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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Treitschkes Deutsch? Geschichte,

"einzigen" Quelle alle ihre drastischen, wohlberechneten Effektstücke einfach glauben
und nachschreiben? Ich finde, Treitschke war in seinem vollen Rechte, wenn er
hier Auswahl traf und das allzu unwahrscheinliche bei Seite ließ, er hätte
darin vielleicht selbst noch weiter gehen können, aber jedenfalls war sein Ver¬
fahren kritischer als dasjenige, welches Baumgarten ihm zumutet. Die Ausnutzung
der Metternichschen Papiere ist ja erst begonnen, es können noch manche "Bei¬
träge zur Kritik der Metternichschen Memoiren" geschrieben werden; aber alle
Aktenstücke, worin dieser auf seine Verherrlichung vor sich selbst und vor andern
so sehr bedachte Staatsmann Bericht erstattet über zeugenlose Unterredungen
mit wichtigen fürstlichen Persönlichkeiten, sollten stets mit starkem kritischen
Mißtrauen angesehen werden. Die Versuchung war in solchen Fällen zu stark
und wohl oft plus loro aus lui. Es ist schon von Treitschke auf die bekannte
Unterredung mit Napoleon in Dresden im Juni 1813 hingewiesen worden, bei
welcher die Frage durch das Vorhandensein des gegenüberstehenden Berichtes
von Fällt besonders komplizirt wird; ich möchte in demselben Sinne auf eine
andre Aufzeichnung Metternichs aufmerksam machen, in welcher er von einer
Unterredung berichtet, die er im Jahre 1838 in Pavia mit dem König Carlo
Alberto von Sardinien unter vier Augen hatte (Nachgelassene Papiere, IV, 257).
Man darf diesem Carignan gewiß ein reichliches Maß von Verstellungskunst
zutrauen, aber diese Sprache, diese Selbstdemütigung Metternich gegenüber noch
im Jahre 1838 -- ich würde mich nie für berechtigt halten, in einer geschicht¬
lichen Darstellung von dem Dokument als einen: glaubwürdigen Gebrauch zu
machen.

Doch genug von diesen Einzelheiten. Ich habe geglaubt, auf dieselben ein¬
gehen zu sollen, weil der Angriff Baumgartens sich in erster Reihe gegen die
wissenschaftliche Leistung Treitschkes richtete, gegen das ungenügende seiner
Forschung, gegen die Schwächen seiner Methode. Ich hoffte dem Leser wenigstens
den Eindruck bereitet zu haben, daß die Begründung dieser Anklagen im ein¬
zelnen doch keineswegs eine so wohl fundirte und über allem Zweifel stehende
ist, um den hohen Ton und die Maßlosigkeit der ausgesprochenen kritischen
Verurteilung zu rechtfertigen.

Aber gab es vielleicht ein andres berechtigteres Motiv für jenen so be¬
schleunigten Warnungsruf an das Publikum? Wie ich oben sagte, könnte ein
solches ja auch in irgendeiner Gemeinschädlichkeit des Buches liegen, deren
Wirkung man sich verpflichtet glaubt vorzubeugen.

Das Verdienst, diesen Ton zuerst angeschlagen zu haben, gebührt dem
Dr. Vnlle in Bremen mit seinen Artikeln in der Weserzeitung. In der That
ist, wie wir hier erfahren, das Treitschkesche Buch bei allem belehrenden, was
es bietet, für unsre fernere deutsche Entwicklung eine ernste Gefahr. Das ein¬
seitige Borussentum des Verfassers und seine ungerechte und lieblose Härte gegen
alles in Deutschland, was den preußischen Anschauungen und Bestrebungen sich


Treitschkes Deutsch? Geschichte,

„einzigen" Quelle alle ihre drastischen, wohlberechneten Effektstücke einfach glauben
und nachschreiben? Ich finde, Treitschke war in seinem vollen Rechte, wenn er
hier Auswahl traf und das allzu unwahrscheinliche bei Seite ließ, er hätte
darin vielleicht selbst noch weiter gehen können, aber jedenfalls war sein Ver¬
fahren kritischer als dasjenige, welches Baumgarten ihm zumutet. Die Ausnutzung
der Metternichschen Papiere ist ja erst begonnen, es können noch manche „Bei¬
träge zur Kritik der Metternichschen Memoiren" geschrieben werden; aber alle
Aktenstücke, worin dieser auf seine Verherrlichung vor sich selbst und vor andern
so sehr bedachte Staatsmann Bericht erstattet über zeugenlose Unterredungen
mit wichtigen fürstlichen Persönlichkeiten, sollten stets mit starkem kritischen
Mißtrauen angesehen werden. Die Versuchung war in solchen Fällen zu stark
und wohl oft plus loro aus lui. Es ist schon von Treitschke auf die bekannte
Unterredung mit Napoleon in Dresden im Juni 1813 hingewiesen worden, bei
welcher die Frage durch das Vorhandensein des gegenüberstehenden Berichtes
von Fällt besonders komplizirt wird; ich möchte in demselben Sinne auf eine
andre Aufzeichnung Metternichs aufmerksam machen, in welcher er von einer
Unterredung berichtet, die er im Jahre 1838 in Pavia mit dem König Carlo
Alberto von Sardinien unter vier Augen hatte (Nachgelassene Papiere, IV, 257).
Man darf diesem Carignan gewiß ein reichliches Maß von Verstellungskunst
zutrauen, aber diese Sprache, diese Selbstdemütigung Metternich gegenüber noch
im Jahre 1838 — ich würde mich nie für berechtigt halten, in einer geschicht¬
lichen Darstellung von dem Dokument als einen: glaubwürdigen Gebrauch zu
machen.

Doch genug von diesen Einzelheiten. Ich habe geglaubt, auf dieselben ein¬
gehen zu sollen, weil der Angriff Baumgartens sich in erster Reihe gegen die
wissenschaftliche Leistung Treitschkes richtete, gegen das ungenügende seiner
Forschung, gegen die Schwächen seiner Methode. Ich hoffte dem Leser wenigstens
den Eindruck bereitet zu haben, daß die Begründung dieser Anklagen im ein¬
zelnen doch keineswegs eine so wohl fundirte und über allem Zweifel stehende
ist, um den hohen Ton und die Maßlosigkeit der ausgesprochenen kritischen
Verurteilung zu rechtfertigen.

Aber gab es vielleicht ein andres berechtigteres Motiv für jenen so be¬
schleunigten Warnungsruf an das Publikum? Wie ich oben sagte, könnte ein
solches ja auch in irgendeiner Gemeinschädlichkeit des Buches liegen, deren
Wirkung man sich verpflichtet glaubt vorzubeugen.

Das Verdienst, diesen Ton zuerst angeschlagen zu haben, gebührt dem
Dr. Vnlle in Bremen mit seinen Artikeln in der Weserzeitung. In der That
ist, wie wir hier erfahren, das Treitschkesche Buch bei allem belehrenden, was
es bietet, für unsre fernere deutsche Entwicklung eine ernste Gefahr. Das ein¬
seitige Borussentum des Verfassers und seine ungerechte und lieblose Härte gegen
alles in Deutschland, was den preußischen Anschauungen und Bestrebungen sich


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[0254] Treitschkes Deutsch? Geschichte, „einzigen" Quelle alle ihre drastischen, wohlberechneten Effektstücke einfach glauben und nachschreiben? Ich finde, Treitschke war in seinem vollen Rechte, wenn er hier Auswahl traf und das allzu unwahrscheinliche bei Seite ließ, er hätte darin vielleicht selbst noch weiter gehen können, aber jedenfalls war sein Ver¬ fahren kritischer als dasjenige, welches Baumgarten ihm zumutet. Die Ausnutzung der Metternichschen Papiere ist ja erst begonnen, es können noch manche „Bei¬ träge zur Kritik der Metternichschen Memoiren" geschrieben werden; aber alle Aktenstücke, worin dieser auf seine Verherrlichung vor sich selbst und vor andern so sehr bedachte Staatsmann Bericht erstattet über zeugenlose Unterredungen mit wichtigen fürstlichen Persönlichkeiten, sollten stets mit starkem kritischen Mißtrauen angesehen werden. Die Versuchung war in solchen Fällen zu stark und wohl oft plus loro aus lui. Es ist schon von Treitschke auf die bekannte Unterredung mit Napoleon in Dresden im Juni 1813 hingewiesen worden, bei welcher die Frage durch das Vorhandensein des gegenüberstehenden Berichtes von Fällt besonders komplizirt wird; ich möchte in demselben Sinne auf eine andre Aufzeichnung Metternichs aufmerksam machen, in welcher er von einer Unterredung berichtet, die er im Jahre 1838 in Pavia mit dem König Carlo Alberto von Sardinien unter vier Augen hatte (Nachgelassene Papiere, IV, 257). Man darf diesem Carignan gewiß ein reichliches Maß von Verstellungskunst zutrauen, aber diese Sprache, diese Selbstdemütigung Metternich gegenüber noch im Jahre 1838 — ich würde mich nie für berechtigt halten, in einer geschicht¬ lichen Darstellung von dem Dokument als einen: glaubwürdigen Gebrauch zu machen. Doch genug von diesen Einzelheiten. Ich habe geglaubt, auf dieselben ein¬ gehen zu sollen, weil der Angriff Baumgartens sich in erster Reihe gegen die wissenschaftliche Leistung Treitschkes richtete, gegen das ungenügende seiner Forschung, gegen die Schwächen seiner Methode. Ich hoffte dem Leser wenigstens den Eindruck bereitet zu haben, daß die Begründung dieser Anklagen im ein¬ zelnen doch keineswegs eine so wohl fundirte und über allem Zweifel stehende ist, um den hohen Ton und die Maßlosigkeit der ausgesprochenen kritischen Verurteilung zu rechtfertigen. Aber gab es vielleicht ein andres berechtigteres Motiv für jenen so be¬ schleunigten Warnungsruf an das Publikum? Wie ich oben sagte, könnte ein solches ja auch in irgendeiner Gemeinschädlichkeit des Buches liegen, deren Wirkung man sich verpflichtet glaubt vorzubeugen. Das Verdienst, diesen Ton zuerst angeschlagen zu haben, gebührt dem Dr. Vnlle in Bremen mit seinen Artikeln in der Weserzeitung. In der That ist, wie wir hier erfahren, das Treitschkesche Buch bei allem belehrenden, was es bietet, für unsre fernere deutsche Entwicklung eine ernste Gefahr. Das ein¬ seitige Borussentum des Verfassers und seine ungerechte und lieblose Härte gegen alles in Deutschland, was den preußischen Anschauungen und Bestrebungen sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/254>, abgerufen am 23.07.2024.