Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Zwei Shakespeare - Essays.

ist nicht zu drehen und nicht zu deuteln. Was thut nun der Erklärer, um den
Beweis zu führen, Hamlet habe sich auch während dieses Auftrittes sittlich
Pnrgirt? Er sagt: "An das grausame Motiv, das er sich aus Scheu vor dem
Geist dabei andichtet (seil, bei der Aufsparung der Rachethat), glauben wir
nicht, vielmehr den für reuig gehaltenen Beter zu töten, war ihm unmöglich."
Nun denn: das ist das gerade Gegenteil der Worte Hamlets und der Absicht
des Dichters, das ist eine Verfälschung des dramatischen Thatbestandes, wie sie
ärger nicht gedacht werden kann! Ja sogar der exaltirt pathetische Ausbruch
Hamlets und der Ringkampf mit dem Laörtes in Ophelicns Grabe muß dem
Verfasser als Beweis für seine Behauptung dienen. Warum aber? Weil
Hamlet seine Wild eben gegen Laörtes und nicht gegen den König richtet. "Was
können wir, deduzirt er, hiernach in seinem Toben Wider diesen anders er¬
blicken als einen jetzt wieder über sich selbst gewonnenen Sieg, und zwar ge¬
wonnen in dem härtesten aller bisherigen Kämpfe, da er auch in der Gebcts¬
szene doch nur den vor Gott auf den Knien liegenden, hier sogar den neben
seiner Mutter und am Grabe der Geliebten stehenden König verschont hat?
Sogleich auch soll er dafür sich belohnt sehen; denn er hört die Mutter, um
deretwillen er sich eben wieder bezwungen, um auch öffentlich seine Partei
nehmen." Das ist doch wirklich mehr als wunderlich. Übrigens bleibt der Ver¬
fasser nnr konsequent, wenn er, da er den Geist doch nun einmal für einen sehr
zweifelhaften und jedenfalls erlösnngsbedürftigen Vocativus hält, das Ganze zu¬
gleich auf eine Läuterung desselben abzielen und hinauslaufen läßt. Da Hamlet
statt der egoistischen Wünsche des Geistes die Gebote der Sittlichkeit erfüllt,
verspürt der Jnsasse des Fegefeuers allmählich, daß ihm die hohe Moralität
seines Sohnes zu Gute kommt. Schon in dem Umstände, daß er in Gertrndens
Gemach nicht im Harnisch, sondern im Hauskleide erscheint, will Besser "eine
mildere Stimmung und ein Zufricdensein mit dem bisherigen Verhalten des
Sohnes" angedeutet finden, und die Worte des Geistes müssen ihm beweisen,
daß dieser von seinen frühern rücksichtslosen Forderungen und seiner Feindselig¬
keit gegen den Bruder schon etwas abgelassen habe. Der Ausgang der Tragödie
muß nach seiner Ansicht dein Geiste vollends höchst genehm sein; er ist aller
Wahrscheinlichkeit nach durch die Erkenntnis der Selbstüberwindung des Sohnes
ungereinigt und aus dem Orte seiner jetzigen Qualen erlöst worden. Daß er
zu guterletzt nicht noch in Person erscheint und seine Erlösung verkündigt,
schreibt Besser lediglich dem Charakter des Stückes zu, in welchem es sich allein
"um innerliche Ziele, um Gesinnungsreinigung handle"; auch glaubt der Ver¬
fasser, "der zuletzt nur durch sein Vertrauen auf göttlichen Beistand Sieger ge¬
bliebene Prinz" hätte sich, den Tod vor Augen, "die Lobsprüche des Vaters
notwendig verbitten müssen." Er tröstet sich jedoch damit, daß Horatio in
seinem Nekrolog dem Verstorbenen voraussichtlich die in Betreff des Vaters
ihm gebührende Ehre gezollt und ihn zugleich als bewährte" Schüler Luthers


Grenzboten I. 1833. 1s
Zwei Shakespeare - Essays.

ist nicht zu drehen und nicht zu deuteln. Was thut nun der Erklärer, um den
Beweis zu führen, Hamlet habe sich auch während dieses Auftrittes sittlich
Pnrgirt? Er sagt: „An das grausame Motiv, das er sich aus Scheu vor dem
Geist dabei andichtet (seil, bei der Aufsparung der Rachethat), glauben wir
nicht, vielmehr den für reuig gehaltenen Beter zu töten, war ihm unmöglich."
Nun denn: das ist das gerade Gegenteil der Worte Hamlets und der Absicht
des Dichters, das ist eine Verfälschung des dramatischen Thatbestandes, wie sie
ärger nicht gedacht werden kann! Ja sogar der exaltirt pathetische Ausbruch
Hamlets und der Ringkampf mit dem Laörtes in Ophelicns Grabe muß dem
Verfasser als Beweis für seine Behauptung dienen. Warum aber? Weil
Hamlet seine Wild eben gegen Laörtes und nicht gegen den König richtet. „Was
können wir, deduzirt er, hiernach in seinem Toben Wider diesen anders er¬
blicken als einen jetzt wieder über sich selbst gewonnenen Sieg, und zwar ge¬
wonnen in dem härtesten aller bisherigen Kämpfe, da er auch in der Gebcts¬
szene doch nur den vor Gott auf den Knien liegenden, hier sogar den neben
seiner Mutter und am Grabe der Geliebten stehenden König verschont hat?
Sogleich auch soll er dafür sich belohnt sehen; denn er hört die Mutter, um
deretwillen er sich eben wieder bezwungen, um auch öffentlich seine Partei
nehmen." Das ist doch wirklich mehr als wunderlich. Übrigens bleibt der Ver¬
fasser nnr konsequent, wenn er, da er den Geist doch nun einmal für einen sehr
zweifelhaften und jedenfalls erlösnngsbedürftigen Vocativus hält, das Ganze zu¬
gleich auf eine Läuterung desselben abzielen und hinauslaufen läßt. Da Hamlet
statt der egoistischen Wünsche des Geistes die Gebote der Sittlichkeit erfüllt,
verspürt der Jnsasse des Fegefeuers allmählich, daß ihm die hohe Moralität
seines Sohnes zu Gute kommt. Schon in dem Umstände, daß er in Gertrndens
Gemach nicht im Harnisch, sondern im Hauskleide erscheint, will Besser „eine
mildere Stimmung und ein Zufricdensein mit dem bisherigen Verhalten des
Sohnes" angedeutet finden, und die Worte des Geistes müssen ihm beweisen,
daß dieser von seinen frühern rücksichtslosen Forderungen und seiner Feindselig¬
keit gegen den Bruder schon etwas abgelassen habe. Der Ausgang der Tragödie
muß nach seiner Ansicht dein Geiste vollends höchst genehm sein; er ist aller
Wahrscheinlichkeit nach durch die Erkenntnis der Selbstüberwindung des Sohnes
ungereinigt und aus dem Orte seiner jetzigen Qualen erlöst worden. Daß er
zu guterletzt nicht noch in Person erscheint und seine Erlösung verkündigt,
schreibt Besser lediglich dem Charakter des Stückes zu, in welchem es sich allein
»um innerliche Ziele, um Gesinnungsreinigung handle"; auch glaubt der Ver¬
fasser, „der zuletzt nur durch sein Vertrauen auf göttlichen Beistand Sieger ge¬
bliebene Prinz" hätte sich, den Tod vor Augen, „die Lobsprüche des Vaters
notwendig verbitten müssen." Er tröstet sich jedoch damit, daß Horatio in
seinem Nekrolog dem Verstorbenen voraussichtlich die in Betreff des Vaters
ihm gebührende Ehre gezollt und ihn zugleich als bewährte» Schüler Luthers


Grenzboten I. 1833. 1s
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0145" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/151600"/>
          <fw type="header" place="top"> Zwei Shakespeare - Essays.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_460" prev="#ID_459" next="#ID_461"> ist nicht zu drehen und nicht zu deuteln. Was thut nun der Erklärer, um den<lb/>
Beweis zu führen, Hamlet habe sich auch während dieses Auftrittes sittlich<lb/>
Pnrgirt? Er sagt: &#x201E;An das grausame Motiv, das er sich aus Scheu vor dem<lb/>
Geist dabei andichtet (seil, bei der Aufsparung der Rachethat), glauben wir<lb/>
nicht, vielmehr den für reuig gehaltenen Beter zu töten, war ihm unmöglich."<lb/>
Nun denn: das ist das gerade Gegenteil der Worte Hamlets und der Absicht<lb/>
des Dichters, das ist eine Verfälschung des dramatischen Thatbestandes, wie sie<lb/>
ärger nicht gedacht werden kann! Ja sogar der exaltirt pathetische Ausbruch<lb/>
Hamlets und der Ringkampf mit dem Laörtes in Ophelicns Grabe muß dem<lb/>
Verfasser als Beweis für seine Behauptung dienen. Warum aber? Weil<lb/>
Hamlet seine Wild eben gegen Laörtes und nicht gegen den König richtet. &#x201E;Was<lb/>
können wir, deduzirt er, hiernach in seinem Toben Wider diesen anders er¬<lb/>
blicken als einen jetzt wieder über sich selbst gewonnenen Sieg, und zwar ge¬<lb/>
wonnen in dem härtesten aller bisherigen Kämpfe, da er auch in der Gebcts¬<lb/>
szene doch nur den vor Gott auf den Knien liegenden, hier sogar den neben<lb/>
seiner Mutter und am Grabe der Geliebten stehenden König verschont hat?<lb/>
Sogleich auch soll er dafür sich belohnt sehen; denn er hört die Mutter, um<lb/>
deretwillen er sich eben wieder bezwungen, um auch öffentlich seine Partei<lb/>
nehmen." Das ist doch wirklich mehr als wunderlich. Übrigens bleibt der Ver¬<lb/>
fasser nnr konsequent, wenn er, da er den Geist doch nun einmal für einen sehr<lb/>
zweifelhaften und jedenfalls erlösnngsbedürftigen Vocativus hält, das Ganze zu¬<lb/>
gleich auf eine Läuterung desselben abzielen und hinauslaufen läßt. Da Hamlet<lb/>
statt der egoistischen Wünsche des Geistes die Gebote der Sittlichkeit erfüllt,<lb/>
verspürt der Jnsasse des Fegefeuers allmählich, daß ihm die hohe Moralität<lb/>
seines Sohnes zu Gute kommt. Schon in dem Umstände, daß er in Gertrndens<lb/>
Gemach nicht im Harnisch, sondern im Hauskleide erscheint, will Besser &#x201E;eine<lb/>
mildere Stimmung und ein Zufricdensein mit dem bisherigen Verhalten des<lb/>
Sohnes" angedeutet finden, und die Worte des Geistes müssen ihm beweisen,<lb/>
daß dieser von seinen frühern rücksichtslosen Forderungen und seiner Feindselig¬<lb/>
keit gegen den Bruder schon etwas abgelassen habe. Der Ausgang der Tragödie<lb/>
muß nach seiner Ansicht dein Geiste vollends höchst genehm sein; er ist aller<lb/>
Wahrscheinlichkeit nach durch die Erkenntnis der Selbstüberwindung des Sohnes<lb/>
ungereinigt und aus dem Orte seiner jetzigen Qualen erlöst worden. Daß er<lb/>
zu guterletzt nicht noch in Person erscheint und seine Erlösung verkündigt,<lb/>
schreibt Besser lediglich dem Charakter des Stückes zu, in welchem es sich allein<lb/>
»um innerliche Ziele, um Gesinnungsreinigung handle"; auch glaubt der Ver¬<lb/>
fasser, &#x201E;der zuletzt nur durch sein Vertrauen auf göttlichen Beistand Sieger ge¬<lb/>
bliebene Prinz" hätte sich, den Tod vor Augen, &#x201E;die Lobsprüche des Vaters<lb/>
notwendig verbitten müssen." Er tröstet sich jedoch damit, daß Horatio in<lb/>
seinem Nekrolog dem Verstorbenen voraussichtlich die in Betreff des Vaters<lb/>
ihm gebührende Ehre gezollt und ihn zugleich als bewährte» Schüler Luthers</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I. 1833. 1s</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0145] Zwei Shakespeare - Essays. ist nicht zu drehen und nicht zu deuteln. Was thut nun der Erklärer, um den Beweis zu führen, Hamlet habe sich auch während dieses Auftrittes sittlich Pnrgirt? Er sagt: „An das grausame Motiv, das er sich aus Scheu vor dem Geist dabei andichtet (seil, bei der Aufsparung der Rachethat), glauben wir nicht, vielmehr den für reuig gehaltenen Beter zu töten, war ihm unmöglich." Nun denn: das ist das gerade Gegenteil der Worte Hamlets und der Absicht des Dichters, das ist eine Verfälschung des dramatischen Thatbestandes, wie sie ärger nicht gedacht werden kann! Ja sogar der exaltirt pathetische Ausbruch Hamlets und der Ringkampf mit dem Laörtes in Ophelicns Grabe muß dem Verfasser als Beweis für seine Behauptung dienen. Warum aber? Weil Hamlet seine Wild eben gegen Laörtes und nicht gegen den König richtet. „Was können wir, deduzirt er, hiernach in seinem Toben Wider diesen anders er¬ blicken als einen jetzt wieder über sich selbst gewonnenen Sieg, und zwar ge¬ wonnen in dem härtesten aller bisherigen Kämpfe, da er auch in der Gebcts¬ szene doch nur den vor Gott auf den Knien liegenden, hier sogar den neben seiner Mutter und am Grabe der Geliebten stehenden König verschont hat? Sogleich auch soll er dafür sich belohnt sehen; denn er hört die Mutter, um deretwillen er sich eben wieder bezwungen, um auch öffentlich seine Partei nehmen." Das ist doch wirklich mehr als wunderlich. Übrigens bleibt der Ver¬ fasser nnr konsequent, wenn er, da er den Geist doch nun einmal für einen sehr zweifelhaften und jedenfalls erlösnngsbedürftigen Vocativus hält, das Ganze zu¬ gleich auf eine Läuterung desselben abzielen und hinauslaufen läßt. Da Hamlet statt der egoistischen Wünsche des Geistes die Gebote der Sittlichkeit erfüllt, verspürt der Jnsasse des Fegefeuers allmählich, daß ihm die hohe Moralität seines Sohnes zu Gute kommt. Schon in dem Umstände, daß er in Gertrndens Gemach nicht im Harnisch, sondern im Hauskleide erscheint, will Besser „eine mildere Stimmung und ein Zufricdensein mit dem bisherigen Verhalten des Sohnes" angedeutet finden, und die Worte des Geistes müssen ihm beweisen, daß dieser von seinen frühern rücksichtslosen Forderungen und seiner Feindselig¬ keit gegen den Bruder schon etwas abgelassen habe. Der Ausgang der Tragödie muß nach seiner Ansicht dein Geiste vollends höchst genehm sein; er ist aller Wahrscheinlichkeit nach durch die Erkenntnis der Selbstüberwindung des Sohnes ungereinigt und aus dem Orte seiner jetzigen Qualen erlöst worden. Daß er zu guterletzt nicht noch in Person erscheint und seine Erlösung verkündigt, schreibt Besser lediglich dem Charakter des Stückes zu, in welchem es sich allein »um innerliche Ziele, um Gesinnungsreinigung handle"; auch glaubt der Ver¬ fasser, „der zuletzt nur durch sein Vertrauen auf göttlichen Beistand Sieger ge¬ bliebene Prinz" hätte sich, den Tod vor Augen, „die Lobsprüche des Vaters notwendig verbitten müssen." Er tröstet sich jedoch damit, daß Horatio in seinem Nekrolog dem Verstorbenen voraussichtlich die in Betreff des Vaters ihm gebührende Ehre gezollt und ihn zugleich als bewährte» Schüler Luthers Grenzboten I. 1833. 1s

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/145
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/145>, abgerufen am 25.08.2024.