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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Vie Pflege der Monumentalmalerei in Preußcll.

großen Bilde der Giebelsläche, welches den trotzigen, an den Felsen geschmiedeten
Titanen darstellt, zu welchem sich, aus den Fluten des Meeres auftauchend, die
wehklagenden Okeanidcn und der greise Okeanos selber gesellt haben. In der
Zeichnung und Formengebung, die sich zwar auf einer streng naturalistischen
Grundlage bewegte, gleichwohl aber nach den Gesetzen des monumentalen Stils
idealisirt war, gab sich ein hochentwickeltes Schönheitsgefühl kund, und es war
daher doppelt zu bedauern, daß sich die Kraft des Künstlers nicht nach allen
Seiten gleich unbeschränkt entfalten durfte. Indessen waren zu der Zeit, als die
Nationalgalerie eröffnet wurde, zwei Felder an der Seite und oberhalb der Nische, in
welcher die Biiste des Cornelius steht, noch leer geblieben, und als der Künstler
sich an die Bemalung derselben machte, gelang es ihm endlich, die ihn beengenden
Fesseln zu sprengen und -- allerdings nur zur Probe -- freie Hand zu be¬
komme". Diese Probe fiel äußerst glänzend aus. Das neue Gemälde, welches
den Allbesieger Eros über zwei gefesselten Dämonen, den Symbolen der Elemente,
und zu ihm emporschwebend die Personifikationen der Ilias und der Odyssee
mit den vornehmsten Helden der beiden Gedichte darstellt, bildet einen so schroffen
Gegensatz gegen die früheren Kompositionen, daß die Kritik jenes Prinzips der
gedämpften Farben nicht vernichtender ausfallen konnte. Wie ganz anders wirkt
jetzt die Mvdellirung der Figuren! Um wieviel plastischer und leuchtender lösen
sich dieselben aus dem Grunde und wie prächtig glänzt die frische und gesunde
Farbe, ohne über den architektonischen Nahmen hinauszuwachsen oder die feier¬
liche Stimmung des Raumes durch überlaute Unruhe zu beeinträchtigen! Janssen
hatte sich damit als zu der größten Aufgabe befähigt legitimirt.

Nachdem er im Jahre 1878 zwei kleine Friesbilder für das Seminar in
Mörs, welche Hauptmomente aus dem Reformationszeitalter und der Geschichte
des braudenburgisch-preußischen Herrscherhauses darstellen, gemalt hatte, begann
er mit den Vorarbeiten zur Ausschmückung des Erfurter Rathauses, Er för¬
derte diese umfassende Arbeit so schnell, daß die neun Gemälde schon Ende 1881
vollendet wurden. Im Winter zeichnete der Künstler in Düsseldorf die Kartons
und während der wärmern Jahreszeit führte er die Gemälde an Ort und Stelle
in Wachsfarben direkt auf die Wand aus. Er trug kein Bedenken, monatelang
in der thüringischen Stadt zu verweilen und auf die Annehmlichkeiten seines
Ateliers und seiner Häuslichkeit zu verzichten. Wer sich einmal der monumen¬
talen Malerei widmet, muß dieses Opfer bringen können, Nur die Ausführung
eines Gemäldes an derjenigen Stelle, für welche es bestimmt ist, ist zugleich die
sicherste Bürgschaft für ein vollständiges Gelingen, Im beständigen Zusammen¬
hang mit dem Raume, stets die Wirkung des Raumes, die Umgebung, die Be¬
leuchtung und den übrigen Schmuck berücksichtigend, wird auch ein mäßig be¬
gabter Künstler ein durch seine Einheitlichkeit imponirendes Werk zustande bringen
können, während selbst der genialste Meister leicht an Umständen, die er nicht
zu rechter Zeit in den Kreis seiner Berechnung gezogen hat, scheitern kann.


Vie Pflege der Monumentalmalerei in Preußcll.

großen Bilde der Giebelsläche, welches den trotzigen, an den Felsen geschmiedeten
Titanen darstellt, zu welchem sich, aus den Fluten des Meeres auftauchend, die
wehklagenden Okeanidcn und der greise Okeanos selber gesellt haben. In der
Zeichnung und Formengebung, die sich zwar auf einer streng naturalistischen
Grundlage bewegte, gleichwohl aber nach den Gesetzen des monumentalen Stils
idealisirt war, gab sich ein hochentwickeltes Schönheitsgefühl kund, und es war
daher doppelt zu bedauern, daß sich die Kraft des Künstlers nicht nach allen
Seiten gleich unbeschränkt entfalten durfte. Indessen waren zu der Zeit, als die
Nationalgalerie eröffnet wurde, zwei Felder an der Seite und oberhalb der Nische, in
welcher die Biiste des Cornelius steht, noch leer geblieben, und als der Künstler
sich an die Bemalung derselben machte, gelang es ihm endlich, die ihn beengenden
Fesseln zu sprengen und — allerdings nur zur Probe — freie Hand zu be¬
komme». Diese Probe fiel äußerst glänzend aus. Das neue Gemälde, welches
den Allbesieger Eros über zwei gefesselten Dämonen, den Symbolen der Elemente,
und zu ihm emporschwebend die Personifikationen der Ilias und der Odyssee
mit den vornehmsten Helden der beiden Gedichte darstellt, bildet einen so schroffen
Gegensatz gegen die früheren Kompositionen, daß die Kritik jenes Prinzips der
gedämpften Farben nicht vernichtender ausfallen konnte. Wie ganz anders wirkt
jetzt die Mvdellirung der Figuren! Um wieviel plastischer und leuchtender lösen
sich dieselben aus dem Grunde und wie prächtig glänzt die frische und gesunde
Farbe, ohne über den architektonischen Nahmen hinauszuwachsen oder die feier¬
liche Stimmung des Raumes durch überlaute Unruhe zu beeinträchtigen! Janssen
hatte sich damit als zu der größten Aufgabe befähigt legitimirt.

Nachdem er im Jahre 1878 zwei kleine Friesbilder für das Seminar in
Mörs, welche Hauptmomente aus dem Reformationszeitalter und der Geschichte
des braudenburgisch-preußischen Herrscherhauses darstellen, gemalt hatte, begann
er mit den Vorarbeiten zur Ausschmückung des Erfurter Rathauses, Er för¬
derte diese umfassende Arbeit so schnell, daß die neun Gemälde schon Ende 1881
vollendet wurden. Im Winter zeichnete der Künstler in Düsseldorf die Kartons
und während der wärmern Jahreszeit führte er die Gemälde an Ort und Stelle
in Wachsfarben direkt auf die Wand aus. Er trug kein Bedenken, monatelang
in der thüringischen Stadt zu verweilen und auf die Annehmlichkeiten seines
Ateliers und seiner Häuslichkeit zu verzichten. Wer sich einmal der monumen¬
talen Malerei widmet, muß dieses Opfer bringen können, Nur die Ausführung
eines Gemäldes an derjenigen Stelle, für welche es bestimmt ist, ist zugleich die
sicherste Bürgschaft für ein vollständiges Gelingen, Im beständigen Zusammen¬
hang mit dem Raume, stets die Wirkung des Raumes, die Umgebung, die Be¬
leuchtung und den übrigen Schmuck berücksichtigend, wird auch ein mäßig be¬
gabter Künstler ein durch seine Einheitlichkeit imponirendes Werk zustande bringen
können, während selbst der genialste Meister leicht an Umständen, die er nicht
zu rechter Zeit in den Kreis seiner Berechnung gezogen hat, scheitern kann.


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[0211] Vie Pflege der Monumentalmalerei in Preußcll. großen Bilde der Giebelsläche, welches den trotzigen, an den Felsen geschmiedeten Titanen darstellt, zu welchem sich, aus den Fluten des Meeres auftauchend, die wehklagenden Okeanidcn und der greise Okeanos selber gesellt haben. In der Zeichnung und Formengebung, die sich zwar auf einer streng naturalistischen Grundlage bewegte, gleichwohl aber nach den Gesetzen des monumentalen Stils idealisirt war, gab sich ein hochentwickeltes Schönheitsgefühl kund, und es war daher doppelt zu bedauern, daß sich die Kraft des Künstlers nicht nach allen Seiten gleich unbeschränkt entfalten durfte. Indessen waren zu der Zeit, als die Nationalgalerie eröffnet wurde, zwei Felder an der Seite und oberhalb der Nische, in welcher die Biiste des Cornelius steht, noch leer geblieben, und als der Künstler sich an die Bemalung derselben machte, gelang es ihm endlich, die ihn beengenden Fesseln zu sprengen und — allerdings nur zur Probe — freie Hand zu be¬ komme». Diese Probe fiel äußerst glänzend aus. Das neue Gemälde, welches den Allbesieger Eros über zwei gefesselten Dämonen, den Symbolen der Elemente, und zu ihm emporschwebend die Personifikationen der Ilias und der Odyssee mit den vornehmsten Helden der beiden Gedichte darstellt, bildet einen so schroffen Gegensatz gegen die früheren Kompositionen, daß die Kritik jenes Prinzips der gedämpften Farben nicht vernichtender ausfallen konnte. Wie ganz anders wirkt jetzt die Mvdellirung der Figuren! Um wieviel plastischer und leuchtender lösen sich dieselben aus dem Grunde und wie prächtig glänzt die frische und gesunde Farbe, ohne über den architektonischen Nahmen hinauszuwachsen oder die feier¬ liche Stimmung des Raumes durch überlaute Unruhe zu beeinträchtigen! Janssen hatte sich damit als zu der größten Aufgabe befähigt legitimirt. Nachdem er im Jahre 1878 zwei kleine Friesbilder für das Seminar in Mörs, welche Hauptmomente aus dem Reformationszeitalter und der Geschichte des braudenburgisch-preußischen Herrscherhauses darstellen, gemalt hatte, begann er mit den Vorarbeiten zur Ausschmückung des Erfurter Rathauses, Er för¬ derte diese umfassende Arbeit so schnell, daß die neun Gemälde schon Ende 1881 vollendet wurden. Im Winter zeichnete der Künstler in Düsseldorf die Kartons und während der wärmern Jahreszeit führte er die Gemälde an Ort und Stelle in Wachsfarben direkt auf die Wand aus. Er trug kein Bedenken, monatelang in der thüringischen Stadt zu verweilen und auf die Annehmlichkeiten seines Ateliers und seiner Häuslichkeit zu verzichten. Wer sich einmal der monumen¬ talen Malerei widmet, muß dieses Opfer bringen können, Nur die Ausführung eines Gemäldes an derjenigen Stelle, für welche es bestimmt ist, ist zugleich die sicherste Bürgschaft für ein vollständiges Gelingen, Im beständigen Zusammen¬ hang mit dem Raume, stets die Wirkung des Raumes, die Umgebung, die Be¬ leuchtung und den übrigen Schmuck berücksichtigend, wird auch ein mäßig be¬ gabter Künstler ein durch seine Einheitlichkeit imponirendes Werk zustande bringen können, während selbst der genialste Meister leicht an Umständen, die er nicht zu rechter Zeit in den Kreis seiner Berechnung gezogen hat, scheitern kann.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/211>, abgerufen am 23.07.2024.