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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt,

Was ist denn das für eine Geschichte gewesen mit dein Bauerburschen?
fragte er von neuem. Die Tante hat mir da eine wahre Räubergeschichte er¬
zählt von Verkleidung, Überfall und Rettung,

Es war eine ganz nichtssagende Geschichte, erwiederte Millicent. Dorothea
und ich hatten uns als Fischermädchen verkleidet und einen großen Korb mit
Wein, Pasteten und dergleichen, sowie el" Vouquet als Willkomm zum alten
General getragen. Es war ein Scherz, und der alte Herr hat sehr gelacht, als
er in den Fischermädchen, die plötzlich vor ihm im Zimmer standen, uns er¬
kannte. Auf dem Heimwege begegnete uns ein unverschämter Bursche, der uns
molestirte, und der fremde Maler, der jetzt drüben ist, kam zufällig dazu und
jagte den Schlingel fort.

Ist es denn jetzt so weit gekommen, daß ihr dem General das Essen
bringen müßt?

Du liebe Zeit, Rudolf, wenn wir dem guten alten Herrn nicht zuweilen
mit etwas substantiellen unter die Arme greifen, so verhungert er womöglich.
Sein Haushofmeister ist in Verzweiflung. Kaum hat der General seine Pension
empfangen, so schenkt er sie weg, und es bleibt kaum so viel übrig, um dem
alten Herrn Mittags eine Wassersuppe oder ein Gericht Kartoffeln und Kohl
vorsetzen zu können.

Und läßt er es sich denn gefallen, daß ihr ihm Wein und Pasteten bringt?

Er erfährt es nicht und merkt es nicht. Wir gaben den Korb an den
Großvater Degenhard ab und nur das Vouquet natürlich dem Grafen selbst.
Degcnhard setzt dem Grafen dann nach und nach die guten Sachen vor und
ißt den Kohl und die Kartoffeln selber.

Siehst du, sagte ihr Bruder, indem er den Kopf mit Rednergeberde zurück¬
warf, da haben wir die deutschen Zustände in einen: engen Rahmen übersichtlich
zusammengestellt. Von unten die Bedientenhaftigkeit und von oben den Bettel-
stolz! So können wir freilich niemals zu wahrhaft freien Institutionen und
zu dem Wohlstand andrer Nationen kommen. Ein hochmütiger Adel, der nichts
gelernt und nichts vergessen hat, dazu ein verknöcherter Bauernstand. Und das
macht Opposition gegen den strebsamen, gebildeten, intelligenten Bürger, der doch
allein dem Lande Kraft giebt und es auf der Höhe hält.

Millicent lachte. Es ist gut, daß der Onkel noch zu thun hat, sagte sie.
Wenn er dich hörte, würde es eine schöne Szene geben. Übrigens kann ich dir
sagen, daß der Graf einer der edelsten Menschen auf der Welt ist und der alte
Degenhard auch. Es ist nur die reinste Herzensgüte, die den Grafen sein Geld
verschenken läßt, und daß Degeuhard bei ihm ausharrt, ist eine rührende Treue.

Mangel an Wirtschaftlichkeit, meinst du wohl, und Einfalt, sagte Rudolf.
Die alte Gewohnheit des Verschwendens ist es beim Grafen. Das wirft sein
Geld erst für Pferde und Frauenzimmer weg, spielt und wettet, und ist dann
so in die Gewohnheit gekommen und denkt, es wächst vielleicht von irgendwoher


Die Grafen von Altenschwerdt,

Was ist denn das für eine Geschichte gewesen mit dein Bauerburschen?
fragte er von neuem. Die Tante hat mir da eine wahre Räubergeschichte er¬
zählt von Verkleidung, Überfall und Rettung,

Es war eine ganz nichtssagende Geschichte, erwiederte Millicent. Dorothea
und ich hatten uns als Fischermädchen verkleidet und einen großen Korb mit
Wein, Pasteten und dergleichen, sowie el» Vouquet als Willkomm zum alten
General getragen. Es war ein Scherz, und der alte Herr hat sehr gelacht, als
er in den Fischermädchen, die plötzlich vor ihm im Zimmer standen, uns er¬
kannte. Auf dem Heimwege begegnete uns ein unverschämter Bursche, der uns
molestirte, und der fremde Maler, der jetzt drüben ist, kam zufällig dazu und
jagte den Schlingel fort.

Ist es denn jetzt so weit gekommen, daß ihr dem General das Essen
bringen müßt?

Du liebe Zeit, Rudolf, wenn wir dem guten alten Herrn nicht zuweilen
mit etwas substantiellen unter die Arme greifen, so verhungert er womöglich.
Sein Haushofmeister ist in Verzweiflung. Kaum hat der General seine Pension
empfangen, so schenkt er sie weg, und es bleibt kaum so viel übrig, um dem
alten Herrn Mittags eine Wassersuppe oder ein Gericht Kartoffeln und Kohl
vorsetzen zu können.

Und läßt er es sich denn gefallen, daß ihr ihm Wein und Pasteten bringt?

Er erfährt es nicht und merkt es nicht. Wir gaben den Korb an den
Großvater Degenhard ab und nur das Vouquet natürlich dem Grafen selbst.
Degcnhard setzt dem Grafen dann nach und nach die guten Sachen vor und
ißt den Kohl und die Kartoffeln selber.

Siehst du, sagte ihr Bruder, indem er den Kopf mit Rednergeberde zurück¬
warf, da haben wir die deutschen Zustände in einen: engen Rahmen übersichtlich
zusammengestellt. Von unten die Bedientenhaftigkeit und von oben den Bettel-
stolz! So können wir freilich niemals zu wahrhaft freien Institutionen und
zu dem Wohlstand andrer Nationen kommen. Ein hochmütiger Adel, der nichts
gelernt und nichts vergessen hat, dazu ein verknöcherter Bauernstand. Und das
macht Opposition gegen den strebsamen, gebildeten, intelligenten Bürger, der doch
allein dem Lande Kraft giebt und es auf der Höhe hält.

Millicent lachte. Es ist gut, daß der Onkel noch zu thun hat, sagte sie.
Wenn er dich hörte, würde es eine schöne Szene geben. Übrigens kann ich dir
sagen, daß der Graf einer der edelsten Menschen auf der Welt ist und der alte
Degenhard auch. Es ist nur die reinste Herzensgüte, die den Grafen sein Geld
verschenken läßt, und daß Degeuhard bei ihm ausharrt, ist eine rührende Treue.

Mangel an Wirtschaftlichkeit, meinst du wohl, und Einfalt, sagte Rudolf.
Die alte Gewohnheit des Verschwendens ist es beim Grafen. Das wirft sein
Geld erst für Pferde und Frauenzimmer weg, spielt und wettet, und ist dann
so in die Gewohnheit gekommen und denkt, es wächst vielleicht von irgendwoher


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[0277] Die Grafen von Altenschwerdt, Was ist denn das für eine Geschichte gewesen mit dein Bauerburschen? fragte er von neuem. Die Tante hat mir da eine wahre Räubergeschichte er¬ zählt von Verkleidung, Überfall und Rettung, Es war eine ganz nichtssagende Geschichte, erwiederte Millicent. Dorothea und ich hatten uns als Fischermädchen verkleidet und einen großen Korb mit Wein, Pasteten und dergleichen, sowie el» Vouquet als Willkomm zum alten General getragen. Es war ein Scherz, und der alte Herr hat sehr gelacht, als er in den Fischermädchen, die plötzlich vor ihm im Zimmer standen, uns er¬ kannte. Auf dem Heimwege begegnete uns ein unverschämter Bursche, der uns molestirte, und der fremde Maler, der jetzt drüben ist, kam zufällig dazu und jagte den Schlingel fort. Ist es denn jetzt so weit gekommen, daß ihr dem General das Essen bringen müßt? Du liebe Zeit, Rudolf, wenn wir dem guten alten Herrn nicht zuweilen mit etwas substantiellen unter die Arme greifen, so verhungert er womöglich. Sein Haushofmeister ist in Verzweiflung. Kaum hat der General seine Pension empfangen, so schenkt er sie weg, und es bleibt kaum so viel übrig, um dem alten Herrn Mittags eine Wassersuppe oder ein Gericht Kartoffeln und Kohl vorsetzen zu können. Und läßt er es sich denn gefallen, daß ihr ihm Wein und Pasteten bringt? Er erfährt es nicht und merkt es nicht. Wir gaben den Korb an den Großvater Degenhard ab und nur das Vouquet natürlich dem Grafen selbst. Degcnhard setzt dem Grafen dann nach und nach die guten Sachen vor und ißt den Kohl und die Kartoffeln selber. Siehst du, sagte ihr Bruder, indem er den Kopf mit Rednergeberde zurück¬ warf, da haben wir die deutschen Zustände in einen: engen Rahmen übersichtlich zusammengestellt. Von unten die Bedientenhaftigkeit und von oben den Bettel- stolz! So können wir freilich niemals zu wahrhaft freien Institutionen und zu dem Wohlstand andrer Nationen kommen. Ein hochmütiger Adel, der nichts gelernt und nichts vergessen hat, dazu ein verknöcherter Bauernstand. Und das macht Opposition gegen den strebsamen, gebildeten, intelligenten Bürger, der doch allein dem Lande Kraft giebt und es auf der Höhe hält. Millicent lachte. Es ist gut, daß der Onkel noch zu thun hat, sagte sie. Wenn er dich hörte, würde es eine schöne Szene geben. Übrigens kann ich dir sagen, daß der Graf einer der edelsten Menschen auf der Welt ist und der alte Degenhard auch. Es ist nur die reinste Herzensgüte, die den Grafen sein Geld verschenken läßt, und daß Degeuhard bei ihm ausharrt, ist eine rührende Treue. Mangel an Wirtschaftlichkeit, meinst du wohl, und Einfalt, sagte Rudolf. Die alte Gewohnheit des Verschwendens ist es beim Grafen. Das wirft sein Geld erst für Pferde und Frauenzimmer weg, spielt und wettet, und ist dann so in die Gewohnheit gekommen und denkt, es wächst vielleicht von irgendwoher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/277>, abgerufen am 23.07.2024.