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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Ministerveränderung in Frankreich,

nicht die Geistesgegenwart und Festigkeit erwarten, die ein starkes und har¬
monisch zusammengesetztes Kabinet an den Tag zu legen pflegt, wenn Schwierig¬
keiten sich zeigen. Die Herren wurden überdies überrascht, und nichts stellt
Menschen oder Regierungen so sehr auf die Probe als das Unerwartete.
Duelcrc und seine Kollegen hatten freilich nicht geschlafen oder sich den Intri¬
guen gegenüber, die in einem Lande, wo der Parteigeist unaufhörlich wühlt
und Kronprätendenten vorhanden sind, niemals ruhen, gleichgiltig verhalten, ,
Sie hatten, wie wir aus der Rede Fallieres', des bisherigen Ministers des Innern
und nunmehrigen Premiers, ersehen, die Augen offen gehabt, aber nur nach
einer Richtung, nur nach der Vendee und Görz, nicht nach der Avenue d'Artim
hin gesehen. Sie waren bereit, eine Erhebung der päpstlichen Zuaven mit
Charette an der Spitze zu unterdrücken, indem sie der tröstlichen Zuversicht
lebten, "die ganze Nation werde wie ein Mann gegen jeden realistischen Ver¬
such aufstehen," aber sie hatten sich nicht für den Fall vorgesehen, daß ein
tapferer Prinz, statt ein Kriegsroß zu besteigen und den Degen gegen die
Republik zu ziehen, den Kleisterpinsel schwang und ein Plakat anklebte, und daß
solches Thun nicht allen lächerlich, ja vielen bedenklich erschien. So zeigten
sie im ganzen Verlaufe der Angelegenheit eine Schwäche, die nicht nur sie selbst
diskreditirte, sondern der Autorität in Frankreich überhaupt schweren Abbruch
that. Endlich aber kam dazu noch, daß die Mitglieder des Kabinets in
der Stunde der Prüfung geteilter Ansicht waren. Das Ergebnis von alledem
mußte selbstverständlich ein unerfreuliches sein. Zunächst gestattete man einer
wie Ebbe und Flut wechselnden Kammermehrheit, sich des heikeln Gegenstandes
ohne Leitung durch eine Persönlichkeit von hervorragender Befähigung und be¬
deutendem Ansehen zu bemächtigen. Die gewaltthätigsten und rücksichtslosesten
Mitglieder der Linken drängten sich vor und machten sich daran, das Problem
durch Proskriptionen zu lösen. Dann legten die Minister einen Plan vor, gegen
den etwas weniger einzuwenden war, mit dem sie sich aber immerhin vor dem
Sturm beugten, welcher von der Seite der Radikalen sich erhoben hatte. Und als
zuletzt das Komitee, dem die Sache zur Beratung überwiesen worden war, in
einen Vergleich willigte, von dem es hieß, das Ministerium werde ihm beitreten,
verwarfen drei Mitglieder des letzteren, der Premier, der Kriegs- und der Ma-
rineminister, den Kompromiß und traten schließlich von ihren Ämtern zurück.

So hat man den Riß in die Regierung, welcher die Folge von Plon-
Plons Manifest und den Gesetzvorschlägen Floquets und Vallues war, zur Not
geflickt und eine sofortige ernstere Krisis für den Augenblick abgewendet. Und
dann ist eine Verständigung der Kammer mit dem neuen Kabinet erfolgt. Die
Vorschläge des letztern, Entlassung der Prinzen aus ihren Stellen, Ausstreichuug
der politischen Rechte, die sie bisher besaßen, und eventuelle Verbannung der¬
selben aus dem Lande, sind vom Abgeordnetenhause mit großer Majorität an¬
genommen worden. Aber es ist sicherlich damit nur zeitweilig windstill geworden.


Die Ministerveränderung in Frankreich,

nicht die Geistesgegenwart und Festigkeit erwarten, die ein starkes und har¬
monisch zusammengesetztes Kabinet an den Tag zu legen pflegt, wenn Schwierig¬
keiten sich zeigen. Die Herren wurden überdies überrascht, und nichts stellt
Menschen oder Regierungen so sehr auf die Probe als das Unerwartete.
Duelcrc und seine Kollegen hatten freilich nicht geschlafen oder sich den Intri¬
guen gegenüber, die in einem Lande, wo der Parteigeist unaufhörlich wühlt
und Kronprätendenten vorhanden sind, niemals ruhen, gleichgiltig verhalten, ,
Sie hatten, wie wir aus der Rede Fallieres', des bisherigen Ministers des Innern
und nunmehrigen Premiers, ersehen, die Augen offen gehabt, aber nur nach
einer Richtung, nur nach der Vendee und Görz, nicht nach der Avenue d'Artim
hin gesehen. Sie waren bereit, eine Erhebung der päpstlichen Zuaven mit
Charette an der Spitze zu unterdrücken, indem sie der tröstlichen Zuversicht
lebten, „die ganze Nation werde wie ein Mann gegen jeden realistischen Ver¬
such aufstehen," aber sie hatten sich nicht für den Fall vorgesehen, daß ein
tapferer Prinz, statt ein Kriegsroß zu besteigen und den Degen gegen die
Republik zu ziehen, den Kleisterpinsel schwang und ein Plakat anklebte, und daß
solches Thun nicht allen lächerlich, ja vielen bedenklich erschien. So zeigten
sie im ganzen Verlaufe der Angelegenheit eine Schwäche, die nicht nur sie selbst
diskreditirte, sondern der Autorität in Frankreich überhaupt schweren Abbruch
that. Endlich aber kam dazu noch, daß die Mitglieder des Kabinets in
der Stunde der Prüfung geteilter Ansicht waren. Das Ergebnis von alledem
mußte selbstverständlich ein unerfreuliches sein. Zunächst gestattete man einer
wie Ebbe und Flut wechselnden Kammermehrheit, sich des heikeln Gegenstandes
ohne Leitung durch eine Persönlichkeit von hervorragender Befähigung und be¬
deutendem Ansehen zu bemächtigen. Die gewaltthätigsten und rücksichtslosesten
Mitglieder der Linken drängten sich vor und machten sich daran, das Problem
durch Proskriptionen zu lösen. Dann legten die Minister einen Plan vor, gegen
den etwas weniger einzuwenden war, mit dem sie sich aber immerhin vor dem
Sturm beugten, welcher von der Seite der Radikalen sich erhoben hatte. Und als
zuletzt das Komitee, dem die Sache zur Beratung überwiesen worden war, in
einen Vergleich willigte, von dem es hieß, das Ministerium werde ihm beitreten,
verwarfen drei Mitglieder des letzteren, der Premier, der Kriegs- und der Ma-
rineminister, den Kompromiß und traten schließlich von ihren Ämtern zurück.

So hat man den Riß in die Regierung, welcher die Folge von Plon-
Plons Manifest und den Gesetzvorschlägen Floquets und Vallues war, zur Not
geflickt und eine sofortige ernstere Krisis für den Augenblick abgewendet. Und
dann ist eine Verständigung der Kammer mit dem neuen Kabinet erfolgt. Die
Vorschläge des letztern, Entlassung der Prinzen aus ihren Stellen, Ausstreichuug
der politischen Rechte, die sie bisher besaßen, und eventuelle Verbannung der¬
selben aus dem Lande, sind vom Abgeordnetenhause mit großer Majorität an¬
genommen worden. Aber es ist sicherlich damit nur zeitweilig windstill geworden.


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[0338] Die Ministerveränderung in Frankreich, nicht die Geistesgegenwart und Festigkeit erwarten, die ein starkes und har¬ monisch zusammengesetztes Kabinet an den Tag zu legen pflegt, wenn Schwierig¬ keiten sich zeigen. Die Herren wurden überdies überrascht, und nichts stellt Menschen oder Regierungen so sehr auf die Probe als das Unerwartete. Duelcrc und seine Kollegen hatten freilich nicht geschlafen oder sich den Intri¬ guen gegenüber, die in einem Lande, wo der Parteigeist unaufhörlich wühlt und Kronprätendenten vorhanden sind, niemals ruhen, gleichgiltig verhalten, , Sie hatten, wie wir aus der Rede Fallieres', des bisherigen Ministers des Innern und nunmehrigen Premiers, ersehen, die Augen offen gehabt, aber nur nach einer Richtung, nur nach der Vendee und Görz, nicht nach der Avenue d'Artim hin gesehen. Sie waren bereit, eine Erhebung der päpstlichen Zuaven mit Charette an der Spitze zu unterdrücken, indem sie der tröstlichen Zuversicht lebten, „die ganze Nation werde wie ein Mann gegen jeden realistischen Ver¬ such aufstehen," aber sie hatten sich nicht für den Fall vorgesehen, daß ein tapferer Prinz, statt ein Kriegsroß zu besteigen und den Degen gegen die Republik zu ziehen, den Kleisterpinsel schwang und ein Plakat anklebte, und daß solches Thun nicht allen lächerlich, ja vielen bedenklich erschien. So zeigten sie im ganzen Verlaufe der Angelegenheit eine Schwäche, die nicht nur sie selbst diskreditirte, sondern der Autorität in Frankreich überhaupt schweren Abbruch that. Endlich aber kam dazu noch, daß die Mitglieder des Kabinets in der Stunde der Prüfung geteilter Ansicht waren. Das Ergebnis von alledem mußte selbstverständlich ein unerfreuliches sein. Zunächst gestattete man einer wie Ebbe und Flut wechselnden Kammermehrheit, sich des heikeln Gegenstandes ohne Leitung durch eine Persönlichkeit von hervorragender Befähigung und be¬ deutendem Ansehen zu bemächtigen. Die gewaltthätigsten und rücksichtslosesten Mitglieder der Linken drängten sich vor und machten sich daran, das Problem durch Proskriptionen zu lösen. Dann legten die Minister einen Plan vor, gegen den etwas weniger einzuwenden war, mit dem sie sich aber immerhin vor dem Sturm beugten, welcher von der Seite der Radikalen sich erhoben hatte. Und als zuletzt das Komitee, dem die Sache zur Beratung überwiesen worden war, in einen Vergleich willigte, von dem es hieß, das Ministerium werde ihm beitreten, verwarfen drei Mitglieder des letzteren, der Premier, der Kriegs- und der Ma- rineminister, den Kompromiß und traten schließlich von ihren Ämtern zurück. So hat man den Riß in die Regierung, welcher die Folge von Plon- Plons Manifest und den Gesetzvorschlägen Floquets und Vallues war, zur Not geflickt und eine sofortige ernstere Krisis für den Augenblick abgewendet. Und dann ist eine Verständigung der Kammer mit dem neuen Kabinet erfolgt. Die Vorschläge des letztern, Entlassung der Prinzen aus ihren Stellen, Ausstreichuug der politischen Rechte, die sie bisher besaßen, und eventuelle Verbannung der¬ selben aus dem Lande, sind vom Abgeordnetenhause mit großer Majorität an¬ genommen worden. Aber es ist sicherlich damit nur zeitweilig windstill geworden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/338>, abgerufen am 23.07.2024.