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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Zwei Shakespeare - Essays.

ruchlosen Treiben des Oheims gehabt haben werden, immerhin muß der Eindruck
des Vernommenen auf ihn ein gewaltiger sein, umso gewaltiger, da er den
Vater nach der ihm von demselben gestellten Aufgabe noch immer in unlauter"
Vorstellungen und Empfindungen befangen sieht." Und diese unlautern "Vor¬
stellungen und Empfindungen" sollen ans den Worten des Geistes über die
Mutter hervorgehen, Worte, ans denen die alte Gattenliebe, die zarteste Pietät
und für jeden Unbefangenen die feinste Sittlichkeit spricht! "Überlaß sie dem
Himmel!" sagt der Geist doch anch -- und wem könnte Hamlet sie, gerade
im Sinne des Verfassers, ruhiger überlassen? Natürlich findet Besser für feine
Behauptung keine Beweise und kann sich nur mit der Floskel helfen, daß
Hamlet "sich seine Enttäuschung hinsichtlich des Vaters nicht zu gestehe" wagt,"
gleichwohl soll diesen sofort das Gefühl überkommen, daß er bei der Mangel-
haftigkeit des Geistes der Aufgabe im Wortlaute nicht genügen könne, nach
und nach sogar die Einsicht, daß auch er "durch die Unthaten seines Hauses
die Herrschaft verwirkt habe." Seines Hauses! also doch auch, und wohl vor
allem, des eignen Vaters! Hat der Verfasser denn nur daran gedacht, daß
lange nach der Erscheinung des Geistes in der wundervollen Szene mit der
Mutter den Lippen Hamlets Worte der Bewunderung über den Vater ent¬
strömen, die fast der Vergötterung gleichen, und kann er angesichts dieser Ver¬
kündigung seine gesuchte Behauptung aufrechterhalten wollen? "In Wahrheit
ein Verein und eine Bildung, auf die sein Siegel jeder Gott gedrückt" --
kann die kindliche Verehrung stärker reden?

Nun schließt sich eine mißverständliche Deutung in unglückseliger Kette an
die andre. Mit der moralischen Qualität des Geistes wird auch seine Echtheit
stärker angezweifelt. In dem großen Monolog findet Besser den Kern nicht in
dem Philosophiren über den Selbstmord, sondern in dem Zweifeln an die
Revenants, das garnicht darin enthalten ist (denn in jener bekannten
Stelle von dem "unentdeckten Lande" wird lediglich dem Gedanken Ausdruck
gegeben, daß aus dem Reich des Todes keiner wieder zum Leben gelangen
könne). Nun gelten Hamlets Znrllstungen zur entscheidenden That, besonders
das Schauspiel, in erster Linie der Mutter und nicht dem König, da Hamlet
"noch der Klarheit über den Umfang ihrer Verschuldung bedürfe, da der Geist
bei seiner Parteinahme für sie möglicherweise auch hierin nicht ganz offen ge¬
wesen fein könne," ja nun wird sogar, bei dieser Fürsorge Bessers für die
Königin, die Behauptung gewagt, "die Freundschaft Hamlets gegen den Oheim
habe sich durch die Enthüllungen des Geistes keineswegs noch gesteigert, viel¬
mehr gemindert, da der Einblick in die Schuld beider Eltern das schon auf der
Terrasse in ihm rege gewordne Gefühl der allgemeinen menschlichen Gebrechlich¬
keit notwendig verstärken und hiervon eine Milderung seines Urteils auch über
jenen die Folge sein mußte." Nun soll sogar in dem im Ingrimm der Rache
vollzogenen Gericht an dem Frevler, der mit der vergifteten Waffe niedergestochen


Zwei Shakespeare - Essays.

ruchlosen Treiben des Oheims gehabt haben werden, immerhin muß der Eindruck
des Vernommenen auf ihn ein gewaltiger sein, umso gewaltiger, da er den
Vater nach der ihm von demselben gestellten Aufgabe noch immer in unlauter»
Vorstellungen und Empfindungen befangen sieht." Und diese unlautern „Vor¬
stellungen und Empfindungen" sollen ans den Worten des Geistes über die
Mutter hervorgehen, Worte, ans denen die alte Gattenliebe, die zarteste Pietät
und für jeden Unbefangenen die feinste Sittlichkeit spricht! „Überlaß sie dem
Himmel!" sagt der Geist doch anch — und wem könnte Hamlet sie, gerade
im Sinne des Verfassers, ruhiger überlassen? Natürlich findet Besser für feine
Behauptung keine Beweise und kann sich nur mit der Floskel helfen, daß
Hamlet „sich seine Enttäuschung hinsichtlich des Vaters nicht zu gestehe» wagt,"
gleichwohl soll diesen sofort das Gefühl überkommen, daß er bei der Mangel-
haftigkeit des Geistes der Aufgabe im Wortlaute nicht genügen könne, nach
und nach sogar die Einsicht, daß auch er „durch die Unthaten seines Hauses
die Herrschaft verwirkt habe." Seines Hauses! also doch auch, und wohl vor
allem, des eignen Vaters! Hat der Verfasser denn nur daran gedacht, daß
lange nach der Erscheinung des Geistes in der wundervollen Szene mit der
Mutter den Lippen Hamlets Worte der Bewunderung über den Vater ent¬
strömen, die fast der Vergötterung gleichen, und kann er angesichts dieser Ver¬
kündigung seine gesuchte Behauptung aufrechterhalten wollen? „In Wahrheit
ein Verein und eine Bildung, auf die sein Siegel jeder Gott gedrückt" —
kann die kindliche Verehrung stärker reden?

Nun schließt sich eine mißverständliche Deutung in unglückseliger Kette an
die andre. Mit der moralischen Qualität des Geistes wird auch seine Echtheit
stärker angezweifelt. In dem großen Monolog findet Besser den Kern nicht in
dem Philosophiren über den Selbstmord, sondern in dem Zweifeln an die
Revenants, das garnicht darin enthalten ist (denn in jener bekannten
Stelle von dem „unentdeckten Lande" wird lediglich dem Gedanken Ausdruck
gegeben, daß aus dem Reich des Todes keiner wieder zum Leben gelangen
könne). Nun gelten Hamlets Znrllstungen zur entscheidenden That, besonders
das Schauspiel, in erster Linie der Mutter und nicht dem König, da Hamlet
„noch der Klarheit über den Umfang ihrer Verschuldung bedürfe, da der Geist
bei seiner Parteinahme für sie möglicherweise auch hierin nicht ganz offen ge¬
wesen fein könne," ja nun wird sogar, bei dieser Fürsorge Bessers für die
Königin, die Behauptung gewagt, „die Freundschaft Hamlets gegen den Oheim
habe sich durch die Enthüllungen des Geistes keineswegs noch gesteigert, viel¬
mehr gemindert, da der Einblick in die Schuld beider Eltern das schon auf der
Terrasse in ihm rege gewordne Gefühl der allgemeinen menschlichen Gebrechlich¬
keit notwendig verstärken und hiervon eine Milderung seines Urteils auch über
jenen die Folge sein mußte." Nun soll sogar in dem im Ingrimm der Rache
vollzogenen Gericht an dem Frevler, der mit der vergifteten Waffe niedergestochen


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[0143] Zwei Shakespeare - Essays. ruchlosen Treiben des Oheims gehabt haben werden, immerhin muß der Eindruck des Vernommenen auf ihn ein gewaltiger sein, umso gewaltiger, da er den Vater nach der ihm von demselben gestellten Aufgabe noch immer in unlauter» Vorstellungen und Empfindungen befangen sieht." Und diese unlautern „Vor¬ stellungen und Empfindungen" sollen ans den Worten des Geistes über die Mutter hervorgehen, Worte, ans denen die alte Gattenliebe, die zarteste Pietät und für jeden Unbefangenen die feinste Sittlichkeit spricht! „Überlaß sie dem Himmel!" sagt der Geist doch anch — und wem könnte Hamlet sie, gerade im Sinne des Verfassers, ruhiger überlassen? Natürlich findet Besser für feine Behauptung keine Beweise und kann sich nur mit der Floskel helfen, daß Hamlet „sich seine Enttäuschung hinsichtlich des Vaters nicht zu gestehe» wagt," gleichwohl soll diesen sofort das Gefühl überkommen, daß er bei der Mangel- haftigkeit des Geistes der Aufgabe im Wortlaute nicht genügen könne, nach und nach sogar die Einsicht, daß auch er „durch die Unthaten seines Hauses die Herrschaft verwirkt habe." Seines Hauses! also doch auch, und wohl vor allem, des eignen Vaters! Hat der Verfasser denn nur daran gedacht, daß lange nach der Erscheinung des Geistes in der wundervollen Szene mit der Mutter den Lippen Hamlets Worte der Bewunderung über den Vater ent¬ strömen, die fast der Vergötterung gleichen, und kann er angesichts dieser Ver¬ kündigung seine gesuchte Behauptung aufrechterhalten wollen? „In Wahrheit ein Verein und eine Bildung, auf die sein Siegel jeder Gott gedrückt" — kann die kindliche Verehrung stärker reden? Nun schließt sich eine mißverständliche Deutung in unglückseliger Kette an die andre. Mit der moralischen Qualität des Geistes wird auch seine Echtheit stärker angezweifelt. In dem großen Monolog findet Besser den Kern nicht in dem Philosophiren über den Selbstmord, sondern in dem Zweifeln an die Revenants, das garnicht darin enthalten ist (denn in jener bekannten Stelle von dem „unentdeckten Lande" wird lediglich dem Gedanken Ausdruck gegeben, daß aus dem Reich des Todes keiner wieder zum Leben gelangen könne). Nun gelten Hamlets Znrllstungen zur entscheidenden That, besonders das Schauspiel, in erster Linie der Mutter und nicht dem König, da Hamlet „noch der Klarheit über den Umfang ihrer Verschuldung bedürfe, da der Geist bei seiner Parteinahme für sie möglicherweise auch hierin nicht ganz offen ge¬ wesen fein könne," ja nun wird sogar, bei dieser Fürsorge Bessers für die Königin, die Behauptung gewagt, „die Freundschaft Hamlets gegen den Oheim habe sich durch die Enthüllungen des Geistes keineswegs noch gesteigert, viel¬ mehr gemindert, da der Einblick in die Schuld beider Eltern das schon auf der Terrasse in ihm rege gewordne Gefühl der allgemeinen menschlichen Gebrechlich¬ keit notwendig verstärken und hiervon eine Milderung seines Urteils auch über jenen die Folge sein mußte." Nun soll sogar in dem im Ingrimm der Rache vollzogenen Gericht an dem Frevler, der mit der vergifteten Waffe niedergestochen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/143>, abgerufen am 23.07.2024.