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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Harmonie der Farben und der Töne.

betreffenden Erscheinungen vom subjektiven Gesichtspunkt betrachtet -- zwischen
der Nerventhcitigkcit des Auges und des Ohres zu sprechen, als daß man die¬
selbe als zufällig oder willkürlich ohne weiteres von der Hand weisen dürfte.
Die folgenden Erörterungen gehen auch keineswegs darauf ans, jede Verwandt¬
schaft zwischen ihnen als Illusion hinzustellen, sondern mir darauf, die Grenzen
derselben genauer zu bestimmen, d, h, nachzuweisen, daß jene Analogie nicht,
wie man vielfach zu behaupten versucht hat, als ein durchgreifender Parallelismus
zu betrachten ist, sondern daß sie im wesentlichen nur eine symbolische Bedeutung
besitzt, welche, wenn sie über diese in der differenten Natur der beiden Sinnes¬
organe, Auge und Ohr, begründete Schranke hinaus zu einer positiven Gleich¬
förmigkeit potenzirt wird, zu haltlosen und widerspruchsvollen Konsequenzen
führt, welche nur deu zweifelhaften Wert einer unwissenschaftlichen Spielerei
beanspruchen dürfen.

Betrachten wir zunächst einige in der Geschichte der Physik auftretenden
Ansichten, in denen, auf Grund anscheinend empirischer Ergebnisse und mathe¬
matischer Berechnungen über die Natur der Farben und der Töne, jener
Parallelismus zwischen der Farben- und der Tonharmonie behauptet wird, um
dieselben nach Maßgabe der thatsächlichen Differenz zwischen den optischen und
akustischen Erscheinungen oder -- was dasselbe ist -- zwischen den Sinnes-
empfindungen des Auges und des Ohres einer Prüfung zu unterziehen. Zunächst
bedarf der Ausdruck "was dasselbe ist" einer nähern Erklärung, insofern er
scheinbar zwei Betrachtungsweisen identifizirt, die im Grunde einen Gegensatz
zu einander bilden. Die Physiker nämlich nehmen bei dieser Frage, wie über¬
haupt durchgehende den Erscheinungen gegenüber einen objektiven Standpunkt
ein, d. h. sie betrachten die Erscheinung als eine gegebene, bekannte Thatsache
und suchen dieselbe mit Hilfe zum Teil sehr gewagter Hypothesen zu erklären,
während in Wahrheit -- worauf auch Schopenhauer, im Anschluß an Kant,*)
in seiner interessanten Abhandlung "Vom Sehen und den Farben" hingewiesen
hat -- überall, wo es sich um Sinneswahrnehmungen handelt, das zunächst
uns Bekannte und wirklich Gegebene nicht die Erscheinung, sondern nur unsre
Empfindung davon ist, von deren Natur wir auf die Natur der Erscheinung,
d. h. von einer uns bekannten Wirkung auf eine unbekannte Ursache, zurück-
schließen. Indem wir nämlich den Inhalt der Empfindung gleichsam nach außen
projiziren, verleihen wir ihm eine scheinbare Objektivität, von der wir schlechter¬
dings nicht wissen und sagen können, ob sie in dieser Form überhaupt vor¬
handen ist. Es kann zugegeben werden, daß irgendwelche objektive Ursache für
unsre Empfindung existirt; was aber deren eigentliches Wesen oder, um mit
Kant zu sprechen, was das "Ding an sich" darin sei, wissen wir nicht.



*) Hie Ansichten Schopenhauers sind durchaus nicht in Übereinstimmung mit Kant.
. D. Red.
Die Harmonie der Farben und der Töne.

betreffenden Erscheinungen vom subjektiven Gesichtspunkt betrachtet — zwischen
der Nerventhcitigkcit des Auges und des Ohres zu sprechen, als daß man die¬
selbe als zufällig oder willkürlich ohne weiteres von der Hand weisen dürfte.
Die folgenden Erörterungen gehen auch keineswegs darauf ans, jede Verwandt¬
schaft zwischen ihnen als Illusion hinzustellen, sondern mir darauf, die Grenzen
derselben genauer zu bestimmen, d, h, nachzuweisen, daß jene Analogie nicht,
wie man vielfach zu behaupten versucht hat, als ein durchgreifender Parallelismus
zu betrachten ist, sondern daß sie im wesentlichen nur eine symbolische Bedeutung
besitzt, welche, wenn sie über diese in der differenten Natur der beiden Sinnes¬
organe, Auge und Ohr, begründete Schranke hinaus zu einer positiven Gleich¬
förmigkeit potenzirt wird, zu haltlosen und widerspruchsvollen Konsequenzen
führt, welche nur deu zweifelhaften Wert einer unwissenschaftlichen Spielerei
beanspruchen dürfen.

Betrachten wir zunächst einige in der Geschichte der Physik auftretenden
Ansichten, in denen, auf Grund anscheinend empirischer Ergebnisse und mathe¬
matischer Berechnungen über die Natur der Farben und der Töne, jener
Parallelismus zwischen der Farben- und der Tonharmonie behauptet wird, um
dieselben nach Maßgabe der thatsächlichen Differenz zwischen den optischen und
akustischen Erscheinungen oder — was dasselbe ist — zwischen den Sinnes-
empfindungen des Auges und des Ohres einer Prüfung zu unterziehen. Zunächst
bedarf der Ausdruck „was dasselbe ist" einer nähern Erklärung, insofern er
scheinbar zwei Betrachtungsweisen identifizirt, die im Grunde einen Gegensatz
zu einander bilden. Die Physiker nämlich nehmen bei dieser Frage, wie über¬
haupt durchgehende den Erscheinungen gegenüber einen objektiven Standpunkt
ein, d. h. sie betrachten die Erscheinung als eine gegebene, bekannte Thatsache
und suchen dieselbe mit Hilfe zum Teil sehr gewagter Hypothesen zu erklären,
während in Wahrheit — worauf auch Schopenhauer, im Anschluß an Kant,*)
in seiner interessanten Abhandlung „Vom Sehen und den Farben" hingewiesen
hat — überall, wo es sich um Sinneswahrnehmungen handelt, das zunächst
uns Bekannte und wirklich Gegebene nicht die Erscheinung, sondern nur unsre
Empfindung davon ist, von deren Natur wir auf die Natur der Erscheinung,
d. h. von einer uns bekannten Wirkung auf eine unbekannte Ursache, zurück-
schließen. Indem wir nämlich den Inhalt der Empfindung gleichsam nach außen
projiziren, verleihen wir ihm eine scheinbare Objektivität, von der wir schlechter¬
dings nicht wissen und sagen können, ob sie in dieser Form überhaupt vor¬
handen ist. Es kann zugegeben werden, daß irgendwelche objektive Ursache für
unsre Empfindung existirt; was aber deren eigentliches Wesen oder, um mit
Kant zu sprechen, was das „Ding an sich" darin sei, wissen wir nicht.



*) Hie Ansichten Schopenhauers sind durchaus nicht in Übereinstimmung mit Kant.
. D. Red.
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[0260] Die Harmonie der Farben und der Töne. betreffenden Erscheinungen vom subjektiven Gesichtspunkt betrachtet — zwischen der Nerventhcitigkcit des Auges und des Ohres zu sprechen, als daß man die¬ selbe als zufällig oder willkürlich ohne weiteres von der Hand weisen dürfte. Die folgenden Erörterungen gehen auch keineswegs darauf ans, jede Verwandt¬ schaft zwischen ihnen als Illusion hinzustellen, sondern mir darauf, die Grenzen derselben genauer zu bestimmen, d, h, nachzuweisen, daß jene Analogie nicht, wie man vielfach zu behaupten versucht hat, als ein durchgreifender Parallelismus zu betrachten ist, sondern daß sie im wesentlichen nur eine symbolische Bedeutung besitzt, welche, wenn sie über diese in der differenten Natur der beiden Sinnes¬ organe, Auge und Ohr, begründete Schranke hinaus zu einer positiven Gleich¬ förmigkeit potenzirt wird, zu haltlosen und widerspruchsvollen Konsequenzen führt, welche nur deu zweifelhaften Wert einer unwissenschaftlichen Spielerei beanspruchen dürfen. Betrachten wir zunächst einige in der Geschichte der Physik auftretenden Ansichten, in denen, auf Grund anscheinend empirischer Ergebnisse und mathe¬ matischer Berechnungen über die Natur der Farben und der Töne, jener Parallelismus zwischen der Farben- und der Tonharmonie behauptet wird, um dieselben nach Maßgabe der thatsächlichen Differenz zwischen den optischen und akustischen Erscheinungen oder — was dasselbe ist — zwischen den Sinnes- empfindungen des Auges und des Ohres einer Prüfung zu unterziehen. Zunächst bedarf der Ausdruck „was dasselbe ist" einer nähern Erklärung, insofern er scheinbar zwei Betrachtungsweisen identifizirt, die im Grunde einen Gegensatz zu einander bilden. Die Physiker nämlich nehmen bei dieser Frage, wie über¬ haupt durchgehende den Erscheinungen gegenüber einen objektiven Standpunkt ein, d. h. sie betrachten die Erscheinung als eine gegebene, bekannte Thatsache und suchen dieselbe mit Hilfe zum Teil sehr gewagter Hypothesen zu erklären, während in Wahrheit — worauf auch Schopenhauer, im Anschluß an Kant,*) in seiner interessanten Abhandlung „Vom Sehen und den Farben" hingewiesen hat — überall, wo es sich um Sinneswahrnehmungen handelt, das zunächst uns Bekannte und wirklich Gegebene nicht die Erscheinung, sondern nur unsre Empfindung davon ist, von deren Natur wir auf die Natur der Erscheinung, d. h. von einer uns bekannten Wirkung auf eine unbekannte Ursache, zurück- schließen. Indem wir nämlich den Inhalt der Empfindung gleichsam nach außen projiziren, verleihen wir ihm eine scheinbare Objektivität, von der wir schlechter¬ dings nicht wissen und sagen können, ob sie in dieser Form überhaupt vor¬ handen ist. Es kann zugegeben werden, daß irgendwelche objektive Ursache für unsre Empfindung existirt; was aber deren eigentliches Wesen oder, um mit Kant zu sprechen, was das „Ding an sich" darin sei, wissen wir nicht. *) Hie Ansichten Schopenhauers sind durchaus nicht in Übereinstimmung mit Kant. . D. Red.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/260>, abgerufen am 03.07.2024.