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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

wieder nach. Und dem alten Degenhard steckt noch die militärische Dressur im
Leibe, und er macht es wie die ausrangirten Kavalleriepfcrde vor der Droschke,
die beim Trompetensignal durchgehen.

Weißt du, wie es mit dem Grafen ist? Ich kann so etwas nicht ruhig
mit anhören, rief Millicent eifrig. Der Graf könnte ganz bequem leben, denn
er hat eine Pension von mehr als dreitausend Thalern, und das Grundstück
gehört ihm. Aber er giebt sein Geld an bedürftige Kameraden weg, die
ihn darum angehen, er verleiht ohne Sicherheit, oder verschenkt wohl gar. Und
dann, wenn du mir versprichst, es niemand wieder zu sagen, will ich es dir
erzählen.

Was willst du mir erzählen, meine liebe Millieent? fragte ihr Bruder
eifrig, indem er einen Stuhl neben ihren Platz am Fenster rückte. Du weißt,
ich bin verschwiegen wie der Ziehbrunnen da im Hofe.

Der Graf ist verheiratet, berichtete Millicent, aber seine Frau ist ihm untreu
geworden. Sie ist ihm davongelaufen und hat sich von einem schlechten Menschen
und falschen Freunde des Grafen entführen lassen. Der Graf hat deshalb
seinen Abschied genommen und sich hierher in die Einsamkeit zurückgezogen.
Aber was thut er? Es ist ein Geheimnis, aber ich habe es erfahren. Er
unterstützt mit seinem Gelde heimlich die treulose Frau, welche mit ihrem Ent¬
führer zusammen im Auslande lebt. Darum ist er selber arm, und ist das nicht
ein schöner, himmlischer Zug von ihm?

Die gute Millicent vergoß zwei große Thränen, während sie mit hochroten
Wangen so sprach.

Nicht möglich! Nein, was doch für Geschichten nnter diesen vornehmen
Leuten Passiren! sagte ihr Bruder. Weißt dn nicht noch mehr über den Fall?
Wer ist denn der Entführer? Seine Augen funkelten vor Neugierde.

Millicent schüttelte den Kopf. Es ist mir nichts näheres darüber bekannt.

Ich habe dir etwas mitzuteilen, begann ihr Bruder wieder nach einer
kleinen Pause, indem er ihr näher rückte. Es ist gut, daß wir jetzt gerade
allein sind, da können wir ungestört darüber sprechen.

Millicent blickte von ihrer Näharbeit auf und sah ihn etwas unruhig an,
da sie zu ahnen glaubte, wovon er sprechen wollte.

Das Grundstück des Grafen ist mir nicht unbekannt, fuhr ihr Bruder fort.
Es liegt nicht weit von der Thongrube, die ich kürzlich gekauft habe, und
mittelst deren ich eine Terracottafabrik einzurichten beabsichtige. Nun sind dort
im Garten nicht nur der Großvater und der Vater Degenhard am Kohl und
an den Kartoffeln thätig, wie du sagst, sondern auch ein Enkel, ein sehr gut
aussehender und fleißiger junger Mann. In Holzfurt nun wird allerhand
geklatscht und gelogen, und da ist eine alte Base meiner zukünftigen Schwieger¬
mutter, die ihre Zeit dazu verwendet, von einem Hause zum andern zu gehen
und die Geschichten hin und her zu tragen, die darin Passiren und ohne sie


Die Grafen von Altenschwerdt.

wieder nach. Und dem alten Degenhard steckt noch die militärische Dressur im
Leibe, und er macht es wie die ausrangirten Kavalleriepfcrde vor der Droschke,
die beim Trompetensignal durchgehen.

Weißt du, wie es mit dem Grafen ist? Ich kann so etwas nicht ruhig
mit anhören, rief Millicent eifrig. Der Graf könnte ganz bequem leben, denn
er hat eine Pension von mehr als dreitausend Thalern, und das Grundstück
gehört ihm. Aber er giebt sein Geld an bedürftige Kameraden weg, die
ihn darum angehen, er verleiht ohne Sicherheit, oder verschenkt wohl gar. Und
dann, wenn du mir versprichst, es niemand wieder zu sagen, will ich es dir
erzählen.

Was willst du mir erzählen, meine liebe Millieent? fragte ihr Bruder
eifrig, indem er einen Stuhl neben ihren Platz am Fenster rückte. Du weißt,
ich bin verschwiegen wie der Ziehbrunnen da im Hofe.

Der Graf ist verheiratet, berichtete Millicent, aber seine Frau ist ihm untreu
geworden. Sie ist ihm davongelaufen und hat sich von einem schlechten Menschen
und falschen Freunde des Grafen entführen lassen. Der Graf hat deshalb
seinen Abschied genommen und sich hierher in die Einsamkeit zurückgezogen.
Aber was thut er? Es ist ein Geheimnis, aber ich habe es erfahren. Er
unterstützt mit seinem Gelde heimlich die treulose Frau, welche mit ihrem Ent¬
führer zusammen im Auslande lebt. Darum ist er selber arm, und ist das nicht
ein schöner, himmlischer Zug von ihm?

Die gute Millicent vergoß zwei große Thränen, während sie mit hochroten
Wangen so sprach.

Nicht möglich! Nein, was doch für Geschichten nnter diesen vornehmen
Leuten Passiren! sagte ihr Bruder. Weißt dn nicht noch mehr über den Fall?
Wer ist denn der Entführer? Seine Augen funkelten vor Neugierde.

Millicent schüttelte den Kopf. Es ist mir nichts näheres darüber bekannt.

Ich habe dir etwas mitzuteilen, begann ihr Bruder wieder nach einer
kleinen Pause, indem er ihr näher rückte. Es ist gut, daß wir jetzt gerade
allein sind, da können wir ungestört darüber sprechen.

Millicent blickte von ihrer Näharbeit auf und sah ihn etwas unruhig an,
da sie zu ahnen glaubte, wovon er sprechen wollte.

Das Grundstück des Grafen ist mir nicht unbekannt, fuhr ihr Bruder fort.
Es liegt nicht weit von der Thongrube, die ich kürzlich gekauft habe, und
mittelst deren ich eine Terracottafabrik einzurichten beabsichtige. Nun sind dort
im Garten nicht nur der Großvater und der Vater Degenhard am Kohl und
an den Kartoffeln thätig, wie du sagst, sondern auch ein Enkel, ein sehr gut
aussehender und fleißiger junger Mann. In Holzfurt nun wird allerhand
geklatscht und gelogen, und da ist eine alte Base meiner zukünftigen Schwieger¬
mutter, die ihre Zeit dazu verwendet, von einem Hause zum andern zu gehen
und die Geschichten hin und her zu tragen, die darin Passiren und ohne sie


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[0278] Die Grafen von Altenschwerdt. wieder nach. Und dem alten Degenhard steckt noch die militärische Dressur im Leibe, und er macht es wie die ausrangirten Kavalleriepfcrde vor der Droschke, die beim Trompetensignal durchgehen. Weißt du, wie es mit dem Grafen ist? Ich kann so etwas nicht ruhig mit anhören, rief Millicent eifrig. Der Graf könnte ganz bequem leben, denn er hat eine Pension von mehr als dreitausend Thalern, und das Grundstück gehört ihm. Aber er giebt sein Geld an bedürftige Kameraden weg, die ihn darum angehen, er verleiht ohne Sicherheit, oder verschenkt wohl gar. Und dann, wenn du mir versprichst, es niemand wieder zu sagen, will ich es dir erzählen. Was willst du mir erzählen, meine liebe Millieent? fragte ihr Bruder eifrig, indem er einen Stuhl neben ihren Platz am Fenster rückte. Du weißt, ich bin verschwiegen wie der Ziehbrunnen da im Hofe. Der Graf ist verheiratet, berichtete Millicent, aber seine Frau ist ihm untreu geworden. Sie ist ihm davongelaufen und hat sich von einem schlechten Menschen und falschen Freunde des Grafen entführen lassen. Der Graf hat deshalb seinen Abschied genommen und sich hierher in die Einsamkeit zurückgezogen. Aber was thut er? Es ist ein Geheimnis, aber ich habe es erfahren. Er unterstützt mit seinem Gelde heimlich die treulose Frau, welche mit ihrem Ent¬ führer zusammen im Auslande lebt. Darum ist er selber arm, und ist das nicht ein schöner, himmlischer Zug von ihm? Die gute Millicent vergoß zwei große Thränen, während sie mit hochroten Wangen so sprach. Nicht möglich! Nein, was doch für Geschichten nnter diesen vornehmen Leuten Passiren! sagte ihr Bruder. Weißt dn nicht noch mehr über den Fall? Wer ist denn der Entführer? Seine Augen funkelten vor Neugierde. Millicent schüttelte den Kopf. Es ist mir nichts näheres darüber bekannt. Ich habe dir etwas mitzuteilen, begann ihr Bruder wieder nach einer kleinen Pause, indem er ihr näher rückte. Es ist gut, daß wir jetzt gerade allein sind, da können wir ungestört darüber sprechen. Millicent blickte von ihrer Näharbeit auf und sah ihn etwas unruhig an, da sie zu ahnen glaubte, wovon er sprechen wollte. Das Grundstück des Grafen ist mir nicht unbekannt, fuhr ihr Bruder fort. Es liegt nicht weit von der Thongrube, die ich kürzlich gekauft habe, und mittelst deren ich eine Terracottafabrik einzurichten beabsichtige. Nun sind dort im Garten nicht nur der Großvater und der Vater Degenhard am Kohl und an den Kartoffeln thätig, wie du sagst, sondern auch ein Enkel, ein sehr gut aussehender und fleißiger junger Mann. In Holzfurt nun wird allerhand geklatscht und gelogen, und da ist eine alte Base meiner zukünftigen Schwieger¬ mutter, die ihre Zeit dazu verwendet, von einem Hause zum andern zu gehen und die Geschichten hin und her zu tragen, die darin Passiren und ohne sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/278>, abgerufen am 23.07.2024.