Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die antiken Lhristenvorfolgnngen und der Kulturkampf,

die Stadt habe anzünden lassen, um sie schöner und prächtiger wieder aufzu¬
bauen. So ungefähr erzählt uns Taeitus im fünfzehnten Buche seiner Annalen
im 38, Kapitel, wo er auch den Brand selbst und die Folgen desselben genau
schildert. Dann fährt er im 44, Kapitel fort: "Um diese Beschuldigung von
sich abzuwälzen (nämlich daß er der Brandstifter sei), belegte Nero diejenige",
mit den ausgesuchtesten Martern, welche ihrer Schandthaten wegen verhaßt
waren und vom Volke Christen genannt wurden. Der Name rührt von Christus
her, welcher unter der Regierung des Tiberius von Pontius Pilatus hingerichtet
wurde. Der für den Augenblick unterdrückte verderbliche Aberglaube brach
wiederum hervor, nicht bloß in Judäa, dem Ursitz des Übels, sondern auch in
der Stadt (Rom), wo alles Abscheuliche und Schändliche zusammenfließt und
Unterstützung findet. Es wurden nun zunächst einige ergriffen, welche ge¬
standen, und dann infolge ihrer Anzeige eine große Menge, die dann insgesamt
nicht sowohl des Verbrechens, die Stadt angesteckt zu haben, als ihres Hasses
gegen das ganze menschliche Geschlecht überwiesen wurden. Die Martern, uuter
denen sie ihr Leben aufgeben mußten, wurden noch durch Spott und Hohn
vermehrt; einige wurden in Thierhüute genäht und der Wild der Hunde preis¬
gegeben, andre ans Kreuz geschlagen, andre mit brennbaren Stoffen überstrichen
und angesteckt, um in der Finsternis als Fackel zu leuchten, Nero gab seine
Gärten zu diesem grausamen Schauspiele her, welches von Pferderennen be¬
gleitet wurde, bei welchen der Kaiser selbst gegenwärtig war und als Wagen¬
lenker gekleidet oder auf einem Wagen stehend sich unter den Pöbel mischte.
Obgleich man die Christen für schuldig hielt, so regte sich das Mitleiden, weil
man annahm, daß diese Unglücklichen nicht sowohl dem allgemeinen Besten als
vielmehr der Grausamkeit eines Einzelnen aufgeopfert wurden,"

Wer die vorstehende Erzählung unbefangen liest, der wird das unbehag¬
liche Gefühl haben, daß er sich in unsichern Händen befinde. Taeitus, der nicht
"ins irg. se stuclio schreibt, sondern als Geschichtsschreiber entweder liebt oder
haßt, will offenbar weder den Nero noch die Christen unverdächtige davon¬
kommen lassen, da er beide verabscheut. Es stimmt gar zu schön zu seinen An¬
sichten über beide, daß ihnen auch die Verbrennung der ewigen Stadt zuge¬
schrieben wurde. Hätte er aber wirkliche, objektive Gründe gehabt, so hätte er
sich klarer ausgedrückt und sich namentlich nicht hinsichtlich des Nero damit be¬
gnügt, den Verdacht so unbestimmt und allgemein auszusprechen. Nun hat
freilich die Verdächtigung der Christen auf die Nachwelt keinen Einfluß gehabt,
aber den Nero hat man bis in die neueste Zeit hinein wenigstens für den wahr¬
scheinlichen Urheber des Dramas gehalten, und doch steht die Beschuldigung
gegen ihn auf ebenso schwachen Füßen wie die gegen die Christen, Es wirkte
eben auch hier die Liebe und der Haß, Künstler und Dichter hatten zwar noch
einen andern Grund -- den Effekt, Man denke an Hamerling, der in seinem
"Ahasver" seine Feder nicht in Tinte, sondern in Blut getaucht zu haben scheint,


Die antiken Lhristenvorfolgnngen und der Kulturkampf,

die Stadt habe anzünden lassen, um sie schöner und prächtiger wieder aufzu¬
bauen. So ungefähr erzählt uns Taeitus im fünfzehnten Buche seiner Annalen
im 38, Kapitel, wo er auch den Brand selbst und die Folgen desselben genau
schildert. Dann fährt er im 44, Kapitel fort: „Um diese Beschuldigung von
sich abzuwälzen (nämlich daß er der Brandstifter sei), belegte Nero diejenige»,
mit den ausgesuchtesten Martern, welche ihrer Schandthaten wegen verhaßt
waren und vom Volke Christen genannt wurden. Der Name rührt von Christus
her, welcher unter der Regierung des Tiberius von Pontius Pilatus hingerichtet
wurde. Der für den Augenblick unterdrückte verderbliche Aberglaube brach
wiederum hervor, nicht bloß in Judäa, dem Ursitz des Übels, sondern auch in
der Stadt (Rom), wo alles Abscheuliche und Schändliche zusammenfließt und
Unterstützung findet. Es wurden nun zunächst einige ergriffen, welche ge¬
standen, und dann infolge ihrer Anzeige eine große Menge, die dann insgesamt
nicht sowohl des Verbrechens, die Stadt angesteckt zu haben, als ihres Hasses
gegen das ganze menschliche Geschlecht überwiesen wurden. Die Martern, uuter
denen sie ihr Leben aufgeben mußten, wurden noch durch Spott und Hohn
vermehrt; einige wurden in Thierhüute genäht und der Wild der Hunde preis¬
gegeben, andre ans Kreuz geschlagen, andre mit brennbaren Stoffen überstrichen
und angesteckt, um in der Finsternis als Fackel zu leuchten, Nero gab seine
Gärten zu diesem grausamen Schauspiele her, welches von Pferderennen be¬
gleitet wurde, bei welchen der Kaiser selbst gegenwärtig war und als Wagen¬
lenker gekleidet oder auf einem Wagen stehend sich unter den Pöbel mischte.
Obgleich man die Christen für schuldig hielt, so regte sich das Mitleiden, weil
man annahm, daß diese Unglücklichen nicht sowohl dem allgemeinen Besten als
vielmehr der Grausamkeit eines Einzelnen aufgeopfert wurden,"

Wer die vorstehende Erzählung unbefangen liest, der wird das unbehag¬
liche Gefühl haben, daß er sich in unsichern Händen befinde. Taeitus, der nicht
«ins irg. se stuclio schreibt, sondern als Geschichtsschreiber entweder liebt oder
haßt, will offenbar weder den Nero noch die Christen unverdächtige davon¬
kommen lassen, da er beide verabscheut. Es stimmt gar zu schön zu seinen An¬
sichten über beide, daß ihnen auch die Verbrennung der ewigen Stadt zuge¬
schrieben wurde. Hätte er aber wirkliche, objektive Gründe gehabt, so hätte er
sich klarer ausgedrückt und sich namentlich nicht hinsichtlich des Nero damit be¬
gnügt, den Verdacht so unbestimmt und allgemein auszusprechen. Nun hat
freilich die Verdächtigung der Christen auf die Nachwelt keinen Einfluß gehabt,
aber den Nero hat man bis in die neueste Zeit hinein wenigstens für den wahr¬
scheinlichen Urheber des Dramas gehalten, und doch steht die Beschuldigung
gegen ihn auf ebenso schwachen Füßen wie die gegen die Christen, Es wirkte
eben auch hier die Liebe und der Haß, Künstler und Dichter hatten zwar noch
einen andern Grund — den Effekt, Man denke an Hamerling, der in seinem
„Ahasver" seine Feder nicht in Tinte, sondern in Blut getaucht zu haben scheint,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0133" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/151576"/>
          <fw type="header" place="top"> Die antiken Lhristenvorfolgnngen und der Kulturkampf,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_429" prev="#ID_428"> die Stadt habe anzünden lassen, um sie schöner und prächtiger wieder aufzu¬<lb/>
bauen. So ungefähr erzählt uns Taeitus im fünfzehnten Buche seiner Annalen<lb/>
im 38, Kapitel, wo er auch den Brand selbst und die Folgen desselben genau<lb/>
schildert. Dann fährt er im 44, Kapitel fort: &#x201E;Um diese Beschuldigung von<lb/>
sich abzuwälzen (nämlich daß er der Brandstifter sei), belegte Nero diejenige»,<lb/>
mit den ausgesuchtesten Martern, welche ihrer Schandthaten wegen verhaßt<lb/>
waren und vom Volke Christen genannt wurden. Der Name rührt von Christus<lb/>
her, welcher unter der Regierung des Tiberius von Pontius Pilatus hingerichtet<lb/>
wurde. Der für den Augenblick unterdrückte verderbliche Aberglaube brach<lb/>
wiederum hervor, nicht bloß in Judäa, dem Ursitz des Übels, sondern auch in<lb/>
der Stadt (Rom), wo alles Abscheuliche und Schändliche zusammenfließt und<lb/>
Unterstützung findet. Es wurden nun zunächst einige ergriffen, welche ge¬<lb/>
standen, und dann infolge ihrer Anzeige eine große Menge, die dann insgesamt<lb/>
nicht sowohl des Verbrechens, die Stadt angesteckt zu haben, als ihres Hasses<lb/>
gegen das ganze menschliche Geschlecht überwiesen wurden. Die Martern, uuter<lb/>
denen sie ihr Leben aufgeben mußten, wurden noch durch Spott und Hohn<lb/>
vermehrt; einige wurden in Thierhüute genäht und der Wild der Hunde preis¬<lb/>
gegeben, andre ans Kreuz geschlagen, andre mit brennbaren Stoffen überstrichen<lb/>
und angesteckt, um in der Finsternis als Fackel zu leuchten, Nero gab seine<lb/>
Gärten zu diesem grausamen Schauspiele her, welches von Pferderennen be¬<lb/>
gleitet wurde, bei welchen der Kaiser selbst gegenwärtig war und als Wagen¬<lb/>
lenker gekleidet oder auf einem Wagen stehend sich unter den Pöbel mischte.<lb/>
Obgleich man die Christen für schuldig hielt, so regte sich das Mitleiden, weil<lb/>
man annahm, daß diese Unglücklichen nicht sowohl dem allgemeinen Besten als<lb/>
vielmehr der Grausamkeit eines Einzelnen aufgeopfert wurden,"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_430" next="#ID_431"> Wer die vorstehende Erzählung unbefangen liest, der wird das unbehag¬<lb/>
liche Gefühl haben, daß er sich in unsichern Händen befinde. Taeitus, der nicht<lb/>
«ins irg. se stuclio schreibt, sondern als Geschichtsschreiber entweder liebt oder<lb/>
haßt, will offenbar weder den Nero noch die Christen unverdächtige davon¬<lb/>
kommen lassen, da er beide verabscheut. Es stimmt gar zu schön zu seinen An¬<lb/>
sichten über beide, daß ihnen auch die Verbrennung der ewigen Stadt zuge¬<lb/>
schrieben wurde. Hätte er aber wirkliche, objektive Gründe gehabt, so hätte er<lb/>
sich klarer ausgedrückt und sich namentlich nicht hinsichtlich des Nero damit be¬<lb/>
gnügt, den Verdacht so unbestimmt und allgemein auszusprechen. Nun hat<lb/>
freilich die Verdächtigung der Christen auf die Nachwelt keinen Einfluß gehabt,<lb/>
aber den Nero hat man bis in die neueste Zeit hinein wenigstens für den wahr¬<lb/>
scheinlichen Urheber des Dramas gehalten, und doch steht die Beschuldigung<lb/>
gegen ihn auf ebenso schwachen Füßen wie die gegen die Christen, Es wirkte<lb/>
eben auch hier die Liebe und der Haß, Künstler und Dichter hatten zwar noch<lb/>
einen andern Grund &#x2014; den Effekt, Man denke an Hamerling, der in seinem<lb/>
&#x201E;Ahasver" seine Feder nicht in Tinte, sondern in Blut getaucht zu haben scheint,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0133] Die antiken Lhristenvorfolgnngen und der Kulturkampf, die Stadt habe anzünden lassen, um sie schöner und prächtiger wieder aufzu¬ bauen. So ungefähr erzählt uns Taeitus im fünfzehnten Buche seiner Annalen im 38, Kapitel, wo er auch den Brand selbst und die Folgen desselben genau schildert. Dann fährt er im 44, Kapitel fort: „Um diese Beschuldigung von sich abzuwälzen (nämlich daß er der Brandstifter sei), belegte Nero diejenige», mit den ausgesuchtesten Martern, welche ihrer Schandthaten wegen verhaßt waren und vom Volke Christen genannt wurden. Der Name rührt von Christus her, welcher unter der Regierung des Tiberius von Pontius Pilatus hingerichtet wurde. Der für den Augenblick unterdrückte verderbliche Aberglaube brach wiederum hervor, nicht bloß in Judäa, dem Ursitz des Übels, sondern auch in der Stadt (Rom), wo alles Abscheuliche und Schändliche zusammenfließt und Unterstützung findet. Es wurden nun zunächst einige ergriffen, welche ge¬ standen, und dann infolge ihrer Anzeige eine große Menge, die dann insgesamt nicht sowohl des Verbrechens, die Stadt angesteckt zu haben, als ihres Hasses gegen das ganze menschliche Geschlecht überwiesen wurden. Die Martern, uuter denen sie ihr Leben aufgeben mußten, wurden noch durch Spott und Hohn vermehrt; einige wurden in Thierhüute genäht und der Wild der Hunde preis¬ gegeben, andre ans Kreuz geschlagen, andre mit brennbaren Stoffen überstrichen und angesteckt, um in der Finsternis als Fackel zu leuchten, Nero gab seine Gärten zu diesem grausamen Schauspiele her, welches von Pferderennen be¬ gleitet wurde, bei welchen der Kaiser selbst gegenwärtig war und als Wagen¬ lenker gekleidet oder auf einem Wagen stehend sich unter den Pöbel mischte. Obgleich man die Christen für schuldig hielt, so regte sich das Mitleiden, weil man annahm, daß diese Unglücklichen nicht sowohl dem allgemeinen Besten als vielmehr der Grausamkeit eines Einzelnen aufgeopfert wurden," Wer die vorstehende Erzählung unbefangen liest, der wird das unbehag¬ liche Gefühl haben, daß er sich in unsichern Händen befinde. Taeitus, der nicht «ins irg. se stuclio schreibt, sondern als Geschichtsschreiber entweder liebt oder haßt, will offenbar weder den Nero noch die Christen unverdächtige davon¬ kommen lassen, da er beide verabscheut. Es stimmt gar zu schön zu seinen An¬ sichten über beide, daß ihnen auch die Verbrennung der ewigen Stadt zuge¬ schrieben wurde. Hätte er aber wirkliche, objektive Gründe gehabt, so hätte er sich klarer ausgedrückt und sich namentlich nicht hinsichtlich des Nero damit be¬ gnügt, den Verdacht so unbestimmt und allgemein auszusprechen. Nun hat freilich die Verdächtigung der Christen auf die Nachwelt keinen Einfluß gehabt, aber den Nero hat man bis in die neueste Zeit hinein wenigstens für den wahr¬ scheinlichen Urheber des Dramas gehalten, und doch steht die Beschuldigung gegen ihn auf ebenso schwachen Füßen wie die gegen die Christen, Es wirkte eben auch hier die Liebe und der Haß, Künstler und Dichter hatten zwar noch einen andern Grund — den Effekt, Man denke an Hamerling, der in seinem „Ahasver" seine Feder nicht in Tinte, sondern in Blut getaucht zu haben scheint,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/133
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/133>, abgerufen am 23.07.2024.