Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

wird der Pariser, weil seine Waare jetzt in Deutschland viel teurer bezahlt wird
als früher, sofort mit seinen Arbeitern, seiner Erfahrung, seinem Geschmack und
seinem Kapital nach Deutschland gehen und dort arbeiten und viel verdienen.
Aus diesem letztern Grunde aber wird das nicht ein einziger, es werden es
viele thun, und schließlich werden doch am Ende mich Deutsche an diesem arten
Geschäfte Partizipiren, und in wenig Jahren werden wir in Deutschland die
sogenannten "Pariser Artikel" gerade so billig und schön haben als früher, noch
billiger -- der auf sie verwendete Arbeitslohn wird nicht in Paris, er wird
in Deutschland verzehrt werden.

Zu einer Zeit, wo in Frankreich und England hohe Schutzzölle, ja Pro¬
hibitivzölle bestanden, entstand der deutsche Zollverein "auf freihändlerischer
Grundlage," Wo blieb da die deutsche Industrie? Da hörte man allerwärts:
Wir brauchen keine Industrie, Deutschland ist ein ackerbautreibender Staat,
Die deutsche Eisenindustrie war durch englische Prohibitivzölle und englische
Kohlen ruinirt, die deutsche Leiuenindustrie war durch hohe Schutzzölle Eng¬
lands und Frankreichs und dnrch englische Maschinen ruinirt, und in diese"
beiden Industriezweigen, welche die Grundlage zu Englands Macht und Größe
wurden, nahm einst Deutschland die erste Stelle ein!

Man sage nicht, England hat eben Kohlen und Eisen, Deutschland ist
reich an Kohlen und Eisen, aber sie schlummern in der Tiefe, während Eng¬
land, nachdem es in Deutschland die Fabrikation des Eisens gelernt hatte, seine
Kohlen- und Erzlager erschloß, riesige Hohöfen baute und seine Eisenproduktion
dnrch Prohibitivzölle schützte. Mau sage nicht, England sei durch seine mari¬
time Lage uns überlegen, Deutschland hatte einst die Suprematie in der Leinen-
fabritativn. Als aber England die Spinnmaschinen erfunden hatte, da legte es
Prohibitivzölle auf Leinengarne und Leinenwaaren und verbot noch überdies die
Ausfuhr von Spinnmaschinen. Mittlerweile mußte Deutschland einsehen lernen,
daß es ein ackerbautreibender Staat sei.

Merkwürdigerweise blieben Baumwollenwaaren im Zollverein mit 50 Thaler
pro Zentner geschützt, und infolge dieses Zolles blühte die Banmwollenwcberei
in hohem Grade fort, Sie blieb aber auch lange der einzige blühende Industrie¬
zweig, aber eine Lehre hat man nicht daraus gezogen.

Und doch, auf einmal im Jahre 1861, nahm die gesamte Industrie in
Deutschland einen mächtigen Aufschwung wie nie zuvor. Zunächst verursachte
ein rapides Steigen der Baumwvllengarnpreise das Steigen der Preise aller
Textilerzeugnisse, es wurden eine Menge neuer Baumwollenspinnereien, dann
aber auch Flachs- und Wollenspinnereien gebaut, die Webereien blühten auf,
konsequenterweise daun die Maschinenfabriken, deren viele neue entstanden, wäh¬
rend sich ältere bedeutend vergrößerten, im weitern Verlaufe die Eisen- und
Kohlenwerke. Das Gros der Konsumenten, die Arbeiter, hatten vollauf zu thun,
sie hatten Verdienst, und da sie kauften, so blühten alle Gewerbe und auch


wird der Pariser, weil seine Waare jetzt in Deutschland viel teurer bezahlt wird
als früher, sofort mit seinen Arbeitern, seiner Erfahrung, seinem Geschmack und
seinem Kapital nach Deutschland gehen und dort arbeiten und viel verdienen.
Aus diesem letztern Grunde aber wird das nicht ein einziger, es werden es
viele thun, und schließlich werden doch am Ende mich Deutsche an diesem arten
Geschäfte Partizipiren, und in wenig Jahren werden wir in Deutschland die
sogenannten „Pariser Artikel" gerade so billig und schön haben als früher, noch
billiger — der auf sie verwendete Arbeitslohn wird nicht in Paris, er wird
in Deutschland verzehrt werden.

Zu einer Zeit, wo in Frankreich und England hohe Schutzzölle, ja Pro¬
hibitivzölle bestanden, entstand der deutsche Zollverein „auf freihändlerischer
Grundlage," Wo blieb da die deutsche Industrie? Da hörte man allerwärts:
Wir brauchen keine Industrie, Deutschland ist ein ackerbautreibender Staat,
Die deutsche Eisenindustrie war durch englische Prohibitivzölle und englische
Kohlen ruinirt, die deutsche Leiuenindustrie war durch hohe Schutzzölle Eng¬
lands und Frankreichs und dnrch englische Maschinen ruinirt, und in diese»
beiden Industriezweigen, welche die Grundlage zu Englands Macht und Größe
wurden, nahm einst Deutschland die erste Stelle ein!

Man sage nicht, England hat eben Kohlen und Eisen, Deutschland ist
reich an Kohlen und Eisen, aber sie schlummern in der Tiefe, während Eng¬
land, nachdem es in Deutschland die Fabrikation des Eisens gelernt hatte, seine
Kohlen- und Erzlager erschloß, riesige Hohöfen baute und seine Eisenproduktion
dnrch Prohibitivzölle schützte. Mau sage nicht, England sei durch seine mari¬
time Lage uns überlegen, Deutschland hatte einst die Suprematie in der Leinen-
fabritativn. Als aber England die Spinnmaschinen erfunden hatte, da legte es
Prohibitivzölle auf Leinengarne und Leinenwaaren und verbot noch überdies die
Ausfuhr von Spinnmaschinen. Mittlerweile mußte Deutschland einsehen lernen,
daß es ein ackerbautreibender Staat sei.

Merkwürdigerweise blieben Baumwollenwaaren im Zollverein mit 50 Thaler
pro Zentner geschützt, und infolge dieses Zolles blühte die Banmwollenwcberei
in hohem Grade fort, Sie blieb aber auch lange der einzige blühende Industrie¬
zweig, aber eine Lehre hat man nicht daraus gezogen.

Und doch, auf einmal im Jahre 1861, nahm die gesamte Industrie in
Deutschland einen mächtigen Aufschwung wie nie zuvor. Zunächst verursachte
ein rapides Steigen der Baumwvllengarnpreise das Steigen der Preise aller
Textilerzeugnisse, es wurden eine Menge neuer Baumwollenspinnereien, dann
aber auch Flachs- und Wollenspinnereien gebaut, die Webereien blühten auf,
konsequenterweise daun die Maschinenfabriken, deren viele neue entstanden, wäh¬
rend sich ältere bedeutend vergrößerten, im weitern Verlaufe die Eisen- und
Kohlenwerke. Das Gros der Konsumenten, die Arbeiter, hatten vollauf zu thun,
sie hatten Verdienst, und da sie kauften, so blühten alle Gewerbe und auch


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0349" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/152008"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1200" prev="#ID_1199"> wird der Pariser, weil seine Waare jetzt in Deutschland viel teurer bezahlt wird<lb/>
als früher, sofort mit seinen Arbeitern, seiner Erfahrung, seinem Geschmack und<lb/>
seinem Kapital nach Deutschland gehen und dort arbeiten und viel verdienen.<lb/>
Aus diesem letztern Grunde aber wird das nicht ein einziger, es werden es<lb/>
viele thun, und schließlich werden doch am Ende mich Deutsche an diesem arten<lb/>
Geschäfte Partizipiren, und in wenig Jahren werden wir in Deutschland die<lb/>
sogenannten &#x201E;Pariser Artikel" gerade so billig und schön haben als früher, noch<lb/>
billiger &#x2014; der auf sie verwendete Arbeitslohn wird nicht in Paris, er wird<lb/>
in Deutschland verzehrt werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1201"> Zu einer Zeit, wo in Frankreich und England hohe Schutzzölle, ja Pro¬<lb/>
hibitivzölle bestanden, entstand der deutsche Zollverein &#x201E;auf freihändlerischer<lb/>
Grundlage," Wo blieb da die deutsche Industrie? Da hörte man allerwärts:<lb/>
Wir brauchen keine Industrie, Deutschland ist ein ackerbautreibender Staat,<lb/>
Die deutsche Eisenindustrie war durch englische Prohibitivzölle und englische<lb/>
Kohlen ruinirt, die deutsche Leiuenindustrie war durch hohe Schutzzölle Eng¬<lb/>
lands und Frankreichs und dnrch englische Maschinen ruinirt, und in diese»<lb/>
beiden Industriezweigen, welche die Grundlage zu Englands Macht und Größe<lb/>
wurden, nahm einst Deutschland die erste Stelle ein!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1202"> Man sage nicht, England hat eben Kohlen und Eisen, Deutschland ist<lb/>
reich an Kohlen und Eisen, aber sie schlummern in der Tiefe, während Eng¬<lb/>
land, nachdem es in Deutschland die Fabrikation des Eisens gelernt hatte, seine<lb/>
Kohlen- und Erzlager erschloß, riesige Hohöfen baute und seine Eisenproduktion<lb/>
dnrch Prohibitivzölle schützte. Mau sage nicht, England sei durch seine mari¬<lb/>
time Lage uns überlegen, Deutschland hatte einst die Suprematie in der Leinen-<lb/>
fabritativn. Als aber England die Spinnmaschinen erfunden hatte, da legte es<lb/>
Prohibitivzölle auf Leinengarne und Leinenwaaren und verbot noch überdies die<lb/>
Ausfuhr von Spinnmaschinen. Mittlerweile mußte Deutschland einsehen lernen,<lb/>
daß es ein ackerbautreibender Staat sei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1203"> Merkwürdigerweise blieben Baumwollenwaaren im Zollverein mit 50 Thaler<lb/>
pro Zentner geschützt, und infolge dieses Zolles blühte die Banmwollenwcberei<lb/>
in hohem Grade fort, Sie blieb aber auch lange der einzige blühende Industrie¬<lb/>
zweig, aber eine Lehre hat man nicht daraus gezogen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1204" next="#ID_1205"> Und doch, auf einmal im Jahre 1861, nahm die gesamte Industrie in<lb/>
Deutschland einen mächtigen Aufschwung wie nie zuvor. Zunächst verursachte<lb/>
ein rapides Steigen der Baumwvllengarnpreise das Steigen der Preise aller<lb/>
Textilerzeugnisse, es wurden eine Menge neuer Baumwollenspinnereien, dann<lb/>
aber auch Flachs- und Wollenspinnereien gebaut, die Webereien blühten auf,<lb/>
konsequenterweise daun die Maschinenfabriken, deren viele neue entstanden, wäh¬<lb/>
rend sich ältere bedeutend vergrößerten, im weitern Verlaufe die Eisen- und<lb/>
Kohlenwerke. Das Gros der Konsumenten, die Arbeiter, hatten vollauf zu thun,<lb/>
sie hatten Verdienst, und da sie kauften, so blühten alle Gewerbe und auch</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0349] wird der Pariser, weil seine Waare jetzt in Deutschland viel teurer bezahlt wird als früher, sofort mit seinen Arbeitern, seiner Erfahrung, seinem Geschmack und seinem Kapital nach Deutschland gehen und dort arbeiten und viel verdienen. Aus diesem letztern Grunde aber wird das nicht ein einziger, es werden es viele thun, und schließlich werden doch am Ende mich Deutsche an diesem arten Geschäfte Partizipiren, und in wenig Jahren werden wir in Deutschland die sogenannten „Pariser Artikel" gerade so billig und schön haben als früher, noch billiger — der auf sie verwendete Arbeitslohn wird nicht in Paris, er wird in Deutschland verzehrt werden. Zu einer Zeit, wo in Frankreich und England hohe Schutzzölle, ja Pro¬ hibitivzölle bestanden, entstand der deutsche Zollverein „auf freihändlerischer Grundlage," Wo blieb da die deutsche Industrie? Da hörte man allerwärts: Wir brauchen keine Industrie, Deutschland ist ein ackerbautreibender Staat, Die deutsche Eisenindustrie war durch englische Prohibitivzölle und englische Kohlen ruinirt, die deutsche Leiuenindustrie war durch hohe Schutzzölle Eng¬ lands und Frankreichs und dnrch englische Maschinen ruinirt, und in diese» beiden Industriezweigen, welche die Grundlage zu Englands Macht und Größe wurden, nahm einst Deutschland die erste Stelle ein! Man sage nicht, England hat eben Kohlen und Eisen, Deutschland ist reich an Kohlen und Eisen, aber sie schlummern in der Tiefe, während Eng¬ land, nachdem es in Deutschland die Fabrikation des Eisens gelernt hatte, seine Kohlen- und Erzlager erschloß, riesige Hohöfen baute und seine Eisenproduktion dnrch Prohibitivzölle schützte. Mau sage nicht, England sei durch seine mari¬ time Lage uns überlegen, Deutschland hatte einst die Suprematie in der Leinen- fabritativn. Als aber England die Spinnmaschinen erfunden hatte, da legte es Prohibitivzölle auf Leinengarne und Leinenwaaren und verbot noch überdies die Ausfuhr von Spinnmaschinen. Mittlerweile mußte Deutschland einsehen lernen, daß es ein ackerbautreibender Staat sei. Merkwürdigerweise blieben Baumwollenwaaren im Zollverein mit 50 Thaler pro Zentner geschützt, und infolge dieses Zolles blühte die Banmwollenwcberei in hohem Grade fort, Sie blieb aber auch lange der einzige blühende Industrie¬ zweig, aber eine Lehre hat man nicht daraus gezogen. Und doch, auf einmal im Jahre 1861, nahm die gesamte Industrie in Deutschland einen mächtigen Aufschwung wie nie zuvor. Zunächst verursachte ein rapides Steigen der Baumwvllengarnpreise das Steigen der Preise aller Textilerzeugnisse, es wurden eine Menge neuer Baumwollenspinnereien, dann aber auch Flachs- und Wollenspinnereien gebaut, die Webereien blühten auf, konsequenterweise daun die Maschinenfabriken, deren viele neue entstanden, wäh¬ rend sich ältere bedeutend vergrößerten, im weitern Verlaufe die Eisen- und Kohlenwerke. Das Gros der Konsumenten, die Arbeiter, hatten vollauf zu thun, sie hatten Verdienst, und da sie kauften, so blühten alle Gewerbe und auch

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/349
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/349>, abgerufen am 23.07.2024.