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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Zu dem Mißtrauen aber, mit dem ihn alle Parteien betrachten, kommt
noch, daß er einen Namen trägt, der jetzt keine Empfehlung mehr ist. Früher
standen auf der Fahne der napoleoniden Marengo, Austerlitz und Jena, jetzt
stehen dahinter Metz und sedem. Dieses Symbol bedeutet nicht mehr die
Besiegung von halb Europa, sondern die Verkleinerung Frankreichs um zwei
Provinzen. Der Name Napoleon erinnert an den Abfluß von fünf Milliarden
Franken aus dem französischen Vermögen, an eine gewaltige Vermehrung der
Staatsschuld "ut an schwere Besteuerung jedes einzelnen. Wenn Prinz Jerome
der Republik ihre Sünden vorrückt, so erheben sich in jedermanns Gedächtnis
die schwerern Sünden des Kaiserreichs wie grimme Schatten.

So erscheint es unbegreiflich, wie der Prinz auf den Gedanken gekommen
ist, die Franzosen würden auf seine Anregung hin einen allgemeinen Umsturz
der jetzt bestehenden staatlichen Einrichtungen vornehmen. Er konnte kaum
hoffe", daß sie auch nur auf seinen Rat hören würden. Sehen wir uns aber
sein Manifest näher an, so begegne" wir einem Kvthurnstile, der uns wenig
behagt, kurzen Sätzen, die doch den Kopf hoch tragen, als ob sie gewichtige
Wahrheiten wären, während sie nnr pathetische Übertreibungen sind. Sie
klingen wie Echos aus der Zeit des großen Napoleon, sind aber kaum geschäfts¬
mäßig zu nennen. Jener bediente sich der Worte, wie er sich der Armeen
bediente, er appcllirte nicht an die öffentliche Meinung, sondern lief Sturm gegen
sie, er trieb niemals Kritik und gab niemals große Versprechen, ohne hinter
ihnen große Truppenmassen Hermarschiren zu lassen. Wo aber sind die Ba¬
taillone seines Epigonen?

Und worauf läuft denn am Ende dieser Ausbruch ausgeklügelter Heftigkeit
hinaus? Praktisch ist es eine Erklärung über zwei Punkte, deren erster sein
Erbrecht in Betreff des kaiserlichen Szepters betrifft. Er begründet seinen
Anspruch auf den Umstand, daß er der älteste lebende Sohn Jeromes, des
Bruders Napoleons, ist, und auf acht Plebiscits, deren erstes 1800 und deren
letztes 1870 stattfand, und er hat ganz recht, wenn er behauptet, das Volk
habe dabei, aufgefordert, seinen Willen mit Ja oder Nein kundzugeben, mit
großer Stimmenmehrheit und Emphase Ja gesagt. Indeß kennt man ja die
Geschichte dieser Berufungen an das Volk und weiß zur Genüge, daß kaum
jemals eine andre Antwort erfolgen konnte, da die Berufenden die Zügel der
Gewalt in der Hand hielten und eine unwiderstehliche Streitmacht zur Unter¬
drückung der Folgen eines Nein zur Verfügung hatten.

Der andre Punkt wird schlauer behandelt. Niemand konnte den Prinzen
in dem Verdachte haben, in Sachen der Religion und Kirche allzu ängstlich zu sein.
Aber der erste Napoleon hatte es vorteilhaft gefunden, als Gönner und Be¬
schützer der Kirche zu gelten, und so thut es sein Verwandter ihm nach, indem
er versichert, daß die Religion von Gottesleugnern verfolgt werde, daß der
Staat ihr keinen Schutz gewähre, und daß nur in getreuer Beobachtung der


Zu dem Mißtrauen aber, mit dem ihn alle Parteien betrachten, kommt
noch, daß er einen Namen trägt, der jetzt keine Empfehlung mehr ist. Früher
standen auf der Fahne der napoleoniden Marengo, Austerlitz und Jena, jetzt
stehen dahinter Metz und sedem. Dieses Symbol bedeutet nicht mehr die
Besiegung von halb Europa, sondern die Verkleinerung Frankreichs um zwei
Provinzen. Der Name Napoleon erinnert an den Abfluß von fünf Milliarden
Franken aus dem französischen Vermögen, an eine gewaltige Vermehrung der
Staatsschuld »ut an schwere Besteuerung jedes einzelnen. Wenn Prinz Jerome
der Republik ihre Sünden vorrückt, so erheben sich in jedermanns Gedächtnis
die schwerern Sünden des Kaiserreichs wie grimme Schatten.

So erscheint es unbegreiflich, wie der Prinz auf den Gedanken gekommen
ist, die Franzosen würden auf seine Anregung hin einen allgemeinen Umsturz
der jetzt bestehenden staatlichen Einrichtungen vornehmen. Er konnte kaum
hoffe», daß sie auch nur auf seinen Rat hören würden. Sehen wir uns aber
sein Manifest näher an, so begegne» wir einem Kvthurnstile, der uns wenig
behagt, kurzen Sätzen, die doch den Kopf hoch tragen, als ob sie gewichtige
Wahrheiten wären, während sie nnr pathetische Übertreibungen sind. Sie
klingen wie Echos aus der Zeit des großen Napoleon, sind aber kaum geschäfts¬
mäßig zu nennen. Jener bediente sich der Worte, wie er sich der Armeen
bediente, er appcllirte nicht an die öffentliche Meinung, sondern lief Sturm gegen
sie, er trieb niemals Kritik und gab niemals große Versprechen, ohne hinter
ihnen große Truppenmassen Hermarschiren zu lassen. Wo aber sind die Ba¬
taillone seines Epigonen?

Und worauf läuft denn am Ende dieser Ausbruch ausgeklügelter Heftigkeit
hinaus? Praktisch ist es eine Erklärung über zwei Punkte, deren erster sein
Erbrecht in Betreff des kaiserlichen Szepters betrifft. Er begründet seinen
Anspruch auf den Umstand, daß er der älteste lebende Sohn Jeromes, des
Bruders Napoleons, ist, und auf acht Plebiscits, deren erstes 1800 und deren
letztes 1870 stattfand, und er hat ganz recht, wenn er behauptet, das Volk
habe dabei, aufgefordert, seinen Willen mit Ja oder Nein kundzugeben, mit
großer Stimmenmehrheit und Emphase Ja gesagt. Indeß kennt man ja die
Geschichte dieser Berufungen an das Volk und weiß zur Genüge, daß kaum
jemals eine andre Antwort erfolgen konnte, da die Berufenden die Zügel der
Gewalt in der Hand hielten und eine unwiderstehliche Streitmacht zur Unter¬
drückung der Folgen eines Nein zur Verfügung hatten.

Der andre Punkt wird schlauer behandelt. Niemand konnte den Prinzen
in dem Verdachte haben, in Sachen der Religion und Kirche allzu ängstlich zu sein.
Aber der erste Napoleon hatte es vorteilhaft gefunden, als Gönner und Be¬
schützer der Kirche zu gelten, und so thut es sein Verwandter ihm nach, indem
er versichert, daß die Religion von Gottesleugnern verfolgt werde, daß der
Staat ihr keinen Schutz gewähre, und daß nur in getreuer Beobachtung der


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[0238] Zu dem Mißtrauen aber, mit dem ihn alle Parteien betrachten, kommt noch, daß er einen Namen trägt, der jetzt keine Empfehlung mehr ist. Früher standen auf der Fahne der napoleoniden Marengo, Austerlitz und Jena, jetzt stehen dahinter Metz und sedem. Dieses Symbol bedeutet nicht mehr die Besiegung von halb Europa, sondern die Verkleinerung Frankreichs um zwei Provinzen. Der Name Napoleon erinnert an den Abfluß von fünf Milliarden Franken aus dem französischen Vermögen, an eine gewaltige Vermehrung der Staatsschuld »ut an schwere Besteuerung jedes einzelnen. Wenn Prinz Jerome der Republik ihre Sünden vorrückt, so erheben sich in jedermanns Gedächtnis die schwerern Sünden des Kaiserreichs wie grimme Schatten. So erscheint es unbegreiflich, wie der Prinz auf den Gedanken gekommen ist, die Franzosen würden auf seine Anregung hin einen allgemeinen Umsturz der jetzt bestehenden staatlichen Einrichtungen vornehmen. Er konnte kaum hoffe», daß sie auch nur auf seinen Rat hören würden. Sehen wir uns aber sein Manifest näher an, so begegne» wir einem Kvthurnstile, der uns wenig behagt, kurzen Sätzen, die doch den Kopf hoch tragen, als ob sie gewichtige Wahrheiten wären, während sie nnr pathetische Übertreibungen sind. Sie klingen wie Echos aus der Zeit des großen Napoleon, sind aber kaum geschäfts¬ mäßig zu nennen. Jener bediente sich der Worte, wie er sich der Armeen bediente, er appcllirte nicht an die öffentliche Meinung, sondern lief Sturm gegen sie, er trieb niemals Kritik und gab niemals große Versprechen, ohne hinter ihnen große Truppenmassen Hermarschiren zu lassen. Wo aber sind die Ba¬ taillone seines Epigonen? Und worauf läuft denn am Ende dieser Ausbruch ausgeklügelter Heftigkeit hinaus? Praktisch ist es eine Erklärung über zwei Punkte, deren erster sein Erbrecht in Betreff des kaiserlichen Szepters betrifft. Er begründet seinen Anspruch auf den Umstand, daß er der älteste lebende Sohn Jeromes, des Bruders Napoleons, ist, und auf acht Plebiscits, deren erstes 1800 und deren letztes 1870 stattfand, und er hat ganz recht, wenn er behauptet, das Volk habe dabei, aufgefordert, seinen Willen mit Ja oder Nein kundzugeben, mit großer Stimmenmehrheit und Emphase Ja gesagt. Indeß kennt man ja die Geschichte dieser Berufungen an das Volk und weiß zur Genüge, daß kaum jemals eine andre Antwort erfolgen konnte, da die Berufenden die Zügel der Gewalt in der Hand hielten und eine unwiderstehliche Streitmacht zur Unter¬ drückung der Folgen eines Nein zur Verfügung hatten. Der andre Punkt wird schlauer behandelt. Niemand konnte den Prinzen in dem Verdachte haben, in Sachen der Religion und Kirche allzu ängstlich zu sein. Aber der erste Napoleon hatte es vorteilhaft gefunden, als Gönner und Be¬ schützer der Kirche zu gelten, und so thut es sein Verwandter ihm nach, indem er versichert, daß die Religion von Gottesleugnern verfolgt werde, daß der Staat ihr keinen Schutz gewähre, und daß nur in getreuer Beobachtung der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/238>, abgerufen am 23.07.2024.