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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Ministerveränderung in Frankreich.

Es ist dem bis jetzt noch unvollständigen Kabinet gelungen, sich mit der Volks¬
vertretung über sehr'harte Maßregeln gegen die früher herrschenden Familien zu
verständigen; aber wahrscheinlich wird eine Entscheidung des Senats alles ver¬
werfen, was man vereinbart hat, und dann wird kaum ein andrer Weg übrig
bleiben als der einer Berufung an den Willen des Volkes, d. h. die Auflösung
der Deputirtenkammer und die Wahl neuer Abgeordneten,

In Betreff des Senates ist es von Interesse, sich zu erinnern, daß nicht
weniger als 117 Mitglieder dieser Körperschaft in ihrer jetzigen Zusammensetzung
in der Nationalversammlung mit abstimmten, als dieselbe am 8. Juni 1871
sich für Aufhebung der Gesetze entschied, welche die königlichen und kaiserlichen
Prinzen aus dem Lande verbannt hatten. Von diesen votirten 83 für und 26
gegen die Aufhebung, während 8 sich der Abstimmung enthielten. Unter denen,
die sich gegen die Aufhebung aussprachen, befanden sich Herr Duclerc und
General Billvt, die sich jetzt vom Amte zurückgezogen haben, weil sie das
Floquetsche Austreibuugsgcsetz auch in seiner gemilderten Gestalt nicht billigen,
während der Admiral Jauregniberry sich damals neutral verhielt. Diese That¬
sachen sprechen für sich selbst. Unter den eiüschiedensten Gegnern der Aufhebung
der Verbannungsgesetze von ehedem waren Männer, die jetzt eher das größte
Opfer brachten, das ein Staatsmann bringen kann, als daß sie Maßregeln gut¬
hießen, an deren Wirksamkeit sie früher glaubten. Es ist daher mehr als wahr¬
scheinlich, daß der Senat das Austreibungsgesetz des Ministeriums Falliöres
und der Deputirtenkammer mit überwiegender Majorität verwerfen wird.

Wie die öffentliche Meinung in den Kreisen der maßvolleren Republikaner
diesen Widerspruch zwischen der ersten und der zweiten Kammer Frankreichs
ansieht, ergiebt sich aus dem Mtiong,!, einem Blatte, das sonst stramm zur
republikanischen Sache hält. Es heißt da:

"Was uns vor allem notthut, ist eine Regierung. Giebt es denn in der
Kammer keine Männer, gesegnet mit guter Gesundheit und begabt mit recht¬
schaffnen und vernünftigen Ideen? Hoffen wir, daß der rechte Mann auf der
Bühne erscheinen wird, ehe es zu spät ist, um das Haus daran zu erinnern,
daß es eine Menge von Gesetzen giebt, über die es ohne das Wagnis, mit dem
Senat in Zwiespalt zu geraten, verhandeln kann. Hoffen wir ferner, daß er
der Kammer die Gefahr zeigen wird, der sie sich und die Republik aussetzt. Das
Land ist es überdrüssig, die Beute erkünstelter Robespierres, Dantons und
Se. Justs zu sein, die es vor den Augen des Auslandes lächerlich machen, es
in jeder Weise, zu Hause und in den Kolonien, zu Grunde richten und auf
seinen Leichnam klettern würden, um sich sehen zu lassen und ein bischen be¬
kannter zu werden. Es ist es müde, sich unter das Joch einer Rotte kleiner
Despoten zu beugen, es besteht darauf, daß die Kammer ihm Frieden verschafft
oder ihrer Wege geht." Diese Zeilen hätten vor kurzer Zeit in den Spalten
des bonapartistischenstehen können.


Die Ministerveränderung in Frankreich.

Es ist dem bis jetzt noch unvollständigen Kabinet gelungen, sich mit der Volks¬
vertretung über sehr'harte Maßregeln gegen die früher herrschenden Familien zu
verständigen; aber wahrscheinlich wird eine Entscheidung des Senats alles ver¬
werfen, was man vereinbart hat, und dann wird kaum ein andrer Weg übrig
bleiben als der einer Berufung an den Willen des Volkes, d. h. die Auflösung
der Deputirtenkammer und die Wahl neuer Abgeordneten,

In Betreff des Senates ist es von Interesse, sich zu erinnern, daß nicht
weniger als 117 Mitglieder dieser Körperschaft in ihrer jetzigen Zusammensetzung
in der Nationalversammlung mit abstimmten, als dieselbe am 8. Juni 1871
sich für Aufhebung der Gesetze entschied, welche die königlichen und kaiserlichen
Prinzen aus dem Lande verbannt hatten. Von diesen votirten 83 für und 26
gegen die Aufhebung, während 8 sich der Abstimmung enthielten. Unter denen,
die sich gegen die Aufhebung aussprachen, befanden sich Herr Duclerc und
General Billvt, die sich jetzt vom Amte zurückgezogen haben, weil sie das
Floquetsche Austreibuugsgcsetz auch in seiner gemilderten Gestalt nicht billigen,
während der Admiral Jauregniberry sich damals neutral verhielt. Diese That¬
sachen sprechen für sich selbst. Unter den eiüschiedensten Gegnern der Aufhebung
der Verbannungsgesetze von ehedem waren Männer, die jetzt eher das größte
Opfer brachten, das ein Staatsmann bringen kann, als daß sie Maßregeln gut¬
hießen, an deren Wirksamkeit sie früher glaubten. Es ist daher mehr als wahr¬
scheinlich, daß der Senat das Austreibungsgesetz des Ministeriums Falliöres
und der Deputirtenkammer mit überwiegender Majorität verwerfen wird.

Wie die öffentliche Meinung in den Kreisen der maßvolleren Republikaner
diesen Widerspruch zwischen der ersten und der zweiten Kammer Frankreichs
ansieht, ergiebt sich aus dem Mtiong,!, einem Blatte, das sonst stramm zur
republikanischen Sache hält. Es heißt da:

„Was uns vor allem notthut, ist eine Regierung. Giebt es denn in der
Kammer keine Männer, gesegnet mit guter Gesundheit und begabt mit recht¬
schaffnen und vernünftigen Ideen? Hoffen wir, daß der rechte Mann auf der
Bühne erscheinen wird, ehe es zu spät ist, um das Haus daran zu erinnern,
daß es eine Menge von Gesetzen giebt, über die es ohne das Wagnis, mit dem
Senat in Zwiespalt zu geraten, verhandeln kann. Hoffen wir ferner, daß er
der Kammer die Gefahr zeigen wird, der sie sich und die Republik aussetzt. Das
Land ist es überdrüssig, die Beute erkünstelter Robespierres, Dantons und
Se. Justs zu sein, die es vor den Augen des Auslandes lächerlich machen, es
in jeder Weise, zu Hause und in den Kolonien, zu Grunde richten und auf
seinen Leichnam klettern würden, um sich sehen zu lassen und ein bischen be¬
kannter zu werden. Es ist es müde, sich unter das Joch einer Rotte kleiner
Despoten zu beugen, es besteht darauf, daß die Kammer ihm Frieden verschafft
oder ihrer Wege geht." Diese Zeilen hätten vor kurzer Zeit in den Spalten
des bonapartistischenstehen können.


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[0339] Die Ministerveränderung in Frankreich. Es ist dem bis jetzt noch unvollständigen Kabinet gelungen, sich mit der Volks¬ vertretung über sehr'harte Maßregeln gegen die früher herrschenden Familien zu verständigen; aber wahrscheinlich wird eine Entscheidung des Senats alles ver¬ werfen, was man vereinbart hat, und dann wird kaum ein andrer Weg übrig bleiben als der einer Berufung an den Willen des Volkes, d. h. die Auflösung der Deputirtenkammer und die Wahl neuer Abgeordneten, In Betreff des Senates ist es von Interesse, sich zu erinnern, daß nicht weniger als 117 Mitglieder dieser Körperschaft in ihrer jetzigen Zusammensetzung in der Nationalversammlung mit abstimmten, als dieselbe am 8. Juni 1871 sich für Aufhebung der Gesetze entschied, welche die königlichen und kaiserlichen Prinzen aus dem Lande verbannt hatten. Von diesen votirten 83 für und 26 gegen die Aufhebung, während 8 sich der Abstimmung enthielten. Unter denen, die sich gegen die Aufhebung aussprachen, befanden sich Herr Duclerc und General Billvt, die sich jetzt vom Amte zurückgezogen haben, weil sie das Floquetsche Austreibuugsgcsetz auch in seiner gemilderten Gestalt nicht billigen, während der Admiral Jauregniberry sich damals neutral verhielt. Diese That¬ sachen sprechen für sich selbst. Unter den eiüschiedensten Gegnern der Aufhebung der Verbannungsgesetze von ehedem waren Männer, die jetzt eher das größte Opfer brachten, das ein Staatsmann bringen kann, als daß sie Maßregeln gut¬ hießen, an deren Wirksamkeit sie früher glaubten. Es ist daher mehr als wahr¬ scheinlich, daß der Senat das Austreibungsgesetz des Ministeriums Falliöres und der Deputirtenkammer mit überwiegender Majorität verwerfen wird. Wie die öffentliche Meinung in den Kreisen der maßvolleren Republikaner diesen Widerspruch zwischen der ersten und der zweiten Kammer Frankreichs ansieht, ergiebt sich aus dem Mtiong,!, einem Blatte, das sonst stramm zur republikanischen Sache hält. Es heißt da: „Was uns vor allem notthut, ist eine Regierung. Giebt es denn in der Kammer keine Männer, gesegnet mit guter Gesundheit und begabt mit recht¬ schaffnen und vernünftigen Ideen? Hoffen wir, daß der rechte Mann auf der Bühne erscheinen wird, ehe es zu spät ist, um das Haus daran zu erinnern, daß es eine Menge von Gesetzen giebt, über die es ohne das Wagnis, mit dem Senat in Zwiespalt zu geraten, verhandeln kann. Hoffen wir ferner, daß er der Kammer die Gefahr zeigen wird, der sie sich und die Republik aussetzt. Das Land ist es überdrüssig, die Beute erkünstelter Robespierres, Dantons und Se. Justs zu sein, die es vor den Augen des Auslandes lächerlich machen, es in jeder Weise, zu Hause und in den Kolonien, zu Grunde richten und auf seinen Leichnam klettern würden, um sich sehen zu lassen und ein bischen be¬ kannter zu werden. Es ist es müde, sich unter das Joch einer Rotte kleiner Despoten zu beugen, es besteht darauf, daß die Kammer ihm Frieden verschafft oder ihrer Wege geht." Diese Zeilen hätten vor kurzer Zeit in den Spalten des bonapartistischenstehen können.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/339>, abgerufen am 23.07.2024.