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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die antiken Lhristenverfolgungen und der Uulturkamxf.

Waren. Sie pflegten zu den Magistratsversouen hinzugehen und fanden bei
diesen umsomehr Glauben, als ihnen zugetraut wurde, daß sie mit den Verhält¬
nissen der Christen genau bekannt wären. Anzunehmen, daß die Christen selbst
einander angegeben hätten, ist nicht zulässig, da dies nicht zu der Innigkeit stimmen
würde, in welcher die Glieder der ersten Christengemeinden miteinander lebten. Sie
habe" lieber die größten Martern erduldet, als daß sie ihre Brüder verraten hätten.

Die Verfolgung unter Nero also -- darin stimmen Gibbon und Merivall
überein -- traf eigentlich nur die Juden; die Christen wurden freilich mitbe-
troffcn, aber doch nur, weil mau sie noch nicht von den Juden zu scheiden ver¬
mochte. Die Verfolgung beschränkte sich auf Rom und war nicht von langer
Dauer. Bestätigt wird dies noch durch zwei Umstände. Vor kurzem sind viele
Denkmäler Claudischer Freigelassenen entdeckt worden. Aus diesen ist ersichtlich,
daß viele der Schüler, welche Paulus im letzten Kapitel des Briefes an die
Römer mit Namen begrüßt, in Ruhe gestorben sind. Außerdem aber ist zu
beachten, daß die katholische Kirche ans der Zeit der Verfolgungen zwar ihre
meisten Märtyrer verehrt, aber keinen einzigen aus der neronischen Zeit.

Wenn wir alle diese Momente zusammenfassen, so müssen wir annehmen,
daß bei Gelegenheit des großen Brandes, als die Leidenschaften des Volkes
erregt waren, einzelne Christen litten, aber nur in Rom. Die Ursache war also
ähnlich, wie wenn unter Tiberius die Juden aus der Stadt verjagt wurden,
weil das Volk es wollte, oder wenn einmal alles, was zum Kultus der Isis
gehörte, aus der Stadt vertrieben wurde, weil man auf wirkliche oder vermeint¬
liche Mißbrüuche aufmerksam geworden war. Am passendsten möchte sich die
erste sogenannte Christenverfolgung mit einer jener Judenverfolgungen vergleichen
lassen, wie sie im Mittelalter entstanden, wenn Unglück die Gemüter aufregte.
Man schrieb ihnen schauderhaften Frevel zu und meinte deshalb das Recht, ja
die Pflicht zu haben, sie zu quälen oder gar zu vernichten. Nur waren die
Gemüter der Römer versöhnlicher gestimmt als die der Christen im Mittelalter.
Tcicitus erwähnt an der oben angeführten Stelle ausdrücklich, daß viele Mitleid
mit den Unglücklichen empfunden Hütten. Es widerstrebte auch dem römischen
Nationalcharakter, jemand seiner Religion wegen zu verfolgen. Diese Gesinnung
beruhte freilich nicht auf einer besondern Achtung vor den Ansichten und Meinungen
andrer, sondern auf einer außerordentlichen Gleichgiltigkeit. In Rom wurden
die Gottheiten der ganzen Welt verehrt, warum sollte nicht auch eine jüdische
Sekte ihren Gott verehren dürfen?

Die sogenannte neronische Christenverfolgung ist gar keine systematische Ver¬
folgung, sondern ein gegen die Juden in Rom gerichteter Tumult gewesen, den
dei Regierung geschehen ließ. Die Vergleichung des Kulturkampfes also mit dem
neronischen Gewaltakt ist ein willkürliches Phantasiebild, zu dem Zwecke geschaffen,
durch eine rhetorische Hyperbel die Klagen, welche man gegen die Regierung zu
haben glaubte, zu verstärken.


Die antiken Lhristenverfolgungen und der Uulturkamxf.

Waren. Sie pflegten zu den Magistratsversouen hinzugehen und fanden bei
diesen umsomehr Glauben, als ihnen zugetraut wurde, daß sie mit den Verhält¬
nissen der Christen genau bekannt wären. Anzunehmen, daß die Christen selbst
einander angegeben hätten, ist nicht zulässig, da dies nicht zu der Innigkeit stimmen
würde, in welcher die Glieder der ersten Christengemeinden miteinander lebten. Sie
habe» lieber die größten Martern erduldet, als daß sie ihre Brüder verraten hätten.

Die Verfolgung unter Nero also — darin stimmen Gibbon und Merivall
überein — traf eigentlich nur die Juden; die Christen wurden freilich mitbe-
troffcn, aber doch nur, weil mau sie noch nicht von den Juden zu scheiden ver¬
mochte. Die Verfolgung beschränkte sich auf Rom und war nicht von langer
Dauer. Bestätigt wird dies noch durch zwei Umstände. Vor kurzem sind viele
Denkmäler Claudischer Freigelassenen entdeckt worden. Aus diesen ist ersichtlich,
daß viele der Schüler, welche Paulus im letzten Kapitel des Briefes an die
Römer mit Namen begrüßt, in Ruhe gestorben sind. Außerdem aber ist zu
beachten, daß die katholische Kirche ans der Zeit der Verfolgungen zwar ihre
meisten Märtyrer verehrt, aber keinen einzigen aus der neronischen Zeit.

Wenn wir alle diese Momente zusammenfassen, so müssen wir annehmen,
daß bei Gelegenheit des großen Brandes, als die Leidenschaften des Volkes
erregt waren, einzelne Christen litten, aber nur in Rom. Die Ursache war also
ähnlich, wie wenn unter Tiberius die Juden aus der Stadt verjagt wurden,
weil das Volk es wollte, oder wenn einmal alles, was zum Kultus der Isis
gehörte, aus der Stadt vertrieben wurde, weil man auf wirkliche oder vermeint¬
liche Mißbrüuche aufmerksam geworden war. Am passendsten möchte sich die
erste sogenannte Christenverfolgung mit einer jener Judenverfolgungen vergleichen
lassen, wie sie im Mittelalter entstanden, wenn Unglück die Gemüter aufregte.
Man schrieb ihnen schauderhaften Frevel zu und meinte deshalb das Recht, ja
die Pflicht zu haben, sie zu quälen oder gar zu vernichten. Nur waren die
Gemüter der Römer versöhnlicher gestimmt als die der Christen im Mittelalter.
Tcicitus erwähnt an der oben angeführten Stelle ausdrücklich, daß viele Mitleid
mit den Unglücklichen empfunden Hütten. Es widerstrebte auch dem römischen
Nationalcharakter, jemand seiner Religion wegen zu verfolgen. Diese Gesinnung
beruhte freilich nicht auf einer besondern Achtung vor den Ansichten und Meinungen
andrer, sondern auf einer außerordentlichen Gleichgiltigkeit. In Rom wurden
die Gottheiten der ganzen Welt verehrt, warum sollte nicht auch eine jüdische
Sekte ihren Gott verehren dürfen?

Die sogenannte neronische Christenverfolgung ist gar keine systematische Ver¬
folgung, sondern ein gegen die Juden in Rom gerichteter Tumult gewesen, den
dei Regierung geschehen ließ. Die Vergleichung des Kulturkampfes also mit dem
neronischen Gewaltakt ist ein willkürliches Phantasiebild, zu dem Zwecke geschaffen,
durch eine rhetorische Hyperbel die Klagen, welche man gegen die Regierung zu
haben glaubte, zu verstärken.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/135>, abgerufen am 23.07.2024.