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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

ich nur zu oft dcircm denken, welche Freude es für mich sein würde, wenn das
ein Junge wäre.

Sein Gesicht verdüsterte sich, und er blickte vor sich nieder.

Nun, versetzte der Graf, ich Muß offen gestehen, daß ich solche Gedanken
sür eine große Undankbarkeit und Ungerechtigkeit halte. Sie sollten sich freuen,
solch eine anmutige und liebenswürdige Tochter zu haben, die Ihnen das
Alter froh macht und in Ihrem alten, düstern Schlosse wie ein Heller Stern
glänzt.

Es ist wahr, sagte der Baron, es mag wohl undankbar sein. Aber ich
kann nicht anders. Seit sechshundert Jahren haben die Sextus hier diesen alten
Sitz inne, haben seine Mauern und Zinnen gegen Heiden und Christen, Dänen,
Polacken, Russen und Österreicher verteidigt und sind immer eine treue Stütze
des Thrones gewesen. Wenn ich bedenke, daß ich der letzte sein soll, und daß
ich keinen Sohn habe, auf den ich den schönen Besitz vererben kann, wenn ich
mir das klar mache, dann --

Er seufzte tief und schüttelte wehmütig den Kopf.

Ich verstehe das nicht ganz, sagte der Graf. Ich habe es immer ver¬
mieden, diesen Punkt zu berühren, weil ich Ihre Empfindlichkeit darin kenne,
alter Freund, aber so viel ich weiß, existirt doch eine Nebenlinie des Hauses
^ Sextus in Hessen, welche erbberechtigt ist. Also würde die Herrschaft Eichhausen
doch immer noch bei einem Sextus bleiben.

Der Baron richtete bei diesen Worten den Kopf hoch auf und sagte mit
zorniger Entschiedenheit: Ehe ich den hessischen Sextus dies Schloß und diese
Herrschaft überließe, würde ich lieber bei der Regierung um Aufhebung der
Familiengesetze nachsuchen und das Schloß dem Fiskus, die Ländereien aber
meiner Tochter vermachen -- wenn es möglich wäre. Die hessischen Sextus
sind Abtrünnige, und ich achte sie für schlechter als die Demokraten. Wenn
das Schreibervolk Revolution macht, so kann man es ihm nicht übel nehmen,
denn es ist nichts und hat nichts und kann bei Umwälzungen nur gewinnen.
Aber wenn eine Familie von altem Adel liberale Neigungen hat und ihr Chef
selber auf der linken Bank im Parlamente sitzt, dann ist es nicht zu verzeihen,
und ich zerschneide das Tischtuch. Nein, ich habe einen andern Weg im Ange.
Auf das Glück, diese Herrschaft in direkter Linie weiter zu vererben, muß ich
freilich verzichten, aber ich will wenigstens, soviel in meinen Kräften steht, dafür
sorgen, daß sie nicht dazu dient, die Macht der Feinde des Königtums zu
stärken. Es besteht von Alters her eine nahe Beziehung zwischen uns und der
gräflichen Familie von Altenschwerdt in Schlesien. Blasius Sextus, mein Vor¬
fahr im siebenten Grade, welcher im dreißigjährigen Kriege ein kursächsisches
Kürassierregiment kommandirte, war mit einer Komtesse Altenschwerdt vermählt.
Ein Graf Altenschwerdt, Kammerherr der Kaiserin Maria Theresia, heiratete


Grenzboten I. 1883. 28
Die Grafen von Altenschwerdt.

ich nur zu oft dcircm denken, welche Freude es für mich sein würde, wenn das
ein Junge wäre.

Sein Gesicht verdüsterte sich, und er blickte vor sich nieder.

Nun, versetzte der Graf, ich Muß offen gestehen, daß ich solche Gedanken
sür eine große Undankbarkeit und Ungerechtigkeit halte. Sie sollten sich freuen,
solch eine anmutige und liebenswürdige Tochter zu haben, die Ihnen das
Alter froh macht und in Ihrem alten, düstern Schlosse wie ein Heller Stern
glänzt.

Es ist wahr, sagte der Baron, es mag wohl undankbar sein. Aber ich
kann nicht anders. Seit sechshundert Jahren haben die Sextus hier diesen alten
Sitz inne, haben seine Mauern und Zinnen gegen Heiden und Christen, Dänen,
Polacken, Russen und Österreicher verteidigt und sind immer eine treue Stütze
des Thrones gewesen. Wenn ich bedenke, daß ich der letzte sein soll, und daß
ich keinen Sohn habe, auf den ich den schönen Besitz vererben kann, wenn ich
mir das klar mache, dann —

Er seufzte tief und schüttelte wehmütig den Kopf.

Ich verstehe das nicht ganz, sagte der Graf. Ich habe es immer ver¬
mieden, diesen Punkt zu berühren, weil ich Ihre Empfindlichkeit darin kenne,
alter Freund, aber so viel ich weiß, existirt doch eine Nebenlinie des Hauses
^ Sextus in Hessen, welche erbberechtigt ist. Also würde die Herrschaft Eichhausen
doch immer noch bei einem Sextus bleiben.

Der Baron richtete bei diesen Worten den Kopf hoch auf und sagte mit
zorniger Entschiedenheit: Ehe ich den hessischen Sextus dies Schloß und diese
Herrschaft überließe, würde ich lieber bei der Regierung um Aufhebung der
Familiengesetze nachsuchen und das Schloß dem Fiskus, die Ländereien aber
meiner Tochter vermachen — wenn es möglich wäre. Die hessischen Sextus
sind Abtrünnige, und ich achte sie für schlechter als die Demokraten. Wenn
das Schreibervolk Revolution macht, so kann man es ihm nicht übel nehmen,
denn es ist nichts und hat nichts und kann bei Umwälzungen nur gewinnen.
Aber wenn eine Familie von altem Adel liberale Neigungen hat und ihr Chef
selber auf der linken Bank im Parlamente sitzt, dann ist es nicht zu verzeihen,
und ich zerschneide das Tischtuch. Nein, ich habe einen andern Weg im Ange.
Auf das Glück, diese Herrschaft in direkter Linie weiter zu vererben, muß ich
freilich verzichten, aber ich will wenigstens, soviel in meinen Kräften steht, dafür
sorgen, daß sie nicht dazu dient, die Macht der Feinde des Königtums zu
stärken. Es besteht von Alters her eine nahe Beziehung zwischen uns und der
gräflichen Familie von Altenschwerdt in Schlesien. Blasius Sextus, mein Vor¬
fahr im siebenten Grade, welcher im dreißigjährigen Kriege ein kursächsisches
Kürassierregiment kommandirte, war mit einer Komtesse Altenschwerdt vermählt.
Ein Graf Altenschwerdt, Kammerherr der Kaiserin Maria Theresia, heiratete


Grenzboten I. 1883. 28
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[0225] Die Grafen von Altenschwerdt. ich nur zu oft dcircm denken, welche Freude es für mich sein würde, wenn das ein Junge wäre. Sein Gesicht verdüsterte sich, und er blickte vor sich nieder. Nun, versetzte der Graf, ich Muß offen gestehen, daß ich solche Gedanken sür eine große Undankbarkeit und Ungerechtigkeit halte. Sie sollten sich freuen, solch eine anmutige und liebenswürdige Tochter zu haben, die Ihnen das Alter froh macht und in Ihrem alten, düstern Schlosse wie ein Heller Stern glänzt. Es ist wahr, sagte der Baron, es mag wohl undankbar sein. Aber ich kann nicht anders. Seit sechshundert Jahren haben die Sextus hier diesen alten Sitz inne, haben seine Mauern und Zinnen gegen Heiden und Christen, Dänen, Polacken, Russen und Österreicher verteidigt und sind immer eine treue Stütze des Thrones gewesen. Wenn ich bedenke, daß ich der letzte sein soll, und daß ich keinen Sohn habe, auf den ich den schönen Besitz vererben kann, wenn ich mir das klar mache, dann — Er seufzte tief und schüttelte wehmütig den Kopf. Ich verstehe das nicht ganz, sagte der Graf. Ich habe es immer ver¬ mieden, diesen Punkt zu berühren, weil ich Ihre Empfindlichkeit darin kenne, alter Freund, aber so viel ich weiß, existirt doch eine Nebenlinie des Hauses ^ Sextus in Hessen, welche erbberechtigt ist. Also würde die Herrschaft Eichhausen doch immer noch bei einem Sextus bleiben. Der Baron richtete bei diesen Worten den Kopf hoch auf und sagte mit zorniger Entschiedenheit: Ehe ich den hessischen Sextus dies Schloß und diese Herrschaft überließe, würde ich lieber bei der Regierung um Aufhebung der Familiengesetze nachsuchen und das Schloß dem Fiskus, die Ländereien aber meiner Tochter vermachen — wenn es möglich wäre. Die hessischen Sextus sind Abtrünnige, und ich achte sie für schlechter als die Demokraten. Wenn das Schreibervolk Revolution macht, so kann man es ihm nicht übel nehmen, denn es ist nichts und hat nichts und kann bei Umwälzungen nur gewinnen. Aber wenn eine Familie von altem Adel liberale Neigungen hat und ihr Chef selber auf der linken Bank im Parlamente sitzt, dann ist es nicht zu verzeihen, und ich zerschneide das Tischtuch. Nein, ich habe einen andern Weg im Ange. Auf das Glück, diese Herrschaft in direkter Linie weiter zu vererben, muß ich freilich verzichten, aber ich will wenigstens, soviel in meinen Kräften steht, dafür sorgen, daß sie nicht dazu dient, die Macht der Feinde des Königtums zu stärken. Es besteht von Alters her eine nahe Beziehung zwischen uns und der gräflichen Familie von Altenschwerdt in Schlesien. Blasius Sextus, mein Vor¬ fahr im siebenten Grade, welcher im dreißigjährigen Kriege ein kursächsisches Kürassierregiment kommandirte, war mit einer Komtesse Altenschwerdt vermählt. Ein Graf Altenschwerdt, Kammerherr der Kaiserin Maria Theresia, heiratete Grenzboten I. 1883. 28

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/225>, abgerufen am 23.07.2024.