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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschmcrdt.

halb beendeten Leitartikel bei Seite geschoben, um einige tief empfundene Ge¬
fühle in gereimter Form zu Papier zu bringen. Nun schob er das Blatt, ver¬
wirrt gleich einem ertappten Schulknaben, nnter ein Löschpapier und rief seine in
den Gefilden des Parnaß schweifenden Ideen schleunigst zurück zu der prosaischen
Zusammenstellung der unfertigen Zeitungsnummer,

Es ist mir lieb, daß Sie mit dem Gange der Zeitung zufrieden sind, sagte
er mit feiner, dünner Stimme, Auch ich glaube die Beobachtung zu machen,
daß sich das Publikum allmählich an unsre Art der Anschauung gewöhnt, und
ich habe die Hoffnung, daß meine Arbeit nicht vergeblich gewesen ist, sondern
daß es mir mehr und mehr gelingen wird, gesundes politisches Denken unter dem
Volke heimisch zu machen.

Hin! machte Herr Schmidt, Ja ja, gesundes politisches Denken! Wenn
man nur wüßte, worin das eigentlich besteht. Wissen Sie, Herr Doktor, meiner
Meinung nach ist es für uns immer das sicherste, so zu schreiben, wie das Publikum
es gerne liest, und dabei alle politische Prinzipienreiterei bei Seite zu lassen.

Dr. Glock errötete.

Wenn Sie meinen, das Publikum gewöhne sich an Ihre Anschauung, fuhr
Herr Schmidt fort, so sind Sie sehr im Irrtum, gerade als wenn Sie sich beim
Fahren einbildeten, die Bäume kämen Ihnen entgegengelaufen.

Wenn Sie Recht hätten, so könnte mir das alle Freude an meiner Arbeit
verderben, sagte or. Glock ärgerlich.

Aber ich bitte Sie, erwiederte Herr Schmidt lachend, Sie rudern dieses
Blatt jetzt in das dritte Jahr, und da dächte ich, sollten Sie doch wohl endlich
eingesehen haben, worauf es ankommt.

Sie meinen die Annoncen, sagte Dr. Glock.

Da haben Sie nicht Unrecht, und Sie brauchen es nicht mit dieser höhnischen
Betonung zu sagen. Allerdings sind die Annoncen die Hauptsache. Aber wir
reden jetzt nicht von dem Zweck, sondern von den Mitteln, und ich bitte Sie
zum Hundertstenmale, Ihren Idealismus ein wenig zu zügeln. Sonst habe ich
keine ruhige Stunde auf meiner Reise.

Dr. Glock rutschte von seinem Sitze herab und ging unruhig im Redaktions¬
zimmer auf und ab. Die geschäftlichen Gesichtspunkte, welche für Sie ma߬
gebend sind, sagte er, dürfen für meine Art zu denken und zu schreiben nicht
die Regel bilden. Eine derartige Fessel ist mir unerträglich. Und Sie selber
thun sich Schaden, wenn sie ein derartiges Verlangen stellen. Denn Sie schädigen
die Zeitung dadurch, daß Sie mein Empfinden lahmen. Wenn ich gute Artikel
schreiben soll, so darf ich nicht ängstlich um mich sehen, ob ich etwa hier oder
dort anstoße und die heiligen Annoncen verletze!

Herr Schmidt sah ihm ruhig von seinem hohen Sitze zu und sagte dann
gelassen: Sie können mich auf einem Butterbrot fressen, wenn ich weiß, was Sie
eigentlich wollen.


Die Grafen von Altenschmcrdt.

halb beendeten Leitartikel bei Seite geschoben, um einige tief empfundene Ge¬
fühle in gereimter Form zu Papier zu bringen. Nun schob er das Blatt, ver¬
wirrt gleich einem ertappten Schulknaben, nnter ein Löschpapier und rief seine in
den Gefilden des Parnaß schweifenden Ideen schleunigst zurück zu der prosaischen
Zusammenstellung der unfertigen Zeitungsnummer,

Es ist mir lieb, daß Sie mit dem Gange der Zeitung zufrieden sind, sagte
er mit feiner, dünner Stimme, Auch ich glaube die Beobachtung zu machen,
daß sich das Publikum allmählich an unsre Art der Anschauung gewöhnt, und
ich habe die Hoffnung, daß meine Arbeit nicht vergeblich gewesen ist, sondern
daß es mir mehr und mehr gelingen wird, gesundes politisches Denken unter dem
Volke heimisch zu machen.

Hin! machte Herr Schmidt, Ja ja, gesundes politisches Denken! Wenn
man nur wüßte, worin das eigentlich besteht. Wissen Sie, Herr Doktor, meiner
Meinung nach ist es für uns immer das sicherste, so zu schreiben, wie das Publikum
es gerne liest, und dabei alle politische Prinzipienreiterei bei Seite zu lassen.

Dr. Glock errötete.

Wenn Sie meinen, das Publikum gewöhne sich an Ihre Anschauung, fuhr
Herr Schmidt fort, so sind Sie sehr im Irrtum, gerade als wenn Sie sich beim
Fahren einbildeten, die Bäume kämen Ihnen entgegengelaufen.

Wenn Sie Recht hätten, so könnte mir das alle Freude an meiner Arbeit
verderben, sagte or. Glock ärgerlich.

Aber ich bitte Sie, erwiederte Herr Schmidt lachend, Sie rudern dieses
Blatt jetzt in das dritte Jahr, und da dächte ich, sollten Sie doch wohl endlich
eingesehen haben, worauf es ankommt.

Sie meinen die Annoncen, sagte Dr. Glock.

Da haben Sie nicht Unrecht, und Sie brauchen es nicht mit dieser höhnischen
Betonung zu sagen. Allerdings sind die Annoncen die Hauptsache. Aber wir
reden jetzt nicht von dem Zweck, sondern von den Mitteln, und ich bitte Sie
zum Hundertstenmale, Ihren Idealismus ein wenig zu zügeln. Sonst habe ich
keine ruhige Stunde auf meiner Reise.

Dr. Glock rutschte von seinem Sitze herab und ging unruhig im Redaktions¬
zimmer auf und ab. Die geschäftlichen Gesichtspunkte, welche für Sie ma߬
gebend sind, sagte er, dürfen für meine Art zu denken und zu schreiben nicht
die Regel bilden. Eine derartige Fessel ist mir unerträglich. Und Sie selber
thun sich Schaden, wenn sie ein derartiges Verlangen stellen. Denn Sie schädigen
die Zeitung dadurch, daß Sie mein Empfinden lahmen. Wenn ich gute Artikel
schreiben soll, so darf ich nicht ängstlich um mich sehen, ob ich etwa hier oder
dort anstoße und die heiligen Annoncen verletze!

Herr Schmidt sah ihm ruhig von seinem hohen Sitze zu und sagte dann
gelassen: Sie können mich auf einem Butterbrot fressen, wenn ich weiß, was Sie
eigentlich wollen.


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[0331] Die Grafen von Altenschmcrdt. halb beendeten Leitartikel bei Seite geschoben, um einige tief empfundene Ge¬ fühle in gereimter Form zu Papier zu bringen. Nun schob er das Blatt, ver¬ wirrt gleich einem ertappten Schulknaben, nnter ein Löschpapier und rief seine in den Gefilden des Parnaß schweifenden Ideen schleunigst zurück zu der prosaischen Zusammenstellung der unfertigen Zeitungsnummer, Es ist mir lieb, daß Sie mit dem Gange der Zeitung zufrieden sind, sagte er mit feiner, dünner Stimme, Auch ich glaube die Beobachtung zu machen, daß sich das Publikum allmählich an unsre Art der Anschauung gewöhnt, und ich habe die Hoffnung, daß meine Arbeit nicht vergeblich gewesen ist, sondern daß es mir mehr und mehr gelingen wird, gesundes politisches Denken unter dem Volke heimisch zu machen. Hin! machte Herr Schmidt, Ja ja, gesundes politisches Denken! Wenn man nur wüßte, worin das eigentlich besteht. Wissen Sie, Herr Doktor, meiner Meinung nach ist es für uns immer das sicherste, so zu schreiben, wie das Publikum es gerne liest, und dabei alle politische Prinzipienreiterei bei Seite zu lassen. Dr. Glock errötete. Wenn Sie meinen, das Publikum gewöhne sich an Ihre Anschauung, fuhr Herr Schmidt fort, so sind Sie sehr im Irrtum, gerade als wenn Sie sich beim Fahren einbildeten, die Bäume kämen Ihnen entgegengelaufen. Wenn Sie Recht hätten, so könnte mir das alle Freude an meiner Arbeit verderben, sagte or. Glock ärgerlich. Aber ich bitte Sie, erwiederte Herr Schmidt lachend, Sie rudern dieses Blatt jetzt in das dritte Jahr, und da dächte ich, sollten Sie doch wohl endlich eingesehen haben, worauf es ankommt. Sie meinen die Annoncen, sagte Dr. Glock. Da haben Sie nicht Unrecht, und Sie brauchen es nicht mit dieser höhnischen Betonung zu sagen. Allerdings sind die Annoncen die Hauptsache. Aber wir reden jetzt nicht von dem Zweck, sondern von den Mitteln, und ich bitte Sie zum Hundertstenmale, Ihren Idealismus ein wenig zu zügeln. Sonst habe ich keine ruhige Stunde auf meiner Reise. Dr. Glock rutschte von seinem Sitze herab und ging unruhig im Redaktions¬ zimmer auf und ab. Die geschäftlichen Gesichtspunkte, welche für Sie ma߬ gebend sind, sagte er, dürfen für meine Art zu denken und zu schreiben nicht die Regel bilden. Eine derartige Fessel ist mir unerträglich. Und Sie selber thun sich Schaden, wenn sie ein derartiges Verlangen stellen. Denn Sie schädigen die Zeitung dadurch, daß Sie mein Empfinden lahmen. Wenn ich gute Artikel schreiben soll, so darf ich nicht ängstlich um mich sehen, ob ich etwa hier oder dort anstoße und die heiligen Annoncen verletze! Herr Schmidt sah ihm ruhig von seinem hohen Sitze zu und sagte dann gelassen: Sie können mich auf einem Butterbrot fressen, wenn ich weiß, was Sie eigentlich wollen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/331>, abgerufen am 25.08.2024.