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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Der zweite Pariser Krach,

geworden ist und jede Menge der frühern Zeit weit hinter sich läßt, besonders
auch deshalb, weil ehedem die Rentiers sich meist auf die Städte beschränkten,
während sie sich gegenwärtig sehr stark über die ländliche Bevölkerung verbreiten,
so ist doch für deu Charakter der Finanzbeziehungen der französischen Bevölkerung
die -Reute nicht mehr ausschließlich maßgebend. Wir haben schon bemerkt,
daß auch dies wesentlich ein Werk Rothschilds ist. Was ihm zuvor bei laugen
und mannichfachen Versuchen zur Einführung fremder Titel nicht glücken wollte,
ergab sich von selbst mit der Einführung des Eisenbahnwesens und der Über¬
lassung desselben an die Privntspeknlation, was in Frankreich, wo doch die
Neigung der Staatsgewalt zum Gouverniren eine sehr starke ist, von vornherein
auf deu direkten Einfluß Rothschilds auf die Münster, deu König und die
Kammern selbst zurückzuführen ist. Was man damals in Frankreich sagte: daß
die Deputirten nur Knappen Rothschilds und der Börse seien, empfing mit Be¬
ginn des Eisenbahnbaues erst seine tiefere Bedeutung, und die Korrumpirung
der Staatsgewalten und der Publizität wurde damals erst zum System durch¬
gebildet.

Dieses System der Korrumpirung kommt zur nacktesten Erscheinung in der
"Betciluug" mit finanziellen Vorteilen, für welches leicht eine Form gefunden
war. Und diese Form, obgleich sie das Wesen der Korruption nicht zu ver¬
decken vermag, konnte lange Zeit, kann sogar noch heute der Sache in den
Augen des naiven Publikums einen ansehnlichen Anstrich geben und hat schließlich
bis zum unverschämtesten Handel mit Publizität geführt. Thatsächlich sind
heute die 209 Finanzblätter, die Frankreich zu besitzen so glücklich ist und die
zu einem erheblichen Teile gratis in das Publikum ausgestreut werden, sowie
die "ökonomischen" und "kommerziellen" Teile sämtlicher politischen Blätter
Frankreichs lediglich OoMe des Schachers, und dieselben sind sogar zum größten
Teil im Besitze von Aktiengesellschaften oder Banken, welche die finanzielle Aus¬
beutung derselben zum offen betriebenen Geschäfte machen. Und soweit ist man
schon in der Verderbtheit der Anschauungen vorgeschritten, daß, als kürzlich
bekannt wurde, gelegentlich der Laneirung der sogenannten "privilegirten otto¬
manischen Anleihe" -- eines schönen Wechselbalgs übrigens -- sei von der


besitz zu vermindern, wo man den Besitz andrer Titel halten wollte, andrerseits viele ver¬
anlaßten, den Besitz rein spekulativer Titel ganz aufzugeben und dafür Rente zu erwerben,
selbstverständlich nun in erheblich geringern: Kapitalbctrage. Indeß wollen wir nicht un¬
berührt lassen, daß auf jene wirklich erstaunliche Vermehrung der kleinen Rentiers in den
drei Repnblikjnhrcn von 1848--1851 ein ge>oisser politischer Druck ebenfalls ivirksanl geivesen
sein wird, indem die republikanische Regierung, um das starke Sinken der Rente zu hemmen,
den kleinen und größer" Kapitalisten die patriotische Pflicht, ihre Erübrigungen in Renie
anzulegen, nahe legen ließ, wobei die französische Einrichtung, die Steuereinnehmer als Ver¬
mittler zwischen Publikum und Börse zu benutzen -- politisch und wirtschaftlich übrigens
eine höchst verwerfliche Einrichtung, obgleich sie jüngst Herr Professor Wagner im preußischen
Landtage empfohlen hat --, von großer Wirksamkeit war.
Der zweite Pariser Krach,

geworden ist und jede Menge der frühern Zeit weit hinter sich läßt, besonders
auch deshalb, weil ehedem die Rentiers sich meist auf die Städte beschränkten,
während sie sich gegenwärtig sehr stark über die ländliche Bevölkerung verbreiten,
so ist doch für deu Charakter der Finanzbeziehungen der französischen Bevölkerung
die -Reute nicht mehr ausschließlich maßgebend. Wir haben schon bemerkt,
daß auch dies wesentlich ein Werk Rothschilds ist. Was ihm zuvor bei laugen
und mannichfachen Versuchen zur Einführung fremder Titel nicht glücken wollte,
ergab sich von selbst mit der Einführung des Eisenbahnwesens und der Über¬
lassung desselben an die Privntspeknlation, was in Frankreich, wo doch die
Neigung der Staatsgewalt zum Gouverniren eine sehr starke ist, von vornherein
auf deu direkten Einfluß Rothschilds auf die Münster, deu König und die
Kammern selbst zurückzuführen ist. Was man damals in Frankreich sagte: daß
die Deputirten nur Knappen Rothschilds und der Börse seien, empfing mit Be¬
ginn des Eisenbahnbaues erst seine tiefere Bedeutung, und die Korrumpirung
der Staatsgewalten und der Publizität wurde damals erst zum System durch¬
gebildet.

Dieses System der Korrumpirung kommt zur nacktesten Erscheinung in der
„Betciluug" mit finanziellen Vorteilen, für welches leicht eine Form gefunden
war. Und diese Form, obgleich sie das Wesen der Korruption nicht zu ver¬
decken vermag, konnte lange Zeit, kann sogar noch heute der Sache in den
Augen des naiven Publikums einen ansehnlichen Anstrich geben und hat schließlich
bis zum unverschämtesten Handel mit Publizität geführt. Thatsächlich sind
heute die 209 Finanzblätter, die Frankreich zu besitzen so glücklich ist und die
zu einem erheblichen Teile gratis in das Publikum ausgestreut werden, sowie
die „ökonomischen" und „kommerziellen" Teile sämtlicher politischen Blätter
Frankreichs lediglich OoMe des Schachers, und dieselben sind sogar zum größten
Teil im Besitze von Aktiengesellschaften oder Banken, welche die finanzielle Aus¬
beutung derselben zum offen betriebenen Geschäfte machen. Und soweit ist man
schon in der Verderbtheit der Anschauungen vorgeschritten, daß, als kürzlich
bekannt wurde, gelegentlich der Laneirung der sogenannten „privilegirten otto¬
manischen Anleihe" — eines schönen Wechselbalgs übrigens — sei von der


besitz zu vermindern, wo man den Besitz andrer Titel halten wollte, andrerseits viele ver¬
anlaßten, den Besitz rein spekulativer Titel ganz aufzugeben und dafür Rente zu erwerben,
selbstverständlich nun in erheblich geringern: Kapitalbctrage. Indeß wollen wir nicht un¬
berührt lassen, daß auf jene wirklich erstaunliche Vermehrung der kleinen Rentiers in den
drei Repnblikjnhrcn von 1848—1851 ein ge>oisser politischer Druck ebenfalls ivirksanl geivesen
sein wird, indem die republikanische Regierung, um das starke Sinken der Rente zu hemmen,
den kleinen und größer» Kapitalisten die patriotische Pflicht, ihre Erübrigungen in Renie
anzulegen, nahe legen ließ, wobei die französische Einrichtung, die Steuereinnehmer als Ver¬
mittler zwischen Publikum und Börse zu benutzen — politisch und wirtschaftlich übrigens
eine höchst verwerfliche Einrichtung, obgleich sie jüngst Herr Professor Wagner im preußischen
Landtage empfohlen hat —, von großer Wirksamkeit war.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/300>, abgerufen am 23.07.2024.