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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die journalistische Kunstkritik,

klärnng über die eignen Obliegenheiten, sondern befähigt auch, den Stand¬
punkt andrer, ans demselben Gebiete thätiger zu erkennen, und es dürfte
nicht uninteressant sein, einige Beobachtungen aufzuzeichnen, die durch Betrach¬
tung des thatsächlichen Verhältnisses der journalistischen Kritik zur Kunst ent¬
standen sind.

Die journalistische Kritik verfolgt im allgemeine" den Zweck, die Erschei¬
nungen auf dem Gebiete des künstlerischen Lebens, mit besondrer Bevorzugung
der Theater- und Konzertanfführnngen, zu registriren und zugleich über deren
Kunstwerk ein Urteil abzugeben, welches teils als Ausdruck der allgemeinen
Meinung gelten, teils erst als allgemeine Meinung adoptirt werden soll. Im
letztern, dem häufigsten Falle, ist die Absicht vorhanden, dem Publikum mitzu¬
teilen, was es von dem Gegenstande der Beurteilung zu halten habe.

Offenbar hängt hierbei alles ab von der Befähigung des Beurteilers, das
Nichtige zu erkennen. Daß diese Befähigung bei sehr vielen leider garnicht
vorhanden ist, so wenig wie Gewissenhaftigkeit und Gerechtigkeitssinn, davon
soll nicht weiter die Rede sein; das ist nun einmal nicht zu ändern, und eine
Polemik dagegen wäre ein zweckloses Unternehmen. Allein es giebt noch andre
Dinge als Unfähigkeit und Gesinnungslosigkeit, auf denen eine schiefe Beur¬
teilung beruhen kann, und bei dem großen Einflüsse, den die journalistische Kritik
auf den Stand der Kunst ausübt, ist es der Mühe wert, den Sachverhalt näher
zu untersuchen.

Ich glaube beobachtet zu haben, daß es unsrer journalistischen Kritik im
großen und ganzen an der richtigen Unterscheidung zwischen dem Allgemeinen
und dem Individuellen fehlt. Wie oft wird nicht an neuen Werken der prodn-
zirenden Kunst getadelt, daß sie in alter Form erscheinen oder einen schon zur
Genüge bekannten Stoff behandeln, und andrerseits, wie oft werden nicht neue
Werke getadelt wegen des Gegenteils, weil sie entlegene, willkürlich hervor-
gesnchte Dinge in absonderlicher, von den bekannten Formen abweichender Weise
bearbeiten! Im ersten Falle wird also das Besondre, im zweiten Falle das
Allgemeine vermißt. Beides kann richtig sein, aber ein klarer kritischer Stand¬
punkt ist darum doch nicht daraus zu erkennen.

Wenn man heutzutage einem schaffenden Künstler den Vorwurf macht, daß
er nicht originell sei, so bezieht sich dies in der Regel zunächst auf den stoff¬
lichen Teil seines Werkes. Man verlangt, der Künstler solle ganz neu er¬
fundene Dinge vorbringen, die durch deu Reiz der Neuheit fesseln, ohne zu
bedenken, daß der Reiz der Neuheit nach den ersten Momenten der Bekannt¬
schaft bereits verschwindet. Dem gegenüber braucht man nur darauf zu ver¬
weise,,, daß in Zeiten größter Kunstblüte viele Künstler dieselbe Idee, denselben
Gegenstand bearbeiteten, in den bildenden Künsten sowohl als in der Poesie,
insbesondre auch im Drama und der Oper, und zwar behandelten nicht nur
Verschiedene Künstler dieselbe Sache, sondern, namentlich in den bildenden


Die journalistische Kunstkritik,

klärnng über die eignen Obliegenheiten, sondern befähigt auch, den Stand¬
punkt andrer, ans demselben Gebiete thätiger zu erkennen, und es dürfte
nicht uninteressant sein, einige Beobachtungen aufzuzeichnen, die durch Betrach¬
tung des thatsächlichen Verhältnisses der journalistischen Kritik zur Kunst ent¬
standen sind.

Die journalistische Kritik verfolgt im allgemeine» den Zweck, die Erschei¬
nungen auf dem Gebiete des künstlerischen Lebens, mit besondrer Bevorzugung
der Theater- und Konzertanfführnngen, zu registriren und zugleich über deren
Kunstwerk ein Urteil abzugeben, welches teils als Ausdruck der allgemeinen
Meinung gelten, teils erst als allgemeine Meinung adoptirt werden soll. Im
letztern, dem häufigsten Falle, ist die Absicht vorhanden, dem Publikum mitzu¬
teilen, was es von dem Gegenstande der Beurteilung zu halten habe.

Offenbar hängt hierbei alles ab von der Befähigung des Beurteilers, das
Nichtige zu erkennen. Daß diese Befähigung bei sehr vielen leider garnicht
vorhanden ist, so wenig wie Gewissenhaftigkeit und Gerechtigkeitssinn, davon
soll nicht weiter die Rede sein; das ist nun einmal nicht zu ändern, und eine
Polemik dagegen wäre ein zweckloses Unternehmen. Allein es giebt noch andre
Dinge als Unfähigkeit und Gesinnungslosigkeit, auf denen eine schiefe Beur¬
teilung beruhen kann, und bei dem großen Einflüsse, den die journalistische Kritik
auf den Stand der Kunst ausübt, ist es der Mühe wert, den Sachverhalt näher
zu untersuchen.

Ich glaube beobachtet zu haben, daß es unsrer journalistischen Kritik im
großen und ganzen an der richtigen Unterscheidung zwischen dem Allgemeinen
und dem Individuellen fehlt. Wie oft wird nicht an neuen Werken der prodn-
zirenden Kunst getadelt, daß sie in alter Form erscheinen oder einen schon zur
Genüge bekannten Stoff behandeln, und andrerseits, wie oft werden nicht neue
Werke getadelt wegen des Gegenteils, weil sie entlegene, willkürlich hervor-
gesnchte Dinge in absonderlicher, von den bekannten Formen abweichender Weise
bearbeiten! Im ersten Falle wird also das Besondre, im zweiten Falle das
Allgemeine vermißt. Beides kann richtig sein, aber ein klarer kritischer Stand¬
punkt ist darum doch nicht daraus zu erkennen.

Wenn man heutzutage einem schaffenden Künstler den Vorwurf macht, daß
er nicht originell sei, so bezieht sich dies in der Regel zunächst auf den stoff¬
lichen Teil seines Werkes. Man verlangt, der Künstler solle ganz neu er¬
fundene Dinge vorbringen, die durch deu Reiz der Neuheit fesseln, ohne zu
bedenken, daß der Reiz der Neuheit nach den ersten Momenten der Bekannt¬
schaft bereits verschwindet. Dem gegenüber braucht man nur darauf zu ver¬
weise,,, daß in Zeiten größter Kunstblüte viele Künstler dieselbe Idee, denselben
Gegenstand bearbeiteten, in den bildenden Künsten sowohl als in der Poesie,
insbesondre auch im Drama und der Oper, und zwar behandelten nicht nur
Verschiedene Künstler dieselbe Sache, sondern, namentlich in den bildenden


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[0151] Die journalistische Kunstkritik, klärnng über die eignen Obliegenheiten, sondern befähigt auch, den Stand¬ punkt andrer, ans demselben Gebiete thätiger zu erkennen, und es dürfte nicht uninteressant sein, einige Beobachtungen aufzuzeichnen, die durch Betrach¬ tung des thatsächlichen Verhältnisses der journalistischen Kritik zur Kunst ent¬ standen sind. Die journalistische Kritik verfolgt im allgemeine» den Zweck, die Erschei¬ nungen auf dem Gebiete des künstlerischen Lebens, mit besondrer Bevorzugung der Theater- und Konzertanfführnngen, zu registriren und zugleich über deren Kunstwerk ein Urteil abzugeben, welches teils als Ausdruck der allgemeinen Meinung gelten, teils erst als allgemeine Meinung adoptirt werden soll. Im letztern, dem häufigsten Falle, ist die Absicht vorhanden, dem Publikum mitzu¬ teilen, was es von dem Gegenstande der Beurteilung zu halten habe. Offenbar hängt hierbei alles ab von der Befähigung des Beurteilers, das Nichtige zu erkennen. Daß diese Befähigung bei sehr vielen leider garnicht vorhanden ist, so wenig wie Gewissenhaftigkeit und Gerechtigkeitssinn, davon soll nicht weiter die Rede sein; das ist nun einmal nicht zu ändern, und eine Polemik dagegen wäre ein zweckloses Unternehmen. Allein es giebt noch andre Dinge als Unfähigkeit und Gesinnungslosigkeit, auf denen eine schiefe Beur¬ teilung beruhen kann, und bei dem großen Einflüsse, den die journalistische Kritik auf den Stand der Kunst ausübt, ist es der Mühe wert, den Sachverhalt näher zu untersuchen. Ich glaube beobachtet zu haben, daß es unsrer journalistischen Kritik im großen und ganzen an der richtigen Unterscheidung zwischen dem Allgemeinen und dem Individuellen fehlt. Wie oft wird nicht an neuen Werken der prodn- zirenden Kunst getadelt, daß sie in alter Form erscheinen oder einen schon zur Genüge bekannten Stoff behandeln, und andrerseits, wie oft werden nicht neue Werke getadelt wegen des Gegenteils, weil sie entlegene, willkürlich hervor- gesnchte Dinge in absonderlicher, von den bekannten Formen abweichender Weise bearbeiten! Im ersten Falle wird also das Besondre, im zweiten Falle das Allgemeine vermißt. Beides kann richtig sein, aber ein klarer kritischer Stand¬ punkt ist darum doch nicht daraus zu erkennen. Wenn man heutzutage einem schaffenden Künstler den Vorwurf macht, daß er nicht originell sei, so bezieht sich dies in der Regel zunächst auf den stoff¬ lichen Teil seines Werkes. Man verlangt, der Künstler solle ganz neu er¬ fundene Dinge vorbringen, die durch deu Reiz der Neuheit fesseln, ohne zu bedenken, daß der Reiz der Neuheit nach den ersten Momenten der Bekannt¬ schaft bereits verschwindet. Dem gegenüber braucht man nur darauf zu ver¬ weise,,, daß in Zeiten größter Kunstblüte viele Künstler dieselbe Idee, denselben Gegenstand bearbeiteten, in den bildenden Künsten sowohl als in der Poesie, insbesondre auch im Drama und der Oper, und zwar behandelten nicht nur Verschiedene Künstler dieselbe Sache, sondern, namentlich in den bildenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/151>, abgerufen am 25.08.2024.