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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

Laufe eines Baches nachging, der in engem Thale ihm murmelnd entgegenfloß,
wurden die Höhen zur Seite niedriger, und der Wald erhellte sich. Er trat in
eine Lichtung hinaus, aus welcher ihm lautes Brausen schon seit längerer Zeit
entgegengeschallt war, und sah sich vor einem Wasserfall, Über große Fels-
blöcke, welche eine Reihe von Kaskaden in einer Strecke von mehreren hundert
Schritten bildeten, ergoß sich hellglänzendes, schäumendes Wasser herab, und
gerade vor ihm blickte die Sichel des Mondes zwischen den Wipfeln einzeln
stehender knorriger Eichen herab und beleuchtete das stürzende, brausende Gewässer,
Der Anblick bot Eberhard: eine überraschende Ähnlichkeit mit einem Thale, das
er so oft durchwandert hatte, mit einem Seitenthale des Hudson. Hier waren
die niedrigen Hügel, welche in sanftem Schwunge rechts und links auseinander¬
traten, um den silberhellen, brausenden Bach hindurchzulassen, hier die hohen
Bäume mit ihren phantastisch zum Himmel ragenden Ästen, und ringsum in
weiterer Ferne der dichte, düstere Wald, welcher die Höhen bedeckte und das
engere Thal in einem weiteren eingebettet umschloß. Und jene helle Sichel selbst
am tiefblauen Himmel, sie war derselbe schwermütig blickende Planet, der im
Hudson sich spiegelte und dessen Rundgang er oft an jenem fernen Ufer wan¬
delnd mit seiner jugendlichen Bewunderung verfolgt hatte.

In der deutlichen Gegenwart dieser Natur, die ihm so bekannt erschien,
vollzog sich in seinem Innern ein Wechsel der Szenerie, sodaß er für einen
Augenblick glaubte, noch in jenem fernen Lande zu sein und sich fragen mußte,
ob hier oder dort die Wirklichkeit sei. Eine täuschende Macht verschob die An¬
haltepunkte seines Bewußtseins. Aber anch nachdem er sich besonnen hatte und
den schweifenden Sinnen wieder die Klarheit der Unterscheidung zurückgekehrt
war, blieb eine geliebte Gestalt, die Gestalt der Mutter, in hellstem Lichte vor
ihm stehen, als wandle er hier mit ihr zusammen, höre ihre Stimnie und sähe
den milden Blick ihrer blauen Augen.

Würdest du mir wohl zürnen, Mutter, fragte er in seinem Herzen, wenn
du mit verklärtem Blick herabsähest auf meine Schritte? O nein, ich glaube
dein freundliches Lächeln zu sehen, das meine Kindheit erhellte und mir stets
erschien wie ein tröstlicher Stern.

Er stand regungslos, auf seinen Stock gestützt, und sein Blick tauchte sich
in das unergründliche, dunkle Blau des nächtlichen Himmels. Und immer wieder
kam, wenn er sich dem ruhigen Fluß seiner Empfindungen überließ, ein zweites
Bild neben dem der Mütter in der Erinnerung hervor, und der mitfühlende Blick
schwarzer Augen strahlte ein besänftigendes Licht über den Widerstreit seiner
Gedanken ans. Die unausgesprochen Worte, welche er hente in Dorotheens
Antlitz gelesen hatte, erklangen mit einer unwiderstehlichen Beredsamkeit, und
als er seinen Stab weitersetzte und langsam mit gesenktem Haupte einbog in den
vom Laubdach der Eichen dem Mondlicht entzogenen Waldweg, da verbreitete
sich auf seinen Züge" immer mehr der Ausdruck eines friedlichen Nachdenkens,




(Fortsetzung folgt,)


Die Grafen von Altenschwerdt.

Laufe eines Baches nachging, der in engem Thale ihm murmelnd entgegenfloß,
wurden die Höhen zur Seite niedriger, und der Wald erhellte sich. Er trat in
eine Lichtung hinaus, aus welcher ihm lautes Brausen schon seit längerer Zeit
entgegengeschallt war, und sah sich vor einem Wasserfall, Über große Fels-
blöcke, welche eine Reihe von Kaskaden in einer Strecke von mehreren hundert
Schritten bildeten, ergoß sich hellglänzendes, schäumendes Wasser herab, und
gerade vor ihm blickte die Sichel des Mondes zwischen den Wipfeln einzeln
stehender knorriger Eichen herab und beleuchtete das stürzende, brausende Gewässer,
Der Anblick bot Eberhard: eine überraschende Ähnlichkeit mit einem Thale, das
er so oft durchwandert hatte, mit einem Seitenthale des Hudson. Hier waren
die niedrigen Hügel, welche in sanftem Schwunge rechts und links auseinander¬
traten, um den silberhellen, brausenden Bach hindurchzulassen, hier die hohen
Bäume mit ihren phantastisch zum Himmel ragenden Ästen, und ringsum in
weiterer Ferne der dichte, düstere Wald, welcher die Höhen bedeckte und das
engere Thal in einem weiteren eingebettet umschloß. Und jene helle Sichel selbst
am tiefblauen Himmel, sie war derselbe schwermütig blickende Planet, der im
Hudson sich spiegelte und dessen Rundgang er oft an jenem fernen Ufer wan¬
delnd mit seiner jugendlichen Bewunderung verfolgt hatte.

In der deutlichen Gegenwart dieser Natur, die ihm so bekannt erschien,
vollzog sich in seinem Innern ein Wechsel der Szenerie, sodaß er für einen
Augenblick glaubte, noch in jenem fernen Lande zu sein und sich fragen mußte,
ob hier oder dort die Wirklichkeit sei. Eine täuschende Macht verschob die An¬
haltepunkte seines Bewußtseins. Aber anch nachdem er sich besonnen hatte und
den schweifenden Sinnen wieder die Klarheit der Unterscheidung zurückgekehrt
war, blieb eine geliebte Gestalt, die Gestalt der Mutter, in hellstem Lichte vor
ihm stehen, als wandle er hier mit ihr zusammen, höre ihre Stimnie und sähe
den milden Blick ihrer blauen Augen.

Würdest du mir wohl zürnen, Mutter, fragte er in seinem Herzen, wenn
du mit verklärtem Blick herabsähest auf meine Schritte? O nein, ich glaube
dein freundliches Lächeln zu sehen, das meine Kindheit erhellte und mir stets
erschien wie ein tröstlicher Stern.

Er stand regungslos, auf seinen Stock gestützt, und sein Blick tauchte sich
in das unergründliche, dunkle Blau des nächtlichen Himmels. Und immer wieder
kam, wenn er sich dem ruhigen Fluß seiner Empfindungen überließ, ein zweites
Bild neben dem der Mütter in der Erinnerung hervor, und der mitfühlende Blick
schwarzer Augen strahlte ein besänftigendes Licht über den Widerstreit seiner
Gedanken ans. Die unausgesprochen Worte, welche er hente in Dorotheens
Antlitz gelesen hatte, erklangen mit einer unwiderstehlichen Beredsamkeit, und
als er seinen Stab weitersetzte und langsam mit gesenktem Haupte einbog in den
vom Laubdach der Eichen dem Mondlicht entzogenen Waldweg, da verbreitete
sich auf seinen Züge» immer mehr der Ausdruck eines friedlichen Nachdenkens,




(Fortsetzung folgt,)


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[0231] Die Grafen von Altenschwerdt. Laufe eines Baches nachging, der in engem Thale ihm murmelnd entgegenfloß, wurden die Höhen zur Seite niedriger, und der Wald erhellte sich. Er trat in eine Lichtung hinaus, aus welcher ihm lautes Brausen schon seit längerer Zeit entgegengeschallt war, und sah sich vor einem Wasserfall, Über große Fels- blöcke, welche eine Reihe von Kaskaden in einer Strecke von mehreren hundert Schritten bildeten, ergoß sich hellglänzendes, schäumendes Wasser herab, und gerade vor ihm blickte die Sichel des Mondes zwischen den Wipfeln einzeln stehender knorriger Eichen herab und beleuchtete das stürzende, brausende Gewässer, Der Anblick bot Eberhard: eine überraschende Ähnlichkeit mit einem Thale, das er so oft durchwandert hatte, mit einem Seitenthale des Hudson. Hier waren die niedrigen Hügel, welche in sanftem Schwunge rechts und links auseinander¬ traten, um den silberhellen, brausenden Bach hindurchzulassen, hier die hohen Bäume mit ihren phantastisch zum Himmel ragenden Ästen, und ringsum in weiterer Ferne der dichte, düstere Wald, welcher die Höhen bedeckte und das engere Thal in einem weiteren eingebettet umschloß. Und jene helle Sichel selbst am tiefblauen Himmel, sie war derselbe schwermütig blickende Planet, der im Hudson sich spiegelte und dessen Rundgang er oft an jenem fernen Ufer wan¬ delnd mit seiner jugendlichen Bewunderung verfolgt hatte. In der deutlichen Gegenwart dieser Natur, die ihm so bekannt erschien, vollzog sich in seinem Innern ein Wechsel der Szenerie, sodaß er für einen Augenblick glaubte, noch in jenem fernen Lande zu sein und sich fragen mußte, ob hier oder dort die Wirklichkeit sei. Eine täuschende Macht verschob die An¬ haltepunkte seines Bewußtseins. Aber anch nachdem er sich besonnen hatte und den schweifenden Sinnen wieder die Klarheit der Unterscheidung zurückgekehrt war, blieb eine geliebte Gestalt, die Gestalt der Mutter, in hellstem Lichte vor ihm stehen, als wandle er hier mit ihr zusammen, höre ihre Stimnie und sähe den milden Blick ihrer blauen Augen. Würdest du mir wohl zürnen, Mutter, fragte er in seinem Herzen, wenn du mit verklärtem Blick herabsähest auf meine Schritte? O nein, ich glaube dein freundliches Lächeln zu sehen, das meine Kindheit erhellte und mir stets erschien wie ein tröstlicher Stern. Er stand regungslos, auf seinen Stock gestützt, und sein Blick tauchte sich in das unergründliche, dunkle Blau des nächtlichen Himmels. Und immer wieder kam, wenn er sich dem ruhigen Fluß seiner Empfindungen überließ, ein zweites Bild neben dem der Mütter in der Erinnerung hervor, und der mitfühlende Blick schwarzer Augen strahlte ein besänftigendes Licht über den Widerstreit seiner Gedanken ans. Die unausgesprochen Worte, welche er hente in Dorotheens Antlitz gelesen hatte, erklangen mit einer unwiderstehlichen Beredsamkeit, und als er seinen Stab weitersetzte und langsam mit gesenktem Haupte einbog in den vom Laubdach der Eichen dem Mondlicht entzogenen Waldweg, da verbreitete sich auf seinen Züge» immer mehr der Ausdruck eines friedlichen Nachdenkens, (Fortsetzung folgt,)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/231>, abgerufen am 23.07.2024.