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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Der zweite Pariser Auch,

hörigen Nachdruck zu verbreiten wußten, unter die Leute, so stürzten die kleinen
Rentiers, deren Zahl schon damals groß war, nach der königlichen Renqnßten-
kammer oder nach dem Parlament oder nach dem Louvre oder überhaupt dahin,
wo im Augenblick die Hauptquelle der "Gefahr für die Rente" zu sein schien,
und rissen natürlich die Menge des neugierigen und des politisch unternehmungs¬
lustigen Volkes mit sich; wenigstens die Absicht, Unruhe zu veranlassen,
wurde stets erreicht, und meist auch diejenige, im Trüben zu fischen, ganz wie
heutzutage auch, worin eine Hauptgefahr des französischen Rcntesystems für den
Staat und für den sozialen Zusammenhang begründet ist. Sagt man auch,
das französische Rentesystcm sei eine Garantie für den Bestand des Staates
und der Regierung, so kann mau dies doch nur so lange, als man die Verhält¬
nisse nicht eingehender prüft. Denn allerdings hat scheinbar der "kleine Rentier"
ein erhöhtes Interesse am "ruhigen Bestand des Staates" und der Regierung,
die ihm seine Rente auszahlen; man setzt also voraus, nun werde es in seinem
Interesse liegen, selbst ein ruhiger Bürger zu sein. Dies mag in Zeiten und
in Verhältnissen politischer Abspannung zutreffen; allein dann ist überhaupt
wohl jedermann ein ruhiger Bürger, wodurch ohne Zweifel das Verdienst der
"Renteberuhigung" erheblich eingeschränkt wird.

Indeß, diese Anschauung wird sich in bewegten Zeitläuften nicht lange be¬
währen, sei es unter äußeren, sei es unter innern politischen Einwirkungen.
Da zittert zuerst der "Rentier." Aber nicht für den Staat und nicht für die
Regierung, sondern für seine Rente. Und gelingt es bei innerer Spaltung
vielleicht der regierungsfeindlichen Partei, den Rentiers beizubringen, daß das
Verhalten der herrschenden Regierung die Unsicherheit, die ja für den Rentier
lediglich als Unsicherheit der Rente Bedeutung hat, herbeiführe, so wird die beeinflußte
Rentiersmasse unbedingt sich auf die Seite der Opposition schlagen. Dies ist
historisch sogar erwiesen. Denn die Revolution von 1739 gewann ihren
entschiedenen Gang erst, seitdem die "Rentiers" vom alten Regiment nichts
mehr erwarteten, und die Revolution von 1830 kann man geradezu als eine
Aufregung der geängstigten Rentiers bezeichnen, wobei freilich nicht vergessen
werden darf, daß die neugierige Unternehmungslust der Straße stets bereit ist,
jedem oppositionellen Zuge wuchtigen Nachdruck zu geben.

Sind es nun aber politische Parteien und Gegensätze, welche sich vermöge
der Einwirkung auf das am Staate wegen seines Rentcnbesitzes mehr interessirte
Volk der "kleinen Rentiers" einen Vorteil zu erobern suchen, so mag schon die
Möglichkeit, daß sie dies auf solche Weise können, bedauerlich sein. Aber den
gefährlichsten Zustand des Staatslebens bezeichnet dies bei weitem nicht. Denn
ein solcher Einfluß hat wenigstens eine natürliche berechtigte Grundlage in dem
politischen Zuge, der es nun einmal mit sich bringt und stets mit sich bringen
wird, der es sogar der natürlichen Entwicklung wegen mit sich bringen muß,
daß die politischen Parteien im wechselnden Gange die Bewegung der Elemente


Der zweite Pariser Auch,

hörigen Nachdruck zu verbreiten wußten, unter die Leute, so stürzten die kleinen
Rentiers, deren Zahl schon damals groß war, nach der königlichen Renqnßten-
kammer oder nach dem Parlament oder nach dem Louvre oder überhaupt dahin,
wo im Augenblick die Hauptquelle der „Gefahr für die Rente" zu sein schien,
und rissen natürlich die Menge des neugierigen und des politisch unternehmungs¬
lustigen Volkes mit sich; wenigstens die Absicht, Unruhe zu veranlassen,
wurde stets erreicht, und meist auch diejenige, im Trüben zu fischen, ganz wie
heutzutage auch, worin eine Hauptgefahr des französischen Rcntesystems für den
Staat und für den sozialen Zusammenhang begründet ist. Sagt man auch,
das französische Rentesystcm sei eine Garantie für den Bestand des Staates
und der Regierung, so kann mau dies doch nur so lange, als man die Verhält¬
nisse nicht eingehender prüft. Denn allerdings hat scheinbar der „kleine Rentier"
ein erhöhtes Interesse am „ruhigen Bestand des Staates" und der Regierung,
die ihm seine Rente auszahlen; man setzt also voraus, nun werde es in seinem
Interesse liegen, selbst ein ruhiger Bürger zu sein. Dies mag in Zeiten und
in Verhältnissen politischer Abspannung zutreffen; allein dann ist überhaupt
wohl jedermann ein ruhiger Bürger, wodurch ohne Zweifel das Verdienst der
„Renteberuhigung" erheblich eingeschränkt wird.

Indeß, diese Anschauung wird sich in bewegten Zeitläuften nicht lange be¬
währen, sei es unter äußeren, sei es unter innern politischen Einwirkungen.
Da zittert zuerst der „Rentier." Aber nicht für den Staat und nicht für die
Regierung, sondern für seine Rente. Und gelingt es bei innerer Spaltung
vielleicht der regierungsfeindlichen Partei, den Rentiers beizubringen, daß das
Verhalten der herrschenden Regierung die Unsicherheit, die ja für den Rentier
lediglich als Unsicherheit der Rente Bedeutung hat, herbeiführe, so wird die beeinflußte
Rentiersmasse unbedingt sich auf die Seite der Opposition schlagen. Dies ist
historisch sogar erwiesen. Denn die Revolution von 1739 gewann ihren
entschiedenen Gang erst, seitdem die „Rentiers" vom alten Regiment nichts
mehr erwarteten, und die Revolution von 1830 kann man geradezu als eine
Aufregung der geängstigten Rentiers bezeichnen, wobei freilich nicht vergessen
werden darf, daß die neugierige Unternehmungslust der Straße stets bereit ist,
jedem oppositionellen Zuge wuchtigen Nachdruck zu geben.

Sind es nun aber politische Parteien und Gegensätze, welche sich vermöge
der Einwirkung auf das am Staate wegen seines Rentcnbesitzes mehr interessirte
Volk der „kleinen Rentiers" einen Vorteil zu erobern suchen, so mag schon die
Möglichkeit, daß sie dies auf solche Weise können, bedauerlich sein. Aber den
gefährlichsten Zustand des Staatslebens bezeichnet dies bei weitem nicht. Denn
ein solcher Einfluß hat wenigstens eine natürliche berechtigte Grundlage in dem
politischen Zuge, der es nun einmal mit sich bringt und stets mit sich bringen
wird, der es sogar der natürlichen Entwicklung wegen mit sich bringen muß,
daß die politischen Parteien im wechselnden Gange die Bewegung der Elemente


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[0189] Der zweite Pariser Auch, hörigen Nachdruck zu verbreiten wußten, unter die Leute, so stürzten die kleinen Rentiers, deren Zahl schon damals groß war, nach der königlichen Renqnßten- kammer oder nach dem Parlament oder nach dem Louvre oder überhaupt dahin, wo im Augenblick die Hauptquelle der „Gefahr für die Rente" zu sein schien, und rissen natürlich die Menge des neugierigen und des politisch unternehmungs¬ lustigen Volkes mit sich; wenigstens die Absicht, Unruhe zu veranlassen, wurde stets erreicht, und meist auch diejenige, im Trüben zu fischen, ganz wie heutzutage auch, worin eine Hauptgefahr des französischen Rcntesystems für den Staat und für den sozialen Zusammenhang begründet ist. Sagt man auch, das französische Rentesystcm sei eine Garantie für den Bestand des Staates und der Regierung, so kann mau dies doch nur so lange, als man die Verhält¬ nisse nicht eingehender prüft. Denn allerdings hat scheinbar der „kleine Rentier" ein erhöhtes Interesse am „ruhigen Bestand des Staates" und der Regierung, die ihm seine Rente auszahlen; man setzt also voraus, nun werde es in seinem Interesse liegen, selbst ein ruhiger Bürger zu sein. Dies mag in Zeiten und in Verhältnissen politischer Abspannung zutreffen; allein dann ist überhaupt wohl jedermann ein ruhiger Bürger, wodurch ohne Zweifel das Verdienst der „Renteberuhigung" erheblich eingeschränkt wird. Indeß, diese Anschauung wird sich in bewegten Zeitläuften nicht lange be¬ währen, sei es unter äußeren, sei es unter innern politischen Einwirkungen. Da zittert zuerst der „Rentier." Aber nicht für den Staat und nicht für die Regierung, sondern für seine Rente. Und gelingt es bei innerer Spaltung vielleicht der regierungsfeindlichen Partei, den Rentiers beizubringen, daß das Verhalten der herrschenden Regierung die Unsicherheit, die ja für den Rentier lediglich als Unsicherheit der Rente Bedeutung hat, herbeiführe, so wird die beeinflußte Rentiersmasse unbedingt sich auf die Seite der Opposition schlagen. Dies ist historisch sogar erwiesen. Denn die Revolution von 1739 gewann ihren entschiedenen Gang erst, seitdem die „Rentiers" vom alten Regiment nichts mehr erwarteten, und die Revolution von 1830 kann man geradezu als eine Aufregung der geängstigten Rentiers bezeichnen, wobei freilich nicht vergessen werden darf, daß die neugierige Unternehmungslust der Straße stets bereit ist, jedem oppositionellen Zuge wuchtigen Nachdruck zu geben. Sind es nun aber politische Parteien und Gegensätze, welche sich vermöge der Einwirkung auf das am Staate wegen seines Rentcnbesitzes mehr interessirte Volk der „kleinen Rentiers" einen Vorteil zu erobern suchen, so mag schon die Möglichkeit, daß sie dies auf solche Weise können, bedauerlich sein. Aber den gefährlichsten Zustand des Staatslebens bezeichnet dies bei weitem nicht. Denn ein solcher Einfluß hat wenigstens eine natürliche berechtigte Grundlage in dem politischen Zuge, der es nun einmal mit sich bringt und stets mit sich bringen wird, der es sogar der natürlichen Entwicklung wegen mit sich bringen muß, daß die politischen Parteien im wechselnden Gange die Bewegung der Elemente

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/189>, abgerufen am 03.07.2024.