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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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frische Dichtungen und Dichter.

Zum Schlüsse möge noch der Inschriften gedacht sein, über die Schnitzes
Werk ebenfalls einen Abschnitt hat. Auch diese zeigen eine starke Einwirkung
nicht nur des antiken Jnschriftenformnlnrs, sondern auch antike Vorstellungen,
wie der Verfasser im einzelnen zeigt. Die altchristlichen Inschriften haben das
v' N (vis NMiduiz), die echt antike Tröstung Mwo iminortalls, die ebenfalls
heidnische Bezeichnung des Grabes als ckomris Äswrim oder xerxswa söäös,
selbst vom Tartarus, vom Styx und vom Elysium wird bisweilen ge¬
sprochen -- kurz, man merkt überall den durchdringenden Einfluß der antiken
Sitte und Anschauung, aus der sich erst im fünften Jahrhundert die christlichen
Inschriften Herausarbeiten, ohne jedoch je ganz davon frei zu werden. Der
Beweis, "daß die Kluft zwischen den antiken und den altchristlichen Inschriften
nicht so groß ist, wie angenommen wird," kontrastirt freilich sehr mit den üblichen
Auslassungen über dieses Verhältnis. Aber es entspricht durchaus den that¬
sächlichen Verhältnissen, wenn der Verfasser hinzufügt: "Es ist keine gerechte
Beurteilung, nach den schroffen Ausdrücken, welche einzelne antike Epitaphien
bieten, den Geist des griechisch-römischen Jnschriftentums zu bemessen, das an
manchen Punkten eine Innigkeit des Gefühles und eine reine Menschlichkeit
offenbart, welche die altchristlichen Inschriften, mit wenigen Ansncchmen, ver¬
missen lassen."

So bietet denn Schultzes Buch des Neuen und Interessanten viel. Man
ersieht aus demselben schon jetzt klar, welchen bedeutenden Einfluß die Kata-
kvmbenfunde, wenn erst das massenhafte Material vollständig durchgearbeitet
sein wird, auf unsre Anschauungen über die Entwicklung des religiösen Be¬
wußtseins und die Kulturzustände der ersten Christen noch ausüben werden.
Namentlich aus den Inschriften ist "och eine bedeutende dogmcngeschichtliche Aus¬
beute zu erwarten.




Lyrische Dichtungen und Dichter.

Herkömmlich tritt jedes Jahr um die Weihnachtszeit in der
herrschenden Nezensirtemperatur gegenüber der deutschen Lyrik und
lyrischem Epik eine bemerkenswerte Erhöhung ein. Für einige
Wochen dürfen die verpöntem Kinder der Musen sich ihres Lebens
erfreuen, eine Reihe seit einem Jahre staubig gewordener Redens¬
arten von quellender Frische der Empfindung, natürlichen, Fluß des Verses,
feinstem "Schliff der Form" werden in Zeitungen und Wochenschriften hervor¬
geholt, wo sonst das frei variirte Goethische "Schlagt ihn tot den Hund, es ist


frische Dichtungen und Dichter.

Zum Schlüsse möge noch der Inschriften gedacht sein, über die Schnitzes
Werk ebenfalls einen Abschnitt hat. Auch diese zeigen eine starke Einwirkung
nicht nur des antiken Jnschriftenformnlnrs, sondern auch antike Vorstellungen,
wie der Verfasser im einzelnen zeigt. Die altchristlichen Inschriften haben das
v' N (vis NMiduiz), die echt antike Tröstung Mwo iminortalls, die ebenfalls
heidnische Bezeichnung des Grabes als ckomris Äswrim oder xerxswa söäös,
selbst vom Tartarus, vom Styx und vom Elysium wird bisweilen ge¬
sprochen — kurz, man merkt überall den durchdringenden Einfluß der antiken
Sitte und Anschauung, aus der sich erst im fünften Jahrhundert die christlichen
Inschriften Herausarbeiten, ohne jedoch je ganz davon frei zu werden. Der
Beweis, „daß die Kluft zwischen den antiken und den altchristlichen Inschriften
nicht so groß ist, wie angenommen wird," kontrastirt freilich sehr mit den üblichen
Auslassungen über dieses Verhältnis. Aber es entspricht durchaus den that¬
sächlichen Verhältnissen, wenn der Verfasser hinzufügt: „Es ist keine gerechte
Beurteilung, nach den schroffen Ausdrücken, welche einzelne antike Epitaphien
bieten, den Geist des griechisch-römischen Jnschriftentums zu bemessen, das an
manchen Punkten eine Innigkeit des Gefühles und eine reine Menschlichkeit
offenbart, welche die altchristlichen Inschriften, mit wenigen Ansncchmen, ver¬
missen lassen."

So bietet denn Schultzes Buch des Neuen und Interessanten viel. Man
ersieht aus demselben schon jetzt klar, welchen bedeutenden Einfluß die Kata-
kvmbenfunde, wenn erst das massenhafte Material vollständig durchgearbeitet
sein wird, auf unsre Anschauungen über die Entwicklung des religiösen Be¬
wußtseins und die Kulturzustände der ersten Christen noch ausüben werden.
Namentlich aus den Inschriften ist »och eine bedeutende dogmcngeschichtliche Aus¬
beute zu erwarten.




Lyrische Dichtungen und Dichter.

Herkömmlich tritt jedes Jahr um die Weihnachtszeit in der
herrschenden Nezensirtemperatur gegenüber der deutschen Lyrik und
lyrischem Epik eine bemerkenswerte Erhöhung ein. Für einige
Wochen dürfen die verpöntem Kinder der Musen sich ihres Lebens
erfreuen, eine Reihe seit einem Jahre staubig gewordener Redens¬
arten von quellender Frische der Empfindung, natürlichen, Fluß des Verses,
feinstem „Schliff der Form" werden in Zeitungen und Wochenschriften hervor¬
geholt, wo sonst das frei variirte Goethische „Schlagt ihn tot den Hund, es ist


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[0319] frische Dichtungen und Dichter. Zum Schlüsse möge noch der Inschriften gedacht sein, über die Schnitzes Werk ebenfalls einen Abschnitt hat. Auch diese zeigen eine starke Einwirkung nicht nur des antiken Jnschriftenformnlnrs, sondern auch antike Vorstellungen, wie der Verfasser im einzelnen zeigt. Die altchristlichen Inschriften haben das v' N (vis NMiduiz), die echt antike Tröstung Mwo iminortalls, die ebenfalls heidnische Bezeichnung des Grabes als ckomris Äswrim oder xerxswa söäös, selbst vom Tartarus, vom Styx und vom Elysium wird bisweilen ge¬ sprochen — kurz, man merkt überall den durchdringenden Einfluß der antiken Sitte und Anschauung, aus der sich erst im fünften Jahrhundert die christlichen Inschriften Herausarbeiten, ohne jedoch je ganz davon frei zu werden. Der Beweis, „daß die Kluft zwischen den antiken und den altchristlichen Inschriften nicht so groß ist, wie angenommen wird," kontrastirt freilich sehr mit den üblichen Auslassungen über dieses Verhältnis. Aber es entspricht durchaus den that¬ sächlichen Verhältnissen, wenn der Verfasser hinzufügt: „Es ist keine gerechte Beurteilung, nach den schroffen Ausdrücken, welche einzelne antike Epitaphien bieten, den Geist des griechisch-römischen Jnschriftentums zu bemessen, das an manchen Punkten eine Innigkeit des Gefühles und eine reine Menschlichkeit offenbart, welche die altchristlichen Inschriften, mit wenigen Ansncchmen, ver¬ missen lassen." So bietet denn Schultzes Buch des Neuen und Interessanten viel. Man ersieht aus demselben schon jetzt klar, welchen bedeutenden Einfluß die Kata- kvmbenfunde, wenn erst das massenhafte Material vollständig durchgearbeitet sein wird, auf unsre Anschauungen über die Entwicklung des religiösen Be¬ wußtseins und die Kulturzustände der ersten Christen noch ausüben werden. Namentlich aus den Inschriften ist »och eine bedeutende dogmcngeschichtliche Aus¬ beute zu erwarten. Lyrische Dichtungen und Dichter. Herkömmlich tritt jedes Jahr um die Weihnachtszeit in der herrschenden Nezensirtemperatur gegenüber der deutschen Lyrik und lyrischem Epik eine bemerkenswerte Erhöhung ein. Für einige Wochen dürfen die verpöntem Kinder der Musen sich ihres Lebens erfreuen, eine Reihe seit einem Jahre staubig gewordener Redens¬ arten von quellender Frische der Empfindung, natürlichen, Fluß des Verses, feinstem „Schliff der Form" werden in Zeitungen und Wochenschriften hervor¬ geholt, wo sonst das frei variirte Goethische „Schlagt ihn tot den Hund, es ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/319>, abgerufen am 03.07.2024.