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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Der zweite Pariser Krach.

Und was die französische Rente und die französischen Rentiers betrifft, so wird
man leicht erkennen, daß die finanziellen Faiseurs nur das Beispiel der alten
Politiker zu befolgen brauchen, um -- wie diese -- ein Mittel zu haben,
vermöge dessen der Staat und die "Staatsmänner" sich hin und her werfen
lassen müssen wie mit einem hydraulischen Hebel, fast geräuschlos, aber umso
wirksamer. Hat doch der Mechanismus dieses wirksamen Apparates durch die
Ausbildung der Börse unendliche Fortschritte gemacht! Es ist nicht mehr nötig,
wie zu den Zeiten der Fronde, die Rentiers auf die Straße zu Hetzen, um
einen Streich gegen die leitenden Staatsmänner zu führen. Man läßt diese
ängstlichen Rentiers, statt wie ehedem auf der Straße, jetzt in ihren Zimmern
und, wenn nötig, sogar im Bett zittern mit ganz demselben Effekt wie ehedem,
wo sie die Straßen vor dem Louvre mit ihrem Geschrei erfüllten. Die Be¬
amten des Staates selbst, die Steuereinnehmer, vermitteln aufs beste die em¬
pfindliche Verbindung zwischen dem Publikum und der Börse, und ein zwar
kostspieliger, aber auch höchst scharfer "Preß"-Apparat, der jetzt in Frankreich
mit nicht weniger als 210 Finanzblättern "arbeitet," übt jenen Druck durch
"Gerüchte," "verbürgte Nachrichten," "Communiqnös," oder wie jene Mittel,
welche in den primitivsten Zeiten der "Rente" ebenfalls ihre primitivsten Vor¬
gänger hatten, alle heißen mögen.

Bald genug übrigens, nachdem einmal die französische Politik den gefähr¬
lichen Weg der Jnteressenverquickung zwischen den empfindlichsten intellektuellen
und materiellen Elementen zu einem Hauptgrundzug ihres Ganges gemacht
hatte, zeigten sich die gefährlichen Rückwirkungen dieser Verquickung. Unter
Ludwig XIV. mochten sich wohl lange Zeit nnr die verlockenden Wirkungen
bemerklich machen. Die großen Erfolge, die dessen Eroberungspolitik mehr als
vierzig Jahre lang ausweisen konnte, reflektirten selbstverständlich auf die "Sicherheit
der Rente" und ließen auch die kleinen Ersparnisse in Menge dem "König an¬
vertrauen"; die Rente war sicher und die Erregungen während des Regiments
der königlichen Minderjährigkeit waren bald gründlich niedergeschlagen. Allein
als in den letzten Jahren des spanischen Erbfolgekrieges das Glück oft zweifelhaft
wurde und der Generalkoutroleur der Finanzen oft nicht recht mehr wußte, ob
die königliche Armee oder die königlichen Renten den ersten Anspruch an die
Aufzählungen der Kassen hätten, da ergab sich schon jener eigenartige Riß
zwischen der Loyalität und dem Geldbeutel der "kleinen Rentiers," der sich in
merkwürdigen Stimmungsäußerungen während der letzten Zeit des "großen
Königs" Luft zu machen suchte. Und schon unter der "Regentschaft," unter der
überhaupt die Staatsleitung zum bloßen Sport und zur frivolen Unterhaltung
der Maitressen wurde, gewinnen die Zustände von heute einen grellen Vorschein,
der unsre Aufmerksamkeit verdient, obgleich in der Handhabung der Agiotage
zwischen damals und jetzt doch uoch eine erhebliche Differenz erkennbar ist, und
zwar eine Differenz keineswegs zu Gunsten der Gegenwart.


Der zweite Pariser Krach.

Und was die französische Rente und die französischen Rentiers betrifft, so wird
man leicht erkennen, daß die finanziellen Faiseurs nur das Beispiel der alten
Politiker zu befolgen brauchen, um — wie diese — ein Mittel zu haben,
vermöge dessen der Staat und die „Staatsmänner" sich hin und her werfen
lassen müssen wie mit einem hydraulischen Hebel, fast geräuschlos, aber umso
wirksamer. Hat doch der Mechanismus dieses wirksamen Apparates durch die
Ausbildung der Börse unendliche Fortschritte gemacht! Es ist nicht mehr nötig,
wie zu den Zeiten der Fronde, die Rentiers auf die Straße zu Hetzen, um
einen Streich gegen die leitenden Staatsmänner zu führen. Man läßt diese
ängstlichen Rentiers, statt wie ehedem auf der Straße, jetzt in ihren Zimmern
und, wenn nötig, sogar im Bett zittern mit ganz demselben Effekt wie ehedem,
wo sie die Straßen vor dem Louvre mit ihrem Geschrei erfüllten. Die Be¬
amten des Staates selbst, die Steuereinnehmer, vermitteln aufs beste die em¬
pfindliche Verbindung zwischen dem Publikum und der Börse, und ein zwar
kostspieliger, aber auch höchst scharfer „Preß"-Apparat, der jetzt in Frankreich
mit nicht weniger als 210 Finanzblättern „arbeitet," übt jenen Druck durch
„Gerüchte," „verbürgte Nachrichten," „Communiqnös," oder wie jene Mittel,
welche in den primitivsten Zeiten der „Rente" ebenfalls ihre primitivsten Vor¬
gänger hatten, alle heißen mögen.

Bald genug übrigens, nachdem einmal die französische Politik den gefähr¬
lichen Weg der Jnteressenverquickung zwischen den empfindlichsten intellektuellen
und materiellen Elementen zu einem Hauptgrundzug ihres Ganges gemacht
hatte, zeigten sich die gefährlichen Rückwirkungen dieser Verquickung. Unter
Ludwig XIV. mochten sich wohl lange Zeit nnr die verlockenden Wirkungen
bemerklich machen. Die großen Erfolge, die dessen Eroberungspolitik mehr als
vierzig Jahre lang ausweisen konnte, reflektirten selbstverständlich auf die „Sicherheit
der Rente" und ließen auch die kleinen Ersparnisse in Menge dem „König an¬
vertrauen"; die Rente war sicher und die Erregungen während des Regiments
der königlichen Minderjährigkeit waren bald gründlich niedergeschlagen. Allein
als in den letzten Jahren des spanischen Erbfolgekrieges das Glück oft zweifelhaft
wurde und der Generalkoutroleur der Finanzen oft nicht recht mehr wußte, ob
die königliche Armee oder die königlichen Renten den ersten Anspruch an die
Aufzählungen der Kassen hätten, da ergab sich schon jener eigenartige Riß
zwischen der Loyalität und dem Geldbeutel der „kleinen Rentiers," der sich in
merkwürdigen Stimmungsäußerungen während der letzten Zeit des „großen
Königs" Luft zu machen suchte. Und schon unter der „Regentschaft," unter der
überhaupt die Staatsleitung zum bloßen Sport und zur frivolen Unterhaltung
der Maitressen wurde, gewinnen die Zustände von heute einen grellen Vorschein,
der unsre Aufmerksamkeit verdient, obgleich in der Handhabung der Agiotage
zwischen damals und jetzt doch uoch eine erhebliche Differenz erkennbar ist, und
zwar eine Differenz keineswegs zu Gunsten der Gegenwart.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/191>, abgerufen am 25.08.2024.