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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Rußland am Balkan.

Deutscher bin? Aber ich bin doch hier ein Bulgare, der eifrigste bulgarische
Patriot, und als solcher ein ebenso eifriger Freund Rußlands. Außer mir kränkt
Ihre Presse auch die Bulgaren, welche russischen Urteilen gegenüber überaus
empfindlich sind. So hat z. B. die Rede, welche die Vertreter von Moskau
an den Fürsten von Montenegro richteten, uns sehr betrübt. -- Weshalb,
Eure Hoheit? -- Wie Sie sich erinnern werden, sagte Tschitscherin (der Ober¬
bürgermeister von Moskau): Montenegro ist die einzige slavische Macht, welche
der brüderlichen Politik Rußlands stets treu geblieben ist. Darin sahen wir
einen gegen uns und Serbien gerichteten Vorwurf. Haben wir etwa diesen
Vorwurf verdient? -- Verzeihung, Hoheit, aber das verhielt sich doch nicht
ganz so. Moskau sprach vou der Geschichte, Bulgarien aber hat noch leine,
deshalb konnte auch in der Rede des Oberbürgermeisters von Moskau von Bul¬
garien nicht wohl die Rede sein. -- Ich bin sehr froh, wenn die Dinge so
liegen. Wir wären sonst sehr gekränkt. Ich kann natürlich nicht den Anspruch
auf eine solche Popularität erheben, wie sie der Fürst Nikolai zu genießen so
glücklich ist, ich weiß, daß ich sie nicht verdient habe, aber sie bildet einen Teil
meines Ideals. Man hat mich in Rußland getadelt wegen der politischen Ver¬
änderungen in Bulgarien. Aber leben Sie selbst hier, und Sie werden sich
überzeugen, daß ich nicht anders verfahren konnte. Man hat bei Ihnen die
hiesigen Bewegungen übertrieben. Sie waren wirklich nicht ernsthafter Natur;
viele meiner geschworenen Feinde von gestern bitten mich heute um eine An¬
stellung. Ich wünsche von ganzer Seele, daß Rußland über Bulgarien nur die
Wahrheit erführe. Ich bin überzeugt, daß dann zwischen uns keinerlei Mi߬
verständnis aufkommen könnte.

Ich habe diese Unterhaltung zwischen dem Fürsten von Bulgarien und dem
Reiserednkteur der "Neuen Zeit" hier ihrem ganzen Umfange nach in wörtlicher
Übersetzung wiedergegeben, weil sie nach vielen Richtungen hin interessant ist.
Sie beweist jedenfalls, daß der Fürst seine Sache mit der Rußlands vollständig
identifizirt, und daß Rußland sich auf ihn durchaus verlassen kann.

Ganz ohne Widerspruch ist diese völlige Hingabe an die russischen Inter¬
essen freilich nicht geblieben. Selbst eine Nation wie die heutige bulgarische ist
nicht imstande, auf jede Selbständigkeit ganz zu verzichten; aber die Opposition, an
deren Spitze Dragan Zankoff steht und deren Organ die "Swetlina" ist, ist
ohnmächtig und bringt es über kleine Skandale, wie denjenigen, welcher zur Ver¬
haftung Zankoffs in Rnschtschuk führte, und wie die Demonstration vor dem
Hause Soboleffs am Geburtstage der Kaiserin von Rußland (14./26. November),
nicht hinaus. In der Stunde der Entscheidung wird das Fürstentum dem rus¬
sischen Reiche gehorchen, wie ein gut geschultes Roß dem Schenkeldruck seines
Reiters.

Erwägt man, welcher Anstrengungen es in frühern Türkcnkriegen ans
Seiten Rußlands bedürfte, um nur mit den Douaufestungen fertig zu werden,


Rußland am Balkan.

Deutscher bin? Aber ich bin doch hier ein Bulgare, der eifrigste bulgarische
Patriot, und als solcher ein ebenso eifriger Freund Rußlands. Außer mir kränkt
Ihre Presse auch die Bulgaren, welche russischen Urteilen gegenüber überaus
empfindlich sind. So hat z. B. die Rede, welche die Vertreter von Moskau
an den Fürsten von Montenegro richteten, uns sehr betrübt. — Weshalb,
Eure Hoheit? — Wie Sie sich erinnern werden, sagte Tschitscherin (der Ober¬
bürgermeister von Moskau): Montenegro ist die einzige slavische Macht, welche
der brüderlichen Politik Rußlands stets treu geblieben ist. Darin sahen wir
einen gegen uns und Serbien gerichteten Vorwurf. Haben wir etwa diesen
Vorwurf verdient? — Verzeihung, Hoheit, aber das verhielt sich doch nicht
ganz so. Moskau sprach vou der Geschichte, Bulgarien aber hat noch leine,
deshalb konnte auch in der Rede des Oberbürgermeisters von Moskau von Bul¬
garien nicht wohl die Rede sein. — Ich bin sehr froh, wenn die Dinge so
liegen. Wir wären sonst sehr gekränkt. Ich kann natürlich nicht den Anspruch
auf eine solche Popularität erheben, wie sie der Fürst Nikolai zu genießen so
glücklich ist, ich weiß, daß ich sie nicht verdient habe, aber sie bildet einen Teil
meines Ideals. Man hat mich in Rußland getadelt wegen der politischen Ver¬
änderungen in Bulgarien. Aber leben Sie selbst hier, und Sie werden sich
überzeugen, daß ich nicht anders verfahren konnte. Man hat bei Ihnen die
hiesigen Bewegungen übertrieben. Sie waren wirklich nicht ernsthafter Natur;
viele meiner geschworenen Feinde von gestern bitten mich heute um eine An¬
stellung. Ich wünsche von ganzer Seele, daß Rußland über Bulgarien nur die
Wahrheit erführe. Ich bin überzeugt, daß dann zwischen uns keinerlei Mi߬
verständnis aufkommen könnte.

Ich habe diese Unterhaltung zwischen dem Fürsten von Bulgarien und dem
Reiserednkteur der „Neuen Zeit" hier ihrem ganzen Umfange nach in wörtlicher
Übersetzung wiedergegeben, weil sie nach vielen Richtungen hin interessant ist.
Sie beweist jedenfalls, daß der Fürst seine Sache mit der Rußlands vollständig
identifizirt, und daß Rußland sich auf ihn durchaus verlassen kann.

Ganz ohne Widerspruch ist diese völlige Hingabe an die russischen Inter¬
essen freilich nicht geblieben. Selbst eine Nation wie die heutige bulgarische ist
nicht imstande, auf jede Selbständigkeit ganz zu verzichten; aber die Opposition, an
deren Spitze Dragan Zankoff steht und deren Organ die „Swetlina" ist, ist
ohnmächtig und bringt es über kleine Skandale, wie denjenigen, welcher zur Ver¬
haftung Zankoffs in Rnschtschuk führte, und wie die Demonstration vor dem
Hause Soboleffs am Geburtstage der Kaiserin von Rußland (14./26. November),
nicht hinaus. In der Stunde der Entscheidung wird das Fürstentum dem rus¬
sischen Reiche gehorchen, wie ein gut geschultes Roß dem Schenkeldruck seines
Reiters.

Erwägt man, welcher Anstrengungen es in frühern Türkcnkriegen ans
Seiten Rußlands bedürfte, um nur mit den Douaufestungen fertig zu werden,


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[0314] Rußland am Balkan. Deutscher bin? Aber ich bin doch hier ein Bulgare, der eifrigste bulgarische Patriot, und als solcher ein ebenso eifriger Freund Rußlands. Außer mir kränkt Ihre Presse auch die Bulgaren, welche russischen Urteilen gegenüber überaus empfindlich sind. So hat z. B. die Rede, welche die Vertreter von Moskau an den Fürsten von Montenegro richteten, uns sehr betrübt. — Weshalb, Eure Hoheit? — Wie Sie sich erinnern werden, sagte Tschitscherin (der Ober¬ bürgermeister von Moskau): Montenegro ist die einzige slavische Macht, welche der brüderlichen Politik Rußlands stets treu geblieben ist. Darin sahen wir einen gegen uns und Serbien gerichteten Vorwurf. Haben wir etwa diesen Vorwurf verdient? — Verzeihung, Hoheit, aber das verhielt sich doch nicht ganz so. Moskau sprach vou der Geschichte, Bulgarien aber hat noch leine, deshalb konnte auch in der Rede des Oberbürgermeisters von Moskau von Bul¬ garien nicht wohl die Rede sein. — Ich bin sehr froh, wenn die Dinge so liegen. Wir wären sonst sehr gekränkt. Ich kann natürlich nicht den Anspruch auf eine solche Popularität erheben, wie sie der Fürst Nikolai zu genießen so glücklich ist, ich weiß, daß ich sie nicht verdient habe, aber sie bildet einen Teil meines Ideals. Man hat mich in Rußland getadelt wegen der politischen Ver¬ änderungen in Bulgarien. Aber leben Sie selbst hier, und Sie werden sich überzeugen, daß ich nicht anders verfahren konnte. Man hat bei Ihnen die hiesigen Bewegungen übertrieben. Sie waren wirklich nicht ernsthafter Natur; viele meiner geschworenen Feinde von gestern bitten mich heute um eine An¬ stellung. Ich wünsche von ganzer Seele, daß Rußland über Bulgarien nur die Wahrheit erführe. Ich bin überzeugt, daß dann zwischen uns keinerlei Mi߬ verständnis aufkommen könnte. Ich habe diese Unterhaltung zwischen dem Fürsten von Bulgarien und dem Reiserednkteur der „Neuen Zeit" hier ihrem ganzen Umfange nach in wörtlicher Übersetzung wiedergegeben, weil sie nach vielen Richtungen hin interessant ist. Sie beweist jedenfalls, daß der Fürst seine Sache mit der Rußlands vollständig identifizirt, und daß Rußland sich auf ihn durchaus verlassen kann. Ganz ohne Widerspruch ist diese völlige Hingabe an die russischen Inter¬ essen freilich nicht geblieben. Selbst eine Nation wie die heutige bulgarische ist nicht imstande, auf jede Selbständigkeit ganz zu verzichten; aber die Opposition, an deren Spitze Dragan Zankoff steht und deren Organ die „Swetlina" ist, ist ohnmächtig und bringt es über kleine Skandale, wie denjenigen, welcher zur Ver¬ haftung Zankoffs in Rnschtschuk führte, und wie die Demonstration vor dem Hause Soboleffs am Geburtstage der Kaiserin von Rußland (14./26. November), nicht hinaus. In der Stunde der Entscheidung wird das Fürstentum dem rus¬ sischen Reiche gehorchen, wie ein gut geschultes Roß dem Schenkeldruck seines Reiters. Erwägt man, welcher Anstrengungen es in frühern Türkcnkriegen ans Seiten Rußlands bedürfte, um nur mit den Douaufestungen fertig zu werden,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/314>, abgerufen am 23.07.2024.