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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Pflege der lNonumentalmalerei in Preußen.

knechtendes Dogma herauskonstruirt. Wenn heute eine rumänische oder gothische
Kirche in ihren Wandmalereien restaurirt wird, schreien sie über die moderne
"Barbarei" Zeter und Mordio, weil Rot wirklich rot und nicht rosenfarbig,
Dunkelblau wirklich dunkelblau und nicht himmelblau aussieht.

Die Logik der Thatsachen schneidet auch diese Zöpfe ab. Mittlerweile hat
sich die moderne Architektur völlig von dem nüchternen Griechentum, welches
Schinkel und seine Nachfolger für das höchste Ziel alles künstlerischen Strebens
hielten, emanzipirt. Man hat längst in dem Zeitalter der Renaissance einen
Geist entdeckt, welcher dem unsrigen verwandt ist, und die Freude an der
farbige" Erscheinung der Außenwelt ist wieder in einer Generation von Menschen
erwacht, welche fast ein Jahrhundert lang Schwarz, Weiß und Hechtgrau für
den Inbegriff alles Schönen hielt. Jetzt hat sich neben Schwarz und Weiß
auch wieder das Not einen ebenbürtigen Raum erobert, d. h. mit andern Worten,
neben den neutralen, gebrochnen Farben haben sich die ursprünglichen, präzisen,
reinen und ungebrochnen Farben des Spektrums ihren Platz gesichert. Die
Gothiker haben sich dieser Neuerung, welche von der allgemeinen Gunst getragen
und die schließlich zum Zwange wurde, nicht entziehen können. Ihre Hoffnung,
daß mit der Wiederaufrichtung des neuen deutschen Reiches auch eine Rückkehr
zum gothischen Stile, welchen man in hartnäckigem Irrtum immer noch für
den spezifisch deutscheu hält, beginnen würde, hat sich nicht verwirklicht. Ihre
Wirksamkeit beschränkt sich nach wie vor ans Kirchen und Rathäuser, wofern
nicht der Charakter einer altertümlichen Stadt die Anwendung des gothischen
Stils auch auf andre Profangebäude begünstigt. Aber am Ende haben auch
die Gothiker der strengsten Observanz viele von ihren frühern Vorurteilen fallen
lassen müssen. Wieweit sie nach dieser Richtung gegangen sind, beweist am
besten das Erfurter Rathaus und insbesondre der Saal, welchen Janssen mit
seinen Wandgemälden dekorirt hat.

Unter dem Drucke der Tradition also, in welcher Jcmssens künstlerische
Entwicklung stattfand, konnte er kaum andre Ergebnisse zur Reife bringen, als
sie die ersten Jahre seiner Thätigkeit aufweisen. Im Jahre 1869 legitimirte
er sich zunächst für seinen Beruf durch ein in der Weise Bendemanus gemaltes
Ölbild "Christus verleugnet den Herrn" und durch verschiedene Porträts. Nach
dem Kriege beteiligte er sich an einer Konkurrenz, welche behufs der Ausschmückung
des Rathauses in Krefeld ausgeschrieben worden war. Er erhielt den ersten
Preis, es wurde ihm jedoch die Ausführung der Gemälde damals nicht über¬
tragen, da er sich von den im Programm vorgeschriebnen Stoffen völlig entfernt
und statt der gewünschten Stadtgeschichte, die ihm wenig Interessantes bot, unter
dem Eindruck des eben verflossnen großen Jahres die Folgen der Uneinigkeit
und Einigkeit durch vier große und fünf kleinere Bilder aus der Geschichte
Hermanns des Cheruskers zur Darstellung gebracht hatte. Es wurde nun die


Grenzboten I. 1883. 26
Die Pflege der lNonumentalmalerei in Preußen.

knechtendes Dogma herauskonstruirt. Wenn heute eine rumänische oder gothische
Kirche in ihren Wandmalereien restaurirt wird, schreien sie über die moderne
„Barbarei" Zeter und Mordio, weil Rot wirklich rot und nicht rosenfarbig,
Dunkelblau wirklich dunkelblau und nicht himmelblau aussieht.

Die Logik der Thatsachen schneidet auch diese Zöpfe ab. Mittlerweile hat
sich die moderne Architektur völlig von dem nüchternen Griechentum, welches
Schinkel und seine Nachfolger für das höchste Ziel alles künstlerischen Strebens
hielten, emanzipirt. Man hat längst in dem Zeitalter der Renaissance einen
Geist entdeckt, welcher dem unsrigen verwandt ist, und die Freude an der
farbige» Erscheinung der Außenwelt ist wieder in einer Generation von Menschen
erwacht, welche fast ein Jahrhundert lang Schwarz, Weiß und Hechtgrau für
den Inbegriff alles Schönen hielt. Jetzt hat sich neben Schwarz und Weiß
auch wieder das Not einen ebenbürtigen Raum erobert, d. h. mit andern Worten,
neben den neutralen, gebrochnen Farben haben sich die ursprünglichen, präzisen,
reinen und ungebrochnen Farben des Spektrums ihren Platz gesichert. Die
Gothiker haben sich dieser Neuerung, welche von der allgemeinen Gunst getragen
und die schließlich zum Zwange wurde, nicht entziehen können. Ihre Hoffnung,
daß mit der Wiederaufrichtung des neuen deutschen Reiches auch eine Rückkehr
zum gothischen Stile, welchen man in hartnäckigem Irrtum immer noch für
den spezifisch deutscheu hält, beginnen würde, hat sich nicht verwirklicht. Ihre
Wirksamkeit beschränkt sich nach wie vor ans Kirchen und Rathäuser, wofern
nicht der Charakter einer altertümlichen Stadt die Anwendung des gothischen
Stils auch auf andre Profangebäude begünstigt. Aber am Ende haben auch
die Gothiker der strengsten Observanz viele von ihren frühern Vorurteilen fallen
lassen müssen. Wieweit sie nach dieser Richtung gegangen sind, beweist am
besten das Erfurter Rathaus und insbesondre der Saal, welchen Janssen mit
seinen Wandgemälden dekorirt hat.

Unter dem Drucke der Tradition also, in welcher Jcmssens künstlerische
Entwicklung stattfand, konnte er kaum andre Ergebnisse zur Reife bringen, als
sie die ersten Jahre seiner Thätigkeit aufweisen. Im Jahre 1869 legitimirte
er sich zunächst für seinen Beruf durch ein in der Weise Bendemanus gemaltes
Ölbild „Christus verleugnet den Herrn" und durch verschiedene Porträts. Nach
dem Kriege beteiligte er sich an einer Konkurrenz, welche behufs der Ausschmückung
des Rathauses in Krefeld ausgeschrieben worden war. Er erhielt den ersten
Preis, es wurde ihm jedoch die Ausführung der Gemälde damals nicht über¬
tragen, da er sich von den im Programm vorgeschriebnen Stoffen völlig entfernt
und statt der gewünschten Stadtgeschichte, die ihm wenig Interessantes bot, unter
dem Eindruck des eben verflossnen großen Jahres die Folgen der Uneinigkeit
und Einigkeit durch vier große und fünf kleinere Bilder aus der Geschichte
Hermanns des Cheruskers zur Darstellung gebracht hatte. Es wurde nun die


Grenzboten I. 1883. 26
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[0209] Die Pflege der lNonumentalmalerei in Preußen. knechtendes Dogma herauskonstruirt. Wenn heute eine rumänische oder gothische Kirche in ihren Wandmalereien restaurirt wird, schreien sie über die moderne „Barbarei" Zeter und Mordio, weil Rot wirklich rot und nicht rosenfarbig, Dunkelblau wirklich dunkelblau und nicht himmelblau aussieht. Die Logik der Thatsachen schneidet auch diese Zöpfe ab. Mittlerweile hat sich die moderne Architektur völlig von dem nüchternen Griechentum, welches Schinkel und seine Nachfolger für das höchste Ziel alles künstlerischen Strebens hielten, emanzipirt. Man hat längst in dem Zeitalter der Renaissance einen Geist entdeckt, welcher dem unsrigen verwandt ist, und die Freude an der farbige» Erscheinung der Außenwelt ist wieder in einer Generation von Menschen erwacht, welche fast ein Jahrhundert lang Schwarz, Weiß und Hechtgrau für den Inbegriff alles Schönen hielt. Jetzt hat sich neben Schwarz und Weiß auch wieder das Not einen ebenbürtigen Raum erobert, d. h. mit andern Worten, neben den neutralen, gebrochnen Farben haben sich die ursprünglichen, präzisen, reinen und ungebrochnen Farben des Spektrums ihren Platz gesichert. Die Gothiker haben sich dieser Neuerung, welche von der allgemeinen Gunst getragen und die schließlich zum Zwange wurde, nicht entziehen können. Ihre Hoffnung, daß mit der Wiederaufrichtung des neuen deutschen Reiches auch eine Rückkehr zum gothischen Stile, welchen man in hartnäckigem Irrtum immer noch für den spezifisch deutscheu hält, beginnen würde, hat sich nicht verwirklicht. Ihre Wirksamkeit beschränkt sich nach wie vor ans Kirchen und Rathäuser, wofern nicht der Charakter einer altertümlichen Stadt die Anwendung des gothischen Stils auch auf andre Profangebäude begünstigt. Aber am Ende haben auch die Gothiker der strengsten Observanz viele von ihren frühern Vorurteilen fallen lassen müssen. Wieweit sie nach dieser Richtung gegangen sind, beweist am besten das Erfurter Rathaus und insbesondre der Saal, welchen Janssen mit seinen Wandgemälden dekorirt hat. Unter dem Drucke der Tradition also, in welcher Jcmssens künstlerische Entwicklung stattfand, konnte er kaum andre Ergebnisse zur Reife bringen, als sie die ersten Jahre seiner Thätigkeit aufweisen. Im Jahre 1869 legitimirte er sich zunächst für seinen Beruf durch ein in der Weise Bendemanus gemaltes Ölbild „Christus verleugnet den Herrn" und durch verschiedene Porträts. Nach dem Kriege beteiligte er sich an einer Konkurrenz, welche behufs der Ausschmückung des Rathauses in Krefeld ausgeschrieben worden war. Er erhielt den ersten Preis, es wurde ihm jedoch die Ausführung der Gemälde damals nicht über¬ tragen, da er sich von den im Programm vorgeschriebnen Stoffen völlig entfernt und statt der gewünschten Stadtgeschichte, die ihm wenig Interessantes bot, unter dem Eindruck des eben verflossnen großen Jahres die Folgen der Uneinigkeit und Einigkeit durch vier große und fünf kleinere Bilder aus der Geschichte Hermanns des Cheruskers zur Darstellung gebracht hatte. Es wurde nun die Grenzboten I. 1883. 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/209>, abgerufen am 25.08.2024.