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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Allmjchwerdl.

Dr. Glock stieg wieder auf seinen Schemel hinauf, dünnste die Feder ein
und begann schnell und kratzend zu schreiben.

Es ist die alte Geschichte, fuhr Herr Schmidt fort, Sie haben wieder
einmal meine Meinung gründlich mißverstanden. Ich bin ja sehr damit zu¬
frieden, wenn Sie Ihren Ideen freien Lauf lassen. Das giebt hübsche flüssige
Artikel, die sich angenehm lesen. Es fällt mir garnicht ein, Sie zu beschränken
und zu fesseln. Nur darauf wollte ich Sie aufmerksam machen, daß es ein Irrtum
ist, wenn Sie glauben, das Publikum erziehen zu können. Denn wenn Sie in
dem Wahne stecken, laufen Sie Gefahr, etwas zu schreiben, was das Publikum
noch nicht weiß. Das wollen die Leute nicht. Die Leute Wollen nur das lesen, was
sie schon wissen, Stoßen sie auf etwas andres, so ärgern sie sich, finden die
Zeitung dumm und geben das Abonnement auf.

Das ist ganz einfach paradox, sagte der Redakteur, die Feder hinwerfend.
Das Publikum Null im Gegenteil gerade das neueste wissen. Nur der Umstand,
daß die Zeitung frisch und neu ist, giebt ihr ja' überhaupt ein Interesse, sonst
könnte man ebensogut die Zeitungen vom vorigen Jahre lesen.

Ja was die Ereignisse betrifft, da haben Sie Recht, aber die stehen in
jeder Zeitung, und da könnte der Leser ebensowohl ein ultramontancs oder kon¬
servatives als ein liberales Blatt lesen. Ich spreche von dein Parteistandpunkte,
und da verlangt jeder Leser eine Zeitung, die ihm jeden Tag sagt, daß er Recht
hat. Deshalb lesen die Ultramontanen die Germania, die Konservativen die Kreuz-
zeitung, und die Liberalen die Kölnische. Aber keine vernünftige Redaktion läßt
sich darauf ein, gesundes politisches Denken zu verbreiten, wie Sie es nennen.
Wir machen die "Holzfurter Nachrichten," also haben wir zu schreiben, wie die
Bewohner Holzfnrts und der umliegenden Dörfer denken. Thun wir das, so
lesen die Leute das Blatt. Wenn sie es lesen, so inscriren sie auch darin, denn
man inserirt in den Blättern, die gelesen werden. Inscriren die Leute, so rentirt
die Zeitung, und alles ist in Ordnung. Lesen die Leute sie aber nicht, so in¬
scriren sie nicht, und dann machen wir kein Geschäft.

In das redliche Gemüt des Dr. Glock stießen diese Worte einen scharfen
Stachel. Es wurmte ihn immer von neuem die Einsicht, daß der Besitzer der
Holzfurter Nachrichten überhaupt keinen politischen Charakter habe und die Re¬
daktion denkenden Männern gegenüber in ein zweifelhaftes Licht setze. Hatte er
doch sogar einmal ganz ernstlich die Frage aufgeworfen, ob es nicht zweckmäßig
sei, allmählich nach der sozialistischen Partei hinüberzuschwcnlen, angeblich des¬
halb, weil deren Doktrin die einzige wahrhaft logische sei, in Wirklichkeit aber
deshalb, weil gegen fünftausend Stimmen des Kreises auf den sozialdemokratischen
Kandidaten gefallen waren.

Doch er bezwang sich und sagte ruhig: Sie sind zu sehr Pessimist, Herr
Schmidt. Das Publikum ist nicht so einfältig und hartnäckig, wie Sie es dar¬
stellen. Freilich darf man ihm nicht das Gegenteil von dem bieten, was seine


Die Grafen von Allmjchwerdl.

Dr. Glock stieg wieder auf seinen Schemel hinauf, dünnste die Feder ein
und begann schnell und kratzend zu schreiben.

Es ist die alte Geschichte, fuhr Herr Schmidt fort, Sie haben wieder
einmal meine Meinung gründlich mißverstanden. Ich bin ja sehr damit zu¬
frieden, wenn Sie Ihren Ideen freien Lauf lassen. Das giebt hübsche flüssige
Artikel, die sich angenehm lesen. Es fällt mir garnicht ein, Sie zu beschränken
und zu fesseln. Nur darauf wollte ich Sie aufmerksam machen, daß es ein Irrtum
ist, wenn Sie glauben, das Publikum erziehen zu können. Denn wenn Sie in
dem Wahne stecken, laufen Sie Gefahr, etwas zu schreiben, was das Publikum
noch nicht weiß. Das wollen die Leute nicht. Die Leute Wollen nur das lesen, was
sie schon wissen, Stoßen sie auf etwas andres, so ärgern sie sich, finden die
Zeitung dumm und geben das Abonnement auf.

Das ist ganz einfach paradox, sagte der Redakteur, die Feder hinwerfend.
Das Publikum Null im Gegenteil gerade das neueste wissen. Nur der Umstand,
daß die Zeitung frisch und neu ist, giebt ihr ja' überhaupt ein Interesse, sonst
könnte man ebensogut die Zeitungen vom vorigen Jahre lesen.

Ja was die Ereignisse betrifft, da haben Sie Recht, aber die stehen in
jeder Zeitung, und da könnte der Leser ebensowohl ein ultramontancs oder kon¬
servatives als ein liberales Blatt lesen. Ich spreche von dein Parteistandpunkte,
und da verlangt jeder Leser eine Zeitung, die ihm jeden Tag sagt, daß er Recht
hat. Deshalb lesen die Ultramontanen die Germania, die Konservativen die Kreuz-
zeitung, und die Liberalen die Kölnische. Aber keine vernünftige Redaktion läßt
sich darauf ein, gesundes politisches Denken zu verbreiten, wie Sie es nennen.
Wir machen die „Holzfurter Nachrichten," also haben wir zu schreiben, wie die
Bewohner Holzfnrts und der umliegenden Dörfer denken. Thun wir das, so
lesen die Leute das Blatt. Wenn sie es lesen, so inscriren sie auch darin, denn
man inserirt in den Blättern, die gelesen werden. Inscriren die Leute, so rentirt
die Zeitung, und alles ist in Ordnung. Lesen die Leute sie aber nicht, so in¬
scriren sie nicht, und dann machen wir kein Geschäft.

In das redliche Gemüt des Dr. Glock stießen diese Worte einen scharfen
Stachel. Es wurmte ihn immer von neuem die Einsicht, daß der Besitzer der
Holzfurter Nachrichten überhaupt keinen politischen Charakter habe und die Re¬
daktion denkenden Männern gegenüber in ein zweifelhaftes Licht setze. Hatte er
doch sogar einmal ganz ernstlich die Frage aufgeworfen, ob es nicht zweckmäßig
sei, allmählich nach der sozialistischen Partei hinüberzuschwcnlen, angeblich des¬
halb, weil deren Doktrin die einzige wahrhaft logische sei, in Wirklichkeit aber
deshalb, weil gegen fünftausend Stimmen des Kreises auf den sozialdemokratischen
Kandidaten gefallen waren.

Doch er bezwang sich und sagte ruhig: Sie sind zu sehr Pessimist, Herr
Schmidt. Das Publikum ist nicht so einfältig und hartnäckig, wie Sie es dar¬
stellen. Freilich darf man ihm nicht das Gegenteil von dem bieten, was seine


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[0332] Die Grafen von Allmjchwerdl. Dr. Glock stieg wieder auf seinen Schemel hinauf, dünnste die Feder ein und begann schnell und kratzend zu schreiben. Es ist die alte Geschichte, fuhr Herr Schmidt fort, Sie haben wieder einmal meine Meinung gründlich mißverstanden. Ich bin ja sehr damit zu¬ frieden, wenn Sie Ihren Ideen freien Lauf lassen. Das giebt hübsche flüssige Artikel, die sich angenehm lesen. Es fällt mir garnicht ein, Sie zu beschränken und zu fesseln. Nur darauf wollte ich Sie aufmerksam machen, daß es ein Irrtum ist, wenn Sie glauben, das Publikum erziehen zu können. Denn wenn Sie in dem Wahne stecken, laufen Sie Gefahr, etwas zu schreiben, was das Publikum noch nicht weiß. Das wollen die Leute nicht. Die Leute Wollen nur das lesen, was sie schon wissen, Stoßen sie auf etwas andres, so ärgern sie sich, finden die Zeitung dumm und geben das Abonnement auf. Das ist ganz einfach paradox, sagte der Redakteur, die Feder hinwerfend. Das Publikum Null im Gegenteil gerade das neueste wissen. Nur der Umstand, daß die Zeitung frisch und neu ist, giebt ihr ja' überhaupt ein Interesse, sonst könnte man ebensogut die Zeitungen vom vorigen Jahre lesen. Ja was die Ereignisse betrifft, da haben Sie Recht, aber die stehen in jeder Zeitung, und da könnte der Leser ebensowohl ein ultramontancs oder kon¬ servatives als ein liberales Blatt lesen. Ich spreche von dein Parteistandpunkte, und da verlangt jeder Leser eine Zeitung, die ihm jeden Tag sagt, daß er Recht hat. Deshalb lesen die Ultramontanen die Germania, die Konservativen die Kreuz- zeitung, und die Liberalen die Kölnische. Aber keine vernünftige Redaktion läßt sich darauf ein, gesundes politisches Denken zu verbreiten, wie Sie es nennen. Wir machen die „Holzfurter Nachrichten," also haben wir zu schreiben, wie die Bewohner Holzfnrts und der umliegenden Dörfer denken. Thun wir das, so lesen die Leute das Blatt. Wenn sie es lesen, so inscriren sie auch darin, denn man inserirt in den Blättern, die gelesen werden. Inscriren die Leute, so rentirt die Zeitung, und alles ist in Ordnung. Lesen die Leute sie aber nicht, so in¬ scriren sie nicht, und dann machen wir kein Geschäft. In das redliche Gemüt des Dr. Glock stießen diese Worte einen scharfen Stachel. Es wurmte ihn immer von neuem die Einsicht, daß der Besitzer der Holzfurter Nachrichten überhaupt keinen politischen Charakter habe und die Re¬ daktion denkenden Männern gegenüber in ein zweifelhaftes Licht setze. Hatte er doch sogar einmal ganz ernstlich die Frage aufgeworfen, ob es nicht zweckmäßig sei, allmählich nach der sozialistischen Partei hinüberzuschwcnlen, angeblich des¬ halb, weil deren Doktrin die einzige wahrhaft logische sei, in Wirklichkeit aber deshalb, weil gegen fünftausend Stimmen des Kreises auf den sozialdemokratischen Kandidaten gefallen waren. Doch er bezwang sich und sagte ruhig: Sie sind zu sehr Pessimist, Herr Schmidt. Das Publikum ist nicht so einfältig und hartnäckig, wie Sie es dar¬ stellen. Freilich darf man ihm nicht das Gegenteil von dem bieten, was seine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/332>, abgerufen am 23.07.2024.