Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Harmonie der Farben und der Töne,

ziehung ein Gegensatz ergeben, insofern der von Ohre noch wahrnehmbare tiefste
Ton die geringste Anzahl von Schwingungen, nämlich 32 in der Sekunde, macht,
während die tiefste Farbe, das Violett nämlich, nach den Berechnungen der
Physiker die größte Schwingnngszahl, nämlich 487 Billionen in der Sekunde,
besitzen soll.

Wenn man übrigens diese beiden Zahlen --- ganz abgesehen von dem darin
sich offenbarenden Gegensatz in der Bewegungsform --, nämlich 32 mit 487 Bil¬
lionen, zusammenhält, so muß eine auf Grund solcher Ähnlichkeit, nämlich daß
es sich doch beiderseits um "Schwingungen" handle, behauptete Analogie der
beiden Erscheinungsgebiete jedem Unbefangenen geradezu absurd vorkommen. Die¬
selbe kolossale Differenz waltet auch zwischen den von den Physikern ebenfalls
herausgerechneten Wellenlängen einerseits der farbigen Strahlen, andrerseits der
Töne ob, indem gegenüber der 3'/z Fuß laugen Welle des Tones ^ der Stimm¬
gabel die Wellenlänge des violetten Strahles etwa ein Hunderttausendstel eines
Zolles beträgt. Schon diese ungeheuren Differenzen in den Bewegungsformen
der Farben und Töne -- angenommen, die Berechnungen der Physiker hätten
einen objektiven Wert -- deuten darauf hin, daß, wenn beim Schall, wie beim
Licht, von Beugung, Reflexion, Interferenz und ähnlichen Modifikationen der¬
selben gesprochen wird, diese gleichnamigen Ausdrücke in optischer Beziehung
eine ganz andre Bedeutung haben als in akustischer. Was z. B. die Re¬
flexion betrifft, so könnte man aus Grund des bekannten Gesetzes, daß der Ein¬
fallswinkel stets gleich dem Ansfallswinkel ist, diese beim Licht sich kundgebende
Erscheinung nicht nur mit der ähnlichen des Schalles, sondern auch mit derjenigen in
Analogie stellen, welche beim Stoß fester Körper, z. B. einer von der Bande
abprallenden Billardkugel, stattfindet; und mit gleichem Rechte könnte man die
Erscheinung der sogenannten Interferenz, welche bei sich lombinirenden Wellen¬
bewegungen des Wassers stattfindet, mit der gleichnamigen des Lichtes identi-
fiziren. Dürfte nun dieser auf ganz allgemeinen physikalischen Gesetzen be¬
ruhenden, durchaus äußerlichen Ähnlichkeiten halber jemand mit einem Anschein
von Recht behaupten, daß sich darin eine Analogie zwischen Licht und Billard¬
kugel, beziehentlich Wasser, hinsichtlich ihrer spezifischen Natur, offenbare?

Was die anderweitigen gleichnamigen Bezeichnungen für gewisse Erschei¬
nungen der beiden Sphären (Farbe und Ton) betrifft, d. h. diejenige", welche
speziell dem Tongebiet angehören, aber auf das der Farben übertragen sind,
wie Konsonanz und Dissonanz, Harmonie, Zweiklang, Dreiklang, Akkord, Dnr-
und Molltonart, Temperatur u. s. f., so herrschen auch in dieser Beziehung,
abgesehen von ihrer ganz allgemeinen ästhetischen Bedeutung, die hier uicht in
Frage kommen kann, prinzipielle Unterschiede, von denen ich nur einen hervor¬
heben will, weil sich in ihm der Mangel an innerlicher Analogie zwischen den
beiden Gebieten in augenscheinlichster Weise offenbart, nämlich der Gegensatz der
Dur- und Molltonart, ein Ausdruck, der bekanntlich sowohl bei harmonischen


Die Harmonie der Farben und der Töne,

ziehung ein Gegensatz ergeben, insofern der von Ohre noch wahrnehmbare tiefste
Ton die geringste Anzahl von Schwingungen, nämlich 32 in der Sekunde, macht,
während die tiefste Farbe, das Violett nämlich, nach den Berechnungen der
Physiker die größte Schwingnngszahl, nämlich 487 Billionen in der Sekunde,
besitzen soll.

Wenn man übrigens diese beiden Zahlen -— ganz abgesehen von dem darin
sich offenbarenden Gegensatz in der Bewegungsform —, nämlich 32 mit 487 Bil¬
lionen, zusammenhält, so muß eine auf Grund solcher Ähnlichkeit, nämlich daß
es sich doch beiderseits um „Schwingungen" handle, behauptete Analogie der
beiden Erscheinungsgebiete jedem Unbefangenen geradezu absurd vorkommen. Die¬
selbe kolossale Differenz waltet auch zwischen den von den Physikern ebenfalls
herausgerechneten Wellenlängen einerseits der farbigen Strahlen, andrerseits der
Töne ob, indem gegenüber der 3'/z Fuß laugen Welle des Tones ^ der Stimm¬
gabel die Wellenlänge des violetten Strahles etwa ein Hunderttausendstel eines
Zolles beträgt. Schon diese ungeheuren Differenzen in den Bewegungsformen
der Farben und Töne — angenommen, die Berechnungen der Physiker hätten
einen objektiven Wert — deuten darauf hin, daß, wenn beim Schall, wie beim
Licht, von Beugung, Reflexion, Interferenz und ähnlichen Modifikationen der¬
selben gesprochen wird, diese gleichnamigen Ausdrücke in optischer Beziehung
eine ganz andre Bedeutung haben als in akustischer. Was z. B. die Re¬
flexion betrifft, so könnte man aus Grund des bekannten Gesetzes, daß der Ein¬
fallswinkel stets gleich dem Ansfallswinkel ist, diese beim Licht sich kundgebende
Erscheinung nicht nur mit der ähnlichen des Schalles, sondern auch mit derjenigen in
Analogie stellen, welche beim Stoß fester Körper, z. B. einer von der Bande
abprallenden Billardkugel, stattfindet; und mit gleichem Rechte könnte man die
Erscheinung der sogenannten Interferenz, welche bei sich lombinirenden Wellen¬
bewegungen des Wassers stattfindet, mit der gleichnamigen des Lichtes identi-
fiziren. Dürfte nun dieser auf ganz allgemeinen physikalischen Gesetzen be¬
ruhenden, durchaus äußerlichen Ähnlichkeiten halber jemand mit einem Anschein
von Recht behaupten, daß sich darin eine Analogie zwischen Licht und Billard¬
kugel, beziehentlich Wasser, hinsichtlich ihrer spezifischen Natur, offenbare?

Was die anderweitigen gleichnamigen Bezeichnungen für gewisse Erschei¬
nungen der beiden Sphären (Farbe und Ton) betrifft, d. h. diejenige», welche
speziell dem Tongebiet angehören, aber auf das der Farben übertragen sind,
wie Konsonanz und Dissonanz, Harmonie, Zweiklang, Dreiklang, Akkord, Dnr-
und Molltonart, Temperatur u. s. f., so herrschen auch in dieser Beziehung,
abgesehen von ihrer ganz allgemeinen ästhetischen Bedeutung, die hier uicht in
Frage kommen kann, prinzipielle Unterschiede, von denen ich nur einen hervor¬
heben will, weil sich in ihm der Mangel an innerlicher Analogie zwischen den
beiden Gebieten in augenscheinlichster Weise offenbart, nämlich der Gegensatz der
Dur- und Molltonart, ein Ausdruck, der bekanntlich sowohl bei harmonischen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0268" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/151846"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Harmonie der Farben und der Töne,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_866" prev="#ID_865"> ziehung ein Gegensatz ergeben, insofern der von Ohre noch wahrnehmbare tiefste<lb/>
Ton die geringste Anzahl von Schwingungen, nämlich 32 in der Sekunde, macht,<lb/>
während die tiefste Farbe, das Violett nämlich, nach den Berechnungen der<lb/>
Physiker die größte Schwingnngszahl, nämlich 487 Billionen in der Sekunde,<lb/>
besitzen soll.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_867"> Wenn man übrigens diese beiden Zahlen -&#x2014; ganz abgesehen von dem darin<lb/>
sich offenbarenden Gegensatz in der Bewegungsform &#x2014;, nämlich 32 mit 487 Bil¬<lb/>
lionen, zusammenhält, so muß eine auf Grund solcher Ähnlichkeit, nämlich daß<lb/>
es sich doch beiderseits um &#x201E;Schwingungen" handle, behauptete Analogie der<lb/>
beiden Erscheinungsgebiete jedem Unbefangenen geradezu absurd vorkommen. Die¬<lb/>
selbe kolossale Differenz waltet auch zwischen den von den Physikern ebenfalls<lb/>
herausgerechneten Wellenlängen einerseits der farbigen Strahlen, andrerseits der<lb/>
Töne ob, indem gegenüber der 3'/z Fuß laugen Welle des Tones ^ der Stimm¬<lb/>
gabel die Wellenlänge des violetten Strahles etwa ein Hunderttausendstel eines<lb/>
Zolles beträgt. Schon diese ungeheuren Differenzen in den Bewegungsformen<lb/>
der Farben und Töne &#x2014; angenommen, die Berechnungen der Physiker hätten<lb/>
einen objektiven Wert &#x2014; deuten darauf hin, daß, wenn beim Schall, wie beim<lb/>
Licht, von Beugung, Reflexion, Interferenz und ähnlichen Modifikationen der¬<lb/>
selben gesprochen wird, diese gleichnamigen Ausdrücke in optischer Beziehung<lb/>
eine ganz andre Bedeutung haben als in akustischer. Was z. B. die Re¬<lb/>
flexion betrifft, so könnte man aus Grund des bekannten Gesetzes, daß der Ein¬<lb/>
fallswinkel stets gleich dem Ansfallswinkel ist, diese beim Licht sich kundgebende<lb/>
Erscheinung nicht nur mit der ähnlichen des Schalles, sondern auch mit derjenigen in<lb/>
Analogie stellen, welche beim Stoß fester Körper, z. B. einer von der Bande<lb/>
abprallenden Billardkugel, stattfindet; und mit gleichem Rechte könnte man die<lb/>
Erscheinung der sogenannten Interferenz, welche bei sich lombinirenden Wellen¬<lb/>
bewegungen des Wassers stattfindet, mit der gleichnamigen des Lichtes identi-<lb/>
fiziren. Dürfte nun dieser auf ganz allgemeinen physikalischen Gesetzen be¬<lb/>
ruhenden, durchaus äußerlichen Ähnlichkeiten halber jemand mit einem Anschein<lb/>
von Recht behaupten, daß sich darin eine Analogie zwischen Licht und Billard¬<lb/>
kugel, beziehentlich Wasser, hinsichtlich ihrer spezifischen Natur, offenbare?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_868" next="#ID_869"> Was die anderweitigen gleichnamigen Bezeichnungen für gewisse Erschei¬<lb/>
nungen der beiden Sphären (Farbe und Ton) betrifft, d. h. diejenige», welche<lb/>
speziell dem Tongebiet angehören, aber auf das der Farben übertragen sind,<lb/>
wie Konsonanz und Dissonanz, Harmonie, Zweiklang, Dreiklang, Akkord, Dnr-<lb/>
und Molltonart, Temperatur u. s. f., so herrschen auch in dieser Beziehung,<lb/>
abgesehen von ihrer ganz allgemeinen ästhetischen Bedeutung, die hier uicht in<lb/>
Frage kommen kann, prinzipielle Unterschiede, von denen ich nur einen hervor¬<lb/>
heben will, weil sich in ihm der Mangel an innerlicher Analogie zwischen den<lb/>
beiden Gebieten in augenscheinlichster Weise offenbart, nämlich der Gegensatz der<lb/>
Dur- und Molltonart, ein Ausdruck, der bekanntlich sowohl bei harmonischen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0268] Die Harmonie der Farben und der Töne, ziehung ein Gegensatz ergeben, insofern der von Ohre noch wahrnehmbare tiefste Ton die geringste Anzahl von Schwingungen, nämlich 32 in der Sekunde, macht, während die tiefste Farbe, das Violett nämlich, nach den Berechnungen der Physiker die größte Schwingnngszahl, nämlich 487 Billionen in der Sekunde, besitzen soll. Wenn man übrigens diese beiden Zahlen -— ganz abgesehen von dem darin sich offenbarenden Gegensatz in der Bewegungsform —, nämlich 32 mit 487 Bil¬ lionen, zusammenhält, so muß eine auf Grund solcher Ähnlichkeit, nämlich daß es sich doch beiderseits um „Schwingungen" handle, behauptete Analogie der beiden Erscheinungsgebiete jedem Unbefangenen geradezu absurd vorkommen. Die¬ selbe kolossale Differenz waltet auch zwischen den von den Physikern ebenfalls herausgerechneten Wellenlängen einerseits der farbigen Strahlen, andrerseits der Töne ob, indem gegenüber der 3'/z Fuß laugen Welle des Tones ^ der Stimm¬ gabel die Wellenlänge des violetten Strahles etwa ein Hunderttausendstel eines Zolles beträgt. Schon diese ungeheuren Differenzen in den Bewegungsformen der Farben und Töne — angenommen, die Berechnungen der Physiker hätten einen objektiven Wert — deuten darauf hin, daß, wenn beim Schall, wie beim Licht, von Beugung, Reflexion, Interferenz und ähnlichen Modifikationen der¬ selben gesprochen wird, diese gleichnamigen Ausdrücke in optischer Beziehung eine ganz andre Bedeutung haben als in akustischer. Was z. B. die Re¬ flexion betrifft, so könnte man aus Grund des bekannten Gesetzes, daß der Ein¬ fallswinkel stets gleich dem Ansfallswinkel ist, diese beim Licht sich kundgebende Erscheinung nicht nur mit der ähnlichen des Schalles, sondern auch mit derjenigen in Analogie stellen, welche beim Stoß fester Körper, z. B. einer von der Bande abprallenden Billardkugel, stattfindet; und mit gleichem Rechte könnte man die Erscheinung der sogenannten Interferenz, welche bei sich lombinirenden Wellen¬ bewegungen des Wassers stattfindet, mit der gleichnamigen des Lichtes identi- fiziren. Dürfte nun dieser auf ganz allgemeinen physikalischen Gesetzen be¬ ruhenden, durchaus äußerlichen Ähnlichkeiten halber jemand mit einem Anschein von Recht behaupten, daß sich darin eine Analogie zwischen Licht und Billard¬ kugel, beziehentlich Wasser, hinsichtlich ihrer spezifischen Natur, offenbare? Was die anderweitigen gleichnamigen Bezeichnungen für gewisse Erschei¬ nungen der beiden Sphären (Farbe und Ton) betrifft, d. h. diejenige», welche speziell dem Tongebiet angehören, aber auf das der Farben übertragen sind, wie Konsonanz und Dissonanz, Harmonie, Zweiklang, Dreiklang, Akkord, Dnr- und Molltonart, Temperatur u. s. f., so herrschen auch in dieser Beziehung, abgesehen von ihrer ganz allgemeinen ästhetischen Bedeutung, die hier uicht in Frage kommen kann, prinzipielle Unterschiede, von denen ich nur einen hervor¬ heben will, weil sich in ihm der Mangel an innerlicher Analogie zwischen den beiden Gebieten in augenscheinlichster Weise offenbart, nämlich der Gegensatz der Dur- und Molltonart, ein Ausdruck, der bekanntlich sowohl bei harmonischen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/268
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/268>, abgerufen am 23.07.2024.