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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen vo" Altenschwerdt,

Das ist ein wahres Unglück, wie viele Leute jetzt ans ihren Kindern Ge¬
bildete machen wollen! sagte Rudolf, Nachher sind diese dann zu gelehrt für
ein Handwerk, bleiben aber immer noch zu dumm für die Wissenschaft, sind
nicht Fisch und nicht Fleisch, wollen oben hinaus, anstatt unten redlich und
fleißig ihr Brod zu verdienen, machen ein Projekt über das andre, die alle
fehlschlagen, treiben sich ans den Redaktionen, an den Banken und in den Kneipen
umher und vergrößern schließlich das Proletariat, welches hinter den soziali¬
stischen Agitatoren herläuft.

Der Inspektor stieß einen Kernfluch aus und ließ seine Faust gleich einem
Schmiedehammer auf den Tisch fallen. Das war mir aus der Seele gesprochen,
mein Junge, sagte er, aber hol mich der Teufel, wen" ich begreife, daß du es
sagst. Dacht' ich doch meiner Seel', der gnädige Herr Hütte gesprochen.

Da weiß ich nicht, für wen das ein Kompliment sein soll, ob für deinen
gnädigen Herrn oder für mich, sagte sein Neffe kaltblütig. Nach jeder Seite
hin Gerechtigkeit, und ein unbestochenes Urteil über alles, das ist mein Wahl¬
spruch.

Bitte, redet nur nicht über Politik, sagte die Tante, indem sie jedem der
beiden Männer ein großes Stück Wildpastete auf den Teller lud. Meinen
Heringssalat habt ihr noch garnicht versucht. Und schenk auch die Gläser wieder
voll, Millicent.

Rudolf lachte und ließ es sich schmecken. Der Heringssalat war vorzüg¬
lich, auch die Kompots waren von Meisterhand bereitet, und mit Vertrauen
ging man, nachdem die schweren Schüsseln abgeräumt waren, dem Stachelbeer¬
kuchen, dem Kirschkuchen, allerhand Früchten und dem Käse entgegen, einem Dessert,
das von Danziger Goldwasser und einem im Hause bereiteten uralten Wach-
holderbrnnntwein begleitet wurde.

Inzwischen trat der Sohn des Kochs, ein etwas blasser Jüngling von
neunzehn Jahren, bescheiden herein.

Da ist unser junger Gelehrter, sagte der Inspektor. Schenk ihm ein Gläschen
ein, Frau, daß er Farbe in die Backen bekommt. Der arme Junge sieht ja
schon wie ein Professor aus.

Also, mein Freund, wir wollen Literat werden? fragte Rudolf den Jüng¬
ling, der verlegen sein Glas mit Branntwein in die Hand nahm. Und warum
werfen Sie sich nicht auf die ehrenvolle und einträgliche Branche Ihres Herrn
Vaters?

Ich habe eine so große Neigung für die Literatur, antwortete dieser er¬
rötend. Und ich glaube, Herr Direktor, daß man es darin weit bringen kann,
wenn man früh anfängt.

Herr Rudolf Schmidt war in sehr guter Laune. O ja, sagte er, den jungen
Menschen mit kritischem Ange betrachtend, das kann man schon. Aber es ist
mit der Literatur eine eigne Sache. Ich kenne einige kenntnisreiche Schrift-


Die Grafen vo» Altenschwerdt,

Das ist ein wahres Unglück, wie viele Leute jetzt ans ihren Kindern Ge¬
bildete machen wollen! sagte Rudolf, Nachher sind diese dann zu gelehrt für
ein Handwerk, bleiben aber immer noch zu dumm für die Wissenschaft, sind
nicht Fisch und nicht Fleisch, wollen oben hinaus, anstatt unten redlich und
fleißig ihr Brod zu verdienen, machen ein Projekt über das andre, die alle
fehlschlagen, treiben sich ans den Redaktionen, an den Banken und in den Kneipen
umher und vergrößern schließlich das Proletariat, welches hinter den soziali¬
stischen Agitatoren herläuft.

Der Inspektor stieß einen Kernfluch aus und ließ seine Faust gleich einem
Schmiedehammer auf den Tisch fallen. Das war mir aus der Seele gesprochen,
mein Junge, sagte er, aber hol mich der Teufel, wen» ich begreife, daß du es
sagst. Dacht' ich doch meiner Seel', der gnädige Herr Hütte gesprochen.

Da weiß ich nicht, für wen das ein Kompliment sein soll, ob für deinen
gnädigen Herrn oder für mich, sagte sein Neffe kaltblütig. Nach jeder Seite
hin Gerechtigkeit, und ein unbestochenes Urteil über alles, das ist mein Wahl¬
spruch.

Bitte, redet nur nicht über Politik, sagte die Tante, indem sie jedem der
beiden Männer ein großes Stück Wildpastete auf den Teller lud. Meinen
Heringssalat habt ihr noch garnicht versucht. Und schenk auch die Gläser wieder
voll, Millicent.

Rudolf lachte und ließ es sich schmecken. Der Heringssalat war vorzüg¬
lich, auch die Kompots waren von Meisterhand bereitet, und mit Vertrauen
ging man, nachdem die schweren Schüsseln abgeräumt waren, dem Stachelbeer¬
kuchen, dem Kirschkuchen, allerhand Früchten und dem Käse entgegen, einem Dessert,
das von Danziger Goldwasser und einem im Hause bereiteten uralten Wach-
holderbrnnntwein begleitet wurde.

Inzwischen trat der Sohn des Kochs, ein etwas blasser Jüngling von
neunzehn Jahren, bescheiden herein.

Da ist unser junger Gelehrter, sagte der Inspektor. Schenk ihm ein Gläschen
ein, Frau, daß er Farbe in die Backen bekommt. Der arme Junge sieht ja
schon wie ein Professor aus.

Also, mein Freund, wir wollen Literat werden? fragte Rudolf den Jüng¬
ling, der verlegen sein Glas mit Branntwein in die Hand nahm. Und warum
werfen Sie sich nicht auf die ehrenvolle und einträgliche Branche Ihres Herrn
Vaters?

Ich habe eine so große Neigung für die Literatur, antwortete dieser er¬
rötend. Und ich glaube, Herr Direktor, daß man es darin weit bringen kann,
wenn man früh anfängt.

Herr Rudolf Schmidt war in sehr guter Laune. O ja, sagte er, den jungen
Menschen mit kritischem Ange betrachtend, das kann man schon. Aber es ist
mit der Literatur eine eigne Sache. Ich kenne einige kenntnisreiche Schrift-


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[0328] Die Grafen vo» Altenschwerdt, Das ist ein wahres Unglück, wie viele Leute jetzt ans ihren Kindern Ge¬ bildete machen wollen! sagte Rudolf, Nachher sind diese dann zu gelehrt für ein Handwerk, bleiben aber immer noch zu dumm für die Wissenschaft, sind nicht Fisch und nicht Fleisch, wollen oben hinaus, anstatt unten redlich und fleißig ihr Brod zu verdienen, machen ein Projekt über das andre, die alle fehlschlagen, treiben sich ans den Redaktionen, an den Banken und in den Kneipen umher und vergrößern schließlich das Proletariat, welches hinter den soziali¬ stischen Agitatoren herläuft. Der Inspektor stieß einen Kernfluch aus und ließ seine Faust gleich einem Schmiedehammer auf den Tisch fallen. Das war mir aus der Seele gesprochen, mein Junge, sagte er, aber hol mich der Teufel, wen» ich begreife, daß du es sagst. Dacht' ich doch meiner Seel', der gnädige Herr Hütte gesprochen. Da weiß ich nicht, für wen das ein Kompliment sein soll, ob für deinen gnädigen Herrn oder für mich, sagte sein Neffe kaltblütig. Nach jeder Seite hin Gerechtigkeit, und ein unbestochenes Urteil über alles, das ist mein Wahl¬ spruch. Bitte, redet nur nicht über Politik, sagte die Tante, indem sie jedem der beiden Männer ein großes Stück Wildpastete auf den Teller lud. Meinen Heringssalat habt ihr noch garnicht versucht. Und schenk auch die Gläser wieder voll, Millicent. Rudolf lachte und ließ es sich schmecken. Der Heringssalat war vorzüg¬ lich, auch die Kompots waren von Meisterhand bereitet, und mit Vertrauen ging man, nachdem die schweren Schüsseln abgeräumt waren, dem Stachelbeer¬ kuchen, dem Kirschkuchen, allerhand Früchten und dem Käse entgegen, einem Dessert, das von Danziger Goldwasser und einem im Hause bereiteten uralten Wach- holderbrnnntwein begleitet wurde. Inzwischen trat der Sohn des Kochs, ein etwas blasser Jüngling von neunzehn Jahren, bescheiden herein. Da ist unser junger Gelehrter, sagte der Inspektor. Schenk ihm ein Gläschen ein, Frau, daß er Farbe in die Backen bekommt. Der arme Junge sieht ja schon wie ein Professor aus. Also, mein Freund, wir wollen Literat werden? fragte Rudolf den Jüng¬ ling, der verlegen sein Glas mit Branntwein in die Hand nahm. Und warum werfen Sie sich nicht auf die ehrenvolle und einträgliche Branche Ihres Herrn Vaters? Ich habe eine so große Neigung für die Literatur, antwortete dieser er¬ rötend. Und ich glaube, Herr Direktor, daß man es darin weit bringen kann, wenn man früh anfängt. Herr Rudolf Schmidt war in sehr guter Laune. O ja, sagte er, den jungen Menschen mit kritischem Ange betrachtend, das kann man schon. Aber es ist mit der Literatur eine eigne Sache. Ich kenne einige kenntnisreiche Schrift-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/328>, abgerufen am 23.07.2024.