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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die französische Rolomcilpolitik und England,

Restaurationsepoche, von der Julimonarchie und vom zweiten Kaiserreiche be¬
günstigt wurde, nachdem schon die alten absolutistischen Könige Frankreichs, na¬
mentlich im Jndianerlcmde Nordamerikas, in Canada, südlich von der Kette der
großen Seen und im Mississivpithale, zum Teil mit Hilfe der Jesuiten, gro߬
artige Pläne dieser Art auszuführen begonnen hatten, damit aber an den Hinder¬
nissen gescheitert waren, die ihnen der besser zur Gründung von Niederlassungen
geeignete Geist Englands und der Puritaner der Jankeestaaten entgegenstellte.

Napoleon der Erste, der zur See kein Glück hatte, verkaufte das ungeheure
Gebiet von Louisiana, welches damals das ganze Mississippithal in sich begriff,
an die Vereinigten Staaten, und zog Eroberungen in Europa vor, wo er einige
Jahre lang Herr und Meister war. Die 1815 wieder auf den Thron gesetzten
Bourbonen gingen mit ihrer Flotte über das Mittelländische Meer, griffen den
Seeräuberstaat Algier an, vernichteten ihn und legten die Grundlagen zu einem
nordafrikanischen Reiche von erheblicher Ausdehnung, welches von Ludwig Phi¬
lipp erweitert und befestigt und von der gegenwärtigen Republik durch Annexion
von Tunesien nochmals vergrößert wurde. Unter Napoleon III. spielte die
französische Flagge an den europäischen und levantinischen Küsten wiederholt
eine bedeutende Rolle, daneben aber wurden die ferner gelegenen Besitzungen
nicht vernachlässigt, und die große Expedition nach Mexiko, indirekt gegen die
nordamerikanische Republik gerichtet, bewies, wie weitreichend, freilich aber auch
wie unklar und wie wenig auf Kenntnis und verständige Beurteilung der That¬
sachen gegründet die Pläne waren, welche der Kaiser jenseits des Atlantischen
Meeres verfolgte. Infolge der Nnpolevnischen Katastrophe hatte die jetzige Re¬
publik länger als ein Jahrzehnt zuviel daheim zu sorgen und zu schaffen, um
an überseeische Unternehmungen denken zu können, Sie hatte gewaltige fiska¬
lische und finanzielle Aufgaben zu lösen, sich des Audringens der monarchischen
Parteien zu erwehren, die republikanische Staatsform auszubauen, das Heer neu
zu bilden und eine Anzahl innerer Einrichtungen umzugestalten. Indeß kehrte
zuletzt der Augenblick zurück, wo der Wunsch nach Ausdehnung sich von neuem
fühlbar machte, und das erste Symptom desselben war der Einbruch in Tunis,
wo die Krnmirs einen brauchbaren Vorwand geliefert hatten. Der Minister
Waddington gestand ganz offen, daß die tunesische Expedition einer Politik ent¬
sprungen sei, die auf Ausdehnung des Einflusses und Besitzstandes Frankreichs
jenseits der Meere gerichtet war. Früher schon ohne Zweifel hatten die Staats¬
männer der Republik die Idee Ludwig Napoleons weiter ausgesponnen, die sie
in Cochinchina teilweise verwirklicht gefunden hatten, und so gingen sie nach
Tonkin; desgleichen verloren sie den Senegal und die französischen Nieder¬
lassungen in Westafrika zu keiner Zeit ganz aus den Augen.

Indeß hatte man in den letzten beiden Jahren seine Blicke noch vorzugs¬
weise auf Tunesien und auf die Mittel und Wege zu richten, mit denen das¬
selbe in eine französische Provinz zu verwandeln war. Seitdem dies aus dem


Die französische Rolomcilpolitik und England,

Restaurationsepoche, von der Julimonarchie und vom zweiten Kaiserreiche be¬
günstigt wurde, nachdem schon die alten absolutistischen Könige Frankreichs, na¬
mentlich im Jndianerlcmde Nordamerikas, in Canada, südlich von der Kette der
großen Seen und im Mississivpithale, zum Teil mit Hilfe der Jesuiten, gro߬
artige Pläne dieser Art auszuführen begonnen hatten, damit aber an den Hinder¬
nissen gescheitert waren, die ihnen der besser zur Gründung von Niederlassungen
geeignete Geist Englands und der Puritaner der Jankeestaaten entgegenstellte.

Napoleon der Erste, der zur See kein Glück hatte, verkaufte das ungeheure
Gebiet von Louisiana, welches damals das ganze Mississippithal in sich begriff,
an die Vereinigten Staaten, und zog Eroberungen in Europa vor, wo er einige
Jahre lang Herr und Meister war. Die 1815 wieder auf den Thron gesetzten
Bourbonen gingen mit ihrer Flotte über das Mittelländische Meer, griffen den
Seeräuberstaat Algier an, vernichteten ihn und legten die Grundlagen zu einem
nordafrikanischen Reiche von erheblicher Ausdehnung, welches von Ludwig Phi¬
lipp erweitert und befestigt und von der gegenwärtigen Republik durch Annexion
von Tunesien nochmals vergrößert wurde. Unter Napoleon III. spielte die
französische Flagge an den europäischen und levantinischen Küsten wiederholt
eine bedeutende Rolle, daneben aber wurden die ferner gelegenen Besitzungen
nicht vernachlässigt, und die große Expedition nach Mexiko, indirekt gegen die
nordamerikanische Republik gerichtet, bewies, wie weitreichend, freilich aber auch
wie unklar und wie wenig auf Kenntnis und verständige Beurteilung der That¬
sachen gegründet die Pläne waren, welche der Kaiser jenseits des Atlantischen
Meeres verfolgte. Infolge der Nnpolevnischen Katastrophe hatte die jetzige Re¬
publik länger als ein Jahrzehnt zuviel daheim zu sorgen und zu schaffen, um
an überseeische Unternehmungen denken zu können, Sie hatte gewaltige fiska¬
lische und finanzielle Aufgaben zu lösen, sich des Audringens der monarchischen
Parteien zu erwehren, die republikanische Staatsform auszubauen, das Heer neu
zu bilden und eine Anzahl innerer Einrichtungen umzugestalten. Indeß kehrte
zuletzt der Augenblick zurück, wo der Wunsch nach Ausdehnung sich von neuem
fühlbar machte, und das erste Symptom desselben war der Einbruch in Tunis,
wo die Krnmirs einen brauchbaren Vorwand geliefert hatten. Der Minister
Waddington gestand ganz offen, daß die tunesische Expedition einer Politik ent¬
sprungen sei, die auf Ausdehnung des Einflusses und Besitzstandes Frankreichs
jenseits der Meere gerichtet war. Früher schon ohne Zweifel hatten die Staats¬
männer der Republik die Idee Ludwig Napoleons weiter ausgesponnen, die sie
in Cochinchina teilweise verwirklicht gefunden hatten, und so gingen sie nach
Tonkin; desgleichen verloren sie den Senegal und die französischen Nieder¬
lassungen in Westafrika zu keiner Zeit ganz aus den Augen.

Indeß hatte man in den letzten beiden Jahren seine Blicke noch vorzugs¬
weise auf Tunesien und auf die Mittel und Wege zu richten, mit denen das¬
selbe in eine französische Provinz zu verwandeln war. Seitdem dies aus dem


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[0291] Die französische Rolomcilpolitik und England, Restaurationsepoche, von der Julimonarchie und vom zweiten Kaiserreiche be¬ günstigt wurde, nachdem schon die alten absolutistischen Könige Frankreichs, na¬ mentlich im Jndianerlcmde Nordamerikas, in Canada, südlich von der Kette der großen Seen und im Mississivpithale, zum Teil mit Hilfe der Jesuiten, gro߬ artige Pläne dieser Art auszuführen begonnen hatten, damit aber an den Hinder¬ nissen gescheitert waren, die ihnen der besser zur Gründung von Niederlassungen geeignete Geist Englands und der Puritaner der Jankeestaaten entgegenstellte. Napoleon der Erste, der zur See kein Glück hatte, verkaufte das ungeheure Gebiet von Louisiana, welches damals das ganze Mississippithal in sich begriff, an die Vereinigten Staaten, und zog Eroberungen in Europa vor, wo er einige Jahre lang Herr und Meister war. Die 1815 wieder auf den Thron gesetzten Bourbonen gingen mit ihrer Flotte über das Mittelländische Meer, griffen den Seeräuberstaat Algier an, vernichteten ihn und legten die Grundlagen zu einem nordafrikanischen Reiche von erheblicher Ausdehnung, welches von Ludwig Phi¬ lipp erweitert und befestigt und von der gegenwärtigen Republik durch Annexion von Tunesien nochmals vergrößert wurde. Unter Napoleon III. spielte die französische Flagge an den europäischen und levantinischen Küsten wiederholt eine bedeutende Rolle, daneben aber wurden die ferner gelegenen Besitzungen nicht vernachlässigt, und die große Expedition nach Mexiko, indirekt gegen die nordamerikanische Republik gerichtet, bewies, wie weitreichend, freilich aber auch wie unklar und wie wenig auf Kenntnis und verständige Beurteilung der That¬ sachen gegründet die Pläne waren, welche der Kaiser jenseits des Atlantischen Meeres verfolgte. Infolge der Nnpolevnischen Katastrophe hatte die jetzige Re¬ publik länger als ein Jahrzehnt zuviel daheim zu sorgen und zu schaffen, um an überseeische Unternehmungen denken zu können, Sie hatte gewaltige fiska¬ lische und finanzielle Aufgaben zu lösen, sich des Audringens der monarchischen Parteien zu erwehren, die republikanische Staatsform auszubauen, das Heer neu zu bilden und eine Anzahl innerer Einrichtungen umzugestalten. Indeß kehrte zuletzt der Augenblick zurück, wo der Wunsch nach Ausdehnung sich von neuem fühlbar machte, und das erste Symptom desselben war der Einbruch in Tunis, wo die Krnmirs einen brauchbaren Vorwand geliefert hatten. Der Minister Waddington gestand ganz offen, daß die tunesische Expedition einer Politik ent¬ sprungen sei, die auf Ausdehnung des Einflusses und Besitzstandes Frankreichs jenseits der Meere gerichtet war. Früher schon ohne Zweifel hatten die Staats¬ männer der Republik die Idee Ludwig Napoleons weiter ausgesponnen, die sie in Cochinchina teilweise verwirklicht gefunden hatten, und so gingen sie nach Tonkin; desgleichen verloren sie den Senegal und die französischen Nieder¬ lassungen in Westafrika zu keiner Zeit ganz aus den Augen. Indeß hatte man in den letzten beiden Jahren seine Blicke noch vorzugs¬ weise auf Tunesien und auf die Mittel und Wege zu richten, mit denen das¬ selbe in eine französische Provinz zu verwandeln war. Seitdem dies aus dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/291>, abgerufen am 25.08.2024.