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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Mnisterveränderung in Frankreich.

Das neue Ministerium setzt sich wie folgt zusammen: Falliöres Minister
des Innern und bis auf weiteres der auswärtigen Angelegenheiten, auch Minister¬
präsident, Deves Justiz, Tirard Finanzen, öffentliche Arbeiten Herisson, Unter¬
richt Duvaux, Handel Pierre Legrand, Mass Landwirtschaft, Cochery Eisen¬
bahnen und Telegraphen, Krieg Thibnudin, endlich Marine provisorisch Mahy,
Vom neuen Premier de Fallieres ist außerhalb Frankreichs nicht viel mehr
bekannt, als daß er die Pflichten eines Verwaltungsbeamten erst in unter¬
geordneter, dann in hervorragender Stellung erfüllt hat, und daß er die Gabe
der Beredsamkeit in ziemlich hohem Grade besitzt. In der letzten Krisis hat er
die Eigenschaft intellektueller Beweglichkeit, die mau auch als Opportunismus
bezeichnet, an den Tag gelegt, indem er sich lieber den Umständen anpaßte, als
sie zu beherrschen und unter seine Überzeugung und seinen Willen zu beugen
versuchte. Anfangs jeder Proskription und Austreibung abgeneigt, verließ er
bald diesen Boden und schloß sich den Bestrebungen an, welche die weniger
maßlosen Mitglieder des mit dem Floquetschen Gesetzentwurfe betrauten Aus¬
schusses an den Tag legten. Er riet den Kompromiß an, welcher aber auf Nach¬
geben in dem wesentlichsten Punkte des Regierungsvorschlags basirt. So be¬
gegnete er, den Abhang hinabgleitend, den Radikalen auf halbem Wege und
machte nun die Entdeckung, daß sein Chef und zwei andre seiner Kollegen sich
weigerten, mit ihm die so geschickt geschaffne schiefe Ebne zu betreten. Als die
Meinungsverschiedenheiten im Kabinet sich nicht länger verbergen ließen und der
Ministerpräsident, der General und der Admiral sich gegen die Verbmmungs-
gesetzc erklärten, so waren Amtsniederlegungen unvermeidlich. Da Herr de
Fallieres bei der Verhandlung mit dem Kammeransschusse die Hauptrolle gespielt
hatte, so erntete er auch den Haupterfolg. Unter seinen Kollegen war kein
Nebenbuhler, und als Ferry vor der unbequemen Aufgabe zurückschrak, ein
neues Ministerium zu bilden, lag es ans der Hand, daß der bisherige Minister
des Innern der gegebne Mann war. Er hatte die Mehrheit seiner Kollegen
hinter sich, und so kam es, daß das neue Kabinet des Präsidenten Grevy
nur eine neue Auflage des alten war. Ob es eine verbesserte ist, wird abzu¬
warten, vorläufig aber gelind zu bezweifeln sein.

Blicken wir zurück, so sahen wir den Prinzen Jerome Bonaparte gleichsam
auf den Leichenstein Gambettas tretend sein wichtigtuerisches Manifest anschlagen.
Es enthielt einige bittre Wahrheiten für die Republikaner, hätte aber für eine
entschlossene Regierung und ein einiges Volk keine Gefahr enthalten. Leider
aber war das Kabinet, in welchem Duelcrc den Vorsitz führte, von seinem Ur¬
sprung an nur provisorischer Natur und fristete seine Existenz mehr durch die
Nebenbuhlerschaft der Parteien, in welche das Volk und seine Vertreter zerstieben,
als durch seine Begabung und seine politischen Leistungen. So wurde Frank¬
reich von plötzlicher Verwirrung überrascht, und zwar zu einer Zeit, wo es Ruhe
und Ordnung in besonderen Maße nötig hatte, wenn es der innern Übel Herr


Die Mnisterveränderung in Frankreich.

Das neue Ministerium setzt sich wie folgt zusammen: Falliöres Minister
des Innern und bis auf weiteres der auswärtigen Angelegenheiten, auch Minister¬
präsident, Deves Justiz, Tirard Finanzen, öffentliche Arbeiten Herisson, Unter¬
richt Duvaux, Handel Pierre Legrand, Mass Landwirtschaft, Cochery Eisen¬
bahnen und Telegraphen, Krieg Thibnudin, endlich Marine provisorisch Mahy,
Vom neuen Premier de Fallieres ist außerhalb Frankreichs nicht viel mehr
bekannt, als daß er die Pflichten eines Verwaltungsbeamten erst in unter¬
geordneter, dann in hervorragender Stellung erfüllt hat, und daß er die Gabe
der Beredsamkeit in ziemlich hohem Grade besitzt. In der letzten Krisis hat er
die Eigenschaft intellektueller Beweglichkeit, die mau auch als Opportunismus
bezeichnet, an den Tag gelegt, indem er sich lieber den Umständen anpaßte, als
sie zu beherrschen und unter seine Überzeugung und seinen Willen zu beugen
versuchte. Anfangs jeder Proskription und Austreibung abgeneigt, verließ er
bald diesen Boden und schloß sich den Bestrebungen an, welche die weniger
maßlosen Mitglieder des mit dem Floquetschen Gesetzentwurfe betrauten Aus¬
schusses an den Tag legten. Er riet den Kompromiß an, welcher aber auf Nach¬
geben in dem wesentlichsten Punkte des Regierungsvorschlags basirt. So be¬
gegnete er, den Abhang hinabgleitend, den Radikalen auf halbem Wege und
machte nun die Entdeckung, daß sein Chef und zwei andre seiner Kollegen sich
weigerten, mit ihm die so geschickt geschaffne schiefe Ebne zu betreten. Als die
Meinungsverschiedenheiten im Kabinet sich nicht länger verbergen ließen und der
Ministerpräsident, der General und der Admiral sich gegen die Verbmmungs-
gesetzc erklärten, so waren Amtsniederlegungen unvermeidlich. Da Herr de
Fallieres bei der Verhandlung mit dem Kammeransschusse die Hauptrolle gespielt
hatte, so erntete er auch den Haupterfolg. Unter seinen Kollegen war kein
Nebenbuhler, und als Ferry vor der unbequemen Aufgabe zurückschrak, ein
neues Ministerium zu bilden, lag es ans der Hand, daß der bisherige Minister
des Innern der gegebne Mann war. Er hatte die Mehrheit seiner Kollegen
hinter sich, und so kam es, daß das neue Kabinet des Präsidenten Grevy
nur eine neue Auflage des alten war. Ob es eine verbesserte ist, wird abzu¬
warten, vorläufig aber gelind zu bezweifeln sein.

Blicken wir zurück, so sahen wir den Prinzen Jerome Bonaparte gleichsam
auf den Leichenstein Gambettas tretend sein wichtigtuerisches Manifest anschlagen.
Es enthielt einige bittre Wahrheiten für die Republikaner, hätte aber für eine
entschlossene Regierung und ein einiges Volk keine Gefahr enthalten. Leider
aber war das Kabinet, in welchem Duelcrc den Vorsitz führte, von seinem Ur¬
sprung an nur provisorischer Natur und fristete seine Existenz mehr durch die
Nebenbuhlerschaft der Parteien, in welche das Volk und seine Vertreter zerstieben,
als durch seine Begabung und seine politischen Leistungen. So wurde Frank¬
reich von plötzlicher Verwirrung überrascht, und zwar zu einer Zeit, wo es Ruhe
und Ordnung in besonderen Maße nötig hatte, wenn es der innern Übel Herr


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[0340] Die Mnisterveränderung in Frankreich. Das neue Ministerium setzt sich wie folgt zusammen: Falliöres Minister des Innern und bis auf weiteres der auswärtigen Angelegenheiten, auch Minister¬ präsident, Deves Justiz, Tirard Finanzen, öffentliche Arbeiten Herisson, Unter¬ richt Duvaux, Handel Pierre Legrand, Mass Landwirtschaft, Cochery Eisen¬ bahnen und Telegraphen, Krieg Thibnudin, endlich Marine provisorisch Mahy, Vom neuen Premier de Fallieres ist außerhalb Frankreichs nicht viel mehr bekannt, als daß er die Pflichten eines Verwaltungsbeamten erst in unter¬ geordneter, dann in hervorragender Stellung erfüllt hat, und daß er die Gabe der Beredsamkeit in ziemlich hohem Grade besitzt. In der letzten Krisis hat er die Eigenschaft intellektueller Beweglichkeit, die mau auch als Opportunismus bezeichnet, an den Tag gelegt, indem er sich lieber den Umständen anpaßte, als sie zu beherrschen und unter seine Überzeugung und seinen Willen zu beugen versuchte. Anfangs jeder Proskription und Austreibung abgeneigt, verließ er bald diesen Boden und schloß sich den Bestrebungen an, welche die weniger maßlosen Mitglieder des mit dem Floquetschen Gesetzentwurfe betrauten Aus¬ schusses an den Tag legten. Er riet den Kompromiß an, welcher aber auf Nach¬ geben in dem wesentlichsten Punkte des Regierungsvorschlags basirt. So be¬ gegnete er, den Abhang hinabgleitend, den Radikalen auf halbem Wege und machte nun die Entdeckung, daß sein Chef und zwei andre seiner Kollegen sich weigerten, mit ihm die so geschickt geschaffne schiefe Ebne zu betreten. Als die Meinungsverschiedenheiten im Kabinet sich nicht länger verbergen ließen und der Ministerpräsident, der General und der Admiral sich gegen die Verbmmungs- gesetzc erklärten, so waren Amtsniederlegungen unvermeidlich. Da Herr de Fallieres bei der Verhandlung mit dem Kammeransschusse die Hauptrolle gespielt hatte, so erntete er auch den Haupterfolg. Unter seinen Kollegen war kein Nebenbuhler, und als Ferry vor der unbequemen Aufgabe zurückschrak, ein neues Ministerium zu bilden, lag es ans der Hand, daß der bisherige Minister des Innern der gegebne Mann war. Er hatte die Mehrheit seiner Kollegen hinter sich, und so kam es, daß das neue Kabinet des Präsidenten Grevy nur eine neue Auflage des alten war. Ob es eine verbesserte ist, wird abzu¬ warten, vorläufig aber gelind zu bezweifeln sein. Blicken wir zurück, so sahen wir den Prinzen Jerome Bonaparte gleichsam auf den Leichenstein Gambettas tretend sein wichtigtuerisches Manifest anschlagen. Es enthielt einige bittre Wahrheiten für die Republikaner, hätte aber für eine entschlossene Regierung und ein einiges Volk keine Gefahr enthalten. Leider aber war das Kabinet, in welchem Duelcrc den Vorsitz führte, von seinem Ur¬ sprung an nur provisorischer Natur und fristete seine Existenz mehr durch die Nebenbuhlerschaft der Parteien, in welche das Volk und seine Vertreter zerstieben, als durch seine Begabung und seine politischen Leistungen. So wurde Frank¬ reich von plötzlicher Verwirrung überrascht, und zwar zu einer Zeit, wo es Ruhe und Ordnung in besonderen Maße nötig hatte, wenn es der innern Übel Herr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/340>, abgerufen am 23.07.2024.