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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Treitschke- Deutsche Geschichte.

gemacht hat), daß er um Zulassung zu demselben nachgesucht habe, aber ab¬
schläglich beschieden worden sei, so sollte man eigentlich meinen, die Sache sei
damit erledigt. Baumgarten beruhigt sich dabei noch nicht: allerdings, erklärt
er, werde die Benutzung des Wiener Archivs für die Zeit nach 1815 in der
Regel nicht gestattet, aber es würden Ausnahmen gemacht; "ich habe den stärksten
Grund, anzunehmen, daß die allbekannte Liberalität des Ritters von Arneth zu
Gunsten Treitschkes eine Ausnahme zugelassen haben würde, wenn er von ihm
eine objektive Verwertung des ihm dargebotenen Materials hätte erwarten können."
Das würde, wie man Wohl deuten darf, die erfreuliche Perspektive eröffnen, daß
einem Glücklicheren sich bald jene inhaltreichen Schränke offnen werden; und in
der That, nachdem man in Wien die Veröffentlichung von Metternichs "nach¬
gelassenen Papieren" gestattet hat, ist nicht wohl einzusehen, warum man die
einmal durchbrochenen Schranken nicht völlig hinwegräumt. Bisher aber ist es
nicht geschehen; es ist mir im Augenblick eine einzige Ausnahme erinnerlich:
Karl Mendelssohn hat für die beiden Bände seiner neueren griechischen Geschichte
wertvolle diplomatische Materialien aus Wien erhalten. Aber was für den Historiker
der orientalischen Frage ausnahmsweise erreichbar war, das ist es doch eben that¬
sächlich für das Studium der deutschen Frage bis jetzt nicht gewesen. Man
hat Treitschke zurückgewiesen, mögen die Gründe sein, welche sie wollen; aber
auch kein andrer hat bis jetzt jene Schätze heben dürfen, und auch die so reg¬
same und auf so verschiedenen Gebieten thätige Schule jüngerer österreichischer
Geschichtsforscher scheint dieses doch gewiß sehr erkleckliche Früchte versprechende
Arbeitsfeld meiden zu müssen. Trotz alledem kann sich Baumgarten die Insi¬
nuation gegen Treitschke nicht versagen, daß man ihn wohl zugelassen haben
würde, wenn man seiner Objektivität getraut hätte. Es ist uicht meine Sache,
die Diskretion einer solchen Andeutung zu erörtern; aber eine sehr elegante Ge¬
fechtsmanier scheint mir das nicht zu sein. Im übrigen finde ich es ganz glaub¬
lich und begreiflich, wenn man in Wien die erste Ausnahme auf diesem heikeln
Gebiete nicht gerade zu Gunsten eines Historikers von so prononeirter politischer
Stellung machen wollte. Es ist einmal nicht anders, alle Wahrheitsliebe, alles
Streben nach Objektivität vorausgesetzt, dieselben Dinge aus denselben Doku¬
menten erforscht spiegeln sich anders wieder in dem einen Kopfe als in dem
andern; die Zeichnungen können sich decken, die Beleuchtung ist eine andre;
jedenfalls aber hat man in Wien das Recht, auch die Beleuchtung zu wählen,
in welcher man die Julina der österreichisch-deutschen Geschichte zum erstenmale
vor das Publikum treten lassen will.

Von den süddeutschen Archiven hat Treitschke nur das badische in Karls¬
ruhe, welches ihm in der liberalsten Weise geöffnet wurde und reichliche Aus¬
beute gewährte, benutzt; das bairische und würtenbergische nicht. Er hat sich
nicht darüber ausgesprochen -- was immerhin wohl hätte geschehen können --,
ob er in München und Stuttgart gleichfalls einen abweisender Bescheid erhalten


Treitschke- Deutsche Geschichte.

gemacht hat), daß er um Zulassung zu demselben nachgesucht habe, aber ab¬
schläglich beschieden worden sei, so sollte man eigentlich meinen, die Sache sei
damit erledigt. Baumgarten beruhigt sich dabei noch nicht: allerdings, erklärt
er, werde die Benutzung des Wiener Archivs für die Zeit nach 1815 in der
Regel nicht gestattet, aber es würden Ausnahmen gemacht; „ich habe den stärksten
Grund, anzunehmen, daß die allbekannte Liberalität des Ritters von Arneth zu
Gunsten Treitschkes eine Ausnahme zugelassen haben würde, wenn er von ihm
eine objektive Verwertung des ihm dargebotenen Materials hätte erwarten können."
Das würde, wie man Wohl deuten darf, die erfreuliche Perspektive eröffnen, daß
einem Glücklicheren sich bald jene inhaltreichen Schränke offnen werden; und in
der That, nachdem man in Wien die Veröffentlichung von Metternichs „nach¬
gelassenen Papieren" gestattet hat, ist nicht wohl einzusehen, warum man die
einmal durchbrochenen Schranken nicht völlig hinwegräumt. Bisher aber ist es
nicht geschehen; es ist mir im Augenblick eine einzige Ausnahme erinnerlich:
Karl Mendelssohn hat für die beiden Bände seiner neueren griechischen Geschichte
wertvolle diplomatische Materialien aus Wien erhalten. Aber was für den Historiker
der orientalischen Frage ausnahmsweise erreichbar war, das ist es doch eben that¬
sächlich für das Studium der deutschen Frage bis jetzt nicht gewesen. Man
hat Treitschke zurückgewiesen, mögen die Gründe sein, welche sie wollen; aber
auch kein andrer hat bis jetzt jene Schätze heben dürfen, und auch die so reg¬
same und auf so verschiedenen Gebieten thätige Schule jüngerer österreichischer
Geschichtsforscher scheint dieses doch gewiß sehr erkleckliche Früchte versprechende
Arbeitsfeld meiden zu müssen. Trotz alledem kann sich Baumgarten die Insi¬
nuation gegen Treitschke nicht versagen, daß man ihn wohl zugelassen haben
würde, wenn man seiner Objektivität getraut hätte. Es ist uicht meine Sache,
die Diskretion einer solchen Andeutung zu erörtern; aber eine sehr elegante Ge¬
fechtsmanier scheint mir das nicht zu sein. Im übrigen finde ich es ganz glaub¬
lich und begreiflich, wenn man in Wien die erste Ausnahme auf diesem heikeln
Gebiete nicht gerade zu Gunsten eines Historikers von so prononeirter politischer
Stellung machen wollte. Es ist einmal nicht anders, alle Wahrheitsliebe, alles
Streben nach Objektivität vorausgesetzt, dieselben Dinge aus denselben Doku¬
menten erforscht spiegeln sich anders wieder in dem einen Kopfe als in dem
andern; die Zeichnungen können sich decken, die Beleuchtung ist eine andre;
jedenfalls aber hat man in Wien das Recht, auch die Beleuchtung zu wählen,
in welcher man die Julina der österreichisch-deutschen Geschichte zum erstenmale
vor das Publikum treten lassen will.

Von den süddeutschen Archiven hat Treitschke nur das badische in Karls¬
ruhe, welches ihm in der liberalsten Weise geöffnet wurde und reichliche Aus¬
beute gewährte, benutzt; das bairische und würtenbergische nicht. Er hat sich
nicht darüber ausgesprochen — was immerhin wohl hätte geschehen können —,
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[0244] Treitschke- Deutsche Geschichte. gemacht hat), daß er um Zulassung zu demselben nachgesucht habe, aber ab¬ schläglich beschieden worden sei, so sollte man eigentlich meinen, die Sache sei damit erledigt. Baumgarten beruhigt sich dabei noch nicht: allerdings, erklärt er, werde die Benutzung des Wiener Archivs für die Zeit nach 1815 in der Regel nicht gestattet, aber es würden Ausnahmen gemacht; „ich habe den stärksten Grund, anzunehmen, daß die allbekannte Liberalität des Ritters von Arneth zu Gunsten Treitschkes eine Ausnahme zugelassen haben würde, wenn er von ihm eine objektive Verwertung des ihm dargebotenen Materials hätte erwarten können." Das würde, wie man Wohl deuten darf, die erfreuliche Perspektive eröffnen, daß einem Glücklicheren sich bald jene inhaltreichen Schränke offnen werden; und in der That, nachdem man in Wien die Veröffentlichung von Metternichs „nach¬ gelassenen Papieren" gestattet hat, ist nicht wohl einzusehen, warum man die einmal durchbrochenen Schranken nicht völlig hinwegräumt. Bisher aber ist es nicht geschehen; es ist mir im Augenblick eine einzige Ausnahme erinnerlich: Karl Mendelssohn hat für die beiden Bände seiner neueren griechischen Geschichte wertvolle diplomatische Materialien aus Wien erhalten. Aber was für den Historiker der orientalischen Frage ausnahmsweise erreichbar war, das ist es doch eben that¬ sächlich für das Studium der deutschen Frage bis jetzt nicht gewesen. Man hat Treitschke zurückgewiesen, mögen die Gründe sein, welche sie wollen; aber auch kein andrer hat bis jetzt jene Schätze heben dürfen, und auch die so reg¬ same und auf so verschiedenen Gebieten thätige Schule jüngerer österreichischer Geschichtsforscher scheint dieses doch gewiß sehr erkleckliche Früchte versprechende Arbeitsfeld meiden zu müssen. Trotz alledem kann sich Baumgarten die Insi¬ nuation gegen Treitschke nicht versagen, daß man ihn wohl zugelassen haben würde, wenn man seiner Objektivität getraut hätte. Es ist uicht meine Sache, die Diskretion einer solchen Andeutung zu erörtern; aber eine sehr elegante Ge¬ fechtsmanier scheint mir das nicht zu sein. Im übrigen finde ich es ganz glaub¬ lich und begreiflich, wenn man in Wien die erste Ausnahme auf diesem heikeln Gebiete nicht gerade zu Gunsten eines Historikers von so prononeirter politischer Stellung machen wollte. Es ist einmal nicht anders, alle Wahrheitsliebe, alles Streben nach Objektivität vorausgesetzt, dieselben Dinge aus denselben Doku¬ menten erforscht spiegeln sich anders wieder in dem einen Kopfe als in dem andern; die Zeichnungen können sich decken, die Beleuchtung ist eine andre; jedenfalls aber hat man in Wien das Recht, auch die Beleuchtung zu wählen, in welcher man die Julina der österreichisch-deutschen Geschichte zum erstenmale vor das Publikum treten lassen will. Von den süddeutschen Archiven hat Treitschke nur das badische in Karls¬ ruhe, welches ihm in der liberalsten Weise geöffnet wurde und reichliche Aus¬ beute gewährte, benutzt; das bairische und würtenbergische nicht. Er hat sich nicht darüber ausgesprochen — was immerhin wohl hätte geschehen können —, ob er in München und Stuttgart gleichfalls einen abweisender Bescheid erhalten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/244>, abgerufen am 25.08.2024.