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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Rußland am Balkan,

punkte aus diskutirt, jede selbständige Regung wird kurzer Hand als Hochverrat
gebrandmarkt. Man ist auch weit entfernt davon, dem Fürsten seine russen¬
freundliche Haltung hoch anzurechnen, man ist vielmehr der Meinung, daß er
damit nur seine Pflicht erfülle.

Die Bulgaren selbst urteilen kaum anders. Die ehemalige Rajah ist viele
Jahrhunderte lang an die Fremdherrschaft gewöhnt, und die Herrschaft der recht¬
gläubigen, slavischen Russen erscheint ihr natürlich als ein großer Fortschritt
gegenüber dem türkischen Regiment. Die Bewohner des Fürstentums waren in
der That in keiner Weise darauf vorbereitet, die Leitung des Gemeinwesens in
die eigne Hand zu nehmen. Die wenig zahlreiche" gebildeten Bulgaren hatten
ihre Erziehung im Auslande genossen, sie hatten sich teils eine russische, teils
eine deutsche Bildung angeeignet. In beiden Fällen waren sie ihren Volks¬
genossen mehr oder weniger entfremdet, fehlte ihnen eine genaue Kenntnis der
realen Verhältnisse ihrer Heimat. Unter dem türkischen Regiment war ferner
der gebildete Bulgare ein ganz ebenso rechtloser Sklave gewesen wie der Bauer,
der letztere hatte daher vor dem erster" auch keinerlei Respekt. Um der Bildung
als solcher eine Macht einzuräumen, muß man selbst schon mehr oder weniger
gebildet sei". Die bulgarische Intelligenz endlich bestand außer aus patriotischen
Ehrenmännern auch aus einer Anzahl Personen, welche el" langes Exil oder die
Beugung unter das brutale türkische Joch nicht eben besser gemacht hatte. Diese
thaten das ihrige, um die geringe Ehrfurcht, welche der bulgarische Bauer etwa
vor seinen gebildeten Landsleuten hegte, völlig zu beseitigen. So war denn
das Gros der Nation ganz einverstanden damit, daß die Russen das Heft
in den Händen behielten. Gegenwärtig ist die gesamte staatliche Macht des
Landes vollständig in den Händen Rußlands, und zwar nicht nur indirekt, in¬
fofern es dasselbe durch den ihm ganz ergebner Fürsten regiert, sondern auch
direkt, indem alle wirklich einflußreichen Stellungen von russischen Militärs und
Beamten eingenommen werden. In der bulgarischen Armee ist der Bulgare
auf eine noch geringere Stufe herabgedrückt, als die ist, welche die Jndier im
englisch-indischen Heere einnehmen. Vom Kompagnieführer aufwärts bis zum
Kriegsminister von Kaulbars besteht das ganze Offizierkorps einzig und allein
aus Russen. Ein zahlreicher Stamm von russischen Unteroffizieren sorgt dafür,
daß die Vorgesetzten stets die engste Fühlung mit ihren Untergebenen behalten.
Exerziert wird nach dem russischen Reglement, ja die bulgarischen Soldaten
haben sogar die russischen Soldatenlieder lernen müssen, um sie beim Aus- und
Einmarsch singen zu können. Aber das alles genügt noch nicht. Künftig sollen
auch die bulgarischen Subalternoffiziere immer auf zwei Jahre "ach Rußland
geschickt werden, "in durch den Dienst im russischen Heere ganz zu Russen zu
werden. Es leuchtet ein, daß, sobald dies ein paar Jahre lang geschehen sein
wird, die bulgarische Armee sich durch nichts von einem russischen Armeekorps
unterscheiden wird.


Rußland am Balkan,

punkte aus diskutirt, jede selbständige Regung wird kurzer Hand als Hochverrat
gebrandmarkt. Man ist auch weit entfernt davon, dem Fürsten seine russen¬
freundliche Haltung hoch anzurechnen, man ist vielmehr der Meinung, daß er
damit nur seine Pflicht erfülle.

Die Bulgaren selbst urteilen kaum anders. Die ehemalige Rajah ist viele
Jahrhunderte lang an die Fremdherrschaft gewöhnt, und die Herrschaft der recht¬
gläubigen, slavischen Russen erscheint ihr natürlich als ein großer Fortschritt
gegenüber dem türkischen Regiment. Die Bewohner des Fürstentums waren in
der That in keiner Weise darauf vorbereitet, die Leitung des Gemeinwesens in
die eigne Hand zu nehmen. Die wenig zahlreiche» gebildeten Bulgaren hatten
ihre Erziehung im Auslande genossen, sie hatten sich teils eine russische, teils
eine deutsche Bildung angeeignet. In beiden Fällen waren sie ihren Volks¬
genossen mehr oder weniger entfremdet, fehlte ihnen eine genaue Kenntnis der
realen Verhältnisse ihrer Heimat. Unter dem türkischen Regiment war ferner
der gebildete Bulgare ein ganz ebenso rechtloser Sklave gewesen wie der Bauer,
der letztere hatte daher vor dem erster» auch keinerlei Respekt. Um der Bildung
als solcher eine Macht einzuräumen, muß man selbst schon mehr oder weniger
gebildet sei». Die bulgarische Intelligenz endlich bestand außer aus patriotischen
Ehrenmännern auch aus einer Anzahl Personen, welche el» langes Exil oder die
Beugung unter das brutale türkische Joch nicht eben besser gemacht hatte. Diese
thaten das ihrige, um die geringe Ehrfurcht, welche der bulgarische Bauer etwa
vor seinen gebildeten Landsleuten hegte, völlig zu beseitigen. So war denn
das Gros der Nation ganz einverstanden damit, daß die Russen das Heft
in den Händen behielten. Gegenwärtig ist die gesamte staatliche Macht des
Landes vollständig in den Händen Rußlands, und zwar nicht nur indirekt, in¬
fofern es dasselbe durch den ihm ganz ergebner Fürsten regiert, sondern auch
direkt, indem alle wirklich einflußreichen Stellungen von russischen Militärs und
Beamten eingenommen werden. In der bulgarischen Armee ist der Bulgare
auf eine noch geringere Stufe herabgedrückt, als die ist, welche die Jndier im
englisch-indischen Heere einnehmen. Vom Kompagnieführer aufwärts bis zum
Kriegsminister von Kaulbars besteht das ganze Offizierkorps einzig und allein
aus Russen. Ein zahlreicher Stamm von russischen Unteroffizieren sorgt dafür,
daß die Vorgesetzten stets die engste Fühlung mit ihren Untergebenen behalten.
Exerziert wird nach dem russischen Reglement, ja die bulgarischen Soldaten
haben sogar die russischen Soldatenlieder lernen müssen, um sie beim Aus- und
Einmarsch singen zu können. Aber das alles genügt noch nicht. Künftig sollen
auch die bulgarischen Subalternoffiziere immer auf zwei Jahre »ach Rußland
geschickt werden, »in durch den Dienst im russischen Heere ganz zu Russen zu
werden. Es leuchtet ein, daß, sobald dies ein paar Jahre lang geschehen sein
wird, die bulgarische Armee sich durch nichts von einem russischen Armeekorps
unterscheiden wird.


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[0309] Rußland am Balkan, punkte aus diskutirt, jede selbständige Regung wird kurzer Hand als Hochverrat gebrandmarkt. Man ist auch weit entfernt davon, dem Fürsten seine russen¬ freundliche Haltung hoch anzurechnen, man ist vielmehr der Meinung, daß er damit nur seine Pflicht erfülle. Die Bulgaren selbst urteilen kaum anders. Die ehemalige Rajah ist viele Jahrhunderte lang an die Fremdherrschaft gewöhnt, und die Herrschaft der recht¬ gläubigen, slavischen Russen erscheint ihr natürlich als ein großer Fortschritt gegenüber dem türkischen Regiment. Die Bewohner des Fürstentums waren in der That in keiner Weise darauf vorbereitet, die Leitung des Gemeinwesens in die eigne Hand zu nehmen. Die wenig zahlreiche» gebildeten Bulgaren hatten ihre Erziehung im Auslande genossen, sie hatten sich teils eine russische, teils eine deutsche Bildung angeeignet. In beiden Fällen waren sie ihren Volks¬ genossen mehr oder weniger entfremdet, fehlte ihnen eine genaue Kenntnis der realen Verhältnisse ihrer Heimat. Unter dem türkischen Regiment war ferner der gebildete Bulgare ein ganz ebenso rechtloser Sklave gewesen wie der Bauer, der letztere hatte daher vor dem erster» auch keinerlei Respekt. Um der Bildung als solcher eine Macht einzuräumen, muß man selbst schon mehr oder weniger gebildet sei». Die bulgarische Intelligenz endlich bestand außer aus patriotischen Ehrenmännern auch aus einer Anzahl Personen, welche el» langes Exil oder die Beugung unter das brutale türkische Joch nicht eben besser gemacht hatte. Diese thaten das ihrige, um die geringe Ehrfurcht, welche der bulgarische Bauer etwa vor seinen gebildeten Landsleuten hegte, völlig zu beseitigen. So war denn das Gros der Nation ganz einverstanden damit, daß die Russen das Heft in den Händen behielten. Gegenwärtig ist die gesamte staatliche Macht des Landes vollständig in den Händen Rußlands, und zwar nicht nur indirekt, in¬ fofern es dasselbe durch den ihm ganz ergebner Fürsten regiert, sondern auch direkt, indem alle wirklich einflußreichen Stellungen von russischen Militärs und Beamten eingenommen werden. In der bulgarischen Armee ist der Bulgare auf eine noch geringere Stufe herabgedrückt, als die ist, welche die Jndier im englisch-indischen Heere einnehmen. Vom Kompagnieführer aufwärts bis zum Kriegsminister von Kaulbars besteht das ganze Offizierkorps einzig und allein aus Russen. Ein zahlreicher Stamm von russischen Unteroffizieren sorgt dafür, daß die Vorgesetzten stets die engste Fühlung mit ihren Untergebenen behalten. Exerziert wird nach dem russischen Reglement, ja die bulgarischen Soldaten haben sogar die russischen Soldatenlieder lernen müssen, um sie beim Aus- und Einmarsch singen zu können. Aber das alles genügt noch nicht. Künftig sollen auch die bulgarischen Subalternoffiziere immer auf zwei Jahre »ach Rußland geschickt werden, »in durch den Dienst im russischen Heere ganz zu Russen zu werden. Es leuchtet ein, daß, sobald dies ein paar Jahre lang geschehen sein wird, die bulgarische Armee sich durch nichts von einem russischen Armeekorps unterscheiden wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/309>, abgerufen am 23.07.2024.