu beziehen, die unsre Arbeiter machen könnten, während diese fechtend umherziehen und schließlich auswandern müssen, um im Auslande an jenen Fabrikaten mitzuarbeiten, für die wir ihnen dann den Arbeitslohn ins Ausland senden, damit sie sich dort teure Lebensmittel kaufen können, die sie in ihrem Vaterlande bei billigeren Preise entbehren mußten. Wie viele Vorschläge haben wir zur Steuer der „Vagabondage"! Zucht¬ häuser, Gendarmen, Kolonien, Religion, Schule und sogar Prügelstrafe. Die Katze und der Brei! Das Überhandiiehmeil der Landstreicher geht ganz gleichen Schritt mit dem Überhandnehmen der Arbeitslosigkeit. Die Arbeitslosigkeit ist das Erziehungsmittel des Landstreichers, gleichviel, ob er nicht arbeiten will oder ob er keine Arbeit finde. Solche, die nicht arbeiten wollen, hat es zu allen Zeiten gegeben, und sie werden kaum aussterben. Aber wer arbeiten will und doch keine Arbeit findet, der ist eben wohl oder übel arbeitslos. Bete und arbeite! Dieses ernste Wort ist heute eine ebenso ernste Mah¬ nung an die Volksvertretung. Es ist recht, daß der, der beten will, die Schule und die Kirche finde. Sorget aber dafür, daß er auch Arbeit finde! Der billigste Weizen und das billigste Fleisch nützen dem feiernden Arbeiter nichts, und der arbeitende und gesuchte Arbeiter empfindet die Preiserhöhung der Lebens¬ mittel, die dadurch entsteht, daß ein Bauer, der 100 Mark Steuern bezahlt, für die Folge 500 Mark mehr einnimmt, garnicht. Ein solcher hat etwa jährlich zu verkaufen: 150 Zentner Gerste a 9 M. 1350 M. 30 „ Roggen ü, 10 „ 300 ., 80 „ Weizen g. 12 „ 960 „ 30 ,. Hafer 5 6,,-- 180 „ 20 „ Erbsen -e. ä 12 „ 240 „ 1 Paar Ochsen....... 1000 „ 1 Kuh.......^. ^250 „ " Summa 4280 M. Nimmt er hierfür 500 Mark mehr ein, so werden Getreide und Fleisch unge¬ fähr 10 Prozent teurer. So viel aber fluktuiren ja die Lebensmittelpreise ohne¬ dies, und keinem Menschen wird es einfallen, wenn einmal in einem Jahre die Preise 10 Prozent höher als in einem andern sind, darin einen Notstand zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/355>, abgerufen am 23.07.2024.