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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grasen von Altenschwerdt.

Erschreckens. Dann aber ließ er die Frau stehen und stürmte ohne weitere
Fragen und Erkundigungen hinauf in sein Zimmer.

Andrew! rief er in schmerzlicher Bewegung, sobald er die Thür geöffnet
und einen Blick hineingeworfen hatte, Andrew, du bist es? Was ist der Grund?

Die mächtige Gestalt des schwarzen Mannes erhob sich von dem Stuhl
am Tische, wo sie über einem Schriftstück zusammengebückt gesessen hatte, und
schien nun das enge kajütenähnliche Gemach beinahe auszufüllen. Mit einem
tieftraurigen Gesicht trat der Neger auf Eberhardt zu, ergriff dessen ihm ent¬
gegengestreckte Hand und drückte sie stumm.

Was ist, Andrew? fragte Eberhardt noch einmal. Daß du hier bist, kann
nur eine einzige Ursache haben. Es muß ein großes Unglück geschehen sein --
meine Mutter...

Mein lieber junger Herr, sagte der Schwarze mit tiefer, umschleierter
Stimme, meine gütige Lady ist hinübergegangen zu den Engeln, deren Gesell¬
schaft die ihrer allein würdige ist.

Eberhardt floh hinaus ins Freie, um mit sich und seinem Schmerze allein zu sein.
Es litt ihn nicht in der schwülen Enge des Zimmers, und selbst die Gegenwart
des alten treuen Dieners war ihm unerträglich, als er fassungslos den Sinn
der erschütternden Botschaft zu verstehen suchte.

Über dem weiten Meere, welches seiue Wogen brausend zum Gestade wälzte,
unermüdlich und in ewigem Gleichmaß, wölbte sich dunkel die Himmelsdecke,
zerrissene Wolkenmassen flogen an dem Monde vorüber, der sein kaltes Licht
herabgoß, und der Wind jagte den weißen Sand vor dem einsamen Wandrer
her, als er ruhelos am Strande dahin schritt, verloren in die schmerzliche
Erregung seines Innern. Die tröstliche Melodie des bewegten Wassers, welche
die Ahnung der Unendlichkeit mehr als irgend eine andre Musik der Menschen¬
brust verständlich macht, das Licht der ewigen Sterne, welches beredter als
jede andre Predigt die Hoffnung einer seligen Unsterblichkeit erweckt, wollten
wohl seine tieferschütterte Seele erheben, aber immer von neuem sank sie in
Trauer zurück.

Fern von dem Orte, wo er seine Kindheit und Jugend verlebt hatte, mußte
er erfahren, daß die Mutter nicht mehr unter den Lebenden weile, sie, welche
auch in der Ferne seinem Herzen das Gefühl, eine Heimat zu haben, lebendig
erhalten hatte. Das Bewußtsein der Vereinsamung legte sich schwer auf sein
Gemüt, er fühlte sich aus dem Boden herausgerissen, wo seine teuersten
Erinnerungen wurzelten, und mit einem Schlage erhielt das Leben einen neuen
und fremden Anblick in seinen Augen.

Gehörten wirklich jene glücklichen Stunden, gehörte jenes sanfte Lächeln,
gehörte der beruhigende Blick jener heiligen Augen wirklich der Vergangenheit
an? War es nur zu denken, daß das Schicksal eine undurchdringliche Scheide¬
wand zwischen zwei Menschen errichtet hatte, die sich so nahe gestanden? Es


Die Grasen von Altenschwerdt.

Erschreckens. Dann aber ließ er die Frau stehen und stürmte ohne weitere
Fragen und Erkundigungen hinauf in sein Zimmer.

Andrew! rief er in schmerzlicher Bewegung, sobald er die Thür geöffnet
und einen Blick hineingeworfen hatte, Andrew, du bist es? Was ist der Grund?

Die mächtige Gestalt des schwarzen Mannes erhob sich von dem Stuhl
am Tische, wo sie über einem Schriftstück zusammengebückt gesessen hatte, und
schien nun das enge kajütenähnliche Gemach beinahe auszufüllen. Mit einem
tieftraurigen Gesicht trat der Neger auf Eberhardt zu, ergriff dessen ihm ent¬
gegengestreckte Hand und drückte sie stumm.

Was ist, Andrew? fragte Eberhardt noch einmal. Daß du hier bist, kann
nur eine einzige Ursache haben. Es muß ein großes Unglück geschehen sein —
meine Mutter...

Mein lieber junger Herr, sagte der Schwarze mit tiefer, umschleierter
Stimme, meine gütige Lady ist hinübergegangen zu den Engeln, deren Gesell¬
schaft die ihrer allein würdige ist.

Eberhardt floh hinaus ins Freie, um mit sich und seinem Schmerze allein zu sein.
Es litt ihn nicht in der schwülen Enge des Zimmers, und selbst die Gegenwart
des alten treuen Dieners war ihm unerträglich, als er fassungslos den Sinn
der erschütternden Botschaft zu verstehen suchte.

Über dem weiten Meere, welches seiue Wogen brausend zum Gestade wälzte,
unermüdlich und in ewigem Gleichmaß, wölbte sich dunkel die Himmelsdecke,
zerrissene Wolkenmassen flogen an dem Monde vorüber, der sein kaltes Licht
herabgoß, und der Wind jagte den weißen Sand vor dem einsamen Wandrer
her, als er ruhelos am Strande dahin schritt, verloren in die schmerzliche
Erregung seines Innern. Die tröstliche Melodie des bewegten Wassers, welche
die Ahnung der Unendlichkeit mehr als irgend eine andre Musik der Menschen¬
brust verständlich macht, das Licht der ewigen Sterne, welches beredter als
jede andre Predigt die Hoffnung einer seligen Unsterblichkeit erweckt, wollten
wohl seine tieferschütterte Seele erheben, aber immer von neuem sank sie in
Trauer zurück.

Fern von dem Orte, wo er seine Kindheit und Jugend verlebt hatte, mußte
er erfahren, daß die Mutter nicht mehr unter den Lebenden weile, sie, welche
auch in der Ferne seinem Herzen das Gefühl, eine Heimat zu haben, lebendig
erhalten hatte. Das Bewußtsein der Vereinsamung legte sich schwer auf sein
Gemüt, er fühlte sich aus dem Boden herausgerissen, wo seine teuersten
Erinnerungen wurzelten, und mit einem Schlage erhielt das Leben einen neuen
und fremden Anblick in seinen Augen.

Gehörten wirklich jene glücklichen Stunden, gehörte jenes sanfte Lächeln,
gehörte der beruhigende Blick jener heiligen Augen wirklich der Vergangenheit
an? War es nur zu denken, daß das Schicksal eine undurchdringliche Scheide¬
wand zwischen zwei Menschen errichtet hatte, die sich so nahe gestanden? Es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/112>, abgerufen am 23.07.2024.