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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die antiken Lhnsteilverfolgungen und der Kulturkampf.

die Ursache geahnt und ausgesprochen habe. Daraufhin habe Diocletian in
vollem Zorn von allen Hofleuten das Götzenopfer verlangt und das Gebot
sogar auf die Armee ausgedehnt, unter Androhung des Abschieds. Weiter
schreibt der Bericht des Lactantius die Anfstachelung des Diocletian gegen die
Christen dem Einflüsse des Galerius zu, der wieder von seiner Mutter Rvmula
aufgehetzt worden sei, einer alten Dienerin der NaZus. Ug-te-r, die sich darüber
geärgert habe, daß die Christen ihres Wohnortes nicht wie die Heiden an ihren
täglichen Opfcrschmciußen hätten teilnehmen wollen. Wer sich über diese Ver¬
hältnisse genauer unterrichten will, den verweisen wir auf I. Burckhardts Buch
"Die Zeit Konstantins des Großen" (2. Auflage, Leipzig, Seemann,' 1^80); hier
nur noch so viel, daß es einem jeden, der den Diocletian nur einigermaßen kennt,
der weiß, daß er die Christen achtzehn Jahre lang an seinem Hofe und in
seinem Heere geduldet hatte, daß er in hoher staatsmännischer Weisheit sonst
nur nach vorher reiflich überlegten, festen Grundsätzen handelte, unmöglich er¬
scheinen muß, daß solche zufällige, äußere Einflüsse ihn hätten zur Ver¬
folgung der Christen auf Leben und Tod fortreißen können. Vielmehr werden
wir das Richtige treffen, wenn wir annehmen, daß Diocletian am Abend seines
Lebens zu der Überzeugung gekommen sei, die Christen seien ihm selber sowie
dem von ihm neuorgcmisirten Staate im höchsten Maße gefährlich. Mit dieser
Annahme müssen wir uns begnügen, es ist bedenklich, bei dem Mangel der
Überlieferung aus Andeutungen des Eusebius, wie Burckhardt thut, auf eine
Verschwörung der Christen am Hofe zu schließen, angezettelt zu dem Zwecke,
die Regierungsgewalt in ihre Hände zu bringen, sodaß die Verfolgung als eine
Reaktion dagegen aufzufassen wäre, unter der nun alle Christen hätten mitleiden
müssen. Wir wollen deshalb von einer weitern kritischen Erörterung absehen
und uns das Ganze dem historischen Zusammenhange gemäß vergegenwärtigen.

Beinahe drei Jahrhunderte waren seit der neronischcn Verfolgung verflossen.
Das Christentum war nahe daran, wenn nicht der Zahl*) nach, so doch durch
den innern Gehalt seines Wesens über das Heidentum den Sieg davon zu
tragen, was denn auch nach kurzer Zeit geschah. Die christliche Kirche bildete
schon beinahe einen Staat im Staate. Diocletian kam, wenn auch erst nach
langem Zaudern, zu der Überzeugung, daß sich dieser christliche Staat gegen
den römischen kehren werde, und daß man bereits auf dem letzten Punkte an¬
gekommen sei, wo vielleicht noch eine Errettung möglich sei. Bis dahin hatte
er die Christen mit Milde und Schonung behandelt, wie seiner Natur angemessen
war. Er hatte seinen Mitangustus Maximianus, der von Natur zu Gewalt¬
thaten geneigt war, welche keine Herzens- und Gemütsbildung milderte, geleitet,



Nach Ständlin bildeten die Christen unter Konstantin die Hälfte der Bevölkerung,
nach Matter ein Fünftel, nach Gibbon ein Zwanzigstel, nach La Bastie ein Zwölftel, nach
Chastel (der Wahrheit am nächsten) im Westen ein Fünfzehnte!, im Osten ein Zehntel.
(Vgl. Burckhardt a. a. O., S. 137.)
Grenzboten I. 1883. 17
Die antiken Lhnsteilverfolgungen und der Kulturkampf.

die Ursache geahnt und ausgesprochen habe. Daraufhin habe Diocletian in
vollem Zorn von allen Hofleuten das Götzenopfer verlangt und das Gebot
sogar auf die Armee ausgedehnt, unter Androhung des Abschieds. Weiter
schreibt der Bericht des Lactantius die Anfstachelung des Diocletian gegen die
Christen dem Einflüsse des Galerius zu, der wieder von seiner Mutter Rvmula
aufgehetzt worden sei, einer alten Dienerin der NaZus. Ug-te-r, die sich darüber
geärgert habe, daß die Christen ihres Wohnortes nicht wie die Heiden an ihren
täglichen Opfcrschmciußen hätten teilnehmen wollen. Wer sich über diese Ver¬
hältnisse genauer unterrichten will, den verweisen wir auf I. Burckhardts Buch
„Die Zeit Konstantins des Großen" (2. Auflage, Leipzig, Seemann,' 1^80); hier
nur noch so viel, daß es einem jeden, der den Diocletian nur einigermaßen kennt,
der weiß, daß er die Christen achtzehn Jahre lang an seinem Hofe und in
seinem Heere geduldet hatte, daß er in hoher staatsmännischer Weisheit sonst
nur nach vorher reiflich überlegten, festen Grundsätzen handelte, unmöglich er¬
scheinen muß, daß solche zufällige, äußere Einflüsse ihn hätten zur Ver¬
folgung der Christen auf Leben und Tod fortreißen können. Vielmehr werden
wir das Richtige treffen, wenn wir annehmen, daß Diocletian am Abend seines
Lebens zu der Überzeugung gekommen sei, die Christen seien ihm selber sowie
dem von ihm neuorgcmisirten Staate im höchsten Maße gefährlich. Mit dieser
Annahme müssen wir uns begnügen, es ist bedenklich, bei dem Mangel der
Überlieferung aus Andeutungen des Eusebius, wie Burckhardt thut, auf eine
Verschwörung der Christen am Hofe zu schließen, angezettelt zu dem Zwecke,
die Regierungsgewalt in ihre Hände zu bringen, sodaß die Verfolgung als eine
Reaktion dagegen aufzufassen wäre, unter der nun alle Christen hätten mitleiden
müssen. Wir wollen deshalb von einer weitern kritischen Erörterung absehen
und uns das Ganze dem historischen Zusammenhange gemäß vergegenwärtigen.

Beinahe drei Jahrhunderte waren seit der neronischcn Verfolgung verflossen.
Das Christentum war nahe daran, wenn nicht der Zahl*) nach, so doch durch
den innern Gehalt seines Wesens über das Heidentum den Sieg davon zu
tragen, was denn auch nach kurzer Zeit geschah. Die christliche Kirche bildete
schon beinahe einen Staat im Staate. Diocletian kam, wenn auch erst nach
langem Zaudern, zu der Überzeugung, daß sich dieser christliche Staat gegen
den römischen kehren werde, und daß man bereits auf dem letzten Punkte an¬
gekommen sei, wo vielleicht noch eine Errettung möglich sei. Bis dahin hatte
er die Christen mit Milde und Schonung behandelt, wie seiner Natur angemessen
war. Er hatte seinen Mitangustus Maximianus, der von Natur zu Gewalt¬
thaten geneigt war, welche keine Herzens- und Gemütsbildung milderte, geleitet,



Nach Ständlin bildeten die Christen unter Konstantin die Hälfte der Bevölkerung,
nach Matter ein Fünftel, nach Gibbon ein Zwanzigstel, nach La Bastie ein Zwölftel, nach
Chastel (der Wahrheit am nächsten) im Westen ein Fünfzehnte!, im Osten ein Zehntel.
(Vgl. Burckhardt a. a. O., S. 137.)
Grenzboten I. 1883. 17
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/137>, abgerufen am 23.07.2024.