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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Das kleine Buch des Herrn von Bismarck.

der Bnndespolitik seiner Gegner, Bei keinem Teile des deutschen Volkes und bei
wenigen Staaten des Auslandes ist zugleich die Zufriedenheit mit der eignen Re¬
gierung, die Bereitwilligkeit, derselben vertrauensvoll und opferbereit entgegenzu¬
kommen, in dem Maße wie in Preußen von dem Gefühle abhängig, daß dem
Lande eine selbständige und angesehene Stellung nach außen hin gewahrt wird,
und die Wahrnehmung, daß Preußen in Deutschland von Österreich überflügelt
würde, daß baierische und sächsische, hessische und würtenbergische Majoritäten
irgendwelchen bestimmenden Einfluß auf Preußen wider dessen Willen mit Erfolg
beanspruchen könnten, wär" selbst in der heutigen Zeit der materiellen Interessen
für. das Preußische Volk ein schärferer Stachel zu gereizter Verstimmung, ein wirk¬
sameres Mittel zur Erregung von Unzufriedenheit als die Mehrzahl wirklicher oder
vermeintlicher Übelstände im Innern, während umgekehrt der Preuße über jede
Erhöhung seines Selbstgefühls gegenüber dem Auslande leicht dasjenige vergißt,
was ihn an den innern Zuständen verdrießt.

Hiermit schließt das merkwürdige Aktenstück, das nur in den letzten Sätzen
insofern von der Folgezeit des Irrtums überführt wurde, als die Konfliktsjahre
von 1861 bis 1866 von der darin angenommenen Regel, die Preußen vergäßen
über einer Regierung, deren Politik auf Erhöhung des Ansehens ihres Landes
und auf eine selbständige und geachtete Stellung desselben nach außen hin ab¬
zielte, innere Wünsche und Beschwerden, sehr zahlreiche Ausnahmen zeigte. Das
Selbstgefühl der Preußen war durch die Verstärkung der Armee und deren Er¬
folge gegen die Dänen unzweifelhaft erhöht worden, man mußte wissen, daß eine
weitere Erhöhung bevorstand, und dennoch nahm die Opposition im Abgeord-
netenhause in ihrem Verdruß über die innern Zustände Partei gegen die Re¬
gierung und für die Politik der Mittelstaaten in Betreff Schleswig-Holsteins
und des Augusteuburgers, und diese Opposition bildete die Mehrheit der Kammer,
Aber freilich waren das keine echten Preußen, sondern rechthaberische, beschränkte
demokratische Doktrinäre,

Und nun die Moral des "kleinen Buches," die beiläufig nicht bloß in
dieser Betrachtung entwickelt und begründet, sondern noch in einer ganzen Reihe
andrer Berichte unsrer Sammlung mit ähnlichen Worten vorgetragen wird. Sie
lautet in der Kürze:

Österreich zieht aus seiner Stellung als Präsidialmacht und aus Furcht
und Abneigung der meisten Bundesregierungen große Vorteile, es erfreut sich im
Bunde eines Übergewichts über Preußen, das es geschickt benutzt. Dieses Ver¬
hältnis wird sich von selbst nicht umgestalten, auch nicht durch das weiteste
Entgegenkommen Preußens, Dieses muß deshalb seine Taktik ändern und andre
Wege einschlagen, wenn es nicht schwerer Schädigung entgegengehen soll. Es
muß fortan eine selbständige, vom Bunde, von Österreich und seinen mittel-
und kleinstaatlichen Satelliten unabhängige Politik treiben. Es darf nicht Ge¬
fühle zur Richtschnur seines Handelns machen, es muß vielmehr immer den
richtig erkannten eignen Vorteil maßgebend für sich sein lassen, Der Bund
muß unschädlich gemacht, die Pflichten gegen denselben müssen, soweit sie wirk-


Grenzboten I. ILLS, 16
Das kleine Buch des Herrn von Bismarck.

der Bnndespolitik seiner Gegner, Bei keinem Teile des deutschen Volkes und bei
wenigen Staaten des Auslandes ist zugleich die Zufriedenheit mit der eignen Re¬
gierung, die Bereitwilligkeit, derselben vertrauensvoll und opferbereit entgegenzu¬
kommen, in dem Maße wie in Preußen von dem Gefühle abhängig, daß dem
Lande eine selbständige und angesehene Stellung nach außen hin gewahrt wird,
und die Wahrnehmung, daß Preußen in Deutschland von Österreich überflügelt
würde, daß baierische und sächsische, hessische und würtenbergische Majoritäten
irgendwelchen bestimmenden Einfluß auf Preußen wider dessen Willen mit Erfolg
beanspruchen könnten, wär« selbst in der heutigen Zeit der materiellen Interessen
für. das Preußische Volk ein schärferer Stachel zu gereizter Verstimmung, ein wirk¬
sameres Mittel zur Erregung von Unzufriedenheit als die Mehrzahl wirklicher oder
vermeintlicher Übelstände im Innern, während umgekehrt der Preuße über jede
Erhöhung seines Selbstgefühls gegenüber dem Auslande leicht dasjenige vergißt,
was ihn an den innern Zuständen verdrießt.

Hiermit schließt das merkwürdige Aktenstück, das nur in den letzten Sätzen
insofern von der Folgezeit des Irrtums überführt wurde, als die Konfliktsjahre
von 1861 bis 1866 von der darin angenommenen Regel, die Preußen vergäßen
über einer Regierung, deren Politik auf Erhöhung des Ansehens ihres Landes
und auf eine selbständige und geachtete Stellung desselben nach außen hin ab¬
zielte, innere Wünsche und Beschwerden, sehr zahlreiche Ausnahmen zeigte. Das
Selbstgefühl der Preußen war durch die Verstärkung der Armee und deren Er¬
folge gegen die Dänen unzweifelhaft erhöht worden, man mußte wissen, daß eine
weitere Erhöhung bevorstand, und dennoch nahm die Opposition im Abgeord-
netenhause in ihrem Verdruß über die innern Zustände Partei gegen die Re¬
gierung und für die Politik der Mittelstaaten in Betreff Schleswig-Holsteins
und des Augusteuburgers, und diese Opposition bildete die Mehrheit der Kammer,
Aber freilich waren das keine echten Preußen, sondern rechthaberische, beschränkte
demokratische Doktrinäre,

Und nun die Moral des „kleinen Buches," die beiläufig nicht bloß in
dieser Betrachtung entwickelt und begründet, sondern noch in einer ganzen Reihe
andrer Berichte unsrer Sammlung mit ähnlichen Worten vorgetragen wird. Sie
lautet in der Kürze:

Österreich zieht aus seiner Stellung als Präsidialmacht und aus Furcht
und Abneigung der meisten Bundesregierungen große Vorteile, es erfreut sich im
Bunde eines Übergewichts über Preußen, das es geschickt benutzt. Dieses Ver¬
hältnis wird sich von selbst nicht umgestalten, auch nicht durch das weiteste
Entgegenkommen Preußens, Dieses muß deshalb seine Taktik ändern und andre
Wege einschlagen, wenn es nicht schwerer Schädigung entgegengehen soll. Es
muß fortan eine selbständige, vom Bunde, von Österreich und seinen mittel-
und kleinstaatlichen Satelliten unabhängige Politik treiben. Es darf nicht Ge¬
fühle zur Richtschnur seines Handelns machen, es muß vielmehr immer den
richtig erkannten eignen Vorteil maßgebend für sich sein lassen, Der Bund
muß unschädlich gemacht, die Pflichten gegen denselben müssen, soweit sie wirk-


Grenzboten I. ILLS, 16
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[0129] Das kleine Buch des Herrn von Bismarck. der Bnndespolitik seiner Gegner, Bei keinem Teile des deutschen Volkes und bei wenigen Staaten des Auslandes ist zugleich die Zufriedenheit mit der eignen Re¬ gierung, die Bereitwilligkeit, derselben vertrauensvoll und opferbereit entgegenzu¬ kommen, in dem Maße wie in Preußen von dem Gefühle abhängig, daß dem Lande eine selbständige und angesehene Stellung nach außen hin gewahrt wird, und die Wahrnehmung, daß Preußen in Deutschland von Österreich überflügelt würde, daß baierische und sächsische, hessische und würtenbergische Majoritäten irgendwelchen bestimmenden Einfluß auf Preußen wider dessen Willen mit Erfolg beanspruchen könnten, wär« selbst in der heutigen Zeit der materiellen Interessen für. das Preußische Volk ein schärferer Stachel zu gereizter Verstimmung, ein wirk¬ sameres Mittel zur Erregung von Unzufriedenheit als die Mehrzahl wirklicher oder vermeintlicher Übelstände im Innern, während umgekehrt der Preuße über jede Erhöhung seines Selbstgefühls gegenüber dem Auslande leicht dasjenige vergißt, was ihn an den innern Zuständen verdrießt. Hiermit schließt das merkwürdige Aktenstück, das nur in den letzten Sätzen insofern von der Folgezeit des Irrtums überführt wurde, als die Konfliktsjahre von 1861 bis 1866 von der darin angenommenen Regel, die Preußen vergäßen über einer Regierung, deren Politik auf Erhöhung des Ansehens ihres Landes und auf eine selbständige und geachtete Stellung desselben nach außen hin ab¬ zielte, innere Wünsche und Beschwerden, sehr zahlreiche Ausnahmen zeigte. Das Selbstgefühl der Preußen war durch die Verstärkung der Armee und deren Er¬ folge gegen die Dänen unzweifelhaft erhöht worden, man mußte wissen, daß eine weitere Erhöhung bevorstand, und dennoch nahm die Opposition im Abgeord- netenhause in ihrem Verdruß über die innern Zustände Partei gegen die Re¬ gierung und für die Politik der Mittelstaaten in Betreff Schleswig-Holsteins und des Augusteuburgers, und diese Opposition bildete die Mehrheit der Kammer, Aber freilich waren das keine echten Preußen, sondern rechthaberische, beschränkte demokratische Doktrinäre, Und nun die Moral des „kleinen Buches," die beiläufig nicht bloß in dieser Betrachtung entwickelt und begründet, sondern noch in einer ganzen Reihe andrer Berichte unsrer Sammlung mit ähnlichen Worten vorgetragen wird. Sie lautet in der Kürze: Österreich zieht aus seiner Stellung als Präsidialmacht und aus Furcht und Abneigung der meisten Bundesregierungen große Vorteile, es erfreut sich im Bunde eines Übergewichts über Preußen, das es geschickt benutzt. Dieses Ver¬ hältnis wird sich von selbst nicht umgestalten, auch nicht durch das weiteste Entgegenkommen Preußens, Dieses muß deshalb seine Taktik ändern und andre Wege einschlagen, wenn es nicht schwerer Schädigung entgegengehen soll. Es muß fortan eine selbständige, vom Bunde, von Österreich und seinen mittel- und kleinstaatlichen Satelliten unabhängige Politik treiben. Es darf nicht Ge¬ fühle zur Richtschnur seines Handelns machen, es muß vielmehr immer den richtig erkannten eignen Vorteil maßgebend für sich sein lassen, Der Bund muß unschädlich gemacht, die Pflichten gegen denselben müssen, soweit sie wirk- Grenzboten I. ILLS, 16

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/129>, abgerufen am 23.07.2024.