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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Ole Grafen von Altenschwerdt.

im Umgange mit Dorothea und auf weiten Reisen viel gelernt hatte, von
höherem Geistesschwunge beseelt war, ließ man dort nicht recht gelten. Es
war ihr nicht möglich, mit der Tante Schmidt ein erhebendes Gespräch über
ihre Lieblingsdichter, Lord Byron oder Lamartine oder George Sand zu führen,
die gute Frau fiel immer wieder in den niedrigen Kreis solcher Ideen zurück,
die den Stand des Eingemachten und den Inhalt der Rauchkammer zum Mittel¬
punkte hatten.

Nun war auch noch ihr Bruder Rudolf da, der eine ganz besondre Rolle
in der Familie spielte. Millicent wußte oft nicht recht, was sie aus ihm
machen sollte. Er war der älteste der Geschwister, und es schien so, als wollte
er die andern beherrschen. Er hatte immer Pläne, nur war Millieent in
Zweifel, ob dieselben auch wohl immer vernünftig wären. Und ein ganz be¬
sondrer Punkt war noch da, über den sie sich mit ihrem Bruder garnicht ver¬
ständigen konnte. Er wollte sie seit einiger Zeit bald mit diesem, bald mit
jenem Herrn seiner Geschäftsfreundschaft verheiraten und schien nicht begreifen
zu können, daß Millicent gerade in dieser Angelegenheit ihren eignen Kopf
aufsetzte.

Millicent zog das braune Kleid an, von dem sie glaubte, daß es ihrem
Äußern einen strengern und festern Charakter gäbe.

Als sie drüben in das Gesellschaftszimmer trat, fand sie ihren Bruder
allein und offenbar ungeduldig. Er ging mit langen Schritten auf und ab in
der Stube und stellte sich, als sie mit freundlichem Gruß hereinkam, spöttisch
lächelnd vor sie hin.

Nun? fragte er, haben Jhro Gnaden die Fürstin Dorothea endlich geruht,
dem Ehrensräulein Urlaub zu erteilen?

Es war dies ein Ton, den Millicent nicht liebte, und sie antwortete nur
mit Achselzucken. Rudolf hatte eine demokratische Ader und konnte sich nur
selten enthalten, abfällige Bemerkungen über die Aristokratie zu machen, deren
Spitze sich gegen das ihm unangenehme abhängige Verhältnis seiner Schwester
kehrte. Wenn Millicent in ihren Geschichtsstudieu an die Enthauptung des
stolzen Königs Karl oder die Abstimmung über Leben und Tod des guten
Ludwig kam, so dachte sie sich unter den trotzigen Parlamcntsincinnern und
Jakobinern Gestalten, zwischen denen auch ihr Bruder Rudolf hätte sitzen können.

Gleichwohl hatte er von Ansehen einige Ähnlichkeit mit ihr. Er hatte
ebenfalls blühende Farben, eine Erbschaft vom Vater her, der sein Leben lang
in freier Luft gearbeitet hatte, und seine vorstehenden Augen waren blau >wie
die ihrigen. Nur spielte bei ihm das Haar, welches bei Millicent goldig
glänzte, stark ins Note, und er ward nicht dadurch verschönt, daß seine Ohren
abstanden und sein Kopf dazu noch ungewöhlich breit war. Auch lag in seinen:
Blick nicht die fröhliche Gutherzigkeit der Schwester, sonder" er hatte etwas
schlaues und forschendes.


Ole Grafen von Altenschwerdt.

im Umgange mit Dorothea und auf weiten Reisen viel gelernt hatte, von
höherem Geistesschwunge beseelt war, ließ man dort nicht recht gelten. Es
war ihr nicht möglich, mit der Tante Schmidt ein erhebendes Gespräch über
ihre Lieblingsdichter, Lord Byron oder Lamartine oder George Sand zu führen,
die gute Frau fiel immer wieder in den niedrigen Kreis solcher Ideen zurück,
die den Stand des Eingemachten und den Inhalt der Rauchkammer zum Mittel¬
punkte hatten.

Nun war auch noch ihr Bruder Rudolf da, der eine ganz besondre Rolle
in der Familie spielte. Millicent wußte oft nicht recht, was sie aus ihm
machen sollte. Er war der älteste der Geschwister, und es schien so, als wollte
er die andern beherrschen. Er hatte immer Pläne, nur war Millieent in
Zweifel, ob dieselben auch wohl immer vernünftig wären. Und ein ganz be¬
sondrer Punkt war noch da, über den sie sich mit ihrem Bruder garnicht ver¬
ständigen konnte. Er wollte sie seit einiger Zeit bald mit diesem, bald mit
jenem Herrn seiner Geschäftsfreundschaft verheiraten und schien nicht begreifen
zu können, daß Millicent gerade in dieser Angelegenheit ihren eignen Kopf
aufsetzte.

Millicent zog das braune Kleid an, von dem sie glaubte, daß es ihrem
Äußern einen strengern und festern Charakter gäbe.

Als sie drüben in das Gesellschaftszimmer trat, fand sie ihren Bruder
allein und offenbar ungeduldig. Er ging mit langen Schritten auf und ab in
der Stube und stellte sich, als sie mit freundlichem Gruß hereinkam, spöttisch
lächelnd vor sie hin.

Nun? fragte er, haben Jhro Gnaden die Fürstin Dorothea endlich geruht,
dem Ehrensräulein Urlaub zu erteilen?

Es war dies ein Ton, den Millicent nicht liebte, und sie antwortete nur
mit Achselzucken. Rudolf hatte eine demokratische Ader und konnte sich nur
selten enthalten, abfällige Bemerkungen über die Aristokratie zu machen, deren
Spitze sich gegen das ihm unangenehme abhängige Verhältnis seiner Schwester
kehrte. Wenn Millicent in ihren Geschichtsstudieu an die Enthauptung des
stolzen Königs Karl oder die Abstimmung über Leben und Tod des guten
Ludwig kam, so dachte sie sich unter den trotzigen Parlamcntsincinnern und
Jakobinern Gestalten, zwischen denen auch ihr Bruder Rudolf hätte sitzen können.

Gleichwohl hatte er von Ansehen einige Ähnlichkeit mit ihr. Er hatte
ebenfalls blühende Farben, eine Erbschaft vom Vater her, der sein Leben lang
in freier Luft gearbeitet hatte, und seine vorstehenden Augen waren blau >wie
die ihrigen. Nur spielte bei ihm das Haar, welches bei Millicent goldig
glänzte, stark ins Note, und er ward nicht dadurch verschönt, daß seine Ohren
abstanden und sein Kopf dazu noch ungewöhlich breit war. Auch lag in seinen:
Blick nicht die fröhliche Gutherzigkeit der Schwester, sonder» er hatte etwas
schlaues und forschendes.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/276>, abgerufen am 23.07.2024.