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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Treitschkes Deutsche Geschichte,

Erleichterung des Verständnisses berechnet und darum zweifellos erlaubt, ja
für den Leser erwünscht -- vorausgesetzt nur, daß die Interpretation richtig ist.

Gerade diesen Punkt nun hat Baumgarten zum Gegenstande seines heftigsten
Angriffs auf Treitschke erwählt. Dieser "willkürliche Zusatz" in "unsre einzige
Quelle" eingeschoben, wird als der handgreiflichste Beweis proklamirt für die
vollendete Leichtfertigkeit und Gewissenlosigkeit der Trcitschkeschen Geschichtschrei¬
bung. Ich bin überzeugt, daß der Kritiker gerade hier ihm und sich selbst am
schwersten Unrecht gethan hat.

Baumgarten will den Wortlaut der oben angeführten Stelle aus Metter-
nichs Bericht in dem Sinne verstanden wissen, daß der österreichische Staats¬
mann dem König Friedrich Wilhelm hier einfach geraten habe, überhaupt keine
"Volksvertretung" einzuführen, also das Versprechen von 1815 beiseite zu werfen.
Seine Begründung ist von großer Einfachheit. Sie stützt sich einerseits auf
den erwähnten Wortlaut, ohne die Mehrdeutigkeit des Wortes "Volksvertretung"
in diesem Zusammenhange zu erwägen; sie macht andrerseits das folgende Rä-
sonnement: Wenn Metternich bereits in Aachen im Herbst 1818 soweit war, daß
er dem König riet, nur Provinzialstünde einzurichten, um höchstens in: Notfall
eine sehr eingeschränkte "Zentraldeputation" zu gewähren, so ist es doch höchst
wahrscheinlich, daß er jetzt in Teplitz, wo die allgemeine Lage der Dinge e' u
viel gespanntere, wo die Ermordung Kotzebues erfolgt war, auch in seinen Fen-,
derungen in Betreff der preußischen Verfassungsfrage einen Schritt weiter ging
und dem König einfach riet, gar keine Volksvertretung einzuführen.

Das ist die ganze Argumentation. Und nun erwäge man: in allen bis¬
herigen Verhandlungen zwischen Preußen und Österreich hatte es sich für das
letztere lediglich darum gehandelt, die preußische Politik festzuhalten bei dein
Gedanken an eine möglichst unschädlich zu gestaltende, landständische, womöglich
rein provinzialständische Verfassung und ihr alle weiter gehenden liberalen Ex¬
perimente zu verleiden. Noch nie hatte man es gewagt, dem König direkt den
Bruch des Versprechens von 1815 zuzumuten; noch in der Aachener Denkschrift,
die für die Augen des Königs bestimmt war, hob Metternich ausdrücklich hervor,
daß dieses Versprechen in irgend einer Weise eingelöst werden müsse, und selbst
in dem Begleitschreiben an Wittgenstein wagt er nur die hingeworfene Bemerkung,
ob man nicht auch die "Zcntraldeputation," als vielleicht zur Revolution führend,
werde streichen müssen. Und nun soll hier in Teplitz Metternich dem König
gegenübergetrcten sein und demselben Auge in Auge diesen persönlich beleidigenden
Vorschlag gemacht haben? Und der König, an dessen persönliche Ehrenhaftigkeit
und Gewissenhaftigkeit man doch wohl noch wird glauben dürfen, nimmt diesen
Affront ruhig hin ohne ein Wort des Widerspruchs und weist den Beleidiger
an, das einzelne mit seinen Ministern festzustellen? Ist das alles auch nur im
entferntesten glaublich? Und weiter. Zwei Tage darauf überreicht Metternich
dem König die oben erwähnte Denkschrift. Wir kennen ihren Inhalt nicht im.


Treitschkes Deutsche Geschichte,

Erleichterung des Verständnisses berechnet und darum zweifellos erlaubt, ja
für den Leser erwünscht — vorausgesetzt nur, daß die Interpretation richtig ist.

Gerade diesen Punkt nun hat Baumgarten zum Gegenstande seines heftigsten
Angriffs auf Treitschke erwählt. Dieser „willkürliche Zusatz" in „unsre einzige
Quelle" eingeschoben, wird als der handgreiflichste Beweis proklamirt für die
vollendete Leichtfertigkeit und Gewissenlosigkeit der Trcitschkeschen Geschichtschrei¬
bung. Ich bin überzeugt, daß der Kritiker gerade hier ihm und sich selbst am
schwersten Unrecht gethan hat.

Baumgarten will den Wortlaut der oben angeführten Stelle aus Metter-
nichs Bericht in dem Sinne verstanden wissen, daß der österreichische Staats¬
mann dem König Friedrich Wilhelm hier einfach geraten habe, überhaupt keine
„Volksvertretung" einzuführen, also das Versprechen von 1815 beiseite zu werfen.
Seine Begründung ist von großer Einfachheit. Sie stützt sich einerseits auf
den erwähnten Wortlaut, ohne die Mehrdeutigkeit des Wortes „Volksvertretung"
in diesem Zusammenhange zu erwägen; sie macht andrerseits das folgende Rä-
sonnement: Wenn Metternich bereits in Aachen im Herbst 1818 soweit war, daß
er dem König riet, nur Provinzialstünde einzurichten, um höchstens in: Notfall
eine sehr eingeschränkte „Zentraldeputation" zu gewähren, so ist es doch höchst
wahrscheinlich, daß er jetzt in Teplitz, wo die allgemeine Lage der Dinge e' u
viel gespanntere, wo die Ermordung Kotzebues erfolgt war, auch in seinen Fen-,
derungen in Betreff der preußischen Verfassungsfrage einen Schritt weiter ging
und dem König einfach riet, gar keine Volksvertretung einzuführen.

Das ist die ganze Argumentation. Und nun erwäge man: in allen bis¬
herigen Verhandlungen zwischen Preußen und Österreich hatte es sich für das
letztere lediglich darum gehandelt, die preußische Politik festzuhalten bei dein
Gedanken an eine möglichst unschädlich zu gestaltende, landständische, womöglich
rein provinzialständische Verfassung und ihr alle weiter gehenden liberalen Ex¬
perimente zu verleiden. Noch nie hatte man es gewagt, dem König direkt den
Bruch des Versprechens von 1815 zuzumuten; noch in der Aachener Denkschrift,
die für die Augen des Königs bestimmt war, hob Metternich ausdrücklich hervor,
daß dieses Versprechen in irgend einer Weise eingelöst werden müsse, und selbst
in dem Begleitschreiben an Wittgenstein wagt er nur die hingeworfene Bemerkung,
ob man nicht auch die „Zcntraldeputation," als vielleicht zur Revolution führend,
werde streichen müssen. Und nun soll hier in Teplitz Metternich dem König
gegenübergetrcten sein und demselben Auge in Auge diesen persönlich beleidigenden
Vorschlag gemacht haben? Und der König, an dessen persönliche Ehrenhaftigkeit
und Gewissenhaftigkeit man doch wohl noch wird glauben dürfen, nimmt diesen
Affront ruhig hin ohne ein Wort des Widerspruchs und weist den Beleidiger
an, das einzelne mit seinen Ministern festzustellen? Ist das alles auch nur im
entferntesten glaublich? Und weiter. Zwei Tage darauf überreicht Metternich
dem König die oben erwähnte Denkschrift. Wir kennen ihren Inhalt nicht im.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/250>, abgerufen am 23.07.2024.