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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

die Schärfe des ersten Schmerzes abstumpfte und den heftigen Kummer in eine
zwar durchdringende, aber doch stille Trauer aufzulösen anfing.

Erzähle mir, sagte Eberhardt, nachdem er in sein kajütenähnliches Zimmer
zurückgekehrt war, zu dein alten Diener, erzähle mir von ihren letzten Lebens¬
tagen. Wie kam es, daß ihre Krankheit so schnelle Fortschritte machte? O,
wenn ich das Hütte ahnen können! Ich war des Glaubens, daß sie friedlich
und glücklich lebe, daß ihre Gesundheit sich immer mehr bessere! Ging es ihr
doch so gut, als ich sie verließ! War sie doch so ruhig und heiter! Wenn ich
hätte ahnen können, daß das Ende ihres Lebens so nahe sei, so wäre ich längst
zu ihr zurückgekehrt. Und ihre Briefe klangen so beruhigend.

Niemand von uns hat erwartet, daß es so kommen würde, entgegnete Andrew.
Wir hörten bis vor kurzem niemals eine Klage von ihr, und ihre Miene ver¬
kündigte uns kein Unheil. Die Lady war wohl immer bestrebt, ihrer Umgebung
Sorge zu ersparen. Tag sür Tag war sie im Bethause, Abend sür Abend saß
sie mit der Oberin oder mit der Schwester Elisabeth auf dem Balkon in ihrer
Lieblingsecke am Platanenbaum, sah dem Untergange der Sonne zu und sprach
über die Angelegenheiten der Gemeinde, über das Gedeihen der Fluren, über
die Güte Gottes, vor allem aber von Ihnen, junger Herr. Wir verfolgten
miteinander in den Zeitungen und in Ihren Briefen den grausamen Krieg, in
welchem Sie kämpften, und wir freuten uns, als er endlich vorüber war, und als
Sie uns mitteilten, daß nun Friede sei, und daß Sie nur noch eine Studienreise
nach Italien machen wollten, ehe Sie zu uns zurückkehrten. Aber ihre Krankheit
mußte wohl ihr Inneres verzehrt haben, ohne daß wir es bemerkten, denn vor
wenig Wochen veränderte sich plötzlich ihr Aussehen, und der Bau ihres zarten
Körpers verfiel nun so schnell, daß Sie wohl nicht Zeit gehabt hätten, noch vor
ihrem Hinscheiden einzutreffen. Aber sie litt auch nicht, daß wir Ihnen schrieben.
Ich weiß, daß meine Stunde schnell herannaht, sagte sie, und ich will meinem
Sohne nicht mehr die Angst und Aufregung einer Reise verursachen, die doch zu
spät käme.

Liebe, gütige Mutter! rief der junge Mann, du dachtest dein Leben lang
nur an andre, und wie hast gerade du von andern leiden müssen! Wenn es
mir doch nur vergönnt gewesen wäre, die letzten Stunden bei dir zu sein, und
den Segen deiner sanften Hand zu deinen Füßen zu empfangen! Niemals wäre
ich in diesen Krieg gezogen, wenn ich gedacht hätte, daß ich dich nicht wieder¬
sehen würde. Vielleicht hat die Sorge um mich noch dein Ende beschleunigt!

O lieber Herr, sagte der Schwarze, Sie wissen nicht, wie stolz sie darauf
war, daß Sie für Ihr Vaterland kämpften.

War sie das? War sie das wirlich?

Sie war sehr stolz darauf, und die Befriedigung darüber war stärker als
ihre Sorge. Ich habe mein Vaterland verlassen, und sein Vater war es, der
mich dazu zwang. Aber mein Sohn gehört doch meinem geliebten Deutschland


Die Grafen von Altenschwerdt.

die Schärfe des ersten Schmerzes abstumpfte und den heftigen Kummer in eine
zwar durchdringende, aber doch stille Trauer aufzulösen anfing.

Erzähle mir, sagte Eberhardt, nachdem er in sein kajütenähnliches Zimmer
zurückgekehrt war, zu dein alten Diener, erzähle mir von ihren letzten Lebens¬
tagen. Wie kam es, daß ihre Krankheit so schnelle Fortschritte machte? O,
wenn ich das Hütte ahnen können! Ich war des Glaubens, daß sie friedlich
und glücklich lebe, daß ihre Gesundheit sich immer mehr bessere! Ging es ihr
doch so gut, als ich sie verließ! War sie doch so ruhig und heiter! Wenn ich
hätte ahnen können, daß das Ende ihres Lebens so nahe sei, so wäre ich längst
zu ihr zurückgekehrt. Und ihre Briefe klangen so beruhigend.

Niemand von uns hat erwartet, daß es so kommen würde, entgegnete Andrew.
Wir hörten bis vor kurzem niemals eine Klage von ihr, und ihre Miene ver¬
kündigte uns kein Unheil. Die Lady war wohl immer bestrebt, ihrer Umgebung
Sorge zu ersparen. Tag sür Tag war sie im Bethause, Abend sür Abend saß
sie mit der Oberin oder mit der Schwester Elisabeth auf dem Balkon in ihrer
Lieblingsecke am Platanenbaum, sah dem Untergange der Sonne zu und sprach
über die Angelegenheiten der Gemeinde, über das Gedeihen der Fluren, über
die Güte Gottes, vor allem aber von Ihnen, junger Herr. Wir verfolgten
miteinander in den Zeitungen und in Ihren Briefen den grausamen Krieg, in
welchem Sie kämpften, und wir freuten uns, als er endlich vorüber war, und als
Sie uns mitteilten, daß nun Friede sei, und daß Sie nur noch eine Studienreise
nach Italien machen wollten, ehe Sie zu uns zurückkehrten. Aber ihre Krankheit
mußte wohl ihr Inneres verzehrt haben, ohne daß wir es bemerkten, denn vor
wenig Wochen veränderte sich plötzlich ihr Aussehen, und der Bau ihres zarten
Körpers verfiel nun so schnell, daß Sie wohl nicht Zeit gehabt hätten, noch vor
ihrem Hinscheiden einzutreffen. Aber sie litt auch nicht, daß wir Ihnen schrieben.
Ich weiß, daß meine Stunde schnell herannaht, sagte sie, und ich will meinem
Sohne nicht mehr die Angst und Aufregung einer Reise verursachen, die doch zu
spät käme.

Liebe, gütige Mutter! rief der junge Mann, du dachtest dein Leben lang
nur an andre, und wie hast gerade du von andern leiden müssen! Wenn es
mir doch nur vergönnt gewesen wäre, die letzten Stunden bei dir zu sein, und
den Segen deiner sanften Hand zu deinen Füßen zu empfangen! Niemals wäre
ich in diesen Krieg gezogen, wenn ich gedacht hätte, daß ich dich nicht wieder¬
sehen würde. Vielleicht hat die Sorge um mich noch dein Ende beschleunigt!

O lieber Herr, sagte der Schwarze, Sie wissen nicht, wie stolz sie darauf
war, daß Sie für Ihr Vaterland kämpften.

War sie das? War sie das wirlich?

Sie war sehr stolz darauf, und die Befriedigung darüber war stärker als
ihre Sorge. Ich habe mein Vaterland verlassen, und sein Vater war es, der
mich dazu zwang. Aber mein Sohn gehört doch meinem geliebten Deutschland


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[0114] Die Grafen von Altenschwerdt. die Schärfe des ersten Schmerzes abstumpfte und den heftigen Kummer in eine zwar durchdringende, aber doch stille Trauer aufzulösen anfing. Erzähle mir, sagte Eberhardt, nachdem er in sein kajütenähnliches Zimmer zurückgekehrt war, zu dein alten Diener, erzähle mir von ihren letzten Lebens¬ tagen. Wie kam es, daß ihre Krankheit so schnelle Fortschritte machte? O, wenn ich das Hütte ahnen können! Ich war des Glaubens, daß sie friedlich und glücklich lebe, daß ihre Gesundheit sich immer mehr bessere! Ging es ihr doch so gut, als ich sie verließ! War sie doch so ruhig und heiter! Wenn ich hätte ahnen können, daß das Ende ihres Lebens so nahe sei, so wäre ich längst zu ihr zurückgekehrt. Und ihre Briefe klangen so beruhigend. Niemand von uns hat erwartet, daß es so kommen würde, entgegnete Andrew. Wir hörten bis vor kurzem niemals eine Klage von ihr, und ihre Miene ver¬ kündigte uns kein Unheil. Die Lady war wohl immer bestrebt, ihrer Umgebung Sorge zu ersparen. Tag sür Tag war sie im Bethause, Abend sür Abend saß sie mit der Oberin oder mit der Schwester Elisabeth auf dem Balkon in ihrer Lieblingsecke am Platanenbaum, sah dem Untergange der Sonne zu und sprach über die Angelegenheiten der Gemeinde, über das Gedeihen der Fluren, über die Güte Gottes, vor allem aber von Ihnen, junger Herr. Wir verfolgten miteinander in den Zeitungen und in Ihren Briefen den grausamen Krieg, in welchem Sie kämpften, und wir freuten uns, als er endlich vorüber war, und als Sie uns mitteilten, daß nun Friede sei, und daß Sie nur noch eine Studienreise nach Italien machen wollten, ehe Sie zu uns zurückkehrten. Aber ihre Krankheit mußte wohl ihr Inneres verzehrt haben, ohne daß wir es bemerkten, denn vor wenig Wochen veränderte sich plötzlich ihr Aussehen, und der Bau ihres zarten Körpers verfiel nun so schnell, daß Sie wohl nicht Zeit gehabt hätten, noch vor ihrem Hinscheiden einzutreffen. Aber sie litt auch nicht, daß wir Ihnen schrieben. Ich weiß, daß meine Stunde schnell herannaht, sagte sie, und ich will meinem Sohne nicht mehr die Angst und Aufregung einer Reise verursachen, die doch zu spät käme. Liebe, gütige Mutter! rief der junge Mann, du dachtest dein Leben lang nur an andre, und wie hast gerade du von andern leiden müssen! Wenn es mir doch nur vergönnt gewesen wäre, die letzten Stunden bei dir zu sein, und den Segen deiner sanften Hand zu deinen Füßen zu empfangen! Niemals wäre ich in diesen Krieg gezogen, wenn ich gedacht hätte, daß ich dich nicht wieder¬ sehen würde. Vielleicht hat die Sorge um mich noch dein Ende beschleunigt! O lieber Herr, sagte der Schwarze, Sie wissen nicht, wie stolz sie darauf war, daß Sie für Ihr Vaterland kämpften. War sie das? War sie das wirlich? Sie war sehr stolz darauf, und die Befriedigung darüber war stärker als ihre Sorge. Ich habe mein Vaterland verlassen, und sein Vater war es, der mich dazu zwang. Aber mein Sohn gehört doch meinem geliebten Deutschland

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/114>, abgerufen am 25.08.2024.