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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Ministerveränderimg in Frankreich.

zu gelangen, willigte sie mit Vergnügen in ein außerordentlich liberales Pre߬
gesetz. Unter demselben ließ sich der Druck und das Anschlagen der Prokla¬
mation Jerome Napoleons nicht als Vergehen betrachten; denn "Provokationen"
sollten nach ihm straflos sein, wofern ihnen nicht Handlungen folgten. Flvqnct
sagte damals: "Was ist eine Provokation? Eine Operation des menschlichen
Denkens, ein Meinungsausdruck. Sie wird dadurch, daß man sich durch An¬
nahme eines Gesetzes entscheidet, sie zu verdammen, nicht tadelnswert oder ver¬
brecherisch. Entscheidet man sich, Meinungen nicht zu bekriegen, so kann man
auch Provokationen nicht angreifen, da sie nur Operationen des menschlichen
Geistes sind." Wohl im Hinblick auf diese und ähnliche Äußerungen erließ der
Prinz Napoleon sein Manifest, seine Provokation, und siehe da, Herr Floquet
und seine Partei, die im Jahre 1881 für unbeschränkte Preßfreiheit waren,
schlagen jetzt vor, ihn zu verbannen, lediglich wegen einer "Operation des Geistes,"
und die Regierung tritt dem bei.

Wir sehen jetzt deutlich, was für ein politisches Chaos durch das Ministerium
Duclerc mit dünner Kruste bedeckt und teilweise verborgen war. Der Tod
Gambettas und der Maueranschlag eines Prätendenten mit wenig Aussicht auf
Erfolg haben hingereicht, die Rinde zu durchbrechen und die kochende Ver¬
wirrung zu enthüllen. Wir wissen nicht, was der ehemalige Diktator von Tours
unter den obwaltenden Umständen sür opportun gehalten haben würde, aber
ein klares, entschiedenes Wort wäre von ihm zu erwarten gewesen. Er würde,
gleichviel, was er den Prinzen gegenüber gethan oder unterlassen hätte, dem
Ministerium mehr Halt gegeben und der Kammer mehr Entschiedenheit ein¬
geflößt haben. Jetzt sind die vielen schwierigen Fragen, welche fanatische und
engherzige republikanische Doktrinäre auf die Tagesordnung gebracht haben, eine
Beute zufälliger Parteigruppirungen. Die Republik mag nicht, wie behauptet
wird, "auf einem Vulkane sitzen," aber auf der einen Seite ist Mißtrauen, ans
der andern Furcht erweckt worden. Statt durch das Aufsteigen und Platzen
des bonarpartistischen d^Avr ä'öff^ gestärkt zu werden, ist die Republik ge¬
schwächt worden, nicht so sehr durch die Verhaftung Plon-Plons als durch die
schroffen Maßregeln gegen die andern Prinzen, die an 1793 gemahnen, wo man
ebenfalls ganze Klassen von Staatsangehörigen dem Scherbengerichte unterwarf.
Wäre die Handlung Jerome Napoleons gesetzlich strafbar gewesen, so konnte
doch im ärgsten Falle nur er selbst dafür gestraft, seiner politischen Rechte be¬
raubt werden, nicht alle seine Standesgenossen. Weil A eine Thorheit oder ein
Verbrechen begeht, muß T gezüchtigt werden, weil ein napoleonide die Republik
angreift, ist notwendig gegen das Haus Orleans einzuschreiten, urteilt die Logik
eines Volkes, das sich etwas daraus einbildet, das logischste auf Erden zu sein,
das ist die lächerliche Seite der sonst sehr ernsten Verwickelung. Werden die
Maßregeln gegen die Prinzen auch vom Senat angenommen, so wird jeder¬
mann in Frankreich fragen: Wer ist bei uns noch sicher, wenn seine Gegner an


Die Ministerveränderimg in Frankreich.

zu gelangen, willigte sie mit Vergnügen in ein außerordentlich liberales Pre߬
gesetz. Unter demselben ließ sich der Druck und das Anschlagen der Prokla¬
mation Jerome Napoleons nicht als Vergehen betrachten; denn „Provokationen"
sollten nach ihm straflos sein, wofern ihnen nicht Handlungen folgten. Flvqnct
sagte damals: „Was ist eine Provokation? Eine Operation des menschlichen
Denkens, ein Meinungsausdruck. Sie wird dadurch, daß man sich durch An¬
nahme eines Gesetzes entscheidet, sie zu verdammen, nicht tadelnswert oder ver¬
brecherisch. Entscheidet man sich, Meinungen nicht zu bekriegen, so kann man
auch Provokationen nicht angreifen, da sie nur Operationen des menschlichen
Geistes sind." Wohl im Hinblick auf diese und ähnliche Äußerungen erließ der
Prinz Napoleon sein Manifest, seine Provokation, und siehe da, Herr Floquet
und seine Partei, die im Jahre 1881 für unbeschränkte Preßfreiheit waren,
schlagen jetzt vor, ihn zu verbannen, lediglich wegen einer „Operation des Geistes,"
und die Regierung tritt dem bei.

Wir sehen jetzt deutlich, was für ein politisches Chaos durch das Ministerium
Duclerc mit dünner Kruste bedeckt und teilweise verborgen war. Der Tod
Gambettas und der Maueranschlag eines Prätendenten mit wenig Aussicht auf
Erfolg haben hingereicht, die Rinde zu durchbrechen und die kochende Ver¬
wirrung zu enthüllen. Wir wissen nicht, was der ehemalige Diktator von Tours
unter den obwaltenden Umständen sür opportun gehalten haben würde, aber
ein klares, entschiedenes Wort wäre von ihm zu erwarten gewesen. Er würde,
gleichviel, was er den Prinzen gegenüber gethan oder unterlassen hätte, dem
Ministerium mehr Halt gegeben und der Kammer mehr Entschiedenheit ein¬
geflößt haben. Jetzt sind die vielen schwierigen Fragen, welche fanatische und
engherzige republikanische Doktrinäre auf die Tagesordnung gebracht haben, eine
Beute zufälliger Parteigruppirungen. Die Republik mag nicht, wie behauptet
wird, „auf einem Vulkane sitzen," aber auf der einen Seite ist Mißtrauen, ans
der andern Furcht erweckt worden. Statt durch das Aufsteigen und Platzen
des bonarpartistischen d^Avr ä'öff^ gestärkt zu werden, ist die Republik ge¬
schwächt worden, nicht so sehr durch die Verhaftung Plon-Plons als durch die
schroffen Maßregeln gegen die andern Prinzen, die an 1793 gemahnen, wo man
ebenfalls ganze Klassen von Staatsangehörigen dem Scherbengerichte unterwarf.
Wäre die Handlung Jerome Napoleons gesetzlich strafbar gewesen, so konnte
doch im ärgsten Falle nur er selbst dafür gestraft, seiner politischen Rechte be¬
raubt werden, nicht alle seine Standesgenossen. Weil A eine Thorheit oder ein
Verbrechen begeht, muß T gezüchtigt werden, weil ein napoleonide die Republik
angreift, ist notwendig gegen das Haus Orleans einzuschreiten, urteilt die Logik
eines Volkes, das sich etwas daraus einbildet, das logischste auf Erden zu sein,
das ist die lächerliche Seite der sonst sehr ernsten Verwickelung. Werden die
Maßregeln gegen die Prinzen auch vom Senat angenommen, so wird jeder¬
mann in Frankreich fragen: Wer ist bei uns noch sicher, wenn seine Gegner an


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[0343] Die Ministerveränderimg in Frankreich. zu gelangen, willigte sie mit Vergnügen in ein außerordentlich liberales Pre߬ gesetz. Unter demselben ließ sich der Druck und das Anschlagen der Prokla¬ mation Jerome Napoleons nicht als Vergehen betrachten; denn „Provokationen" sollten nach ihm straflos sein, wofern ihnen nicht Handlungen folgten. Flvqnct sagte damals: „Was ist eine Provokation? Eine Operation des menschlichen Denkens, ein Meinungsausdruck. Sie wird dadurch, daß man sich durch An¬ nahme eines Gesetzes entscheidet, sie zu verdammen, nicht tadelnswert oder ver¬ brecherisch. Entscheidet man sich, Meinungen nicht zu bekriegen, so kann man auch Provokationen nicht angreifen, da sie nur Operationen des menschlichen Geistes sind." Wohl im Hinblick auf diese und ähnliche Äußerungen erließ der Prinz Napoleon sein Manifest, seine Provokation, und siehe da, Herr Floquet und seine Partei, die im Jahre 1881 für unbeschränkte Preßfreiheit waren, schlagen jetzt vor, ihn zu verbannen, lediglich wegen einer „Operation des Geistes," und die Regierung tritt dem bei. Wir sehen jetzt deutlich, was für ein politisches Chaos durch das Ministerium Duclerc mit dünner Kruste bedeckt und teilweise verborgen war. Der Tod Gambettas und der Maueranschlag eines Prätendenten mit wenig Aussicht auf Erfolg haben hingereicht, die Rinde zu durchbrechen und die kochende Ver¬ wirrung zu enthüllen. Wir wissen nicht, was der ehemalige Diktator von Tours unter den obwaltenden Umständen sür opportun gehalten haben würde, aber ein klares, entschiedenes Wort wäre von ihm zu erwarten gewesen. Er würde, gleichviel, was er den Prinzen gegenüber gethan oder unterlassen hätte, dem Ministerium mehr Halt gegeben und der Kammer mehr Entschiedenheit ein¬ geflößt haben. Jetzt sind die vielen schwierigen Fragen, welche fanatische und engherzige republikanische Doktrinäre auf die Tagesordnung gebracht haben, eine Beute zufälliger Parteigruppirungen. Die Republik mag nicht, wie behauptet wird, „auf einem Vulkane sitzen," aber auf der einen Seite ist Mißtrauen, ans der andern Furcht erweckt worden. Statt durch das Aufsteigen und Platzen des bonarpartistischen d^Avr ä'öff^ gestärkt zu werden, ist die Republik ge¬ schwächt worden, nicht so sehr durch die Verhaftung Plon-Plons als durch die schroffen Maßregeln gegen die andern Prinzen, die an 1793 gemahnen, wo man ebenfalls ganze Klassen von Staatsangehörigen dem Scherbengerichte unterwarf. Wäre die Handlung Jerome Napoleons gesetzlich strafbar gewesen, so konnte doch im ärgsten Falle nur er selbst dafür gestraft, seiner politischen Rechte be¬ raubt werden, nicht alle seine Standesgenossen. Weil A eine Thorheit oder ein Verbrechen begeht, muß T gezüchtigt werden, weil ein napoleonide die Republik angreift, ist notwendig gegen das Haus Orleans einzuschreiten, urteilt die Logik eines Volkes, das sich etwas daraus einbildet, das logischste auf Erden zu sein, das ist die lächerliche Seite der sonst sehr ernsten Verwickelung. Werden die Maßregeln gegen die Prinzen auch vom Senat angenommen, so wird jeder¬ mann in Frankreich fragen: Wer ist bei uns noch sicher, wenn seine Gegner an

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/343>, abgerufen am 23.07.2024.