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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Harmonie der Farben und der Töne

hat fortpflanzen können. Daß nämlich Newton -- statt der thatsächlich im
Spektrum (wie jeder Regenbogen beweist) enthaltenen sechs einfachen Farben,
Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Violett -- deren sieben annahm, indem er zu dem
eigentlichen Blau noch ein zweites etwas dunkleres, das sogenannte Indigo, hinzu¬
fügte, geschah eben nur der Analogie zu den sieben Tönen der Oktave zu Liebe;
auf diese Weise war es dann allerdings sehr wohlfeil, in der Zahl 7 eine Analogie
zu entdecken. Daß aber thatsächlich mir sechs einfache Farben im Spektrum
existiren, geht ans folgender, sich als unwiderstehlich der Überzeugung auf¬
drängenden Erwägung hervor. Wenn man die Bezeichnung Einfachheit im
strengsten Sinne nimmt, so kann sie ohne Zweifel nur auf solche Farbe" An^
Wendung finden, welche dnrch keine Mischung herstellbar sind, da die Mischung
den Begriff der Einfachheit notwendig aufhebt. Solcher Farben giebt es aber
nicht sechs, geschweige denn sieben, sondern mir drei: Gelb, Rot, Blau, die ich
deshalb Urfarben nennen möchte, weil alle andern Farben und Farbennuancen
entweder durch ihre Mischung oder durch Abtönung zu Weiß oder Schwarz ent¬
stehen. Letztere beideu sind nämlich keine Farben im spezifischen Sinne des Wortes,
sondern bedeuten nur positive und negative Farblosigkeit, d. h. sie sind Surrogate
des reinen Lichts und der reinen Finsternis. Gelb, Rot, Blan sind also, als
Urfarben, allein einfach,*) wenn man, wie bemerkt, diesen Ausdruck im strengsten
Sinne nimmt. Was die andern drei sogenannten einfachen Farben Orange, Grün,
Violett betrifft, so braucht mau nur den Regenbogen mit unbefangnen Auge anzu¬
sehen, um zu erkennen, daß Orange den Übergang von Gelb zu Rot, Grün den von
Gelb zu Blan, Violett den von Blau zu Rot bildet, d. h. daß sie aus der Mischung
je eines Paares der betreffenden Urfarben entstehen. Wenn Newton also ein
"etwas dunkleres Blau" als siebente Farbe im prismatischen Spektrum entdeckt
haben wollte, so hätte er mit demselben Rechte z. B. auch ein "etwas dunkleres
Rot," etwa Karmin, hinzufügen können, was er wahrscheinlich auch getan haben
würde, wenn zufällig die musikalische Tonleiter uicht sieben, sondern acht Töne
umfaßte. Daß aber thatsächlich nur sechs Farben -- ich nenne sie Grund¬
farben --, nämlich die drei Urfarben mit ihren einfachen Mischungsprvduktcn,
oder aber eine unendliche Menge derselben im Spektrum existiren -- unendlich
deshalb, weil die Farben gegen einander nicht scharf abgegrenzt sind, sondern
tontinuirlich in einander verfließen --, ergiebt sich ans einer mit mathematischer
Genauigkeit nachweisbaren Thatsache, in welcher sich das Prinzip für die Ge¬
setzmäßigkeit jeder wissenschaftlichen Farbeutheorie offenbart, nämlich daraus,
daß die aus der Mischung je zweier Urfarben hervorgehende Grundfarbe je den
komplementären Gegensatz zu der dritten Urfarbe bildet. So ist die Mischung



Daß Grün auch zu den einfachen oder Grundfarben gehört, wird von bedeutendem
Physikern nur gewichtigen Gründen behauptet. Wenn Blau und Gelb dieselbe Stelle der
D. Red. Netzhaut treffen, so entsteht die Empfindung weiß, nicht grün.
Die Harmonie der Farben und der Töne

hat fortpflanzen können. Daß nämlich Newton — statt der thatsächlich im
Spektrum (wie jeder Regenbogen beweist) enthaltenen sechs einfachen Farben,
Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Violett — deren sieben annahm, indem er zu dem
eigentlichen Blau noch ein zweites etwas dunkleres, das sogenannte Indigo, hinzu¬
fügte, geschah eben nur der Analogie zu den sieben Tönen der Oktave zu Liebe;
auf diese Weise war es dann allerdings sehr wohlfeil, in der Zahl 7 eine Analogie
zu entdecken. Daß aber thatsächlich mir sechs einfache Farben im Spektrum
existiren, geht ans folgender, sich als unwiderstehlich der Überzeugung auf¬
drängenden Erwägung hervor. Wenn man die Bezeichnung Einfachheit im
strengsten Sinne nimmt, so kann sie ohne Zweifel nur auf solche Farbe» An^
Wendung finden, welche dnrch keine Mischung herstellbar sind, da die Mischung
den Begriff der Einfachheit notwendig aufhebt. Solcher Farben giebt es aber
nicht sechs, geschweige denn sieben, sondern mir drei: Gelb, Rot, Blau, die ich
deshalb Urfarben nennen möchte, weil alle andern Farben und Farbennuancen
entweder durch ihre Mischung oder durch Abtönung zu Weiß oder Schwarz ent¬
stehen. Letztere beideu sind nämlich keine Farben im spezifischen Sinne des Wortes,
sondern bedeuten nur positive und negative Farblosigkeit, d. h. sie sind Surrogate
des reinen Lichts und der reinen Finsternis. Gelb, Rot, Blan sind also, als
Urfarben, allein einfach,*) wenn man, wie bemerkt, diesen Ausdruck im strengsten
Sinne nimmt. Was die andern drei sogenannten einfachen Farben Orange, Grün,
Violett betrifft, so braucht mau nur den Regenbogen mit unbefangnen Auge anzu¬
sehen, um zu erkennen, daß Orange den Übergang von Gelb zu Rot, Grün den von
Gelb zu Blan, Violett den von Blau zu Rot bildet, d. h. daß sie aus der Mischung
je eines Paares der betreffenden Urfarben entstehen. Wenn Newton also ein
„etwas dunkleres Blau" als siebente Farbe im prismatischen Spektrum entdeckt
haben wollte, so hätte er mit demselben Rechte z. B. auch ein „etwas dunkleres
Rot," etwa Karmin, hinzufügen können, was er wahrscheinlich auch getan haben
würde, wenn zufällig die musikalische Tonleiter uicht sieben, sondern acht Töne
umfaßte. Daß aber thatsächlich nur sechs Farben — ich nenne sie Grund¬
farben —, nämlich die drei Urfarben mit ihren einfachen Mischungsprvduktcn,
oder aber eine unendliche Menge derselben im Spektrum existiren — unendlich
deshalb, weil die Farben gegen einander nicht scharf abgegrenzt sind, sondern
tontinuirlich in einander verfließen —, ergiebt sich ans einer mit mathematischer
Genauigkeit nachweisbaren Thatsache, in welcher sich das Prinzip für die Ge¬
setzmäßigkeit jeder wissenschaftlichen Farbeutheorie offenbart, nämlich daraus,
daß die aus der Mischung je zweier Urfarben hervorgehende Grundfarbe je den
komplementären Gegensatz zu der dritten Urfarbe bildet. So ist die Mischung



Daß Grün auch zu den einfachen oder Grundfarben gehört, wird von bedeutendem
Physikern nur gewichtigen Gründen behauptet. Wenn Blau und Gelb dieselbe Stelle der
D. Red. Netzhaut treffen, so entsteht die Empfindung weiß, nicht grün.
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[0262] Die Harmonie der Farben und der Töne hat fortpflanzen können. Daß nämlich Newton — statt der thatsächlich im Spektrum (wie jeder Regenbogen beweist) enthaltenen sechs einfachen Farben, Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Violett — deren sieben annahm, indem er zu dem eigentlichen Blau noch ein zweites etwas dunkleres, das sogenannte Indigo, hinzu¬ fügte, geschah eben nur der Analogie zu den sieben Tönen der Oktave zu Liebe; auf diese Weise war es dann allerdings sehr wohlfeil, in der Zahl 7 eine Analogie zu entdecken. Daß aber thatsächlich mir sechs einfache Farben im Spektrum existiren, geht ans folgender, sich als unwiderstehlich der Überzeugung auf¬ drängenden Erwägung hervor. Wenn man die Bezeichnung Einfachheit im strengsten Sinne nimmt, so kann sie ohne Zweifel nur auf solche Farbe» An^ Wendung finden, welche dnrch keine Mischung herstellbar sind, da die Mischung den Begriff der Einfachheit notwendig aufhebt. Solcher Farben giebt es aber nicht sechs, geschweige denn sieben, sondern mir drei: Gelb, Rot, Blau, die ich deshalb Urfarben nennen möchte, weil alle andern Farben und Farbennuancen entweder durch ihre Mischung oder durch Abtönung zu Weiß oder Schwarz ent¬ stehen. Letztere beideu sind nämlich keine Farben im spezifischen Sinne des Wortes, sondern bedeuten nur positive und negative Farblosigkeit, d. h. sie sind Surrogate des reinen Lichts und der reinen Finsternis. Gelb, Rot, Blan sind also, als Urfarben, allein einfach,*) wenn man, wie bemerkt, diesen Ausdruck im strengsten Sinne nimmt. Was die andern drei sogenannten einfachen Farben Orange, Grün, Violett betrifft, so braucht mau nur den Regenbogen mit unbefangnen Auge anzu¬ sehen, um zu erkennen, daß Orange den Übergang von Gelb zu Rot, Grün den von Gelb zu Blan, Violett den von Blau zu Rot bildet, d. h. daß sie aus der Mischung je eines Paares der betreffenden Urfarben entstehen. Wenn Newton also ein „etwas dunkleres Blau" als siebente Farbe im prismatischen Spektrum entdeckt haben wollte, so hätte er mit demselben Rechte z. B. auch ein „etwas dunkleres Rot," etwa Karmin, hinzufügen können, was er wahrscheinlich auch getan haben würde, wenn zufällig die musikalische Tonleiter uicht sieben, sondern acht Töne umfaßte. Daß aber thatsächlich nur sechs Farben — ich nenne sie Grund¬ farben —, nämlich die drei Urfarben mit ihren einfachen Mischungsprvduktcn, oder aber eine unendliche Menge derselben im Spektrum existiren — unendlich deshalb, weil die Farben gegen einander nicht scharf abgegrenzt sind, sondern tontinuirlich in einander verfließen —, ergiebt sich ans einer mit mathematischer Genauigkeit nachweisbaren Thatsache, in welcher sich das Prinzip für die Ge¬ setzmäßigkeit jeder wissenschaftlichen Farbeutheorie offenbart, nämlich daraus, daß die aus der Mischung je zweier Urfarben hervorgehende Grundfarbe je den komplementären Gegensatz zu der dritten Urfarbe bildet. So ist die Mischung Daß Grün auch zu den einfachen oder Grundfarben gehört, wird von bedeutendem Physikern nur gewichtigen Gründen behauptet. Wenn Blau und Gelb dieselbe Stelle der D. Red. Netzhaut treffen, so entsteht die Empfindung weiß, nicht grün.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/262>, abgerufen am 23.07.2024.