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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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nicht anders. Ein Bürgerlicher ist in ihren Augen eine niedrigere Art von Menschen¬
gattung, und nun gar der Sohn eines Ackerbürgers und einer Kammerjungfer,
die in ihren eignen Diensten stand, der Bruder einer -- Gesellschaftsdame!

Du magst nun sagen, was dn willst, und nach deiner Manier über alles
herfallen, was über dir steht, sagte Millicent mit zornroten Wangen, ein- für
allemal verbitte ich mir jedes Lästern Dorotheens in meiner Gegenwart, Sie
hat ein Herz wie Gold, sie ist so liebenswürdig, sie ist zu mir wie eine Schwester
zur andern, Sie ist so dankbar für jeden Beweis der Liebe, und sie hat der
Liebe so sehr entbehren müssen, wie du recht wohl weißt,

Rudolf blinzelte, ganz ungerührt, listig mit den Augen,

Mir scheint, sie will es jetzt mit der Liebe nachholen, sagte er. Sich doch
nur, meine kluge Mittl, wie sie den schönen Maler anguckt!

Aber in diesem Augenblicke öffnete sich die Thür, und das Gespräch der
Geschwister wurde durch das Eintreten der Tante unterbrochen, welche ankün¬
digte, daß das Abendessen aufgetragen sei. Das Gesicht der guten Frau glänzte
im Bewußtsein vollbrachter großer Thaten, denn bis zu diesem Augenblicke war
sie in Speisekammer, Küche und Keller thätig gewesen, um den Tisch zu Ehren
ihres Neffen reichlicher als sonst zu besetzen und die Ehre ihres Namens als
der gediegensten Hausfrau des ganzen Kreises aufrecht zu erhalten,

Ihre Ankündigung wurde vou Herrn Rudolf nicht ungern vernommen,
denn so sehr er sich in seiner jetzigen Stellung und Einsicht erhaben fühlte über
die beschränkte Lebensauffassung des Inspektorhauses, so wußte er doch recht
wohl, daß er in ganz Holzfurt vergeblich nach solchen Rückenteilen gemästeter
Ochsen und Kälber, nach solchem Geflügel und solchen Pasteten suchen würde,
wie sie von der verehrungswürdigen Tante zur Belastung der Tafel herbei¬
geschafft wurden.

Er bot der stattlichen Matrone, der die weiße Haube gar ehrbar auf dem
grauen Haupte saß, mit städtischer Höflichkeit den Arm und führte sie in das
Erdgeschoß zu dem wohlbekannten Eßzimmer, dessen solide Stühle auf deu Besuch
gewichtiger Männer eingerichtet waren, und dessen Mitteltisch, ebenfalls aus
kernigem Holze geschnitten, schon manchem Kreise stämmiger Landwirte und dem
Andrang schwerer Schüsseln und ungezählter Flaschen Stand gehalten hatte.
Es Pflegte sich in diesem Zimmer nicht um Kleinigkeiten zu handeln, hier wurden
nicht nach windiger französischer Manier aus Sardinen, Salat und Kartoffeln
drei Gänge gemacht. Wie die Breite und Festigkeit der Sitze, so sprach auch
die Farbenstimmung der Dekoration, ein tiefer brauner Ton mit schwarzer Um¬
rahmung, von germanischem Ernste. Lockende Darstellungen heiterer Zecher am
Fasse und mit goldschimmernden Pokalen zierten die Wände, abwechselnd mit
den Bildnissen der besten Pferde Eichhüuser Zucht, wie edler Nenner, die preis¬
gekrönt zu Hoppegarten und Hamburg gelaufen waren. Dazwischen ragten die
Gehörne von Rchböcken hervor, die dem Gewehre des Inspektors zum Opfer


nicht anders. Ein Bürgerlicher ist in ihren Augen eine niedrigere Art von Menschen¬
gattung, und nun gar der Sohn eines Ackerbürgers und einer Kammerjungfer,
die in ihren eignen Diensten stand, der Bruder einer — Gesellschaftsdame!

Du magst nun sagen, was dn willst, und nach deiner Manier über alles
herfallen, was über dir steht, sagte Millicent mit zornroten Wangen, ein- für
allemal verbitte ich mir jedes Lästern Dorotheens in meiner Gegenwart, Sie
hat ein Herz wie Gold, sie ist so liebenswürdig, sie ist zu mir wie eine Schwester
zur andern, Sie ist so dankbar für jeden Beweis der Liebe, und sie hat der
Liebe so sehr entbehren müssen, wie du recht wohl weißt,

Rudolf blinzelte, ganz ungerührt, listig mit den Augen,

Mir scheint, sie will es jetzt mit der Liebe nachholen, sagte er. Sich doch
nur, meine kluge Mittl, wie sie den schönen Maler anguckt!

Aber in diesem Augenblicke öffnete sich die Thür, und das Gespräch der
Geschwister wurde durch das Eintreten der Tante unterbrochen, welche ankün¬
digte, daß das Abendessen aufgetragen sei. Das Gesicht der guten Frau glänzte
im Bewußtsein vollbrachter großer Thaten, denn bis zu diesem Augenblicke war
sie in Speisekammer, Küche und Keller thätig gewesen, um den Tisch zu Ehren
ihres Neffen reichlicher als sonst zu besetzen und die Ehre ihres Namens als
der gediegensten Hausfrau des ganzen Kreises aufrecht zu erhalten,

Ihre Ankündigung wurde vou Herrn Rudolf nicht ungern vernommen,
denn so sehr er sich in seiner jetzigen Stellung und Einsicht erhaben fühlte über
die beschränkte Lebensauffassung des Inspektorhauses, so wußte er doch recht
wohl, daß er in ganz Holzfurt vergeblich nach solchen Rückenteilen gemästeter
Ochsen und Kälber, nach solchem Geflügel und solchen Pasteten suchen würde,
wie sie von der verehrungswürdigen Tante zur Belastung der Tafel herbei¬
geschafft wurden.

Er bot der stattlichen Matrone, der die weiße Haube gar ehrbar auf dem
grauen Haupte saß, mit städtischer Höflichkeit den Arm und führte sie in das
Erdgeschoß zu dem wohlbekannten Eßzimmer, dessen solide Stühle auf deu Besuch
gewichtiger Männer eingerichtet waren, und dessen Mitteltisch, ebenfalls aus
kernigem Holze geschnitten, schon manchem Kreise stämmiger Landwirte und dem
Andrang schwerer Schüsseln und ungezählter Flaschen Stand gehalten hatte.
Es Pflegte sich in diesem Zimmer nicht um Kleinigkeiten zu handeln, hier wurden
nicht nach windiger französischer Manier aus Sardinen, Salat und Kartoffeln
drei Gänge gemacht. Wie die Breite und Festigkeit der Sitze, so sprach auch
die Farbenstimmung der Dekoration, ein tiefer brauner Ton mit schwarzer Um¬
rahmung, von germanischem Ernste. Lockende Darstellungen heiterer Zecher am
Fasse und mit goldschimmernden Pokalen zierten die Wände, abwechselnd mit
den Bildnissen der besten Pferde Eichhüuser Zucht, wie edler Nenner, die preis¬
gekrönt zu Hoppegarten und Hamburg gelaufen waren. Dazwischen ragten die
Gehörne von Rchböcken hervor, die dem Gewehre des Inspektors zum Opfer


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[0283] nicht anders. Ein Bürgerlicher ist in ihren Augen eine niedrigere Art von Menschen¬ gattung, und nun gar der Sohn eines Ackerbürgers und einer Kammerjungfer, die in ihren eignen Diensten stand, der Bruder einer — Gesellschaftsdame! Du magst nun sagen, was dn willst, und nach deiner Manier über alles herfallen, was über dir steht, sagte Millicent mit zornroten Wangen, ein- für allemal verbitte ich mir jedes Lästern Dorotheens in meiner Gegenwart, Sie hat ein Herz wie Gold, sie ist so liebenswürdig, sie ist zu mir wie eine Schwester zur andern, Sie ist so dankbar für jeden Beweis der Liebe, und sie hat der Liebe so sehr entbehren müssen, wie du recht wohl weißt, Rudolf blinzelte, ganz ungerührt, listig mit den Augen, Mir scheint, sie will es jetzt mit der Liebe nachholen, sagte er. Sich doch nur, meine kluge Mittl, wie sie den schönen Maler anguckt! Aber in diesem Augenblicke öffnete sich die Thür, und das Gespräch der Geschwister wurde durch das Eintreten der Tante unterbrochen, welche ankün¬ digte, daß das Abendessen aufgetragen sei. Das Gesicht der guten Frau glänzte im Bewußtsein vollbrachter großer Thaten, denn bis zu diesem Augenblicke war sie in Speisekammer, Küche und Keller thätig gewesen, um den Tisch zu Ehren ihres Neffen reichlicher als sonst zu besetzen und die Ehre ihres Namens als der gediegensten Hausfrau des ganzen Kreises aufrecht zu erhalten, Ihre Ankündigung wurde vou Herrn Rudolf nicht ungern vernommen, denn so sehr er sich in seiner jetzigen Stellung und Einsicht erhaben fühlte über die beschränkte Lebensauffassung des Inspektorhauses, so wußte er doch recht wohl, daß er in ganz Holzfurt vergeblich nach solchen Rückenteilen gemästeter Ochsen und Kälber, nach solchem Geflügel und solchen Pasteten suchen würde, wie sie von der verehrungswürdigen Tante zur Belastung der Tafel herbei¬ geschafft wurden. Er bot der stattlichen Matrone, der die weiße Haube gar ehrbar auf dem grauen Haupte saß, mit städtischer Höflichkeit den Arm und führte sie in das Erdgeschoß zu dem wohlbekannten Eßzimmer, dessen solide Stühle auf deu Besuch gewichtiger Männer eingerichtet waren, und dessen Mitteltisch, ebenfalls aus kernigem Holze geschnitten, schon manchem Kreise stämmiger Landwirte und dem Andrang schwerer Schüsseln und ungezählter Flaschen Stand gehalten hatte. Es Pflegte sich in diesem Zimmer nicht um Kleinigkeiten zu handeln, hier wurden nicht nach windiger französischer Manier aus Sardinen, Salat und Kartoffeln drei Gänge gemacht. Wie die Breite und Festigkeit der Sitze, so sprach auch die Farbenstimmung der Dekoration, ein tiefer brauner Ton mit schwarzer Um¬ rahmung, von germanischem Ernste. Lockende Darstellungen heiterer Zecher am Fasse und mit goldschimmernden Pokalen zierten die Wände, abwechselnd mit den Bildnissen der besten Pferde Eichhüuser Zucht, wie edler Nenner, die preis¬ gekrönt zu Hoppegarten und Hamburg gelaufen waren. Dazwischen ragten die Gehörne von Rchböcken hervor, die dem Gewehre des Inspektors zum Opfer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/283>, abgerufen am 23.07.2024.