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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Treitschkes Deutsche Geschichte.

entgegenstellt, ist eine Schädigung nicht nur für die historische Wahrheit, sondern
auch für die innerliche Einigung unsers Volkes; diese Treitschkesche Tendenz
"verschärft die seit 1866 sich vermittelnden partikularen Gegensätze in der ge¬
hässigsten Weise/' Armer Treitschke! Also darum zehn Jahre und darüber
"deutscher Kämpfe," um jetzt von Dr. Bulle in Bremen als offenkundiger, wenn
auch als unfreiwilliger Förderer des Partikularismus vor dem deutschen Volke
in Anklagezustand versetzt zu werden! Aber als Eideshelfer tritt diesem Ankläger
sofort Vaumgarten zur Seite. In seiner Erwiederung auf Treitschkes Replik
enthüllt er den eigentlichen Grund des "raschen Hervortretens mit seiner Ver¬
wahrung"; auch ihn hat, wie wir nun erst erfahren, die patriotische Angst über die
möglichen schädlichen Wirkungen des Buches getrieben; er hat bereits Beobachtungen
darüber gemacht, wie dasselbe in der That höchst nachteilig zu wirken beginne;
es war die höchste Zeit; "Ultramontane und Partikularisten sollten nicht das
Recht erhalten, die Unbilden Treitschkes allen Freunden Preußens zur Last
zu legen."

Ich will zunächst, da ich doch auch einige Beobachtungen im Süden an¬
zustellen Gelegenheit gehabt habe, nur bemerken, daß Baumgarten dem süddeutschen
Publikum gar keine Zeit gelassen hat, in unbefangner Weise das Buch auf sich
wirken zu lassen. Und dies muß ich als einen Vorwurf gegen ihn festhalten.
Warm", wenn das Buch wirklich dazu angethan war, verstimmend oder gar
erbitternd in Süddeutschland zu wirken (was ich bezweifle), konnte man nicht
süddeutschen Stimmen darüber den Vortritt lassen und abwarten, ob wirklich
das vermeintliche Gift so schädlich wirke? Wenn die Artikel der "Allgemeinen
Zeitung" eine "Verwahrung" sein sollten -- war es denn so pressant nötig,
Süddentschland darüber zu belehren, daß Professor Bnumgarten in Straßburg
"ein besserer Freund Preußens" sei als Treitschke? Die Kenntnisnahme von
dein Buche erfolgte in den weiteren Leserkreisen gleichzeitig mit der Lektüre jener
Artikel, in den meisten Füllen Wohl sogar erst nach derselben. Diese feindselige,
mit scheinbar vernichtenden Argumenten auftretende Kritik aus dem Munde eines
angesehenen Gelehrten, eines Norddeutschen, eines reichspatriotischen Mannes,
eines Liberalen mußte von vornherein auf das Urteil aller minder selbständigen
Leser, d. h. der meisten, einen einseitig prävkkupirenden Eindruck machen. Die
Unbekehrten und Unbelehrbaren -- Ultramontane und Partikularisten -- werden
im Geiste Baumgarten die Hand geschüttelt haben für das treffliche Arsenal
wohlzugespitztcr Waffen, welches er ihnen zur Verfügung stellte; bequemer konnten
sie uicht dazu kommen. Den unbefangeneren Leser aber weist er mit einer solchen
in die Formen rein sachlicher Kritik gekleideten Geslisscntlichkeit auf diejenigen
Punkte hin, über welche er es sich gleichsam selbst schuldig sei in empfindliche
Erwse zu geraten, daß diese Anregung unmöglich auf steinigen Boden fallen
konnte; wir befinden uns in Deutschland ja gemeinhin im Tadel wohler als in
der Anerkennung, und es kann jeder immer auf Dank rechnen, wenn er dem


Treitschkes Deutsche Geschichte.

entgegenstellt, ist eine Schädigung nicht nur für die historische Wahrheit, sondern
auch für die innerliche Einigung unsers Volkes; diese Treitschkesche Tendenz
„verschärft die seit 1866 sich vermittelnden partikularen Gegensätze in der ge¬
hässigsten Weise/' Armer Treitschke! Also darum zehn Jahre und darüber
„deutscher Kämpfe," um jetzt von Dr. Bulle in Bremen als offenkundiger, wenn
auch als unfreiwilliger Förderer des Partikularismus vor dem deutschen Volke
in Anklagezustand versetzt zu werden! Aber als Eideshelfer tritt diesem Ankläger
sofort Vaumgarten zur Seite. In seiner Erwiederung auf Treitschkes Replik
enthüllt er den eigentlichen Grund des „raschen Hervortretens mit seiner Ver¬
wahrung"; auch ihn hat, wie wir nun erst erfahren, die patriotische Angst über die
möglichen schädlichen Wirkungen des Buches getrieben; er hat bereits Beobachtungen
darüber gemacht, wie dasselbe in der That höchst nachteilig zu wirken beginne;
es war die höchste Zeit; „Ultramontane und Partikularisten sollten nicht das
Recht erhalten, die Unbilden Treitschkes allen Freunden Preußens zur Last
zu legen."

Ich will zunächst, da ich doch auch einige Beobachtungen im Süden an¬
zustellen Gelegenheit gehabt habe, nur bemerken, daß Baumgarten dem süddeutschen
Publikum gar keine Zeit gelassen hat, in unbefangner Weise das Buch auf sich
wirken zu lassen. Und dies muß ich als einen Vorwurf gegen ihn festhalten.
Warm», wenn das Buch wirklich dazu angethan war, verstimmend oder gar
erbitternd in Süddeutschland zu wirken (was ich bezweifle), konnte man nicht
süddeutschen Stimmen darüber den Vortritt lassen und abwarten, ob wirklich
das vermeintliche Gift so schädlich wirke? Wenn die Artikel der „Allgemeinen
Zeitung" eine „Verwahrung" sein sollten — war es denn so pressant nötig,
Süddentschland darüber zu belehren, daß Professor Bnumgarten in Straßburg
„ein besserer Freund Preußens" sei als Treitschke? Die Kenntnisnahme von
dein Buche erfolgte in den weiteren Leserkreisen gleichzeitig mit der Lektüre jener
Artikel, in den meisten Füllen Wohl sogar erst nach derselben. Diese feindselige,
mit scheinbar vernichtenden Argumenten auftretende Kritik aus dem Munde eines
angesehenen Gelehrten, eines Norddeutschen, eines reichspatriotischen Mannes,
eines Liberalen mußte von vornherein auf das Urteil aller minder selbständigen
Leser, d. h. der meisten, einen einseitig prävkkupirenden Eindruck machen. Die
Unbekehrten und Unbelehrbaren — Ultramontane und Partikularisten — werden
im Geiste Baumgarten die Hand geschüttelt haben für das treffliche Arsenal
wohlzugespitztcr Waffen, welches er ihnen zur Verfügung stellte; bequemer konnten
sie uicht dazu kommen. Den unbefangeneren Leser aber weist er mit einer solchen
in die Formen rein sachlicher Kritik gekleideten Geslisscntlichkeit auf diejenigen
Punkte hin, über welche er es sich gleichsam selbst schuldig sei in empfindliche
Erwse zu geraten, daß diese Anregung unmöglich auf steinigen Boden fallen
konnte; wir befinden uns in Deutschland ja gemeinhin im Tadel wohler als in
der Anerkennung, und es kann jeder immer auf Dank rechnen, wenn er dem


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[0255] Treitschkes Deutsche Geschichte. entgegenstellt, ist eine Schädigung nicht nur für die historische Wahrheit, sondern auch für die innerliche Einigung unsers Volkes; diese Treitschkesche Tendenz „verschärft die seit 1866 sich vermittelnden partikularen Gegensätze in der ge¬ hässigsten Weise/' Armer Treitschke! Also darum zehn Jahre und darüber „deutscher Kämpfe," um jetzt von Dr. Bulle in Bremen als offenkundiger, wenn auch als unfreiwilliger Förderer des Partikularismus vor dem deutschen Volke in Anklagezustand versetzt zu werden! Aber als Eideshelfer tritt diesem Ankläger sofort Vaumgarten zur Seite. In seiner Erwiederung auf Treitschkes Replik enthüllt er den eigentlichen Grund des „raschen Hervortretens mit seiner Ver¬ wahrung"; auch ihn hat, wie wir nun erst erfahren, die patriotische Angst über die möglichen schädlichen Wirkungen des Buches getrieben; er hat bereits Beobachtungen darüber gemacht, wie dasselbe in der That höchst nachteilig zu wirken beginne; es war die höchste Zeit; „Ultramontane und Partikularisten sollten nicht das Recht erhalten, die Unbilden Treitschkes allen Freunden Preußens zur Last zu legen." Ich will zunächst, da ich doch auch einige Beobachtungen im Süden an¬ zustellen Gelegenheit gehabt habe, nur bemerken, daß Baumgarten dem süddeutschen Publikum gar keine Zeit gelassen hat, in unbefangner Weise das Buch auf sich wirken zu lassen. Und dies muß ich als einen Vorwurf gegen ihn festhalten. Warm», wenn das Buch wirklich dazu angethan war, verstimmend oder gar erbitternd in Süddeutschland zu wirken (was ich bezweifle), konnte man nicht süddeutschen Stimmen darüber den Vortritt lassen und abwarten, ob wirklich das vermeintliche Gift so schädlich wirke? Wenn die Artikel der „Allgemeinen Zeitung" eine „Verwahrung" sein sollten — war es denn so pressant nötig, Süddentschland darüber zu belehren, daß Professor Bnumgarten in Straßburg „ein besserer Freund Preußens" sei als Treitschke? Die Kenntnisnahme von dein Buche erfolgte in den weiteren Leserkreisen gleichzeitig mit der Lektüre jener Artikel, in den meisten Füllen Wohl sogar erst nach derselben. Diese feindselige, mit scheinbar vernichtenden Argumenten auftretende Kritik aus dem Munde eines angesehenen Gelehrten, eines Norddeutschen, eines reichspatriotischen Mannes, eines Liberalen mußte von vornherein auf das Urteil aller minder selbständigen Leser, d. h. der meisten, einen einseitig prävkkupirenden Eindruck machen. Die Unbekehrten und Unbelehrbaren — Ultramontane und Partikularisten — werden im Geiste Baumgarten die Hand geschüttelt haben für das treffliche Arsenal wohlzugespitztcr Waffen, welches er ihnen zur Verfügung stellte; bequemer konnten sie uicht dazu kommen. Den unbefangeneren Leser aber weist er mit einer solchen in die Formen rein sachlicher Kritik gekleideten Geslisscntlichkeit auf diejenigen Punkte hin, über welche er es sich gleichsam selbst schuldig sei in empfindliche Erwse zu geraten, daß diese Anregung unmöglich auf steinigen Boden fallen konnte; wir befinden uns in Deutschland ja gemeinhin im Tadel wohler als in der Anerkennung, und es kann jeder immer auf Dank rechnen, wenn er dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/255>, abgerufen am 23.07.2024.