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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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lyrische Dichtungen teilt Dichter.

meist Bilder, welche in einem besondern Lichte erglänzen. Niemals trivial, aber
manchmal gesucht, ja gequält, in ihrer Stimmung meist elegisch, selten heiter
und hoffnungsvoll, wenden sich diese Erinnerungen und Trcinme, diese Bilder
und Balladen an jenen kleinen Leserkreis, welcher Teilnahme für eine Subjek¬
tivität hat, deren Empfinden, Schauen und Gestalten beinahe nirgend mit dem
Empfinden und Schauen andrer zusammentrifft. Wie bei der Mehrzahl der
neuesten Poeten findet sich anch bei C. F. Meyer ein starker Beisatz von Re¬
flexion, und selbst die kräftigen erzählenden Dichtungen scheinen zum Teil aus
einem schmerzlich grüblerischen Sinnen des Dichters erwachsen zu sein. Wen
die düstern Grundstimmungen des Verfassers nicht schrecken, dem bietet die
Sammlung vorzügliches. Gedichte wie "Lenzfahrt," "Der Marmorknabe,"
"Das tote Kind," "Jetzt rede du!" "Das Glöcklein," "Einer Toten," "Am
Himmelsthor," unter den erzählenden "Der Gesang der Parze," "Das Geisterroß,"
"Mit zwei Worten," "Die Ketzerin," "Papst Julius," "Miltons Rache" ver¬
dienen mit unsrer Sprache fortzuleben und verbürgen, daß in dem Dichter ein
eigner Sinn und eine kräftige Phantasie wirksam sind. Der poetische Ausdruck
dieser Eigenschaften ist hier und da schwerflüssig, doch dafür von jeder nach-
gcstammelten Phrase und von Wiederholungen frei. Immerhin aber giebt das
Überwiegen eines tiefen und schweren Ernstes bei unsern besten Dichtern zu
denken; wie würde sich eine Dichtung ausnehmen, in der kein andrer Geist lebte
als der, dessen Wehen wir in C. F. Meyers Gedichten empfinden!

Der landesüblichen Weise der Lyrik näher steht ein Dichter, dem wir zum
erstenmale begegnen. Die Gedichte von Friedrich Storck (Stuttgart,
G. I. Göschensche Verlagsbuchhandlung) sind von Plattheiten der Erfindung und
abgegriffenem Phrasen nicht frei, die Lässigkeiten des Ausdruckes und, ums
schlimmer ist, die Geschmacklosigkeiten im Ton ganzer Gedichte können erkältend
wirken. Doch wäre es ungerecht, ein gewisses Talent, ein poetisches Naturell
voll Frische und Beweglichkeit in den bessern Gedichten des Bandes zu ver¬
kennen. Namentlich die Lieder, welche an ältere geistliche Weisen anklingen, wie
"Vertraue!" und das Frühlingslied "Wach auf," einzelne der Liebeslieder und
Waldlieder sind zwar nicht "neu," aber warm empfunden und frisch gesungen.
In vielen andern und namentlich in den zahlreichen Glossen verrät sich, daß die
Gedichte Storcks zu einem guten Teil Nachklänge von poetischen Tönen andrer
sind, und daß oft genug die bloße Freude am Rhythmus und Reim vorwaltet.
Auch dagegen soll nichts erinnert werden, als daß der Dichter damit die Ver¬
pflichtung übernimmt, seine Form sorgfältig zu Pflegen nud sich vor jeder Tri¬
vialität zu wahren. Daß Storck dieser einfachen Verpflichtung häufig nicht
nachkommt, muß er sich selbst sagen, einzelne ernst gemeinte Gedichte gewinnen
bei ihm geradezu das Ansehen der Parodie. Wenn er Goethe anspricht:


Und doch dich preisend greif' ich III die Saiten,
Du Dichter ersten Ranges aller Zeiten!

lyrische Dichtungen teilt Dichter.

meist Bilder, welche in einem besondern Lichte erglänzen. Niemals trivial, aber
manchmal gesucht, ja gequält, in ihrer Stimmung meist elegisch, selten heiter
und hoffnungsvoll, wenden sich diese Erinnerungen und Trcinme, diese Bilder
und Balladen an jenen kleinen Leserkreis, welcher Teilnahme für eine Subjek¬
tivität hat, deren Empfinden, Schauen und Gestalten beinahe nirgend mit dem
Empfinden und Schauen andrer zusammentrifft. Wie bei der Mehrzahl der
neuesten Poeten findet sich anch bei C. F. Meyer ein starker Beisatz von Re¬
flexion, und selbst die kräftigen erzählenden Dichtungen scheinen zum Teil aus
einem schmerzlich grüblerischen Sinnen des Dichters erwachsen zu sein. Wen
die düstern Grundstimmungen des Verfassers nicht schrecken, dem bietet die
Sammlung vorzügliches. Gedichte wie „Lenzfahrt," „Der Marmorknabe,"
„Das tote Kind," „Jetzt rede du!" „Das Glöcklein," „Einer Toten," „Am
Himmelsthor," unter den erzählenden „Der Gesang der Parze," „Das Geisterroß,"
„Mit zwei Worten," „Die Ketzerin," „Papst Julius," „Miltons Rache" ver¬
dienen mit unsrer Sprache fortzuleben und verbürgen, daß in dem Dichter ein
eigner Sinn und eine kräftige Phantasie wirksam sind. Der poetische Ausdruck
dieser Eigenschaften ist hier und da schwerflüssig, doch dafür von jeder nach-
gcstammelten Phrase und von Wiederholungen frei. Immerhin aber giebt das
Überwiegen eines tiefen und schweren Ernstes bei unsern besten Dichtern zu
denken; wie würde sich eine Dichtung ausnehmen, in der kein andrer Geist lebte
als der, dessen Wehen wir in C. F. Meyers Gedichten empfinden!

Der landesüblichen Weise der Lyrik näher steht ein Dichter, dem wir zum
erstenmale begegnen. Die Gedichte von Friedrich Storck (Stuttgart,
G. I. Göschensche Verlagsbuchhandlung) sind von Plattheiten der Erfindung und
abgegriffenem Phrasen nicht frei, die Lässigkeiten des Ausdruckes und, ums
schlimmer ist, die Geschmacklosigkeiten im Ton ganzer Gedichte können erkältend
wirken. Doch wäre es ungerecht, ein gewisses Talent, ein poetisches Naturell
voll Frische und Beweglichkeit in den bessern Gedichten des Bandes zu ver¬
kennen. Namentlich die Lieder, welche an ältere geistliche Weisen anklingen, wie
„Vertraue!" und das Frühlingslied „Wach auf," einzelne der Liebeslieder und
Waldlieder sind zwar nicht „neu," aber warm empfunden und frisch gesungen.
In vielen andern und namentlich in den zahlreichen Glossen verrät sich, daß die
Gedichte Storcks zu einem guten Teil Nachklänge von poetischen Tönen andrer
sind, und daß oft genug die bloße Freude am Rhythmus und Reim vorwaltet.
Auch dagegen soll nichts erinnert werden, als daß der Dichter damit die Ver¬
pflichtung übernimmt, seine Form sorgfältig zu Pflegen nud sich vor jeder Tri¬
vialität zu wahren. Daß Storck dieser einfachen Verpflichtung häufig nicht
nachkommt, muß er sich selbst sagen, einzelne ernst gemeinte Gedichte gewinnen
bei ihm geradezu das Ansehen der Parodie. Wenn er Goethe anspricht:


Und doch dich preisend greif' ich III die Saiten,
Du Dichter ersten Ranges aller Zeiten!

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[0322] lyrische Dichtungen teilt Dichter. meist Bilder, welche in einem besondern Lichte erglänzen. Niemals trivial, aber manchmal gesucht, ja gequält, in ihrer Stimmung meist elegisch, selten heiter und hoffnungsvoll, wenden sich diese Erinnerungen und Trcinme, diese Bilder und Balladen an jenen kleinen Leserkreis, welcher Teilnahme für eine Subjek¬ tivität hat, deren Empfinden, Schauen und Gestalten beinahe nirgend mit dem Empfinden und Schauen andrer zusammentrifft. Wie bei der Mehrzahl der neuesten Poeten findet sich anch bei C. F. Meyer ein starker Beisatz von Re¬ flexion, und selbst die kräftigen erzählenden Dichtungen scheinen zum Teil aus einem schmerzlich grüblerischen Sinnen des Dichters erwachsen zu sein. Wen die düstern Grundstimmungen des Verfassers nicht schrecken, dem bietet die Sammlung vorzügliches. Gedichte wie „Lenzfahrt," „Der Marmorknabe," „Das tote Kind," „Jetzt rede du!" „Das Glöcklein," „Einer Toten," „Am Himmelsthor," unter den erzählenden „Der Gesang der Parze," „Das Geisterroß," „Mit zwei Worten," „Die Ketzerin," „Papst Julius," „Miltons Rache" ver¬ dienen mit unsrer Sprache fortzuleben und verbürgen, daß in dem Dichter ein eigner Sinn und eine kräftige Phantasie wirksam sind. Der poetische Ausdruck dieser Eigenschaften ist hier und da schwerflüssig, doch dafür von jeder nach- gcstammelten Phrase und von Wiederholungen frei. Immerhin aber giebt das Überwiegen eines tiefen und schweren Ernstes bei unsern besten Dichtern zu denken; wie würde sich eine Dichtung ausnehmen, in der kein andrer Geist lebte als der, dessen Wehen wir in C. F. Meyers Gedichten empfinden! Der landesüblichen Weise der Lyrik näher steht ein Dichter, dem wir zum erstenmale begegnen. Die Gedichte von Friedrich Storck (Stuttgart, G. I. Göschensche Verlagsbuchhandlung) sind von Plattheiten der Erfindung und abgegriffenem Phrasen nicht frei, die Lässigkeiten des Ausdruckes und, ums schlimmer ist, die Geschmacklosigkeiten im Ton ganzer Gedichte können erkältend wirken. Doch wäre es ungerecht, ein gewisses Talent, ein poetisches Naturell voll Frische und Beweglichkeit in den bessern Gedichten des Bandes zu ver¬ kennen. Namentlich die Lieder, welche an ältere geistliche Weisen anklingen, wie „Vertraue!" und das Frühlingslied „Wach auf," einzelne der Liebeslieder und Waldlieder sind zwar nicht „neu," aber warm empfunden und frisch gesungen. In vielen andern und namentlich in den zahlreichen Glossen verrät sich, daß die Gedichte Storcks zu einem guten Teil Nachklänge von poetischen Tönen andrer sind, und daß oft genug die bloße Freude am Rhythmus und Reim vorwaltet. Auch dagegen soll nichts erinnert werden, als daß der Dichter damit die Ver¬ pflichtung übernimmt, seine Form sorgfältig zu Pflegen nud sich vor jeder Tri¬ vialität zu wahren. Daß Storck dieser einfachen Verpflichtung häufig nicht nachkommt, muß er sich selbst sagen, einzelne ernst gemeinte Gedichte gewinnen bei ihm geradezu das Ansehen der Parodie. Wenn er Goethe anspricht: Und doch dich preisend greif' ich III die Saiten, Du Dichter ersten Ranges aller Zeiten!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/322>, abgerufen am 23.07.2024.