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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Harmonie der Farben und der Tone.

färbe eines Instrumentes, einer Stimme u. s, f. hat mit der innern Qualität
des Tones, d, h. mit seiner Höhe und Tiefe, mit seiner relativen Stärke, seinem
Anschwellen und Sinken nichts zu thun, sondern L bleibt 0, ob es auf einer
Violine gestrichen oder auf einer Trompete geblasen wird; der Unterschied beruht
hier vielmehr lediglich darin, daß das erstere durch die Schwingung einer Darm¬
saite, das zweite durch das Schwingen von Metall hervorgebracht wird; er ist
also ein durchaus an dem Material haftender. Wie kann man bei diesem dia¬
metralen Gegensatz der Bedeutung, welche in jener Übertragung liegt, noch von
Analogie reden?

Aber es kommt bei der Vergleichung der Tonharmome mit der Farben¬
harmonie noch ein weiteres Moment in Betracht, welches, da es nur dem einen
Gebiet, nämlich dem der Farben, angehört, jede Parallelisirung zwischen ihnen
schon deshalb als bloße Illusion kennzeichnet, weil auf ihm der wesentlichste
Charakter der Farben als solcher überhaupt beruht: dies ist der Unterschied
zwischen warmen und kalten Farben, für den in der Musik jedes Analogon fehlt.'

Dieser Puukt ist vou großer Wichtigkeit. Visher hat man -- auch Goethe
und Schopenhauer, obwohl ich sonst im Prinzip ihre Auffassung des Wesens der
Farbe teile -- wesentlich nur die Helligkeitsuuterschiede zwischen den Farben in Be¬
tracht gezogen. Goethe, der die Natur der Farbe im Gegensatz zum reinen
Licht als ein schattiges (sxt^av) bezeichnete, ließ sich durch diese an sich ganz
richtige, aber einseitige Auffassung verleiten, hieraus den Schluß zu ziehen, daß
die Grade der Helligkeitsintensität, wenn nicht den einzigen, so doch den wesent¬
lichsten Unterschied zwischen den Farben ausmachten. Das trübende Element
der Erdatmosphäre verwandelt das reine weiße Licht der Sonne -- dies ist
seine Theorie -- zunächst in die hellste Farbe, das Gelb; bei stärkerer Trübung
entsteht Orange, dann Not, dann Violett, endlich Blau.*) Er spricht dabei zwar
auch von Wärme der Farben, identifizirt sie aber gewissermaßen mit der Hellig¬
keit, indem er Gelb nicht bloß als die hellste, sondern mich als die wärmste
und ihren Gegensatz Blau nicht nur als die kälteste, sondern auch als die
dunkelste betrachtet. Hierin liegt der Fehler seiner im übrigen richtigen An¬
schauung. Gelb ist zwar die hellste, aber nicht die wärmste Farbe, sondern dies
ist Orange, das Komplement zu Blau, und Blau ist zwar die kälteste, aber
nicht auch die dunkelste Farbe, sondern dies ist Violett, das Komplement zu
Gelb. Daher ist auch, worauf schon Schopenhauer hingewiesen hat, seine An¬
nahme eines polaren Gegensatzes von Gelb und Blau nicht zutreffend, sondern
ein solcher Gegensatz kann nur zwischen komplementären Farben, also Gelb und
Violett oder Orange und Blau, stattfinden, während zwischen Gelb und Blan



*) Goethe hat das Blau niemals durch stärkere Triibung der Atmosphäre vor dem Licht
der Sonne entstehen lassen, sondern durch die Trübe vor einem dunkeln Hintergrund auf
,
D. Red. welche vou vorn die Sonne scheint.
Die Harmonie der Farben und der Tone.

färbe eines Instrumentes, einer Stimme u. s, f. hat mit der innern Qualität
des Tones, d, h. mit seiner Höhe und Tiefe, mit seiner relativen Stärke, seinem
Anschwellen und Sinken nichts zu thun, sondern L bleibt 0, ob es auf einer
Violine gestrichen oder auf einer Trompete geblasen wird; der Unterschied beruht
hier vielmehr lediglich darin, daß das erstere durch die Schwingung einer Darm¬
saite, das zweite durch das Schwingen von Metall hervorgebracht wird; er ist
also ein durchaus an dem Material haftender. Wie kann man bei diesem dia¬
metralen Gegensatz der Bedeutung, welche in jener Übertragung liegt, noch von
Analogie reden?

Aber es kommt bei der Vergleichung der Tonharmome mit der Farben¬
harmonie noch ein weiteres Moment in Betracht, welches, da es nur dem einen
Gebiet, nämlich dem der Farben, angehört, jede Parallelisirung zwischen ihnen
schon deshalb als bloße Illusion kennzeichnet, weil auf ihm der wesentlichste
Charakter der Farben als solcher überhaupt beruht: dies ist der Unterschied
zwischen warmen und kalten Farben, für den in der Musik jedes Analogon fehlt.'

Dieser Puukt ist vou großer Wichtigkeit. Visher hat man — auch Goethe
und Schopenhauer, obwohl ich sonst im Prinzip ihre Auffassung des Wesens der
Farbe teile — wesentlich nur die Helligkeitsuuterschiede zwischen den Farben in Be¬
tracht gezogen. Goethe, der die Natur der Farbe im Gegensatz zum reinen
Licht als ein schattiges (sxt^av) bezeichnete, ließ sich durch diese an sich ganz
richtige, aber einseitige Auffassung verleiten, hieraus den Schluß zu ziehen, daß
die Grade der Helligkeitsintensität, wenn nicht den einzigen, so doch den wesent¬
lichsten Unterschied zwischen den Farben ausmachten. Das trübende Element
der Erdatmosphäre verwandelt das reine weiße Licht der Sonne — dies ist
seine Theorie — zunächst in die hellste Farbe, das Gelb; bei stärkerer Trübung
entsteht Orange, dann Not, dann Violett, endlich Blau.*) Er spricht dabei zwar
auch von Wärme der Farben, identifizirt sie aber gewissermaßen mit der Hellig¬
keit, indem er Gelb nicht bloß als die hellste, sondern mich als die wärmste
und ihren Gegensatz Blau nicht nur als die kälteste, sondern auch als die
dunkelste betrachtet. Hierin liegt der Fehler seiner im übrigen richtigen An¬
schauung. Gelb ist zwar die hellste, aber nicht die wärmste Farbe, sondern dies
ist Orange, das Komplement zu Blau, und Blau ist zwar die kälteste, aber
nicht auch die dunkelste Farbe, sondern dies ist Violett, das Komplement zu
Gelb. Daher ist auch, worauf schon Schopenhauer hingewiesen hat, seine An¬
nahme eines polaren Gegensatzes von Gelb und Blau nicht zutreffend, sondern
ein solcher Gegensatz kann nur zwischen komplementären Farben, also Gelb und
Violett oder Orange und Blau, stattfinden, während zwischen Gelb und Blan



*) Goethe hat das Blau niemals durch stärkere Triibung der Atmosphäre vor dem Licht
der Sonne entstehen lassen, sondern durch die Trübe vor einem dunkeln Hintergrund auf
,
D. Red. welche vou vorn die Sonne scheint.
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[0272] Die Harmonie der Farben und der Tone. färbe eines Instrumentes, einer Stimme u. s, f. hat mit der innern Qualität des Tones, d, h. mit seiner Höhe und Tiefe, mit seiner relativen Stärke, seinem Anschwellen und Sinken nichts zu thun, sondern L bleibt 0, ob es auf einer Violine gestrichen oder auf einer Trompete geblasen wird; der Unterschied beruht hier vielmehr lediglich darin, daß das erstere durch die Schwingung einer Darm¬ saite, das zweite durch das Schwingen von Metall hervorgebracht wird; er ist also ein durchaus an dem Material haftender. Wie kann man bei diesem dia¬ metralen Gegensatz der Bedeutung, welche in jener Übertragung liegt, noch von Analogie reden? Aber es kommt bei der Vergleichung der Tonharmome mit der Farben¬ harmonie noch ein weiteres Moment in Betracht, welches, da es nur dem einen Gebiet, nämlich dem der Farben, angehört, jede Parallelisirung zwischen ihnen schon deshalb als bloße Illusion kennzeichnet, weil auf ihm der wesentlichste Charakter der Farben als solcher überhaupt beruht: dies ist der Unterschied zwischen warmen und kalten Farben, für den in der Musik jedes Analogon fehlt.' Dieser Puukt ist vou großer Wichtigkeit. Visher hat man — auch Goethe und Schopenhauer, obwohl ich sonst im Prinzip ihre Auffassung des Wesens der Farbe teile — wesentlich nur die Helligkeitsuuterschiede zwischen den Farben in Be¬ tracht gezogen. Goethe, der die Natur der Farbe im Gegensatz zum reinen Licht als ein schattiges (sxt^av) bezeichnete, ließ sich durch diese an sich ganz richtige, aber einseitige Auffassung verleiten, hieraus den Schluß zu ziehen, daß die Grade der Helligkeitsintensität, wenn nicht den einzigen, so doch den wesent¬ lichsten Unterschied zwischen den Farben ausmachten. Das trübende Element der Erdatmosphäre verwandelt das reine weiße Licht der Sonne — dies ist seine Theorie — zunächst in die hellste Farbe, das Gelb; bei stärkerer Trübung entsteht Orange, dann Not, dann Violett, endlich Blau.*) Er spricht dabei zwar auch von Wärme der Farben, identifizirt sie aber gewissermaßen mit der Hellig¬ keit, indem er Gelb nicht bloß als die hellste, sondern mich als die wärmste und ihren Gegensatz Blau nicht nur als die kälteste, sondern auch als die dunkelste betrachtet. Hierin liegt der Fehler seiner im übrigen richtigen An¬ schauung. Gelb ist zwar die hellste, aber nicht die wärmste Farbe, sondern dies ist Orange, das Komplement zu Blau, und Blau ist zwar die kälteste, aber nicht auch die dunkelste Farbe, sondern dies ist Violett, das Komplement zu Gelb. Daher ist auch, worauf schon Schopenhauer hingewiesen hat, seine An¬ nahme eines polaren Gegensatzes von Gelb und Blau nicht zutreffend, sondern ein solcher Gegensatz kann nur zwischen komplementären Farben, also Gelb und Violett oder Orange und Blau, stattfinden, während zwischen Gelb und Blan *) Goethe hat das Blau niemals durch stärkere Triibung der Atmosphäre vor dem Licht der Sonne entstehen lassen, sondern durch die Trübe vor einem dunkeln Hintergrund auf , D. Red. welche vou vorn die Sonne scheint.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/272>, abgerufen am 23.07.2024.