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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

äugige Fischerin, heute im Anzüge einer Dame, die ihren Bedarf aus den ele¬
gantesten Magazinen Berlins bezieht,

Sie streckte ihm die Hand entgegen und sagte mit Lächeln und zugleich
errötend: Gewiß halten Sie uns für recht neugierig und zudringlich, daß wir
Ihren stillen Winkel ausgespäht haben. Aber die Ritter sind so selten in unsrer
Gegend, daß wir der Versuchung nicht widerstehen konnten.

Mit diesen Worten führte sie ihn in ihr Gemach und bot ihm einen Platz
in der tiefen Fensternische an, die sich durch einen zierlichen Nähtisch als ihr
Lieblingsplätzchen kennzeichnete, Sie selbst setzte sich neben ihm in einen kleinen
gestickten Lehnstuhl.

Doch was sehe ich? fuhr sie fort, als er nach einer höflichen Gegen¬
bemerkung sich setzte und seinen Hut aus der Hand legte, Ihre Miene ist so
ernst, und Ihr Anzug trägt die Zeichen der Trauer,

Eberhardt erzählte ihr in kurzen Worten von der Nachricht, welche er in
den letzten Tagen erhalten hatte, und es that ihm wohl, in den Zügen seines
Gegenüber Teilnahme zu lesen. Er fügte einige Erklärungen hinzu, wie es ge¬
kommen sei, daß er fern von seiner Mutter die Kunde ihres Todes erhalten
habe, und die zärtlichen Worte, mit der er von ihr sprach, erweckten ein ver¬
wandtes Gefühl in der jungen Dame, der die eigne Mutter ein fernhin ent¬
schwundenes, geliebtes Bild war. So knüpfte sich zwischen beiden in den ersten
Augenblicken schon ein Band der Sympathie, und sie sprachen sich über einen
ihnen naheliegenden Gegenstand mit einer größern Sicherheit des gegenseitigen
Verständnisses aus, als die Kürze ihrer Bekanntschaft Hütte erwarten lassen.

Die Nische, in welcher sie beide saßen, ward durch gewaltig dicke Mauern
gebildet und führte auf einen Altan hinaus, der ehedem wohl zu Verteidigungs¬
zwecken gedient haben mochte, indem er überdacht gewesen war und so lag, daß
man von ihm herab Geschosse und Steine in den innern Hof hatte schleudern
können. Er bot jetzt nur noch den Vorteil einer weiten Aussicht in das Land
hinein und machte die Nische, mit welcher er durch eine Thür verbunden war,
zu einem sehr angenehmen Platze. Eberhardt dachte, indem er Dorotheas Ge¬
mach betrachtete und den Blick fernhin über die Wälder bis an das Meer und
über den zum Schlosse führenden Weg schweifen ließ, an die Burgsrciulein der
alten Zeit, die vom Söller herab ihre Ritter begrüßten und gleich Edelfalken
in einsamer Höhe thronten.

Wir hatten gedacht, mein Vater und ich, sagte Dorothea, daß wir Sie heute
Abend allein bei uns sehen würden. Aber es hat sich noch ein Gast eingestellt, der
augenblicklich mit dem Vater in der Halle bei einer Schachpartie sitzt. Wir
haben nur wenig Umgang, sind auch viel auf Reisen. Erst kürzlich sind wir
von einer längern Reise in Italien und Tirol zurückgekehrt. Der Herr, der
uns heute Abend besucht hat, ist ein alter Militär, der General der Kavallerie Graf


Grenzboten I. 1S83. 20
Die Grafen von Altenschwerdt.

äugige Fischerin, heute im Anzüge einer Dame, die ihren Bedarf aus den ele¬
gantesten Magazinen Berlins bezieht,

Sie streckte ihm die Hand entgegen und sagte mit Lächeln und zugleich
errötend: Gewiß halten Sie uns für recht neugierig und zudringlich, daß wir
Ihren stillen Winkel ausgespäht haben. Aber die Ritter sind so selten in unsrer
Gegend, daß wir der Versuchung nicht widerstehen konnten.

Mit diesen Worten führte sie ihn in ihr Gemach und bot ihm einen Platz
in der tiefen Fensternische an, die sich durch einen zierlichen Nähtisch als ihr
Lieblingsplätzchen kennzeichnete, Sie selbst setzte sich neben ihm in einen kleinen
gestickten Lehnstuhl.

Doch was sehe ich? fuhr sie fort, als er nach einer höflichen Gegen¬
bemerkung sich setzte und seinen Hut aus der Hand legte, Ihre Miene ist so
ernst, und Ihr Anzug trägt die Zeichen der Trauer,

Eberhardt erzählte ihr in kurzen Worten von der Nachricht, welche er in
den letzten Tagen erhalten hatte, und es that ihm wohl, in den Zügen seines
Gegenüber Teilnahme zu lesen. Er fügte einige Erklärungen hinzu, wie es ge¬
kommen sei, daß er fern von seiner Mutter die Kunde ihres Todes erhalten
habe, und die zärtlichen Worte, mit der er von ihr sprach, erweckten ein ver¬
wandtes Gefühl in der jungen Dame, der die eigne Mutter ein fernhin ent¬
schwundenes, geliebtes Bild war. So knüpfte sich zwischen beiden in den ersten
Augenblicken schon ein Band der Sympathie, und sie sprachen sich über einen
ihnen naheliegenden Gegenstand mit einer größern Sicherheit des gegenseitigen
Verständnisses aus, als die Kürze ihrer Bekanntschaft Hütte erwarten lassen.

Die Nische, in welcher sie beide saßen, ward durch gewaltig dicke Mauern
gebildet und führte auf einen Altan hinaus, der ehedem wohl zu Verteidigungs¬
zwecken gedient haben mochte, indem er überdacht gewesen war und so lag, daß
man von ihm herab Geschosse und Steine in den innern Hof hatte schleudern
können. Er bot jetzt nur noch den Vorteil einer weiten Aussicht in das Land
hinein und machte die Nische, mit welcher er durch eine Thür verbunden war,
zu einem sehr angenehmen Platze. Eberhardt dachte, indem er Dorotheas Ge¬
mach betrachtete und den Blick fernhin über die Wälder bis an das Meer und
über den zum Schlosse führenden Weg schweifen ließ, an die Burgsrciulein der
alten Zeit, die vom Söller herab ihre Ritter begrüßten und gleich Edelfalken
in einsamer Höhe thronten.

Wir hatten gedacht, mein Vater und ich, sagte Dorothea, daß wir Sie heute
Abend allein bei uns sehen würden. Aber es hat sich noch ein Gast eingestellt, der
augenblicklich mit dem Vater in der Halle bei einer Schachpartie sitzt. Wir
haben nur wenig Umgang, sind auch viel auf Reisen. Erst kürzlich sind wir
von einer längern Reise in Italien und Tirol zurückgekehrt. Der Herr, der
uns heute Abend besucht hat, ist ein alter Militär, der General der Kavallerie Graf


Grenzboten I. 1S83. 20
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/161>, abgerufen am 23.07.2024.