Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die journalistische Kunstkritik.

Künsten, sogar ein und derselbe Künstler oftmals dieselbe Sache, und niemand
fiel es ein, darin einen Mangel an Originalität zu erblicken. Dies Verfahren bot
aber den großen Vorteil für das allgemeine Kunstverständnis, daß wirkliche
Normen, allgemein giltige Ideen für die Auffassung und Beurteilung künst¬
lerischer Leistungen vorhanden waren, und von diesem Standpunkte aus war
die Veurteilnng nach allgemeinen Normen gerechtfertigt. Indem man diesen
Standpunkt fallen ließ und vom Künstler nicht nur eine interessante Neuge¬
staltung vorhandener Jdcalthpen, sondern eine den Inhalt seines Werkes mit
einbegreifeude Originalität verlangte, hätte man konsequenterweise auch den
Standpunkt der Beurteilung aus allgemein giltigen Gesichtspunkten fallen lassen
und jedes neue Werk, das sich als ein nuf subjektivem Ideal des Künstlers
beruhendes zu erkennen gab, vom Standpunkte dieses subjektiven Ideals ans be¬
urteilen müssen. Dies geschieht aber uicht, und obschon die Kunst längst aus
den bewährten Bahnen allgemeiner und gemeinschaftlicher Ideale herausgedrängt
worden ist, werden ihre Erzeugnisse doch immer wieder besprochen und begutachtet,
als bestünden jene Ideale noch zu Recht. Ja manche Vcurteilnugen schlagen
einen Ton an, als wenn die Ideale der Kunst so feststehend und unangefochten
würeu wie die Vorschriften eines Bürenubeamten, und als wenn es sich nur
darum handelte, zu konstatiren, wie weit der Künstler seinen Vorschriften nach¬
gekommen. Worin diese bestehen, sagt natürlich niemand, denn das ist einfach
unmöglich, und wenn man sich die Mühe giebt, ans den tausendfach sich
kreuzenden Ansprüchen der Kritik ein Gemeinsames herauszufinden, so findet
man schließlich als das Ideal der aller Kunstideale beraubten öffentlichen
Meinung den vagen Gedanken heraus: es muß dem Publikum gefallen. Dieser
Gedanke ist aber ebenfalls garnicht näher zu definiren, denn das Publikum ist
aus so ungleichen Elementen zusammengesetzt, daß etwas, was allen gefällt,
es nicht geben kann.

Damit ist aber auch die Nichtberechtigung dieses Standpunktes zur Evidenz
erwiesen, und der redlichste Kritiker muß Schiffbruch leiden, wenn er sich dieses
Irrlichts als Leuchte bedienen will. Denn'von dem Begriffe eines Kunstidcals
ausgehen, welches nicht existirt, ist eben ein logischer Widerspruch. Was dem
Kritiker als Kunstideal dabei dunkel vorschweben mag, was er für etwas Ob¬
jektives hält, stellt sich bei näherer Betrachtung als etwas rein Subjektives
heraus, dem die Erhebung zu einem allgemein giltigen Jdealgefühl so voll¬
ständig sehlt, daß es eine Selbsttäuschung des einzelnen Kritikers ist, wenn er
glaubt, zur Umbildung seiner persönlichen subjektiven Empfindungen in Urteile
von allgemein giltigen Charakter berechtigt zu sein. Er muß vielmehr in Er¬
mangelung allgemeiner Kunstideale und allgemein anerkannter, den höchsten An¬
forderungen genügender Formen, wie die italienische Kunst sich deren in der
Renaissancezeit und die deutsche Musik bis zu Mozarts und Beethovens Zeit
erfreuten, dem Künstler dasselbe Recht des rein subjektiven Idealismus einräumen,


Die journalistische Kunstkritik.

Künsten, sogar ein und derselbe Künstler oftmals dieselbe Sache, und niemand
fiel es ein, darin einen Mangel an Originalität zu erblicken. Dies Verfahren bot
aber den großen Vorteil für das allgemeine Kunstverständnis, daß wirkliche
Normen, allgemein giltige Ideen für die Auffassung und Beurteilung künst¬
lerischer Leistungen vorhanden waren, und von diesem Standpunkte aus war
die Veurteilnng nach allgemeinen Normen gerechtfertigt. Indem man diesen
Standpunkt fallen ließ und vom Künstler nicht nur eine interessante Neuge¬
staltung vorhandener Jdcalthpen, sondern eine den Inhalt seines Werkes mit
einbegreifeude Originalität verlangte, hätte man konsequenterweise auch den
Standpunkt der Beurteilung aus allgemein giltigen Gesichtspunkten fallen lassen
und jedes neue Werk, das sich als ein nuf subjektivem Ideal des Künstlers
beruhendes zu erkennen gab, vom Standpunkte dieses subjektiven Ideals ans be¬
urteilen müssen. Dies geschieht aber uicht, und obschon die Kunst längst aus
den bewährten Bahnen allgemeiner und gemeinschaftlicher Ideale herausgedrängt
worden ist, werden ihre Erzeugnisse doch immer wieder besprochen und begutachtet,
als bestünden jene Ideale noch zu Recht. Ja manche Vcurteilnugen schlagen
einen Ton an, als wenn die Ideale der Kunst so feststehend und unangefochten
würeu wie die Vorschriften eines Bürenubeamten, und als wenn es sich nur
darum handelte, zu konstatiren, wie weit der Künstler seinen Vorschriften nach¬
gekommen. Worin diese bestehen, sagt natürlich niemand, denn das ist einfach
unmöglich, und wenn man sich die Mühe giebt, ans den tausendfach sich
kreuzenden Ansprüchen der Kritik ein Gemeinsames herauszufinden, so findet
man schließlich als das Ideal der aller Kunstideale beraubten öffentlichen
Meinung den vagen Gedanken heraus: es muß dem Publikum gefallen. Dieser
Gedanke ist aber ebenfalls garnicht näher zu definiren, denn das Publikum ist
aus so ungleichen Elementen zusammengesetzt, daß etwas, was allen gefällt,
es nicht geben kann.

Damit ist aber auch die Nichtberechtigung dieses Standpunktes zur Evidenz
erwiesen, und der redlichste Kritiker muß Schiffbruch leiden, wenn er sich dieses
Irrlichts als Leuchte bedienen will. Denn'von dem Begriffe eines Kunstidcals
ausgehen, welches nicht existirt, ist eben ein logischer Widerspruch. Was dem
Kritiker als Kunstideal dabei dunkel vorschweben mag, was er für etwas Ob¬
jektives hält, stellt sich bei näherer Betrachtung als etwas rein Subjektives
heraus, dem die Erhebung zu einem allgemein giltigen Jdealgefühl so voll¬
ständig sehlt, daß es eine Selbsttäuschung des einzelnen Kritikers ist, wenn er
glaubt, zur Umbildung seiner persönlichen subjektiven Empfindungen in Urteile
von allgemein giltigen Charakter berechtigt zu sein. Er muß vielmehr in Er¬
mangelung allgemeiner Kunstideale und allgemein anerkannter, den höchsten An¬
forderungen genügender Formen, wie die italienische Kunst sich deren in der
Renaissancezeit und die deutsche Musik bis zu Mozarts und Beethovens Zeit
erfreuten, dem Künstler dasselbe Recht des rein subjektiven Idealismus einräumen,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0152" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/151614"/>
          <fw type="header" place="top"> Die journalistische Kunstkritik.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_477" prev="#ID_476"> Künsten, sogar ein und derselbe Künstler oftmals dieselbe Sache, und niemand<lb/>
fiel es ein, darin einen Mangel an Originalität zu erblicken. Dies Verfahren bot<lb/>
aber den großen Vorteil für das allgemeine Kunstverständnis, daß wirkliche<lb/>
Normen, allgemein giltige Ideen für die Auffassung und Beurteilung künst¬<lb/>
lerischer Leistungen vorhanden waren, und von diesem Standpunkte aus war<lb/>
die Veurteilnng nach allgemeinen Normen gerechtfertigt. Indem man diesen<lb/>
Standpunkt fallen ließ und vom Künstler nicht nur eine interessante Neuge¬<lb/>
staltung vorhandener Jdcalthpen, sondern eine den Inhalt seines Werkes mit<lb/>
einbegreifeude Originalität verlangte, hätte man konsequenterweise auch den<lb/>
Standpunkt der Beurteilung aus allgemein giltigen Gesichtspunkten fallen lassen<lb/>
und jedes neue Werk, das sich als ein nuf subjektivem Ideal des Künstlers<lb/>
beruhendes zu erkennen gab, vom Standpunkte dieses subjektiven Ideals ans be¬<lb/>
urteilen müssen. Dies geschieht aber uicht, und obschon die Kunst längst aus<lb/>
den bewährten Bahnen allgemeiner und gemeinschaftlicher Ideale herausgedrängt<lb/>
worden ist, werden ihre Erzeugnisse doch immer wieder besprochen und begutachtet,<lb/>
als bestünden jene Ideale noch zu Recht. Ja manche Vcurteilnugen schlagen<lb/>
einen Ton an, als wenn die Ideale der Kunst so feststehend und unangefochten<lb/>
würeu wie die Vorschriften eines Bürenubeamten, und als wenn es sich nur<lb/>
darum handelte, zu konstatiren, wie weit der Künstler seinen Vorschriften nach¬<lb/>
gekommen. Worin diese bestehen, sagt natürlich niemand, denn das ist einfach<lb/>
unmöglich, und wenn man sich die Mühe giebt, ans den tausendfach sich<lb/>
kreuzenden Ansprüchen der Kritik ein Gemeinsames herauszufinden, so findet<lb/>
man schließlich als das Ideal der aller Kunstideale beraubten öffentlichen<lb/>
Meinung den vagen Gedanken heraus: es muß dem Publikum gefallen. Dieser<lb/>
Gedanke ist aber ebenfalls garnicht näher zu definiren, denn das Publikum ist<lb/>
aus so ungleichen Elementen zusammengesetzt, daß etwas, was allen gefällt,<lb/>
es nicht geben kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_478" next="#ID_479"> Damit ist aber auch die Nichtberechtigung dieses Standpunktes zur Evidenz<lb/>
erwiesen, und der redlichste Kritiker muß Schiffbruch leiden, wenn er sich dieses<lb/>
Irrlichts als Leuchte bedienen will. Denn'von dem Begriffe eines Kunstidcals<lb/>
ausgehen, welches nicht existirt, ist eben ein logischer Widerspruch. Was dem<lb/>
Kritiker als Kunstideal dabei dunkel vorschweben mag, was er für etwas Ob¬<lb/>
jektives hält, stellt sich bei näherer Betrachtung als etwas rein Subjektives<lb/>
heraus, dem die Erhebung zu einem allgemein giltigen Jdealgefühl so voll¬<lb/>
ständig sehlt, daß es eine Selbsttäuschung des einzelnen Kritikers ist, wenn er<lb/>
glaubt, zur Umbildung seiner persönlichen subjektiven Empfindungen in Urteile<lb/>
von allgemein giltigen Charakter berechtigt zu sein. Er muß vielmehr in Er¬<lb/>
mangelung allgemeiner Kunstideale und allgemein anerkannter, den höchsten An¬<lb/>
forderungen genügender Formen, wie die italienische Kunst sich deren in der<lb/>
Renaissancezeit und die deutsche Musik bis zu Mozarts und Beethovens Zeit<lb/>
erfreuten, dem Künstler dasselbe Recht des rein subjektiven Idealismus einräumen,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0152] Die journalistische Kunstkritik. Künsten, sogar ein und derselbe Künstler oftmals dieselbe Sache, und niemand fiel es ein, darin einen Mangel an Originalität zu erblicken. Dies Verfahren bot aber den großen Vorteil für das allgemeine Kunstverständnis, daß wirkliche Normen, allgemein giltige Ideen für die Auffassung und Beurteilung künst¬ lerischer Leistungen vorhanden waren, und von diesem Standpunkte aus war die Veurteilnng nach allgemeinen Normen gerechtfertigt. Indem man diesen Standpunkt fallen ließ und vom Künstler nicht nur eine interessante Neuge¬ staltung vorhandener Jdcalthpen, sondern eine den Inhalt seines Werkes mit einbegreifeude Originalität verlangte, hätte man konsequenterweise auch den Standpunkt der Beurteilung aus allgemein giltigen Gesichtspunkten fallen lassen und jedes neue Werk, das sich als ein nuf subjektivem Ideal des Künstlers beruhendes zu erkennen gab, vom Standpunkte dieses subjektiven Ideals ans be¬ urteilen müssen. Dies geschieht aber uicht, und obschon die Kunst längst aus den bewährten Bahnen allgemeiner und gemeinschaftlicher Ideale herausgedrängt worden ist, werden ihre Erzeugnisse doch immer wieder besprochen und begutachtet, als bestünden jene Ideale noch zu Recht. Ja manche Vcurteilnugen schlagen einen Ton an, als wenn die Ideale der Kunst so feststehend und unangefochten würeu wie die Vorschriften eines Bürenubeamten, und als wenn es sich nur darum handelte, zu konstatiren, wie weit der Künstler seinen Vorschriften nach¬ gekommen. Worin diese bestehen, sagt natürlich niemand, denn das ist einfach unmöglich, und wenn man sich die Mühe giebt, ans den tausendfach sich kreuzenden Ansprüchen der Kritik ein Gemeinsames herauszufinden, so findet man schließlich als das Ideal der aller Kunstideale beraubten öffentlichen Meinung den vagen Gedanken heraus: es muß dem Publikum gefallen. Dieser Gedanke ist aber ebenfalls garnicht näher zu definiren, denn das Publikum ist aus so ungleichen Elementen zusammengesetzt, daß etwas, was allen gefällt, es nicht geben kann. Damit ist aber auch die Nichtberechtigung dieses Standpunktes zur Evidenz erwiesen, und der redlichste Kritiker muß Schiffbruch leiden, wenn er sich dieses Irrlichts als Leuchte bedienen will. Denn'von dem Begriffe eines Kunstidcals ausgehen, welches nicht existirt, ist eben ein logischer Widerspruch. Was dem Kritiker als Kunstideal dabei dunkel vorschweben mag, was er für etwas Ob¬ jektives hält, stellt sich bei näherer Betrachtung als etwas rein Subjektives heraus, dem die Erhebung zu einem allgemein giltigen Jdealgefühl so voll¬ ständig sehlt, daß es eine Selbsttäuschung des einzelnen Kritikers ist, wenn er glaubt, zur Umbildung seiner persönlichen subjektiven Empfindungen in Urteile von allgemein giltigen Charakter berechtigt zu sein. Er muß vielmehr in Er¬ mangelung allgemeiner Kunstideale und allgemein anerkannter, den höchsten An¬ forderungen genügender Formen, wie die italienische Kunst sich deren in der Renaissancezeit und die deutsche Musik bis zu Mozarts und Beethovens Zeit erfreuten, dem Künstler dasselbe Recht des rein subjektiven Idealismus einräumen,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/152
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/152>, abgerufen am 23.07.2024.