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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Treitschkes Deutsche Geschichte.

fcrtignng derselben, worin er sonst die allgemein angenommene und hart getadelte
Parteinahme des Königs für Schmalz in Zweifel zieht und das Verhalten des
Königs mehr in das Licht vermittelnder Gerechtigkeit zu rücken sucht, ist lebhaft
angegriffen und als ein Hauptbeweis hingestellt worden für die einseitige Par¬
teilichkeit des Verfassers für den preußischen Herrscher. Ich neige für meine
Person in dieser Frage allerdings mehr zu der Auffassung, daß die Verleihung
des vielbesprvchnen roten Adlerordens an Schmalz doch nicht so ganz harmlos
gewesen sein dürfte. Aber ich kann auch nicht in Abrede stellen, daß die Ein¬
wendung Treitschkes ihre Berechtigung hat, es sei bis jetzt durch nichts erwiesen,
daß diese Ordensverleihung in irgend einem Zusammenhange stehe mit dem De¬
nunziationsstreit, und es könne dieselbe wohl auch schon vorher angeregt und
schließlich um ganz andrer Verdienste willen dem sonst wohl beleumundeten
Beamten und Gelehrten zu Teil geworden sein. Die Verordnung des Königs,
womit er die Fortsetzung der literarischen Fehde untersagt, kann man dem Wort¬
laute nach gar wohl als eine Mitverurteilung der Schmalzschen Broschüre
deuten, welche den "unnützen Streit" hervorgerufen. Die spitzfindige Deutelei,
womit Dr. Bulle in einem seiner Artikel in der Weserzeitung sogar aus dem
Wortlaute einzelner Wendungen in der königlichen Verordnung eine Überein¬
stimmung des Königs mit Schmalz und eine Parteinahme für denselben heraus¬
lesen will, wird schwerlich viele Leser überzeugt haben. Jedenfalls liegt die
Sache doch nicht so absolut Kar, daß ein Zweifel an der Richtigkeit der bis¬
herigen Auffassung als ein offenbarer Hochverrat an der Sache der historischen
Wahrheit hingestellt werden dürfte.

Daß Treitschkes Darstellung des burschenschaftlichen Treibens, daß namentlich
seine Auffassung der That Karl Ludwig Sands, für welche er wesentlich Karl
Follen verantwortlich macht, in allen Stücken das richtige treffe, wird sich
mit Bestimmtheit weder bejahen noch verneinen lassen. Bei allem geheimbünd-
lerischen Treiben stehen wir meistens irgendeinem unfindbaren x gegenüber;
wir wissen heute noch nicht, wann und wo die Sekte der Carbonari entstanden
ist, und wissen, so viel auch darüber geschrieben ist, ziemlich wenig von ihrer
Organisation und von ihren inneren treibenden Kräften. Wo Verschwiegenheit
höchstes Gesetz und organisirte Lüge die notwendigste Bedingung des Bestehens
ist, wird dem künftigen Historiker die Aufgabe sehr erschwert. An psychologischer
Wahrscheinlichkeit fehlt es dem Bilde, welches Treitschke hier entwirft, nach
meiner Auffassung nicht, und die Einwendungen, welche Baumgarten zu Gunsten
Follens erhebt unter Hinweisung auf dessen spätere Thätigkeit in Amerika, sind
von jenein gewiß mit vollem Rechte zurückgewiesen worden. Durchaus willkürlich
aber ist die Behauptung des Kritikers, daß die vor zwei Jahren veröffentlichten
Lebenserinnerungen Heinrich Leos, auf welche Treitschke für die Begründung
seiner Auffassung Gewicht legt, eine Quelle seien, "deren tendenziöser Charakter
jedem historisch geschulten Forscher sofort in die Augen springt." Mag dem


Treitschkes Deutsche Geschichte.

fcrtignng derselben, worin er sonst die allgemein angenommene und hart getadelte
Parteinahme des Königs für Schmalz in Zweifel zieht und das Verhalten des
Königs mehr in das Licht vermittelnder Gerechtigkeit zu rücken sucht, ist lebhaft
angegriffen und als ein Hauptbeweis hingestellt worden für die einseitige Par¬
teilichkeit des Verfassers für den preußischen Herrscher. Ich neige für meine
Person in dieser Frage allerdings mehr zu der Auffassung, daß die Verleihung
des vielbesprvchnen roten Adlerordens an Schmalz doch nicht so ganz harmlos
gewesen sein dürfte. Aber ich kann auch nicht in Abrede stellen, daß die Ein¬
wendung Treitschkes ihre Berechtigung hat, es sei bis jetzt durch nichts erwiesen,
daß diese Ordensverleihung in irgend einem Zusammenhange stehe mit dem De¬
nunziationsstreit, und es könne dieselbe wohl auch schon vorher angeregt und
schließlich um ganz andrer Verdienste willen dem sonst wohl beleumundeten
Beamten und Gelehrten zu Teil geworden sein. Die Verordnung des Königs,
womit er die Fortsetzung der literarischen Fehde untersagt, kann man dem Wort¬
laute nach gar wohl als eine Mitverurteilung der Schmalzschen Broschüre
deuten, welche den „unnützen Streit" hervorgerufen. Die spitzfindige Deutelei,
womit Dr. Bulle in einem seiner Artikel in der Weserzeitung sogar aus dem
Wortlaute einzelner Wendungen in der königlichen Verordnung eine Überein¬
stimmung des Königs mit Schmalz und eine Parteinahme für denselben heraus¬
lesen will, wird schwerlich viele Leser überzeugt haben. Jedenfalls liegt die
Sache doch nicht so absolut Kar, daß ein Zweifel an der Richtigkeit der bis¬
herigen Auffassung als ein offenbarer Hochverrat an der Sache der historischen
Wahrheit hingestellt werden dürfte.

Daß Treitschkes Darstellung des burschenschaftlichen Treibens, daß namentlich
seine Auffassung der That Karl Ludwig Sands, für welche er wesentlich Karl
Follen verantwortlich macht, in allen Stücken das richtige treffe, wird sich
mit Bestimmtheit weder bejahen noch verneinen lassen. Bei allem geheimbünd-
lerischen Treiben stehen wir meistens irgendeinem unfindbaren x gegenüber;
wir wissen heute noch nicht, wann und wo die Sekte der Carbonari entstanden
ist, und wissen, so viel auch darüber geschrieben ist, ziemlich wenig von ihrer
Organisation und von ihren inneren treibenden Kräften. Wo Verschwiegenheit
höchstes Gesetz und organisirte Lüge die notwendigste Bedingung des Bestehens
ist, wird dem künftigen Historiker die Aufgabe sehr erschwert. An psychologischer
Wahrscheinlichkeit fehlt es dem Bilde, welches Treitschke hier entwirft, nach
meiner Auffassung nicht, und die Einwendungen, welche Baumgarten zu Gunsten
Follens erhebt unter Hinweisung auf dessen spätere Thätigkeit in Amerika, sind
von jenein gewiß mit vollem Rechte zurückgewiesen worden. Durchaus willkürlich
aber ist die Behauptung des Kritikers, daß die vor zwei Jahren veröffentlichten
Lebenserinnerungen Heinrich Leos, auf welche Treitschke für die Begründung
seiner Auffassung Gewicht legt, eine Quelle seien, „deren tendenziöser Charakter
jedem historisch geschulten Forscher sofort in die Augen springt." Mag dem


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[0246] Treitschkes Deutsche Geschichte. fcrtignng derselben, worin er sonst die allgemein angenommene und hart getadelte Parteinahme des Königs für Schmalz in Zweifel zieht und das Verhalten des Königs mehr in das Licht vermittelnder Gerechtigkeit zu rücken sucht, ist lebhaft angegriffen und als ein Hauptbeweis hingestellt worden für die einseitige Par¬ teilichkeit des Verfassers für den preußischen Herrscher. Ich neige für meine Person in dieser Frage allerdings mehr zu der Auffassung, daß die Verleihung des vielbesprvchnen roten Adlerordens an Schmalz doch nicht so ganz harmlos gewesen sein dürfte. Aber ich kann auch nicht in Abrede stellen, daß die Ein¬ wendung Treitschkes ihre Berechtigung hat, es sei bis jetzt durch nichts erwiesen, daß diese Ordensverleihung in irgend einem Zusammenhange stehe mit dem De¬ nunziationsstreit, und es könne dieselbe wohl auch schon vorher angeregt und schließlich um ganz andrer Verdienste willen dem sonst wohl beleumundeten Beamten und Gelehrten zu Teil geworden sein. Die Verordnung des Königs, womit er die Fortsetzung der literarischen Fehde untersagt, kann man dem Wort¬ laute nach gar wohl als eine Mitverurteilung der Schmalzschen Broschüre deuten, welche den „unnützen Streit" hervorgerufen. Die spitzfindige Deutelei, womit Dr. Bulle in einem seiner Artikel in der Weserzeitung sogar aus dem Wortlaute einzelner Wendungen in der königlichen Verordnung eine Überein¬ stimmung des Königs mit Schmalz und eine Parteinahme für denselben heraus¬ lesen will, wird schwerlich viele Leser überzeugt haben. Jedenfalls liegt die Sache doch nicht so absolut Kar, daß ein Zweifel an der Richtigkeit der bis¬ herigen Auffassung als ein offenbarer Hochverrat an der Sache der historischen Wahrheit hingestellt werden dürfte. Daß Treitschkes Darstellung des burschenschaftlichen Treibens, daß namentlich seine Auffassung der That Karl Ludwig Sands, für welche er wesentlich Karl Follen verantwortlich macht, in allen Stücken das richtige treffe, wird sich mit Bestimmtheit weder bejahen noch verneinen lassen. Bei allem geheimbünd- lerischen Treiben stehen wir meistens irgendeinem unfindbaren x gegenüber; wir wissen heute noch nicht, wann und wo die Sekte der Carbonari entstanden ist, und wissen, so viel auch darüber geschrieben ist, ziemlich wenig von ihrer Organisation und von ihren inneren treibenden Kräften. Wo Verschwiegenheit höchstes Gesetz und organisirte Lüge die notwendigste Bedingung des Bestehens ist, wird dem künftigen Historiker die Aufgabe sehr erschwert. An psychologischer Wahrscheinlichkeit fehlt es dem Bilde, welches Treitschke hier entwirft, nach meiner Auffassung nicht, und die Einwendungen, welche Baumgarten zu Gunsten Follens erhebt unter Hinweisung auf dessen spätere Thätigkeit in Amerika, sind von jenein gewiß mit vollem Rechte zurückgewiesen worden. Durchaus willkürlich aber ist die Behauptung des Kritikers, daß die vor zwei Jahren veröffentlichten Lebenserinnerungen Heinrich Leos, auf welche Treitschke für die Begründung seiner Auffassung Gewicht legt, eine Quelle seien, „deren tendenziöser Charakter jedem historisch geschulten Forscher sofort in die Augen springt." Mag dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/246>, abgerufen am 25.08.2024.