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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

Schreiben Sie das auf, das ist ein gutes Wort, sagte Herr Schmidt.
Lassen Sie das nicht umkommen, setzen Sie es in die Zeitung. Aber wissen
Sie, unter uns -- wir, die wir die Phrasen selbst machen -- man pflegt zu
sagen, daß ein Pfarrer den andern nicht rühren kann. Ich denke, die Selbst¬
hilfe ist Wohl eine Erfindung, um die Arbeiter dumm zu machen. Ohne die
Bevormundung des Staates ist noch kein Fortschritt in der Kultur möglich ge¬
wesen. Wir führen heute noch mit der Kutsche von Holzfurt nach Berlin, wenn
der Staat keine Eisenahnen gebaut und nicht bei den Privatbahnen wenigstens
die Zinsgarantie übernommen hatte. Doch ich sehe, es ist schon zwei Uhr, und
ich will Sie nicht länger stören. Leben Sie wohl, Herr Doktor, und vergessen
Sie nicht, was ich Ihnen gesagt habe.

Der kleine Doktor hatte, ohne ein Wort zu entgegnen, den Blick starr auf
das ihm widerwärtige Gesicht des Herrn Schmidt gerichtet, ruhig diese Rede mit
angehört und brachte jetzt nichts weiter vor als: Glückliche Reise! Sobald
aber das rote Haar mit dem breitkrempigen Hut bedeckt und die breite Ge¬
stalt in der Thür verschwunden war, glitt der Chefredakteur von seinem Sitze
herab, zeichnete mit mächtigem Armschwung drei Kreuze in die Luft, rief laut:
Pfui! und ging dann wieder, die Stirn gefaltet und die Hände in den Taschen
geballt, auf und nieder in dem Zimmer mit der einsam in die Nacht schei¬
nenden Lampe.

O du verächtlicher Geldmensch! murmelte er zwischen den Zähnen. Also
nichts als Geschäft ist dir auch die Literatur! Aber freilich, ist mir denn das
neu? Habe ich es denn nicht immer gewußt, daß du jedem Ideal fremd bist,
daß anstatt des Herzens ein Hauptbuch in deiner Brust wohnt? Elendes Ge¬
würm! Wie? Sind wir nicht die Lehrer des Volkes? Sind wir nicht die
wahren Ritter vom Geiste? O, schmähliche Fessel, die mich in deiner Hand auf
dieser Galeere hält!

Er schob die Brille in die Höhe, da er fühlte, daß Thränen der Wut seinen
Blick verdunkelten, drückte das Taschentuch an die Augen und räusperte sich
kräftig, um eine gesetzte Haltung mit Gewalt herbeizuzwingen. /

Nein, sagte er sich, nein und tausendmal nein! Du kennst die Menschen
nicht, elender Pessimist, der du in der herrlichen Schöpfung der allmächtigen
Natur nichts als Masken siehst, nichts als Fratzen und Zahlen. Eine erhabene,
eine edle Gattung ist das menschliche Geschlecht. Es ist voll Geist, voll Güte,
voll Strebens, voll Liebe zur Wahrheit! Deine niederträchtigen Ratschläge sind
durchaus falsch, und ich werde gerade das Gegenteil von allem thun, was du
für richtig hältst. Es ist die große Aufgabe des Schriftstellers, die Einsicht,
welche ihm verliehen ward, dem Volke zu Gute kommen zu lassen, und es ist
Sünde gegen den heiligen Geist, wenn er versteckt, verheimlicht oder gar ver¬
fälscht, was ihm offenbart ist. Die Menschen sind dankbar für jede Belehrung,
die ihnen zu Teil wird, wenn sie ihnen nur in der richtigen Form gegeben wird.


Die Grafen von Altenschwerdt.

Schreiben Sie das auf, das ist ein gutes Wort, sagte Herr Schmidt.
Lassen Sie das nicht umkommen, setzen Sie es in die Zeitung. Aber wissen
Sie, unter uns — wir, die wir die Phrasen selbst machen — man pflegt zu
sagen, daß ein Pfarrer den andern nicht rühren kann. Ich denke, die Selbst¬
hilfe ist Wohl eine Erfindung, um die Arbeiter dumm zu machen. Ohne die
Bevormundung des Staates ist noch kein Fortschritt in der Kultur möglich ge¬
wesen. Wir führen heute noch mit der Kutsche von Holzfurt nach Berlin, wenn
der Staat keine Eisenahnen gebaut und nicht bei den Privatbahnen wenigstens
die Zinsgarantie übernommen hatte. Doch ich sehe, es ist schon zwei Uhr, und
ich will Sie nicht länger stören. Leben Sie wohl, Herr Doktor, und vergessen
Sie nicht, was ich Ihnen gesagt habe.

Der kleine Doktor hatte, ohne ein Wort zu entgegnen, den Blick starr auf
das ihm widerwärtige Gesicht des Herrn Schmidt gerichtet, ruhig diese Rede mit
angehört und brachte jetzt nichts weiter vor als: Glückliche Reise! Sobald
aber das rote Haar mit dem breitkrempigen Hut bedeckt und die breite Ge¬
stalt in der Thür verschwunden war, glitt der Chefredakteur von seinem Sitze
herab, zeichnete mit mächtigem Armschwung drei Kreuze in die Luft, rief laut:
Pfui! und ging dann wieder, die Stirn gefaltet und die Hände in den Taschen
geballt, auf und nieder in dem Zimmer mit der einsam in die Nacht schei¬
nenden Lampe.

O du verächtlicher Geldmensch! murmelte er zwischen den Zähnen. Also
nichts als Geschäft ist dir auch die Literatur! Aber freilich, ist mir denn das
neu? Habe ich es denn nicht immer gewußt, daß du jedem Ideal fremd bist,
daß anstatt des Herzens ein Hauptbuch in deiner Brust wohnt? Elendes Ge¬
würm! Wie? Sind wir nicht die Lehrer des Volkes? Sind wir nicht die
wahren Ritter vom Geiste? O, schmähliche Fessel, die mich in deiner Hand auf
dieser Galeere hält!

Er schob die Brille in die Höhe, da er fühlte, daß Thränen der Wut seinen
Blick verdunkelten, drückte das Taschentuch an die Augen und räusperte sich
kräftig, um eine gesetzte Haltung mit Gewalt herbeizuzwingen. /

Nein, sagte er sich, nein und tausendmal nein! Du kennst die Menschen
nicht, elender Pessimist, der du in der herrlichen Schöpfung der allmächtigen
Natur nichts als Masken siehst, nichts als Fratzen und Zahlen. Eine erhabene,
eine edle Gattung ist das menschliche Geschlecht. Es ist voll Geist, voll Güte,
voll Strebens, voll Liebe zur Wahrheit! Deine niederträchtigen Ratschläge sind
durchaus falsch, und ich werde gerade das Gegenteil von allem thun, was du
für richtig hältst. Es ist die große Aufgabe des Schriftstellers, die Einsicht,
welche ihm verliehen ward, dem Volke zu Gute kommen zu lassen, und es ist
Sünde gegen den heiligen Geist, wenn er versteckt, verheimlicht oder gar ver¬
fälscht, was ihm offenbart ist. Die Menschen sind dankbar für jede Belehrung,
die ihnen zu Teil wird, wenn sie ihnen nur in der richtigen Form gegeben wird.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/334>, abgerufen am 23.07.2024.