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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die journalistische Kunstkritik.

dem, was ihr nicht gefiel, und dem künstlerisch Unzulänglichen. So ist eine
Erscheinung wie Richard Wagner, der für viele manches Unsympathische hat
-- auch für den Schreiber dieser Zeilen --, geradezu der künstlerischen Unzu¬
länglichkeit beschuldigt und ihm damit irrtümlich dasjenige abgesprochen worden,
was er im allerhervvrrageudste" Grade besitzt, nämlich das Vermögen, seine
Kunstideale zum vollendeten Ausdruck zu bringen. Wie viel weiter würden
wir im Verständnis dieses Mannes und der Kunst überhaupt, bei dem
großen Interesse, welches die Tagesliteratur diesen Fragen widmet, gekommen
sein, wenn nicht die ungerechtfertigten Verurteilungen seitens einer äußerlich
sich ästhetisch-ideal gerirenden, in Wirklichkeit aber durchaus subjektiv will¬
kürlichen Kritik die großartigsten Rüstungen zur Abwehr auf Seiten Wagners
und seiner Anhänger hervorgerufen hätte. Einer anspruchsvollen und dennoch
von einem unberechtigten Prinzip ausgehenden Kritik gegenüber mußte natürlich
ein Maun wie Richard Wagner alle Achtung verlieren, und so wurde denn auch
von dieser Seite mit allen Mitteln gekämpft, nicht mehr um zu einer -- ja doch
mit solcher Kritik unmöglichen -- Verständigung zu gelangen, sondern um die
Oberhand zu behalten, und da auf Wagners Seite das Talent sich mit der
Ausdauer vereinigte, so hat er schließlich dem Publikum gegenüber die Oberhand
behalten, und in gewissem Sinne mit Recht, aber leider unter Opfern bezüglich
der allgemeinen Einsicht und des allgemeinen Verständnisses, die unsre fernere
Kunstentwicklung mit schweren Schäden bedrohen. Denn es ist deu Wagnerianern
wirklich halb und halb gelungen, die subjektiven Ideale ihres Meisters als all¬
gemeine, typische Kunstiveale dem Publikum auszureden, neben denen andre Ideale
keinen Raum mehr haben, und jeder halbwegs denkende Mensch muß doch bei einem
Blick auf die geistige Entwicklung der Menschheit zugestehen, daß die Natur
im Hervorbringen neuer Talente uicht stille steht. Stillstand ist Rückgang,
und wenn wir der freundlichen Aufforderung der Wagnerianer, künftig das
Komponiren und Dichten sein zu lassen, nachkommen wollten, so würden wir
uns damit aus der Liste der lebensfähigen Kulturvölker ausstreichen. Einen
großen Teil der Schuld an diesen und andern Anomalien unsrer Kunstzustände
trägt offenbar die hinter ihrer Zeit zurückgebliebene Kritik, die, anstatt sich in
die Erfassung des Individuell-Eigentümlichen mit Sorgfalt zu versenken und
von hier aus die neuen Erscheinungen zu erfassen, nach undefinirbaren Phan¬
tomen nicht mehr vorhandner künstlerischer Ideale das Individuell-Eigentümliche
-- nicht verstand, das Berechtigte bekämpfte und das Unberechtigte guthieß. Aus¬
führlicher diesen Punkt zu erklären, würde zu weit führen. Genug, es ist dahin
gekommen, daß Wagner, der die künstlerische Jdealitätslosigkeit unsrer Zeit besser
erkannte als seine Be- und Verurteiler, welche sich wunder wie weise dünkten,
indem sie ihren Scharfsinn in kleinlicher Krittelei leuchten ließen, seine Ideale
auf die erledigten Musensitze gehoben und ihnen "veitverbreitete Anerkennung
verschafft hat. Diese Ideale sind nun freilich zweifelhafter Art, und da hätte


Die journalistische Kunstkritik.

dem, was ihr nicht gefiel, und dem künstlerisch Unzulänglichen. So ist eine
Erscheinung wie Richard Wagner, der für viele manches Unsympathische hat
— auch für den Schreiber dieser Zeilen —, geradezu der künstlerischen Unzu¬
länglichkeit beschuldigt und ihm damit irrtümlich dasjenige abgesprochen worden,
was er im allerhervvrrageudste» Grade besitzt, nämlich das Vermögen, seine
Kunstideale zum vollendeten Ausdruck zu bringen. Wie viel weiter würden
wir im Verständnis dieses Mannes und der Kunst überhaupt, bei dem
großen Interesse, welches die Tagesliteratur diesen Fragen widmet, gekommen
sein, wenn nicht die ungerechtfertigten Verurteilungen seitens einer äußerlich
sich ästhetisch-ideal gerirenden, in Wirklichkeit aber durchaus subjektiv will¬
kürlichen Kritik die großartigsten Rüstungen zur Abwehr auf Seiten Wagners
und seiner Anhänger hervorgerufen hätte. Einer anspruchsvollen und dennoch
von einem unberechtigten Prinzip ausgehenden Kritik gegenüber mußte natürlich
ein Maun wie Richard Wagner alle Achtung verlieren, und so wurde denn auch
von dieser Seite mit allen Mitteln gekämpft, nicht mehr um zu einer — ja doch
mit solcher Kritik unmöglichen — Verständigung zu gelangen, sondern um die
Oberhand zu behalten, und da auf Wagners Seite das Talent sich mit der
Ausdauer vereinigte, so hat er schließlich dem Publikum gegenüber die Oberhand
behalten, und in gewissem Sinne mit Recht, aber leider unter Opfern bezüglich
der allgemeinen Einsicht und des allgemeinen Verständnisses, die unsre fernere
Kunstentwicklung mit schweren Schäden bedrohen. Denn es ist deu Wagnerianern
wirklich halb und halb gelungen, die subjektiven Ideale ihres Meisters als all¬
gemeine, typische Kunstiveale dem Publikum auszureden, neben denen andre Ideale
keinen Raum mehr haben, und jeder halbwegs denkende Mensch muß doch bei einem
Blick auf die geistige Entwicklung der Menschheit zugestehen, daß die Natur
im Hervorbringen neuer Talente uicht stille steht. Stillstand ist Rückgang,
und wenn wir der freundlichen Aufforderung der Wagnerianer, künftig das
Komponiren und Dichten sein zu lassen, nachkommen wollten, so würden wir
uns damit aus der Liste der lebensfähigen Kulturvölker ausstreichen. Einen
großen Teil der Schuld an diesen und andern Anomalien unsrer Kunstzustände
trägt offenbar die hinter ihrer Zeit zurückgebliebene Kritik, die, anstatt sich in
die Erfassung des Individuell-Eigentümlichen mit Sorgfalt zu versenken und
von hier aus die neuen Erscheinungen zu erfassen, nach undefinirbaren Phan¬
tomen nicht mehr vorhandner künstlerischer Ideale das Individuell-Eigentümliche
— nicht verstand, das Berechtigte bekämpfte und das Unberechtigte guthieß. Aus¬
führlicher diesen Punkt zu erklären, würde zu weit führen. Genug, es ist dahin
gekommen, daß Wagner, der die künstlerische Jdealitätslosigkeit unsrer Zeit besser
erkannte als seine Be- und Verurteiler, welche sich wunder wie weise dünkten,
indem sie ihren Scharfsinn in kleinlicher Krittelei leuchten ließen, seine Ideale
auf die erledigten Musensitze gehoben und ihnen »veitverbreitete Anerkennung
verschafft hat. Diese Ideale sind nun freilich zweifelhafter Art, und da hätte


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[0154] Die journalistische Kunstkritik. dem, was ihr nicht gefiel, und dem künstlerisch Unzulänglichen. So ist eine Erscheinung wie Richard Wagner, der für viele manches Unsympathische hat — auch für den Schreiber dieser Zeilen —, geradezu der künstlerischen Unzu¬ länglichkeit beschuldigt und ihm damit irrtümlich dasjenige abgesprochen worden, was er im allerhervvrrageudste» Grade besitzt, nämlich das Vermögen, seine Kunstideale zum vollendeten Ausdruck zu bringen. Wie viel weiter würden wir im Verständnis dieses Mannes und der Kunst überhaupt, bei dem großen Interesse, welches die Tagesliteratur diesen Fragen widmet, gekommen sein, wenn nicht die ungerechtfertigten Verurteilungen seitens einer äußerlich sich ästhetisch-ideal gerirenden, in Wirklichkeit aber durchaus subjektiv will¬ kürlichen Kritik die großartigsten Rüstungen zur Abwehr auf Seiten Wagners und seiner Anhänger hervorgerufen hätte. Einer anspruchsvollen und dennoch von einem unberechtigten Prinzip ausgehenden Kritik gegenüber mußte natürlich ein Maun wie Richard Wagner alle Achtung verlieren, und so wurde denn auch von dieser Seite mit allen Mitteln gekämpft, nicht mehr um zu einer — ja doch mit solcher Kritik unmöglichen — Verständigung zu gelangen, sondern um die Oberhand zu behalten, und da auf Wagners Seite das Talent sich mit der Ausdauer vereinigte, so hat er schließlich dem Publikum gegenüber die Oberhand behalten, und in gewissem Sinne mit Recht, aber leider unter Opfern bezüglich der allgemeinen Einsicht und des allgemeinen Verständnisses, die unsre fernere Kunstentwicklung mit schweren Schäden bedrohen. Denn es ist deu Wagnerianern wirklich halb und halb gelungen, die subjektiven Ideale ihres Meisters als all¬ gemeine, typische Kunstiveale dem Publikum auszureden, neben denen andre Ideale keinen Raum mehr haben, und jeder halbwegs denkende Mensch muß doch bei einem Blick auf die geistige Entwicklung der Menschheit zugestehen, daß die Natur im Hervorbringen neuer Talente uicht stille steht. Stillstand ist Rückgang, und wenn wir der freundlichen Aufforderung der Wagnerianer, künftig das Komponiren und Dichten sein zu lassen, nachkommen wollten, so würden wir uns damit aus der Liste der lebensfähigen Kulturvölker ausstreichen. Einen großen Teil der Schuld an diesen und andern Anomalien unsrer Kunstzustände trägt offenbar die hinter ihrer Zeit zurückgebliebene Kritik, die, anstatt sich in die Erfassung des Individuell-Eigentümlichen mit Sorgfalt zu versenken und von hier aus die neuen Erscheinungen zu erfassen, nach undefinirbaren Phan¬ tomen nicht mehr vorhandner künstlerischer Ideale das Individuell-Eigentümliche — nicht verstand, das Berechtigte bekämpfte und das Unberechtigte guthieß. Aus¬ führlicher diesen Punkt zu erklären, würde zu weit führen. Genug, es ist dahin gekommen, daß Wagner, der die künstlerische Jdealitätslosigkeit unsrer Zeit besser erkannte als seine Be- und Verurteiler, welche sich wunder wie weise dünkten, indem sie ihren Scharfsinn in kleinlicher Krittelei leuchten ließen, seine Ideale auf die erledigten Musensitze gehoben und ihnen »veitverbreitete Anerkennung verschafft hat. Diese Ideale sind nun freilich zweifelhafter Art, und da hätte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/154>, abgerufen am 23.07.2024.